Schweitzer Fachinformationen
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»Eine junge Frau, Anfang oder Mitte zwanzig. Sie ist seit etwa zwölf Stunden tot.« Dr. Rendlick, die Rechtsmedizinerin, zog ihre Schutzhandschuhe ab und warf sie zusammengeknüllt auf den Boden.
»Jemand hat die Leiche hier abgelegt und notdürftig unter Zweigen versteckt«, ergänzte Martina Götz, die Chefin der Kriminaltechnik. »Ich fürchte, der Dauerregen hat die meisten Spuren zerstört.«
Kastner, Kriminalhauptkommissar im Dezernat Eins des Polizeipräsidiums Mittelfranken, vermied es, die Tote anzusehen. Stattdessen betrachtete er seine Füße - ein Trupp Nacktschnecken, glänzend und fett wie fränkische Pfefferbeißer, schickte sich an, die Plastiküberzieher zu erklimmen, die er auf Martinas Geheiß über seine Straßenschuhe gezogen hatte. »Wissen wir, wer sie ist?«
»Keine Papiere, kein Handy . Aber eine recht auffällige Halskette.« Martina wedelte mit einem Beweismittelbeutel. »Das ist Echtgold, und die Funkelsteinchen sehen wie Brillanten aus.«
Kastner verstand nichts von Juwelen. Jeder halbwegs zungenfertige Blender hätte ihm eine Glasscherbe als Hope-Diamant verkaufen können, weshalb er vom Schmuckkauf prinzipiell die Finger ließ. »Wie nett, ein Notizbuch aus handgeschöpftem Papier«, flötete seine Lebensgefährtin Mirjam, wenn er ihr zum Geburtstag ein kleines Päckchen überreichte, oder: »Das ist ja originell - eine Liveaufnahme von The Fab Chief & his Rotating Ventilators, auf Kassette!« Dabei strich sie sich, wie zufällig, mit ihren unberingten Fingern über das nackte Dekolleté, ehe sie zur Musikanlage ging und Diamonds Are a Girl's Best Friend von Marilyn Monroe auflegte . Die Halskette der Toten erregte jedoch sein Interesse - nicht, weil der Anhänger in der Herbstsonne glitzerte, sondern weil er etwas darstellte: zwei ineinander verschlungene Handspiegel der Venus. Zwei Frauenzeichen.
Sein Blick wanderte nun doch zu dem mädchenhaftgrazilen Wesen hinüber, das ausgestreckt auf einem Bett aus regensattem Moos lag. Brombeerranken und dunkle Locken umrahmten ein blasses, auf gänzlich ungeschminkte Weise schönes Gesicht, goldbraune Augen starrten blicklos träumend durch die im Westwind zitternden Blätter einer Pappel zu einem Flecken freien Himmels hinauf, über dessen kühles Blau Wolken wie frisch gezupfte Wattebällchen zogen. Eine Elfe, ein Waldgeist aus Shakespeares Sommernachtstraum, nur dass dies ein Albtraum war: Das meergrüne T-Shirt der jungen Frau war blutbefleckt, in ihrem schmalen Brustkorb klaffte ein Loch von der Größe eines Fünfcentstücks.
»Ist das eine Stichwunde?«, fragte er.
Dr. Rendlick zog ihre Maske herunter, zündete sich eine Zigarette an und inhalierte tief.
»Ich tippe auf eine Kugel«, sagte sie beim Ausatmen. »Kleines Kaliber. Steckschuss, eine Austrittswunde gibt es nicht.«
Kastner konzentrierte sich wieder auf seine Füße, ehe er die nächste Frage stellte: »Irgendwelche Hinweise auf sexualisierte Gewalt?«
»Die Tote ist vollständig bekleidet, Kampfspuren sind oberflächlich nicht erkennbar . Aber was heißt das schon? Die Zeiten, in denen Opfer von Sexualmördern halb nackt und mit Fremd-DNA unter den Fingernägeln im Straßengraben lagen, sind vorbei, Kastner: Heutzutage benutzen die Arschlöcher K.-o.-Tropfen und wissen dank CSI Miami genau, wie man Spuren beseitigt.«
Bei einem heiteren Beruferaten à la Was bin ich? wäre Dr. Rendlick mit vollem Sparschwein nach Hause gegangen: Ihre Vorliebe für pastellfarbene Kostüme und Drei-Wetter-Taft-Frisuren ließ die Endfünfzigerin wie das Klischee einer Chefsekretärin aus der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts wirken. Dabei beherrschte sie ihr blutiges Handwerk aus dem Effeff, und wenn die Meinungen über sie auseinandergingen, dann allenfalls bezüglich der Frage, ob man ihr Auftreten als sachlich nüchtern oder abgebrüht zynisch empfand. Der Mord an der jungen Frau schien jedoch selbst ihr an die Nieren zu gehen - vielleicht, weil sie selbst zwei Töchter in den Zwanzigern hatte.
Sie schnippte ihre halb gerauchte Kippe weg und gab ihren Mitarbeitern ein Zeichen.
Schmidt und Höffkes hoben die Tote ohne jede Anstrengung in einen Leichensack und zogen den Reißverschluss zu. Ein deprimierendes, endgültiges Geräusch.
Martina tippte Kastner auf die Schulter und deutete zum Hauptweg hinüber, auf dem zwei Streifenwagen, der Spusi-Transporter, ein Leichenwagen des Gerichtsmedizinischen Instituts Erlangen und ein Sanitätsauto parkten. »Die Brünette mit dem Hund hat die Leiche gefunden - Maike Kovac, eine Studentin der Tiermedizin. Falls du mit ihr sprechen möchtest?«
Kastner nickte. Er ließ die Kriminaltechniker ihre Arbeit tun und hoffte, dass sie etwas fanden - einen Fußabdruck, eine Reifenspur, ein Haar oder eine Kippe; irgendetwas, das den Mörder dieses elfengleichen Wesens aus dem Schatten feiger Heimlichkeit ins Licht der Gerechtigkeit zerrte.
*
Die angehende Tierärztin, eine stämmige Person Ende zwanzig mit blassen Wangen voller Aknenarben, in deren Kratern sich Make-up-Reste angesammelt hatten, trug Schulmädchenzöpfe, Bundeswehrhosen und Schnürstiefel. Die Sanitäter hatten ihr eine Rettungsfolie um die Schultern gelegt.
»Calli hat sie gefunden. Er hat gekläfft wie bescheuert . Hören Sie, ich hab die ganze Story schon dem blonden Streifenbeamten erzählt, der meine Personalien aufgenommen hat, ich würde jetzt wirklich gern heimgehen und ein heißes Bad nehmen.«
»Ein Streifenwagen kann Sie nach Hause bringen«, stellte Kastner in Aussicht. »Wenn Sie mir zuvor noch ein, zwei Fragen beantworten?« Er bückte sich und tätschelte unbeholfen den Hund, der wie eine zu heiß gebrühte Presswurst zwischen Maikes Füßen lag - der Weg ins Herz eines Hundebesitzers führte über den Vierbeiner, das hatte er zumindest irgendwo gelesen. »Der Calli hat also gebellt, und Sie haben nachgesehen, warum?«
»Ja. Also nein, eigentlich wollte ich ihn nur da rausholen, weil ich Muffe hatte, dass er in Ohnmacht fällt.«
Kastner, der mit den Gesundheitsproblemen brachyzephaler Hunderassen in etwa so vertraut war wie mit kosmischer Plasmaphysik, hielt das für einen Scherz. Er deutete ein Lächeln an, zu mehr fühlte er sich angesichts der Umstände nicht imstande.
»Zuerst sind mir die knallgelben Sneakers ins Auge gestochen«, fuhr Maike fort. »Ich war kurz davor, einen davon aufzuheben, weil na ja - ich kenne das Label, das sind Designerschuhe. Da blättern Sie locker zweihundertvierzig Euro für hin.«
Kastner bezweifelte, dass er das tun würde. »Sie dachten, jemand hätte die Schuhe weggeworfen und es könnte Ihre Größe sein?«
Maike lief rot an. »An eine Leiche hab ich jedenfalls nicht gedacht, nicht mal, als ich gecheckt hab, dass Füße in den Schuhen stecken, dass die einer anhat. Wer rechnet denn damit, am helllichten Tag am Marienberg eine Leiche zu finden? Ich hab eher an einen Vollrausch oder ein Drogenkoma gedacht, weil, na ja, manchmal hängen Jugendliche hier ab, trinken billigen Fusel von der Tanke und werfen irgendwelche Pillen ein.«
Kastner nickte. Die Coronalockdowns hatten den Trend zum geselligen Naturerlebnis verstärkt, neu war das Phänomen nicht. Mit einer Mischung aus Wehmut und Ekel erinnerte er sich an die Gelage seiner eigenen Sturm-und-Drang-Zeit, die bei Sonnenuntergang im Pegnitzgrund mit handwarmer Whiskey-Cola, Roth-Händle ohne Filter und tiefgründigen Gesprächen begonnen und vor Sonnenaufgang am U-Bahnhof Wöhrder Wiese mit würdelosem Torkeln, Lallen und Würgen geendet hatten.
»Ich hab die Zweige weggezogen, um nachzusehen, ob jemand Hilfe braucht«, schloss Maike. »Und da lag sie, schön wie das schlafende Dornröschen. Ich fürchte, ich hab mich nach einem Prinzen umgesehen, der sie wieder wachküsst, bevor ich das Blut auf ihrem T-Shirt gesehen und den Notruf gewählt hab. Das ist komplett bescheuert, meinen Sie nicht? Ich studiere Tiermedizin, da sollte man doch meinen .« Maike schüttelte über sich selbst den Kopf.
»Sie standen unter Schock«, vermutete Kastner. »Gehen Sie öfter hier mit dem Hund spazieren?«
Maike nickte.
»Waren Sie gestern auch hier?«
»Gestern? Ja. Am frühen Abend, gegen sechs, halb sieben.«
»Ist Ihnen dabei etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
Maike sah ihn fragend an.
»Hat Calli gestern schon gebellt? Haben Sie rund um das Wäldchen etwas beobachtet, das...
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