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2 Apartment Nr. 6 - Ethan
Das läuft quasi automatisch ab, wenn ich noch gar nicht richtig wach bin: Ich rolle mich auf den Rücken und strecke den Arm aus, um sie näher an mich zu ziehen. Einen Moment lang erschreckt mich der leere Platz neben mir, dann bin ich wach genug, um mich zu erinnern, wo sie ist. Ich drehe mich zurück in Richtung Nachttisch, reibe mir mit einer Hand den Schlaf aus den Augen und greife mit der anderen nach meinem Handy. Mit einem Ruck zerre ich das Ladekabel ab.
Auf dem Display wartet eine Nachricht von Charlotte von vor einer Stunde.
Mache mich jetzt gleich auf den Weg - wir sehen uns in ein paar Stunden! xxxxx
Sie sagt immer zu mir, dass sie kein Morgenmensch ist, aber ganz ehrlich, das ist sie so was von. Sie ist der Typ Mensch, der einen ruhigen Morgen mag. Sie stellt sich den Wecker eine Stunde früher als nötig, bloß damit sie sich unter der Decke noch mal zusammenrollen und lesen oder etwas in ihr hellblaues Notizbuch schreiben kann, das sie überallhin mitnimmt.
Heute muss es allerdings einen besonderen Anlass geben, dass sie tatsächlich schon so früh auf ist. Entweder das, oder sie ist völlig durch nach drei Tagen daheim bei ihren Eltern, wo sie gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester das ehemalige Kinderzimmer ausgeräumt und den Dachboden entrümpelt hat, um den Hausverkauf ihrer Eltern vorzubereiten, weil die sich verkleinern möchten. Vermutlich kann sie es kaum erwarten, wieder nach Hause zu kommen.
Ja, ich glaube, das wird es wohl definitiv sein. Sie hat dieses Wochenende so lange wie möglich vor sich hergeschoben und verdrängt, dass ihre Eltern das Haus verkaufen, seit sie das vor ein paar Monaten angekündigt haben, und ich kann sie gut verstehen. Als ich zehn Jahre alt war, haben sich meine Eltern scheiden lassen, und danach sind beide ein paarmal umgezogen. Wenn ich mich wie Charlotte von einem Haus verabschieden müsste, in dem ich mein ganzes Leben verbracht habe, wäre ich auch ziemlich aufgelöst.
Ich kann mir vorstellen, wie anstrengend dieses Wochenende für sie war. Da ist es nur logisch, dass sie schon vor acht Uhr morgens unterwegs ist.
Total unlogisch aber ist, wie sehr ich sie in den vergangenen Tagen vermisst habe. Man könnte Mitleid mit mir bekommen. Ich weiß, meine Freunde sagen bestimmt: »Ethan, hör auf, so ein Weichei zu sein, jeder Kerl würde seinen rechten Arm dafür geben, die Wohnung ein ganzes Wochenende für sich, die Freundin aus dem Weg und eine Pause von ihr zu haben!«
Am Freitagabend habe ich zwar ein paar Kumpels getroffen, aber das war für einen Fortnite-Livestream auf meinem Twitch-Kanal. Und »treffen« ist da etwas übertrieben ausgedrückt - wir saßen alle bequem zu Hause vor dem Bildschirm. Richtig verrücktes, dummes Zeug unter Jungs, selbstverständlich. Wenn die Katze aus dem Haus ist .
Aber ich habe sie vermisst.
Es ist nicht so, dass ich ohne sie nicht zurechtkomme, als wäre ich irgendein Muttersöhnchen, das nie gelernt hat, abzuspülen oder das Bett zu machen oder Wäsche zu waschen oder so. Nein, ganz und gar nicht. Wenn überhaupt, dann bin sowieso ich derjenige, der größtenteils das Saubermachen übernimmt und immer hinter ihr herräumt.
Ich freu mich einfach darauf, sie wieder hier bei mir zu haben.
Ich bleibe noch eine Weile im Bett und checke die anderen Nachrichten - YouTube, Twitter, WhatsApp. Ich lösche E-Mails, in denen steht, dass ich neue Unterstützer auf Patreon habe, was mich wie immer in helle Aufregung versetzt, und schließlich hieve ich meinen faulen Hintern hoch, schleppe mich in die Dusche, bevor Charlotte zurückkommt.
Heute Nachmittag können wir vielleicht The Mandalorian weiterschauen, falls sie keine Lust hat, die Zeit mit Schreiben zu verbringen. Oder wir könnten uns einen Film ansehen. Ich frage mich, ob sie einen Haufen Sachen aus ihrem Kinderzimmer mitbringt, für die wir Platz finden müssen - alte Aufgabenhefte und Schulprojekte, die wir in einem Karton unterm Bett verstauen müssen, oder Beanie-Baby-Kuscheltiere.
Vielleicht darf ich die Beanie Babys bei eBay einstellen, falls sie was wert sind.
Wenn sie sie behalten will, darf ich nicht allzu sehr meckern. Es ist ja schließlich nicht so, dass ich nicht auch Actionfiguren und anderes gesammeltes Zeugs in der Wohnung habe. Und das riesige Pokemon-Plüschtier .
Mir graut schon vor dem Tag, an dem meine Eltern auf die gleiche Idee kommen. Ich hoffe, bis dahin wohne ich wenigstens irgendwo, wo genug Platz ist, die ganze Sammlung von Neil-Gaiman-Büchern, meine alte PlayStation und die Platten aus meiner Vinyl-Phase unterzubringen, von denen ich mich einfach nicht trennen kann.
Jetzt fällt mir ein, wenn Charlotte überlegt, dass wir eines Tages in eine größere Wohnung ziehen, denkt sie in Richtung Gästezimmer oder möglicherweise ein zukünftiges Kinderzimmer. Oder eine Bibliothek. Ja, mit einer Bibliothek könnte ich mich durchaus anfreunden.
Mit meinem Frühstück sitze ich auf dem Sofa und schaue mir alte Folgen von Parks and Recreation an und träume gerade von dem Studio, das ich vielleicht eines Tages habe und das nicht nur ein paar Quadratmeter im Wohnzimmer einnimmt, da läutet mein Handy. Es ist Charlotte, was seltsam ist, und ich gehe mit einem schlechten Gefühl im Bauch ran. Womöglich ist ihr Auto auf der Autobahn liegen geblieben oder .
Los, Ethan, einatmen und rangehen.
Ich wische mit dem Daumen über den Bildschirm, um das Gespräch anzunehmen, und schaffe es, nicht sofort mit »Was ist los?« zu beginnen, sondern mit: »Hey, was gibt's? Hast du deinen Schlüssel vergessen?«
»Ethan«, sagt sie. Ihre Stimme wackelt. Für eine Sekunde fährt der katastrophisierende Teil meines Gehirns hoch und glaubt, recht zu haben, dass ihr Auto liegen geblieben ist, irgendetwas fürchterlich falsch läuft . Sie klingt verärgert, aber nicht nur das - sie regt sich auf, ist richtig wütend. »Ethan, du musst herkommen. Er sagt, ich darf das Gebäude nicht betreten.«
»Was? Wer?«
»Mr Harris«, antwortet sie und meint damit den Hauswart, der auch im Gebäude wohnt. »Er ist - Ethan, kannst du bitte einfach herkommen und mit ihm reden? Und setz eine Maske auf.«
Völlig verwirrt halte ich das Telefon immer noch an mein Ohr, obwohl Charlotte längst aufgelegt hat, dann setze ich mich in Bewegung. Ich stelle den Teller mit dem halb gegessenen Bagel auf dem Sofa ab und durchstöbere die Schubladen im Flur. Sie fand es lächerlich, als ich vor ein paar Wochen online einen Haufen blauer OP-Masken bestellt habe, noch bevor das Wort »Pandemie« überhaupt in den Nachrichten auftauchte. Jetzt kann ich nicht anders, als ein wenig Selbstzufriedenheit zu empfinden. Angst gegen Charlotte: eins zu null.
Ich wasche mir die Hände und setze die Maske auf, dann schnappe ich mir die Schlüssel und verlasse die Wohnung. Beim Hinausgehen sehe ich auf dem Boden ein Blatt Papier liegen, das jemand unter der Tür hindurchgeschoben hat, aber das kann ich mir später anschauen.
Auf Socken renne ich die paar Stufen hinunter und stolpere in der Eile fast über die eigenen Füße.
Mr Harris steht mit verschränkten Armen neben dem Haupteingang des Gebäudes, er trägt weiße Latexhandschuhe und eine Maske wie ich. Auf der anderen Seite der Tür steht Charlotte mit ihren auf dem Boden abgestellten Taschen, die zu Fäusten geballten Hände in die Hüften gestemmt. Meine Brille beschlägt von der Maske, also schiebe ich sie auf den Kopf in meine braunen Haare mit Highlights und sehe stattdessen mit zusammengekniffenen Augen Mr Harris an. Charlottes Kopf wird zu einem verschwommenen orangefarbenen Fleck, weil ihre Haare in alle Richtungen abstehen.
»Was ist hier los?«
»Ethan, sag es ihm!«, schreit Charlotte, aber die Tür dämpft ihre Stimme. Sie hämmert mit der Hand gegen die Scheibe und hinterlässt dort Spuren. »Er hat mich ausgesperrt! Das darf er nicht!«
Der Hauswart seufzt. Es ist ein leidgeprüfter Seufzer, als hätte er dieses Gespräch schon tausendmal geführt. Er dreht sich zu mir um und runzelt die Stirn. Ich kann geradezu hören, wie er hinter der Maske mit den Zähnen knirscht.
»Ethan, mein Freund, bitte sagen Sie Ihrer Freundin, dass sie das Gebäude nicht betreten darf. Sie haben doch das Infoblatt bekommen, richtig?«
»Welches Infoblatt?«
»Verdammt noch mal, wozu hab ich denn .?« Mit einem scharfen Seufzer bricht er ab und reibt sich mit dem Unterarm über die Stirn. »Das ganze Gebäude ist im Lockdown. Erinnern Sie sich noch an den Aushang, den ich gemacht habe, als das alles anfing, in dem stand, dass wir das Gebäude zur Sicherheit aller abriegeln müssen, wenn hier jemand krank wird, wenn wir einen bestätigten Fall haben? Niemand darf rein oder raus.«
»Ja, und .?«
»Seit gestern Abend haben wir einen bestätigten Fall. Jemand, ich nenne keine Namen, hat's von ihrem Scheidungsanwalt, ist das zu fassen, und sie hat einen Test machen lassen und der war positiv. Also sind wir im Lockdown. Niemand kommt rein oder raus. Auch nicht Ihre Freundin.«
Oh, Shit.
Um Charlottes Gesicht zu sehen, das noch immer wütend wirkt mit den zum kleinen Schmollmund verzogenen Lippen, schiebe ich die Brille zurück auf die Nase. Die Gläser beschlagen wieder, während Charlotte mir einen Blick zuwirft, der sagt: Ethan, ich schwöre bei Gott, wenn du diese Tür nicht augenblicklich öffnest, breche...
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