1 - Inhalt [Seite 6]
2 - Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen [Seite 9]
3 - Islam in Europa: Religiöses Leben heute [Seite 10]
3.1 - Idee und Anliegen [Seite 10]
3.2 - Muslime als religiöse Minderheit [Seite 11]
3.3 - Veränderung der Wahrnehmung und Rolle der Forschung [Seite 12]
3.4 - Die islamische Mission [Seite 13]
3.5 - Politisch-soziale Netzwerke [Seite 14]
3.6 - Muslimische Bildungseinrichtungen [Seite 16]
3.7 - Aufbau des Handbuchs [Seite 18]
4 - Frömmigkeit in der Moderne: die Laienprediger der Tablighi Jama'at [Seite 20]
4.1 - 1. Entstehung und Geschichte [Seite 20]
4.2 - 2. Organisationsformen, Alltagspraxis und Aktivitäten [Seite 28]
4.3 - 3. Lehre und Weltanschauung [Seite 36]
4.4 - 4. Die Bewegung in Europa [Seite 39]
4.5 - 5. Einschätzung [Seite 47]
4.6 - 6. Weiterführende Informationen [Seite 50]
5 - Moderne Standardisierung und traditionelle Frömmigkeit: Die pakistanische Missionsbewegung Da'wat-e Islami [Seite 54]
5.1 - 1. Entstehung und Geschichte [Seite 54]
5.2 - 2. Organisationsformen, Alltagspraxis und Aktivitäten [Seite 60]
5.3 - 3. Lehre und Weltanschauung [Seite 66]
5.4 - 4. Die Bewegung in Europa [Seite 67]
5.5 - 5. Einschätzung [Seite 69]
5.6 - 6. Weiterführende Informationen [Seite 71]
6 - Reform, Glauben und Entwicklung: die Herausforderungen für die Ahmadiyya-Gemeinde [Seite 80]
6.1 - 1. Entstehung und Geschichte [Seite 80]
6.2 - 2. Organisationsformen, Alltagspraxis und Aktivitäten [Seite 87]
6.3 - 3. Lehre und Weltanschauung [Seite 96]
6.4 - 4. Die Bewegung in Europa [Seite 98]
6.5 - 5. Einschätzung [Seite 105]
6.6 - 6. Weiterführende Informationen [Seite 106]
7 - Die Islamische Gemeinschaft Millî Görü? im Spannungsfeld von transnationaler Dynamik und deutscher Islampolitik [Seite 110]
7.1 - 1. Entstehung und Geschichte [Seite 110]
7.2 - 2. Die Bewegung in Europa [Seite 114]
7.3 - 3. Anhängerschaft (Herkunft, Sozialprofil) [Seite 116]
7.4 - 4. Organisationsformen, Alltagsleben, Aktivitäten [Seite 116]
7.5 - 5. Beziehungen zur Herkunftsgesellschaft [Seite 121]
7.6 - 6. Beziehungen zu anderen islamischen Bewegungen [Seite 122]
7.7 - 7. Verhältnis zur Mehrheitsgesellschaft [Seite 123]
7.8 - 8. Weiterführende Informationen [Seite 127]
8 - Die Union des Organisations Islamiques de France und die Tradition der Muslimbrüder im Zeitalter der Integrationspolitik [Seite 146]
8.1 - 1. Entstehung und Geschichte [Seite 147]
8.2 - 2. Organisationsformen und Aktivitäten [Seite 148]
8.3 - 3. Lehre und Weltanschauung [Seite 154]
8.4 - 4. Die UOIF, Laizität und der französische Staat [Seite 162]
8.5 - 5. Schlussbemerkungen [Seite 166]
8.6 - 6. Weiterführende Informationen [Seite 168]
9 - Islamische Ausbildungseinrichtungen in Deutschland und Europa [Seite 172]
9.1 - 1. Entstehung und Geschichte islamischer Ausbildungseinrichtungen in Europa [Seite 173]
9.2 - 2. Die Entwicklung islamischer Bildungseinrichtungen in Deutschland [Seite 177]
9.3 - 3. Das Institut für interreligiöse Pädagogik und Didaktik [Seite 180]
9.4 - 4. Das Islamologische Institut [Seite 182]
9.5 - 5. Welche Perspektiven haben islamische Ausbildungseinrichtungen in Deutschland und Europa? [Seite 186]
9.6 - 6. Weiterführende Informationen [Seite 189]
10 - Muslimische Minderheiten und ihre islamischen Schulen in Europa [Seite 192]
10.1 - 1. Entstehung islamischer Schulen in verschiedenen europäischen Ländern [Seite 192]
10.2 - 2. Die Rolle der Schulverbände in der Unterstützung islamischer Schulen [Seite 197]
10.3 - 3. Islamische Schulen zwischen säkularem und religiösem Curriculum [Seite 198]
10.4 - 4. Herkunft und Qualifikation von Lehrern an islamischen Schulen [Seite 200]
10.5 - 5. Das Konzept der Islamisierung des Wissens und seine Bedeutung für islamische Schulen [Seite 201]
10.6 - 6. Islamische Schulen und die Frage nach dem sozialen Zusammenhalt [Seite 202]
10.7 - 7. Madani High School - eine islamische Musterschule in England [Seite 204]
10.8 - 8. Perspektiven islamischer Schulen [Seite 206]
10.9 - 9. Weiterführende Informationen [Seite 209]
11 - Glossar [Seite 214]
12 - Index [Seite 226]
13 - Bibliographie [Seite 235]
13.1 - Zeitschriften [Seite 235]
13.2 - Literatur [Seite 235]
Die Islamische Gemeinschaft Millî Görüs im Spannungsfeld von transnationaler Dynamik und deutscher Islampolitik (S. 109-110)
Schirin Amir-Moazami
1. Entstehung und Geschichte
Bei der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüs (IGMG) handelt es sich um eine Moschee- und Kulturvereinigung von Muslimen mit mehrheitlich türkischem Hintergrund. Obwohl die Organisation in Deutschland und Europa fest etabliert ist, unterhält sie umfassende Beziehungen zur Türkei. Nach einem Überblick über die Entstehung und die Entwicklung der Bewegung in der Türkei folgt eine Darstellung der Geschichte und der Strukturen der IGMG in Deutschland. Ein besonderes Augenmerk richtet der Beitrag schließlich auf das Verhältnis zwischen IGMG und staatlichen Behörden, das die Entwicklung der Organisation entscheidend mitgeprägt hat.
Unter der Bezeichnung Türkische Union Europa e.V. gründete sich die Bewegung im Jahr 1976 in Köln und benannte sich 1982 in Islamische Union Europa e.V. um. Innerhalb der Islamischen Union kam es 1984 zu vehementen Auseinandersetzungen um das politische Profil des Vereins. Dieser Richtungsstreit, der in der Person von Cemaleddin Kaplan (1926-1995) gründete, wurde im Herbst 1984 mit der Abspaltung Kaplans und seiner Anhänger beigelegt.
Nach diesen Auseinandersetzungen wurde im Frühjar 1985 die Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V. (Avrupa Millî Görüs Teskilatlari, AMGT)1 in Köln gegründet. Ende 1994 benannte sich die AMGT in Europäische Moschee-und Unterstützungsgemeinschaft e.V. (EMUG) um. Anfang 1995 erfolgte auch die Umbenennung eines seit 1992 in Bonn bestehenden AMGT-Ortvereins in Islamische Gemeinschaft Millî Görüs e.V. (IGMG).
Während sich die EMUG primär an der Finanzierung des religiösen Lebens von Muslimen in Europa und analog dazu am Kauf von Immobilien beteiligt, widmet sich die IGMG vor allem der sozialen, politischen und religiösen Arbeit. Die folgende Darstellung wird sich auf die Aktivitäten und Entwicklungen der IGMG konzentrieren. Ihre Entstehungsgeschichte in Deutschland bzw. Westeuropa ist wie bei den meisten anderen islamischen Dachorganisationen sowohl im Kontext der Migration als auch im Zusammenhang mit transnationalen Dynamiken zu verstehen. Vor allem in den Anfangsjahren war die religiös-politische Ausrichtung der IGMG eng mit den politischen Entwicklungen in der Türkei verschränkt.
Die Entstehungsgeschichte der Bewegung in der Türkei lässt sich nur vor dem historischen Hintergrund der Gründung der türkischen Republik 1923 und der damit verbundenen verstärkten Institutionalisierung einer laizistischen, bisweilen auch antireligiösen Praxis verstehen. Zu den bedeutendsten vom Republikgründer Kemal Atatürk (1881- 1938) eingeleiteten republikanischen Reformen zählt die Einrichtung einer staatlichen Religionsbehörde (Diyanet Isleri Baskanligi), die Religion seither im öffentlichen Raum staatlich reguliert (hierzu Tezcan 2003, 61-104).
Diese Maßnahmen beinhalteten auch die Schließung von religiösen Orden und Bildungseinrichtungen. Ein Gesetz von 1925 ächtete die Sufi-Orden und versuchte, diese künftig aus der Republik zu verbannen. Im Anschluss an dieses Verbot verschwanden zwar tatsächlich äußere Symbole der Sufi-Orden, die Orden selbst blieben aber weiterhin bestehen. Als der neue türkische Staat die Weiterführung dieser Orden bemerkte, griff er zu rigideren Maßnahmen. Es setzte eine Welle von Verhaftungen, Verbannungen und Hinrichtungen, insbesondere um den Naksibendi-Orden,2 ein (Algar 1984, 176).