Schweitzer Fachinformationen
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II
Tamara stellte sich vor, wie sie durch die Dunkelheit fuhren. Von oben, ganz weit oben, aus einem Flugzeug oder Helikopter, sähe man vermutlich nur zwei winzige Lichtkegel wie suchend über den Schnee gleiten, lautlos, parallel und ohne Hoffnung, sich jemals zu treffen. Der Panzer selbst wäre nichts als Dunkelheit inmitten des Dunkels, um ihn herum Hügel, ein paar Bäume, zu riesigen Schneebällen geformte Sträucher, die er achtlos unter sich begrub. Seine Fahrt war langsam, aber unaufhaltsam. Ein Weg lag vor ihm, von dem niemand wusste, außer -
Oles Telefon klingelte. Er ging ran, als hätte er einen Anruf erwartet. Tamara konnte weder hören noch erraten, wer dran war.
»Nein. Was denn?«, fragte Ole, und gleich darauf: »Wir . keine Ahnung. Eben sind wir durch einen Ort gekommen. Arsbølle oder so.«
Es folgte eine längere Pause, in der Ole unbewegt zuhörte.
»Moment mal«, sagte er schließlich. Er sah sie mit einem Gesichtsausdruck an, der unmöglich zu interpretieren war. »Seid ihr sicher?«
Ole wartete die Antwort ab und nickte dann, als könne sein Gesprächspartner ihn sehen. Er sah zu Boden und hob den Blick wieder zu Tamara. Dann war das Gespräch beendet, ohne dass er noch ein Wort gesagt hätte.
Sie beobachtete ihn, wie er seinen Helm in dem Kasten verstaute, aus dem sie eben die Decke für ihn geholt hatte. Er schien nicht mehr zu frieren, doch seine Haut, speziell im Gesicht, war noch immer krebsrot, er sah aus wie ein englischer Tourist an der Algarve. Jetzt wendete er sich ihr wieder zu, hielt sich gegen das Schwanken an der Decke fest und sah sie an.
»Wer war das?«, fragte sie. »Am Telefon?«
Er lächelte deplatziert. »Das war .«, begann er, überlegte es sich dann aber anders. »Würdest du mir deinen Helm geben? Bitte?«
Bevor ihr Mund die Frage formen konnte, was das zu bedeuten habe, nahm ihr Ole schon den Helm aus der Hand und warf ihn unsanft zu dem anderen in die Kiste. Er verschloss sie, nahm die Decke von seinem Sitz und legte sie darüber. Dann drehte er sich wieder zu ihr um.
»Was ist denn los?«, fragte sie und stellte fest, dass ihre dünne Stimme ihre Beunruhigung und damit, so fühlte es sich zumindest an, auch alles andere verriet.
Oles Gesicht war jetzt ausdruckslos wie ein Stein. »Willst du mir vielleicht etwas sagen?«
»Wie bitte? Nein. Wer war das gerade?«
»Ich glaube«, sagte Ole, »wir müssen uns mal ganz in Ruhe unterhalten. Ein paar Sachen habe ich noch nicht richtig verstanden. Das eben war die Zentrale.«
»Was für eine Zentrale?«
»Na die . die Instanz, die unsere Geschicke lenkt«, sagte er raunend. »Sie hatten Neuigkeiten über Eric.«
War das ein Spiel? Das konnte er doch nicht ernst meinen. Warum sagte er nicht einfach, was los war?
»Wundert mich nicht, dass du gar nicht wissen willst, was ich meine«, sagte er. »Du weißt wohl schon, welche Neuigkeiten.«
»Nein. Woher denn?«
»Sie sagen, sie hätten mit dir gesprochen.«
»Was? Ich habe mit niemandem gesprochen!«
»Sie sagen, sie hätten dich darüber informiert, dass der Kommandant aufgetaucht ist .«
»Der was?«
»Der Kommandant des Panzers.«
»Ich habe mit niemandem gesprochen. Wann hätte ich denn mit irgendjemandem telefonieren sollen?«
»Ich hab dich telefonieren sehen.«
Wie er da aufgebaut stand, die Hände über sich an der Decke abgestützt, schien er etwas ganz anderes von ihr zu wollen. Da ging eine Aggression von ihm aus, die sich auf einmal eindeutig gegen sie richtete. Auch vorher war ihr das schon aufgefallen, jetzt aber war kein Zweifel mehr möglich. Aggressiv und feindselig. »Was ist denn mit dem Kommandanten?«, fragte sie mit schwacher Stimme.
»Dem geht's gut«, sagte Ole mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Den Umständen entsprechend. Aber das weißt du ja auch.«
Das war schräg. »Was soll denn diese Unterstellung? Ich habe mit niemandem aus der . Zentrale gesprochen.«
»Aha. Mit wem dann?«
»Mit niemandem habe ich gesprochen.« Die Art, wie er sie ansah, war bedrohlich, von oben herab, viel zu nah. Sie fühlte sich überführt: Er hatte sie telefonieren sehen.
Eine lange Pause entstand, in der ihr Gehirn blockierte wie beim Vorsprechen, wenn man sich hilflos dabei zusah, wie man den einzig wahrhaftigen Ausdruck verfehlte. Verzweifelt versuchte sie, diese fürchterliche Starre zu überwinden, die Starre eines geblendeten Wildes.
»Ich glaube, ich kenne die Schwangere.«
Sein Gesicht zeigte Verblüffung; daraus schloss sie, dass er damit nicht gerechnet hatte.
»Du glaubst, dass du sie kennst«, wiederholte er abwartend.
»Was heißt kennen. Wie man sich hier eben kennt. Jeder kennt ja jeden irgendwie.«
»Und wie kommst du darauf, dass es diese Aurelia ist?«
»Aurora. Ich glaube, den Namen hat er sich ausgedacht. Ich kenne auf der ganzen Insel niemanden, die so heißt.«
»Und wie heißt sie dann?«
»Weiß ich nicht.«
»Was soll das?«, fragte er verärgert. »Das ergibt doch keinen Sinn!«
»Ich habe den Namen vergessen. Ich kenne die Frau nicht. Nicht persönlich zumindest.«
»Wieso sollte er sich dann einen Namen ausdenken und nicht einfach den richtigen sagen?«
»Das weiß ich nicht!«
»Sag mal!« Er sah ihr mit bohrendem Blick in die Augen. Eine Sekunde hielt sie stand, zwei, dann blinzelte sie und sah weg. »Du erzählst mir, du weißt, wer die Schwangere ist, kennst aber nicht ihren Namen?«
»Das ist eine kleine Insel. Es gibt nicht so viele Schwangere. Ich habe eine Vermutung, wer es sein könnte.«
»Eine Vermutung hast du also.«
Heureka, dachte Ole. Nicht, weil er sich so etwas gedacht hatte, denn er wusste ja noch nicht einmal, was »so etwas« in diesem Fall bedeuten könnte. Er hatte sich überhaupt nichts gedacht; wenn er jemals so etwas wie journalistische oder gar detektivische Intuition gehabt hatte, dann war in den letzten Jahren nur noch ein Abglanz davon übrig geblieben. Es war auch nicht so, dass er Tamara von Anfang an für unaufrichtig gehalten hätte; das Gegenteil war der Fall. Tatsächlich freute er sich in diesem Moment nur darüber, dass seine Geschichte noch mehr Fleisch bekam. Er wusste nicht, ob es sich gut garen lassen würde, ob es mürbe war, sehnig oder fad. Dass Eric ihnen einen falschen Namen genannt hatte, konnte nichts mit ihm zu tun haben, denn Ole war fremd auf der Insel. Also wollte er nicht, dass Tamara wusste, wohin die Fahrt ging. Und das bedeutete, dass die beiden sich kannten. Tamara saß in der Falle. Er konnte sich zurücklehnen und zusehen, wie sich durch ihr Zappeln die Schlinge um ihren Hals nur noch enger zog. Ob man ihm wohl übel nähme, dieses Machtgefühl genüsslich auszukosten?
»Warum hast du mir nichts darüber gesagt?«, fragte er möglichst unnachgiebig.
»Ich bin Ihnen doch keine . also verstehen Sie mich nicht falsch, aber . ich muss doch überhaupt nichts .«
Da hatte sie recht, das war die falsche Frage gewesen. Er wollte schon nicken und verständig »Natürlich« sagen, aber natürlich tat er das nicht.
»Irgendwie merkwürdig, diese Heimlichtuerei«, sagte er stattdessen. Das wiederum war wenig investigativ, da ging schon noch etwas mehr. Konzentrier dich mal ein bisschen, Ole.
»Ist er der Vater?«, wurde daraus. Fast wunderte Ole sich: Wo war das denn jetzt hergekommen? Die Frage war nicht nur genial, sondern, Tamaras Gesicht zufolge, ein Volltreffer: Ihre Mimik kollabierte wie ein Abrissgebäude bei der Sprengung.
»Was? Woher soll ich das wissen?«
»Na, du scheinst eine ganze Menge zu wissen.«
»Ich glaube, du musst mir noch ein bisschen mehr über unseren Simpel erzählen«, sagte Ole nach einer Weile dröhnenden Schweigens zwischen ihnen.
Ich muss überhaupt nichts erzählen, dachte Tamara, weder von Eric, noch von sonst jemandem. Falls das ein Verhör sein sollte, würde sie sich nicht darauf einlassen.
Sie schwieg noch einen Moment und genoss die Gewissheit, nicht sagen zu müssen, was sie nicht sagen wollte. Dann sagte sie: »Was mich interessiert: Warum nennen Sie ihn eigentlich so?«
»Weil er nicht der hellste Stern am Weihnachtshimmel ist.«
»Aber müssen Sie deswegen so herablassend zu ihm sein?«
»Zu wem soll ich denn sonst herablassend sein?«
»Ist das Ihre Antwort?« Jetzt war sie es, die herablassend war; allerdings gab es manchmal keine andere Möglichkeit. Manchmal musste man dieselben Waffen benutzen wie die Besserwisser.
»Warum setzt du dich so für ihn ein?«, fragte Ole.
»Weil ich es nicht richtig finde .«
Er unterbrach sie. »Was, wenn er gefährlich ist? Schon mal darüber nachgedacht? Vielleicht verteidigst du einen Geistesgestörten? Einen Psychopathen? Einen Amokfahrer?«
»Warum sollte er denn gefährlich sein? Eric war immer ein herzensguter Mensch.«
»Weil er dein Auto repariert hat?«
»Weil ich das weiß.« Natürlich wusste sie es, sie kannte ihn ja. Leider hatte sie beschlossen, Ole nichts davon zu erzählen, wie sehr er auf dem Holzweg war.
Ein Wort ließ sie aufmerken. »Wie bitte?«
»Dass er bewaffnet ist! Er hat seinem Kommandanten die Waffe abgenommen und ihn zum Aussteigen gezwungen. Hast du nicht gewusst, was? Der Arme ist stundenlang in der Kälte rumgeirrt. Wäre fast erfroren, und das an Weihnachten. Wie herzensgut ist er...
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