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ROM
WEISSE WOLKENFETZEN fegten über den sommerlichen Himmel. Der heiße Scirocco, der Rom im Frühsommer hin und wieder heimsucht, zerrte an den schwarzen Soutanen der beiden Kirchenmänner, die an diesem Julimorgen im Vatikan die Treppe zum Governatoratspalast hinaufeilten.
»Ich habe mich nach Ihrem Anruf sofort auf den Weg gemacht«, sagte Erzbischof Motta, der Jüngere der beiden, kurzatmig und hastete Kardinal Montillac wie ein folgsamer Ministrant hinterher. »Dem Herrn sei Dank, dass ich mich gerade in Albano Laziale aufhielt. Aber ich war sehr überrascht, dass Sie so schnell einen Termin bekommen haben«, fuhr Motta keuchend fort, was zweifellos nicht nur an der Hitze dieses Tages, sondern auch an seiner Korpulenz lag.
Der Kardinal drehte sich zu ihm um, wartete und ließ ihn vorbeigehen.
»Nein, das ist nicht verwunderlich, der Camerlengo weiß schließlich, um was es geht«, sagte er.
Mit ganzer Kraft versuchte Erzbischof Motta, die schwere Holztür aufzuziehen, doch der böige Wind wehte gerade mit voller Wucht dagegen. Schließlich gelang es ihm, und er ließ Kardinal Montillac, dem Leiter der Päpstlichen Kommission für Christliche Archäologie, den Vortritt. Der Mann, den sie treffen wollten, Kardinal Fratonelli, war nach dem Papst der mächtigste Kirchendiener im Vatikan. Als Kardinalsstaatssekretär, vergleichbar mit einem Premierminister, war er gleichzeitig auch Camerlengo, der Herrscher über die Finanzen des Kirchenstaates.
Im ersten Stock des Gebäudes wurden sie von seinem Sekretär, einem hageren, farblosen Mann, der nervös mit einer Klarsichtmappe herumwedelte, begrüßt. »Hier entlang, bitte, seine Eminenz wartet schon.« Er eilte voraus.
Montillac zog eine Augenbraue hoch. Die übertriebene Geschäftigkeit des Sekretärs war völlig überflüssig, schließlich hatten sie einen fest vereinbarten Termin und waren noch vor der verabredeten Zeit eingetroffen.
Sie betraten das Büro des Camerlengos. Der große Raum war sparsam mit edlen antiken Möbeln eingerichtet und hatte vier hohe Fenster, durch die man hinaus in den Park hinter dem Governatoratspalast blicken konnte. Kardinal Fratonelli saß hinter seinem massiven Mahagonischreibtisch, der sich vor einem bis zur Decke reichenden Wandregal voller in Leder gebundener Bücher befand. Freundlich distanziert schaute er die beiden Gäste über die randlosen Brillengläser hinweg an und wartete, bis sein Sekretär den Raum verlassen hatte.
»Bitte nehmen Sie Platz«, sagte er dann und wies zu einem rechteckigen Konferenztisch. »Bedienen Sie sich, wenn Sie möchten. Wasser und Saft stehen bereit. Ich bin gleich bei Ihnen.«
Kardinal Montillac nahm am hinteren Ende des Tisches Platz, Bischof Motta setzte sich neben ihn. Der Camerlengo machte sich noch einige Notizen auf einem weißen Briefbogen, schraubte dann seinen edlen Montblanc-Füller zu und schaute auf. Es schien, als könne er sich nicht entscheiden, ob er an seinem Schreibtisch bleiben oder sich zu den beiden Männern an den Tisch gesellen sollte. Doch schließlich stand er auf und kam zum Konferenztisch.
»Nun, meine Herren, um was geht es?«
Montillac schloss kurz die Augen. >Er weiß doch genau, um was es geht. Was soll diese Frage?<, dachte er.
»Wie ich Ihnen gestern während unseres Telefonats schon sagte, hat Erzbischof Motta interessante Neuigkeiten, was die Schriftfunde in Nordindien betrifft. Sie erinnern sich?« Montillac wartete einen Moment, und als keine Reaktion kam, fuhr er fort: »Es geht um die Dokumente, die Ende des 19. Jahrhunderts von dem russischen Journalisten Nicolai Notowitsch entdeckt wurden und später wieder verloren gingen. Pater Adam, ein Mitarbeiter des Erzbischofs, hat endlich, nach jahrelangen Recherchen, herausgefunden, wo sie sich befinden könnten. Wir erbitten nun Ihr Plazet für eine Aufstockung des Budgets, damit wir die künftigen Nachforschungen finanzieren können.«
Der Camerlengo schaute auf seine manikürten Fingernägel und nahm sich Zeit für seine nächste Frage. »Wie sollen denn diese weiteren Nachforschungen aussehen?«
Montillac atmete hörbar ein. »Wir haben vor, Pater Adam nach Ladakh zu schicken, damit er diese Schriften aufspüren und sie schnellstens nach Rom beziehungsweise in Sicherheit bringen kann.« Er machte eine kleine Pause, und als der Camerlengo wieder nichts sagte, fuhr er fort: »Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass, wenn wir diese Schriften finden, auch unsere Feinde sie finden können. Und das wäre fatal für die Kirche, egal, ob die Schriften nun echt sind oder nicht. Wir wissen doch, wie einfach es für die Gegner der Kirche ist, daraus einen Presserummel zu veranstalten, der uns in höchstem Maße schaden würde. Tagtäglich wird die Kirche immer wieder aufs Neue Opfer unsäglicher Verleumdungen und Anfeindungen. Wir können uns keine weitere Katastrophe leisten. Und glauben Sie mir, sollten diese Schriften in die falschen Hände geraten, wäre das eine Katastrophe für die Kirche.«
Die Lippen des Camerlengo kräuselten sich zu einem ironischen Lächeln. »Übertreiben Sie da nicht ein wenig, Kardinal?«
Erzbischof Motta, der bis jetzt geschwiegen hatte, schüttelte vehement den Kopf. »Eminenz, es soll sich um persönliche Aufzeichnungen unseres Herrn Jesus Christus handeln!«, rief er erregt aus. Trotz der angenehmen Kühle in dem großen Raum hatten sich kleine Schweißtropfen auf seiner breiten Stirn gebildet. Er nahm eine kleine Serviette aus einem Spender, der auf dem Tisch stand, und wischte sich damit über sein rotfleckiges Gesicht.
Der Camerlengo schaute Erzbischof Motta an, als sei dieser ein lästiges Insekt. Er war ihm noch nie zuvor begegnet, aber er wusste natürlich, wer Motta war - der Generalobere einer erzkonservativen Bruderschaft, die dem Vatikan schon seit Jahren Ärger machte. Der Erzbischof war dem Camerlengo unangenehm, weil er für derlei Gefühlsausbrüche nichts übrighatte. Aber das war nicht der einzige Grund. Jetzt, wo er in seiner unmittelbaren Nähe am Tisch saß, verursachten ihm die Ausdünstungen des Erzbischofs, der nach Schweiß und zu lange getragenen Kleidern roch, Übelkeit.
Er lehnte sich zurück, um etwas Abstand zu schaffen. »Wer sollte denn so etwas glauben?«, fragte Fratonelli.
»Wer nicht? Wir leben in einer sensationslüsternen Welt, die gesamte Weltpresse wird sich darauf stürzen. Monatelang wäre es das Thema Nummer eins in den Schlagzeilen. Wir hätten keine Kontrolle über die Veröffentlichungen. Und es wäre sicher sehr kostspielig, den Schaden wiedergutzumachen, wenn das überhaupt gelänge. Deshalb sollten wir unbedingt vermeiden, dass diese Sache überhaupt erst in die Welt getragen wird. Gerade jetzt!«, ereiferte sich der Erzbischof weiter, während er auf seinem Stuhl hin- und herrutschte.
Der Camerlengo schwieg, dann stand er auf und ging zu einem der Fenster - nur weg von diesem schwitzenden Mann. Wieder fegte eine heftige Windböe durch die belaubten Äste der Bäume und trug einige Blätter davon. >Vielleicht hat er recht<, dachte Fratonelli. Es war wichtig, auf der Hut zu sein und weitere Beschädigungen von der Kirche abzuwenden, alles, was gefährlich werden könnte, schon im Keim zu ersticken. Es vergingen einige Minuten, bevor er sich umdrehte und antwortete.
»Gut«, sagte er schließlich. »Ich gebe Ihnen meine Einwilligung, Sie bekommen die Mittel. Aber sollte irgendetwas schiefgehen, darf der Vatikan in keinster Weise damit in Verbindung gebracht werden.« Damit ging er wieder an seinen Schreibtisch.
»Selbstverständlich, Eminenz. Sie können sich auf mich verlassen«, sagte Erzbischof Motta devot.
Kurze Zeit später saß Kardinal Montillac mit seinem Gast in seinem Büro, das sich ein Stockwerk höher befand. Nun hatten sie also die Rückendeckung des Camerlengos, was schon aus politischen Gründen sehr wichtig war. Doch die beiden Männer waren weit davon entfernt, Fratonelli in ihre tatsächlichen Absichten einzuweihen.
»Mit Pater Adams Entdeckungen sind wir endlich einen entscheidenden Schritt weitergekommen. Wer hätte gedacht, dass an den Geschichten von Notowitsch wirklich etwas dran ist. Wir müssen jetzt schnell handeln, lieber Freund. Pater Adam muss sofort nach Indien reisen, aber ich empfehle Ihnen, ihm eine vertrauenswürdige Begleitung mitzugeben«, sagte Montillac. »Er kann sicher Unterstützung gebrauchen, und wenn sie zu zweit sind, ist auch ihr Auftritt überzeugender.«
»Daran habe ich auch schon gedacht. Ich habe auf meiner letzten Reise nach Südamerika einen jungen Priester aus unserem Seminar in Argentinien kennengelernt. Er wurde mir als besonders treues und strebsames Mitglied der Bruderschaft empfohlen, Pater Fernando. Er ist ein ehrgeiziger junger Mann mit Eigenschaften, die uns sehr nützlich sein können, und er befindet sich derzeit auf meine Einladung hin in unserem Kloster in Albano Laziale.«
»Sehr gut. Ich werde mich derweil hier um die Vorbereitungen kümmern. Es wird sicher noch ein paar Tage dauern, bis uns die Gelder zur Verfügung stehen und wir die beiden nach Ladakh schicken können«, sagte der Kardinal. Auch wenn er Motta nicht besonders schätzte, hatte er in diesem diensteifrigen und etwas einfältigen Mann sein perfektes Werkzeug gefunden.
»Selbstverständlich. Sobald Sie uns grünes Licht geben, können die beiden sich sofort auf den Weg machen. Pater Adam wartet nur auf meine Anweisungen«, sagte der Erzbischof beflissen.
Kardinal Montillac wartete darauf, dass sich Motta verabschiedete, doch der blieb auf seinem Stuhl sitzen und wiegte den Kopf hin und her.
»Können Sie sich erinnern, Eminenz? Wie groß waren...
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