Schweitzer Fachinformationen
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Regentropfen hämmerten auf das Dach des alten Hauses. Ich saß in meinem gemütlichen Ohrensessel im Wohnzimmer und lauschte dem Rhythmus.
Bam. Bam. Bam.
Das Klopfen wirkte beruhigend auf mich, weil ich nicht hinausgehen musste und es mir hier drinnen bequem machen konnte.
Es regnete seit Wochen, sodass mancherorts die Bäche und Flüsse über die Ufer getreten waren und Wiesen sowie Felder in Sumpflandschaften verwandelt hatten. Erst in den letzten Tagen war der Regen weniger geworden, und das Wasser zog sich langsam zurück.
In kurzen Regenpausen war ich auf das Dach geklettert und hatte kaputte Ziegel ausgewechselt. Am Plafond des Wohnzimmers waren die Flecken des eindringenden Wassers noch gut zu sehen, ebenso auf dem Holz des Fußbodens. Die Nässe hatte dort unansehnliche Ränder hinterlassen, nun aber blieb es hier drinnen trocken.
Ich nahm einen Schluck von dem Glas Zweigelt in meiner Hand und blickte durch das Fenster auf das Dorf. Tropfen rannen die Scheibe hinab und verhinderten eine klare Sicht.
Ich hatte mir das alte Haus am Dorfrand gekauft, weil es an der Zeit gewesen war, aus dem Bauernhof meiner Eltern auszuziehen. Nicht weil es dort zu eng geworden wäre, sondern weil der Hof, seit Oliver nicht mehr da war, nicht mehr mein Zuhause war. Weil der Traum, daraus eine Biolandwirtschaft zu machen, mit ihm gestorben war.
Mein Bruder hatte an meiner Stelle den Hof übernommen. Ich war dort nur noch Gast, wie heute Abend. Da war ich zum Essen eingeladen. Ohne Oliver. Denn der lag seit fünf Jahren unter der Erde.
Als ich das erste Mal von zu Hause ausgezogen war, war es eine Flucht vor meinen Erinnerungen an mein Leben mit Oliver gewesen, aber vor allem vor den Erinnerungen an seinen gewaltvollen Tod. Ebenso war ich vor den Dorfbewohnern geflohen, die mir mit Misstrauen begegnet waren. Und vor meiner Familie, die mich zwar hatte beschützen wollen, es aber nicht gekonnt hatte.
Vor einem Jahr war ich in meine Heimat zurückgekehrt und wieder bei meinen Eltern im Bauernhof eingezogen, weil es mir zu jenem Zeitpunkt als das Richtige erschienen war.
Doch Dinge ändern sich.
Menschen ändern sich.
Immer häufiger hatten wir gestritten. Ich mit meinem Bruder Alexander, mit Vater, Mutter. Kaum mit Florian. Der Lebensgefährte meines Bruders war eine gutmütige Seele und der ruhige Pol in unserer Familie. Mutter hatte Alexander in einem unbeschwerten Moment angedroht, dass er, falls er sich von Florian trenne, aus dem Hof ausziehen müsse und nicht Florian. Florian dürfe bleiben, hatte sie gesagt. Als mir das einfiel, lächelte ich.
Meine Familie war nicht perfekt, mit Oliver aber wäre sie es gewesen, und wenn wir irgendwann Kinder bekommen hätten, wäre mein Glück vollkommen geworden.
Doch das Schicksal hatte andere Pläne.
Bei diesem Gedanken verschwand das Lächeln aus meinem Gesicht, und ich trank erneut vom Rotwein, um die trüben Erinnerungen zu verscheuchen.
In dem renovierungsbedürftigen Gebäude hatte ich mir ein neues Zuhause erschaffen wollen. Seither verbrachte ich jede freie Minute damit, aus den alten Gemäuern eine bewohnbare Bleibe zu machen. Mein Plan war, das Meiste allein zu schaffen, ich wollte unabhängig sein und mir beweisen, dass ich ohne die Hilfe meiner Familie klarkam.
Kälte, Sonne und Regen hatten der Bausubstanz über die Jahre zugesetzt. Das Holz war an manchen Stellen morsch, der Putz bröckelig, und an Schlechtwettertagen blies der Wind durch die undichten Fenster.
Als ich das Haus besichtigt hatte, war es ohne funktionierende Heizung gewesen, und warmes Wasser hatte es nur gegeben, wenn im Küchenherd ein Feuer brannte. Maria Kalross, die früher hier gewohnt hatte, war schon vor Jahren gestorben, und seither hatte niemand mehr in das Haus einziehen wollen. Niemand vom Land und schon gar keiner aus der Stadt.
Die Erben hatten mir das Gebäude trotz der unübersehbaren Mängel wie ein luxuriöses Schloss angepriesen, und jeder Vernunft zum Trotz hatte ich mich in es verliebt. Weil es mir nach all der Leere, die ich in den letzten fünf Jahren tief in mir gespürt hatte, eine Aufgabe schenkte.
Während ich Rotwein trank und meinen Gedanken nachhing, hörte es auf zu regnen, wie es die Wettervorhersage prophezeit hatte. Die Sonne blinzelte das erste Mal seit Tagen durch die Wolken und ließ die Landschaft silbern glänzen. Darauf hatte ich gewartet, denn ich wollte zu Fuß zum Bauernhof meiner Eltern gehen und unterwegs die frische Luft genießen.
Der Hof lag ein wenig außerhalb des Dorfes, ich war die Strecke in meiner Kindheit unzählige Male gelaufen. Zur Schule oder wenn Mutter mich zum Bäcker geschickt hatte, um Semmeln zu holen. Später als Teenager war ich mit dem Fahrrad ins Dorf geradelt, um mit meinen Freunden abzuhängen, und heute würde ich den Weg gehen, um mit meiner Familie zu Abend zu essen.
Ich stellte das leere Weinglas in die Spüle und zog mir im Schlafzimmer frische Sachen an, dabei fiel mein Blick auf das Foto im silbernen Rahmen auf meinem Nachtkästchen. Es war kurz vor Olivers Tod aufgenommen worden. Mit den Fingern fuhr ich über sein lächelndes Gesicht. Wärme und Zuneigung erfüllten mich, aber auch Schmerz. Doch er tat nicht mehr so weh wie früher.
Obwohl die Löcher zwischen den Wolken immer größer wurden, schlüpfte ich in Gummistiefel und warf mir eine Regenjacke über. Sollte es erneut regnen, wäre ich gewappnet. Ich trat vor die Tür und ging die Straße hinunter bis zum Dorfplatz. Dort bog ich nach dem einzigen Café, das es bei uns gab, rechts ab, und ließ schon bald die letzten Häuser hinter mir.
Noch hatte ich reichlich Zeit und schlenderte auf dem ausgetretenen Pfad den Bach entlang. Kinder nutzten die Regenpause und bauten am Bachufer eine Burg aus Steinen, Schlamm und Ästen. Ihre Füße steckten wie meine in Gummistiefeln, nur leuchteten ihre fröhlich rot und gelb. Ihr Lachen gipfelte in vergnügtem Quietschen, weil das Wasser beim Hüpfen in ihre Gesichter spritzte.
Ich erreichte die Brücke, die ich queren musste, und schaute von oben auf den Bach hinab, der Schlamm und kleine Äste mit sich führte. Der Pegel war gesunken, was ich am niedergedrückten Gras und den umgeknickten Stauden am Ufer erkannte. Wenn es von nun an trocken bliebe, würde der Bach schon bald seinen Normalstand erreichen.
Ein Schrei ließ mich hochschrecken. Ich drehte mich um.
Was war passiert?
Warum hatten die Kinder geschrien?
Ich zählte sie . zwei . drei .
Wie viele waren es gewesen, als ich ihnen vom anderen Ufer beim Spielen zugeschaut hatte?
Drei?
Oder vier?
Sie waren aufgeregt, schrien noch immer, gestikulierten wild mit ihren Armen. Dann entdeckten sie mich und liefen auf mich zu.
Ich eilte ihnen entgegen und blickte dabei aufs Wasser, um zu schauen, ob ich etwas bemerkte. Ob eines der Kinder hineingefallen war und vielleicht nicht schwimmen konnte. Ob ich Arme oder Beine sah, einen Kopf, der unterzugehen drohte .
»Was ist los?«, rief ich ihnen zu und hoffte, dass ein harmloser Vorfall ihre Aufregung verursachte. Dass sie einen Ball verloren hatten, der vom Wasser fortgerissen worden war. Oder dass ein Handy in den Bach gefallen war.
»Dort liegt was«, schrie eines der zwei Mädchen, als ich nur noch wenige Meter entfernt war.
»Ein Monster«, rief das andere.
»Ein Toter«, meinte der Junge, als wir uns gegenüberstanden. »Er hat uns ang'schaut!«
In ihren Gesichtern sah ich Angst und Ekel. Die Kinder konnten nicht still stehen, sie hüpften von einem Bein auf das andere. Etwas hatte sie zutiefst erschreckt und durcheinandergebracht. Etwas, das tot sein sollte und sie dennoch angesehen hatte .
»Wo?«, fragte ich.
Der Bub deutete zu der Stelle, an der sie zuvor gespielt hatten. »Bei der Wasserburg!«
»Ich schaue mir das an und ihr bleibt hier«, sagte ich streng, weil ich nicht wollte, dass sie mitkamen. Dass sie noch einmal einen Blick auf das warfen, was ihnen so einen Schrecken eingejagt hatte, und dadurch aus ihren Ängsten Albträume wurden.
Die Mädchen und der Junge nickten.
Ich ging los. Bereitete mich auf das Schlimmste vor.
Entlang des Ufers entdeckte ich nichts, was einem Monster ähnelte, wobei mir klar war, dass dieser Begriff nur ein Ausdruck ihrer Hilflosigkeit gewesen war. Die Kinder hatten etwas gesehen, was ihnen fremd war. Das ihre Vorstellungskraft überstieg und sie nach Vergleichbarem suchen ließ, das ihnen ähnlich große Angst einjagte. Ein Monster eben!
Ich erreichte die halbfertige Wasserburg. Gebäudeteile aus Ästen, Blättern und Farnen ragten aus dem Bachufer. Mit Erde vermengte, gestapelte Steine bildeten einen Graben, der mit aus dem Bach abgeleitetem Wasser gefüllt war und wohl zum Schutz der Burg dienen sollte. Das hatten sich die Kinder von echten Schlössern und Ruinen abgeschaut, von denen es im Mühlviertel reichlich gab. Aber nirgendwo sah ich einen Toten.
Ich wandte mich zu den Kindern um, sie warteten an der Stelle, an der ich sie zurückgelassen hatte, und beobachteten mich.
Mein Blick fiel auf den Schlamm und den Schotter, in den sich meine Gummistiefel gruben. Trübes Wasser flutete die Vertiefungen. Wenige Schritte von mir entfernt hatten die Kinder Bachsteine aufgetürmt und mehrere Pflanzen ausgerissen, wahrscheinlich hatten sie nach Baumaterial für die Burg gesucht. Etwas lag dort, das sich vom Rest der Umgebung abhob. Es gehörte nicht hierher. Ich beugte mich hinab und wischte den Dreck beiseite,...
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