Schweitzer Fachinformationen
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Geth spürt das Licht durch die Fensterscheibe, bevor er seine Augen aufmacht und es sieht. Als Ty Gwydr 57 gebaut wurde, sagten die Leute in der Stadt, es sei ein Schandfleck, ein Zwischending aus Gewächshaus und Fabrik, gedrungene Würfel aus Holz und Glas. Doch wenn man drin ist, fühlt man sich, als würde man inmitten der Bäume hängen, ungebunden und über dem See schwebend. Nachts ist das Wasser tiefblau wie ein frischer blauer Fleck - silbern, wenn der Himmel wolkenlos ist -, bis etwa zur Dämmerung, wenn sich eine Wand aus schillerndem Grau über den mit Kiefern bewachsenen Kamm schiebt. Er spürt, wie das Licht über seine geschlossenen Augen wandert und seine Haut wärmt, und für einen Moment, bevor er ganz wach ist, fühlt er sich gut. Er fühlt sich echt und von Bedeutung. Die Schatten der Äste flattern wie Bleistiftskizzen über die Wandvertäfelung und den alten Holzboden. Auf dem Parkett liegt eine Schicht aus Staub.
Es ist gegen fünf, und der Dämmerungschor ist so laut, dass es in den Ohren dröhnt. Sein Verstand kommt an die Oberfläche, gegen den Wunsch seines Körpers, der sich nach mehr Schlaf sehnt, und so hält er die Augen geschlossen. Es hilft nichts: Das Licht malt Muster auf seine geschlossenen Lider. Und jetzt fühlt er sich sehr schlecht. Sein Mund schmeckt nach Zigaretten und schalem Stella, und sein Körper fühlt sich an, als würde er ganz leicht schwanken, als könne er einfach nicht still liegen. Er denkt denselben Gedanken, den er immer denkt, wenn er so aufwacht; er sieht seinen Naturkundelehrer aus der neunten Klasse vor sich - den mit dem Nescafé-Atem und den kurzärmeligen Polyesterhemden, klein kariert wie die Seiten eines Mathehefts. Der Geruch nach Schwefel und die Bunsenbrenner und die verkohlten Tische, verkratzt durch Generationen von Zirkelspitzen und Kugelschreibern. Er hat die Kadenzen von Mr. Jones' Akzent präzise im Ohr, wie er den angewiderten Vierzehnjährigen erzählte, dass bei einem Kater das Gehirn im Schädel schrumpft. Die Vorstellung lässt ihn zusammenschrecken, und ohne nachzudenken, drückt er gegen seinen Kopf, um alles darin zu halten. Seine Augen öffnen sich unfreiwillig, und jetzt weiß er ganz sicher, dass er hier ist, in diesem Haus. Dieser Sonnenaufgang gehört ihm. Er greift nach der Flasche Wasser, die neben ihm auf dem Boden steht, und trinkt sie auf einmal aus, das alte Plastik in seiner Hand zerdrückend. Es schmeckt widerlich. Alles schmeckt widerlich, nach so vielen Pints und einer Schachtel Pall Mall, aber Wasser ganz besonders - weil es so rein ist, vor allem das Wasser aus dieser Gegend. Er hat gelernt, stolz auf walisisches Wasser zu sein. Die Engländer fluten dafür ganze Dörfer, verdammt - das ist wertvoll wie Gold.
Scousers. Sie hatten das Dorf für Scousers geflutet: Wasser für Liverpool oder so. Aber Scousers sind in Ordnung. Sie sind witzig, auch wenn man besser auf seine Sachen aufpasst, wenn man mit ein paar Scousers unterwegs ist. Geth denkt an das Mädchen von gestern Abend. Sie kam aus Cheshire, deshalb dachte sie, sie wäre posh. Die halten sich für was Besseres, die aus Cheshire. Als Geth an das Mädchen denkt, merkt er, wie steif er ist. Er erinnert sich an den künstlichen Fruchtgeschmack ihres Lippenstifts und wie er sie auf der Toilette des Pubs überall angefasst hat, wie er seine Finger in ihren weichen Mund geschoben hat, wie er den Saum ihres Kleids mit der anderen Hand hochgerollt hat. Wie sich der elastische Stoff über die Rundungen ihres Körpers gedehnt hat. Dann wieder raus und noch ein Pint und ein Tequila-Shot. Sie funkelte vor Lust, etwas Verbotenes zu tun, es glänzte nur so auf ihren Wangen. Er denkt an die Geräusche, die sie machte, während er sich selbst berührt, und daran, wie sich ihr kleiner Bauch anfühlte, als er sie packte und sich tiefer in sie hineinstieß. Als er kommt, ist der Druck in seinem Kopf für eine Minute oder so verschwunden. Er liegt auf dem Rücken und spürt, wie die Gedanken durch seinen Körper strömen, einer nach dem anderen, wie umfallende Dominosteine - einige kurz beleuchtet, aber der Großteil rauscht einfach nur durch ihn hindurch und gibt ihm das Gefühl, lebendig zu sein. Er wischt sich die Hand an einem alten T-Shirt ab und saugt den Morgen tief in sich auf. Sogar im Haus riecht Ty Gwydr nach Wald.
Geth zieht seine Stiefel immer an der Tür aus, egal, wie betrunken er ist. Er ist kein Chaot - das Haus ist ihm wichtig. Das Haus ist ihm wichtiger als alles andere auf der Welt. Er zieht den schäbigen alten Pullover an, den seine Oma ihm irgendwann vor der Jahrtausendwende gestrickt hat, spürt, wie das Acryl die Haare auf seinen Armen aufrichtet. Unterhose. Jeans. Socken. Arbeitsstiefel. Mantel - selbst im Juni ist es um diese Uhrzeit kalt da draußen. Er prüft, ob die Schlüssel in seiner Tasche sind, doch er macht sich nicht die Mühe, die Tür hinter sich abzusperren, es ist nur zur Sicherheit - der Wind hier oben hat seine ganz eigenen Gesetze, selbst an einem stillen Sommertag wie diesem. Draußen auf der Veranda legt sich die frische Luft des Morgens auf seine müde Haut. Er geht zum Anfang des kleinen Holzstegs, der an die Veranda angrenzt. Das Sonnenlicht glitzert auf dem Wasser.
Angefangen hatte es gestern Abend im Rugbyclub in der Stadt. Er wollte nur ein Pint trinken, nachdem er den Auftrag bei Bryn Glas erledigt hatte, aber er war ein paar Jungs aus der Schule begegnet - Megs Cousin Ste Edwards und ein paar seiner Freunde. Ganz ehrlich, als er sie aus dem Augenwinkel reinkommen sah, wollte er erst den Rest seines Pints austrinken und sich sofort verpissen, doch als er sich gerade davonstehlen wollte, hatte Ste ihn schon gesehen.
»Oi!«, rief er. »Wo willst du hin, Gethin? Denkst du, ich hab dich nicht gesehen?«
Geth hatte keine große Lust, ein Pint mit Ste Edwards zu trinken. Steven Edwards war ein Idiot.
»Hallo, Ste. Hab dich gar nicht gesehen«, sagte er und berührte die Hand des Mannes.
»Schwachsinn, du mieser alter Penner. Komm schon, trink was. Geht auf mich.«
Für einen Moment ärgerte sich Geth, dass jemand denken könnte, er könne sich kein Getränk leisten, doch so war Ste nicht. Er war eigentlich ganz in Ordnung.
Er geht zum Rand des Stegs und steigt aus seinen Stiefeln, spürt die feuchte Kühle der Holzplanken unter seinen Fußsohlen. Er hört das Piu-piu-piu eines Grünfinken und meint, ihn kurz gesehen zu haben (ein hellgrüner Streifen auf der Oberfläche des Sees), als er sich hinabbeugt, um seine Sachen auszuziehen. Er muss so dringend pinkeln. Richtet sich auf, streckt sich und sieht zu, wie sich der flüssige Strahl im Bogen herabsenkt und das Licht einfängt, wo er im See landet. Das Geräusch von Wasser, das auf Wasser trifft, klingt heftig. Ihr Jungs könnt pissen wie die Rennpferde, hatte seine Mutter immer zu ihm und seinem Bruder gesagt, als wäre das etwas, auf das sie stolz sein sollten, etwas, das für Jugend und Vitalität stand. Er zieht den Mantel und den Pullover aus, schüttelt seine Glieder, um sich für den Schock bereit zu machen, und bevor er noch zögern kann, wirft er seinen Körper - agil, stark, trotz des Alkohols stramm - ins eiskalte Wasser.
»Iesu mawr.« Seine Stimme klingt gequält, durch zusammengebissene Zähne hindurchgepresst. »Fuck, fuck!«, keucht er an niemanden gerichtet - an den Grünfink, an Gott, und die Muskeln verkrampfen vom Schock des gletscherkalten Wassers.
Das Problem, wenn man mit Ste und seinen Jungs trank, war, dass man viel trinken musste, um sie zu ertragen. Ein Haufen intoleranter Chauvis, aber nach vier Pints ganz in Ordnung. Nach vier Pints war der perfekte Zeitpunkt. Etwa zur Hälfte des dritten spürte man das Funkeln der freigesetzten Endorphine als ein Prickeln auf der Haut wie Pailletten unter elektrischem Licht. Dann der erste Schluck des vierten. Beim vierten Pint ist Geth plötzlich lebendig und voller Enthusiasmus und vergisst, wie verdammt elend es ihm ansonsten immer geht. Alles bedeutet jetzt mehr. Die Witze sind witziger. Das, was man als Kränkung empfindet, hat jetzt Krallen. Die Musik ist so bewegend, dass er das Gefühl hat, tiefer atmen zu müssen, um Platz für sie zu machen - als müsse er sie inhalieren und die Lunge ganz davon ausfüllen lassen. Gestern Abend spielte eine Band. Vier Jungs - die müssen um die sechzehn gewesen sein, was heißt, sie wurden vor so kurzer Zeit geboren, dass Geth es kaum begreifen kann. Sie gingen vermutlich auf seine alte Schule. Sie fingen an, Lieder aus der Zeit zu spielen, als er in ihrem Alter war - Oasis, Pulp, Catatonia, die Manics. Als sie Manic Street Preachers spielten, spürte er, wie sich sein Blut aufheizte und auf dem Weg zu seinem Gehirn mit dem Sauerstoff reagierte. Plötzlich fühlte er sich phantastisch.
Sobald er sich an die Kälte gewöhnt hat, schlägt er mit den Beinen, kräuselt das Wasser mit seinen Bewegungen. Es fühlt sich an wie ein Akt der Schöpfung, die Verdrängung von Licht und Schatten und Flüssigkeit, während er zur Mitte des Sees schnellt. Er dreht sich im Wasser auf den Rücken, spürt die Beinahewärme der ersten Sonnenstrahlen. Grünfinken, Gott - all das gehört ihm. Er treibt dahin wie ein Stück Holz und schließt wieder die Augen.
Natürlich war das, was er wirklich...
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