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Kapitel 5
Als der Novize-Premier die ganze Welt in seiner Hand zu halten schien, schreckte er weder vor dem Tadel der Öffentlichkeit zurück, noch wurde der Spott der Leute von ihm beachtet, und es kam zu seltsamem Gebaren. In der Hauptstadt hatten damals die Schwestern Gio und Ginyo den Ruf, besonders begabte Shirabyoshi-Tänzerinnen zu sein. Ihre Mutter, Toji, war ebenfalls eine Shirabyoshi-Tänzerin. Der älteren Schwester Gio schenkte Kiyomori seine besondere Zuneigung, und daraufhin wurde auch der jüngeren Schwester Ginyo von aller Welt mit außergewöhnlicher Aufmerksamkeit begegnet. Als der Novize-Premier zudem der Mutter Toji ein herrliches Haus bauen ließ und jeden Monat fünfzehn Tonnen Reis und einhunderttausend Geldstücke schickte, war ihre Freude über den Wohlstand und das Ansehen der Familie unvergleichlich.
Den Shirabyoshi-Tanz gibt es in Japan seit der Regentschaftszeit von Kaiser Toba. Shima-no-senzai und Waka-no-mae hießen die beiden Frauen, welche ihn zuerst aufführten. Weil der Tanz im Hofgewand mit hohem Hofbeamtenhut und silberner Kurzschwertscheide aufgeführt wurde, bekam er den Namen »Männer-Tanz«. Dann ließ man Hut und Schwert irgendwann weg und trug nur noch das schlichte Hofgewand. Seitdem wird er Shirabyoshi genannt.
Als die Shirabyoshi-Tänzerinnen der Hauptstadt hörten, welch ein Glück Gio hatte, empfanden manche Neid, und andere waren eifersüchtig. Die Neidischen sagten: »Gios Glück ist außergewöhnlich, jede Tänzerin wünscht sich das gleiche. Wenn ich, wie sie, meinem Namen das Zeichen >Gi< hinzufüge, sollte auch mir Glück zuteil werden. Ich will es damit versuchen.« So gab es Frauen, die sich »Gi-ichi«, »Gi-ni«, »Gi-fuku« oder »Gi-toku« nannten. Die Eifersüchtigen aber meinten: »Warum soll ein Name oder ein Schriftzeichen Glück bringen? Es ist doch nichts anderes als das Karma1 eines früheren Lebens«, und so änderten manche ihren Namen nicht.
Drei Jahre vergingen, dann erschien eine weitere begabte Shirabyoshi-Tänzerin. Sie stammte aus der Provinz Kaga, wurde »Buddha«2 genannt und soll sechzehn Jahre alt gewesen sein. In der Hauptstadt meinten Hoch- wie Niedriggestellte, als sie ihr zuschauten: »Wir haben in all den Jahren viele Shirabyoshi-Tänzerinnen erlebt, aber einen derart kunstvollen Tanz gab es noch nicht zu sehen.« Mit derartiger Begeisterung nahm man sie auf. Dann äußerte Frau Buddha eines Tages: »Man sagt, die ganze Welt bewundert mich, doch es ist enttäuschend, vom Novizen-Premier der Heike, welcher heutzutage über großartigen Wohlstand verfügt, nicht eingeladen zu werden. Welche Bedenken sollte es für mich als Tänzerin geben? Ich will ihn ohne Einladung aufsuchen.« Und so sprach sie an der Residenz Nishi-hachijo vor. »Frau Buddha, von der jetzt in der Hauptstadt überall zu hören ist, möchte sich vorstellen«, richtete man dem Novizen-Premier aus. Da wurde er äußerst wütend und sagte: »Was soll das heißen? So eine Tänzerin hat nur auf Einladung hin zu erscheinen. Wie kann sie eigenmächtig auftauchen? Und diese Frau mag sich Göttin oder Buddha nennen; solange Gio hier ist, wird ihr Wunsch wohl kaum in Erfüllung gehen. Sie soll sich auf der Stelle entfernen!«
Als Frau Buddha so schroff abgewiesen fortgehen wollte, sagte Gio zum Novizen-Premier: »Sich ohne Einladung vorzustellen ist für eine Tänzerin doch ganz üblich, außerdem befindet sich diese noch in jugendlichem Alter. Es wäre bedauernswert, wenn man Frau Buddha nun, wo sie sich einmal dazu durchgerungen hat, ihre Aufwartung zu machen, mit schroffen Worten wegschickte. Es würde mir schwerfallen und mich zutiefst beschämen, so etwas mitanzusehen. Wir haben uns derselben Kunst verschrieben, deshalb fühle ich mich betroffen. Sie müssen ja nicht ihrem Tanz zuschauen und ihren Gesang anhören, aber könnte nicht eine Ausnahme gemacht und Frau Buddha zurückgerufen und zumindest empfangen werden, bevor man sie wegschickt? Dafür wäre ich Ihnen zutiefst dankbar.« Der Novize-Premier entgegnete: »Also gut, wenn dir so viel daran liegt, will ich sie empfangen und dann gehen lassen«; und er schickte einen Boten hinaus. Aufgrund der schroffen Absage wollte Frau Buddha gerade in den Wagen steigen und wegfahren, da wurde sie zurückgerufen und vorgelassen.
Der Novize sagte, als Frau Buddha ihm gegenübertrat: »Du wärst heute nicht empfangen worden, doch Gio hat aus irgendeinem Grund nicht aufgehört, sich für dich einzusetzen, deshalb habe ich die Audienz gewährt. Wo du nun hier bist, will ich deine Stimme hören. Sing zunächst ein Imayo-Lied3.« Frau Buddha antwortete: »Ich stehe zu Ihren Diensten«, und sang folgendes Imayo:
Da ich Sie zum ersten Mal
seh', der Augenblick,
er wird doch ewig bleiben
mir Jungkiefer-Frau4 -
in diesem Teich vor Ihnen
am Schildkrötenberg
sind Kraniche versammelt
und vergnügen sich.
Das sang sie mehrmals, und beim dritten Mal wirkten alle Anwesenden erstaunt, als würde ihnen Hören und Sehen vergehen. Auch der Novize war fasziniert. »Was für ein gelungenes Imayo. Dein Tanz wird wohl genauso hervorragend sein. Zeig uns etwas. Schlagt die Trommel«, und es geschah wie befohlen.
Von Frau Buddhas Haar, Gesicht und Gestalt ging eine strahlende Schönheit aus, und sie verfügte über eine hervorragende Stimme und kunstfertige Intonation. Wie sollte ihr Tanz nicht faszinieren? Als Frau Buddha die Aufführung beendet und alle Erwartungen übertroffen hatte, zeigte der Novize-Premier sich betört, und nun war sie es, der er seine Zuneigung schenkte. Frau Buddha sagte: »Was hat das zu bedeuten? Ursprünglich wurde ich als ungebetene Besucherin der Residenz verwiesen. Es war Frau Gios Fürsprache, aufgrund derer man mich zurückrief. Ich bitte um Erlaubnis, mich entfernen zu dürfen.« Der Novize-Premier antwortete: »Auf gar keinen Fall. Du genierst dich wohl, weil Gio hier ist. Dann soll sie es sein, die geht.« Frau Buddha entgegnete: »Wie können Sie so etwas sagen? Es würde mich bereits mit Scham erfüllen, gemeinsam mit ihr zu bleiben. Aber die Vorstellung, wie sich Frau Gio fühlen muss, wenn sie fortgeschickt wird und ich alleine hier lebe, ist zutiefst beschämend. Wenn Sie mich nicht vergessen sollten, erscheine ich auf Ihre Einladung hin erneut. Ich bitte darum, mich jetzt entfernen zu dürfen.« Da entgegnete der Novize: »Was sagst du?«, und mit den Worten: »Gio soll sofort gehen!«, schickte er nacheinander drei Diener zu ihr.
Gio hatte von Anfang an mit etwas Derartigem gerechnet, aber nicht gedacht, dass es so bald eintreten werde. Als der Novize-Premier ihr nun wiederholt ausrichten ließ, dass sie sofort gehen solle, beschloss sie, vorher noch ihr Gemach auszufegen und den Staub aufzukehren. Schon wenn zwei Menschen sich nur flüchtig im Schatten eines Baumes aufgehalten oder aus demselben Fluss Wasser geschöpft haben, stimmt eine Trennung wehmütig. Da Gio sich aber an diesem Ort im Verlauf von drei Jahre eingelebt hatte, musste der Abschied umso schwerer fallen und Trauer erregen. Immerfort kamen ihr Tränen, welche doch nichts änderten. Weil aber etwas geschehen musste, sagte Gio sich: »Das ist das Ende«, und ging. Wohl um eine Spur zurückzulassen, welche an sie erinnert, schrieb Gio folgendes Gedicht auf eine Papierschiebetür:
Sprießendes wie auch
Verwelkendes, dasselbe
Gras auf der Flur ist's -
welches sollte die Herbstzeit
bis zuletzt nicht erfahren?5
Die Shirabyoshi Gio hinterlässt auf einer Papierschiebetür ein Gedicht.
(Alle Bildunterschriften sind wörtliche Übersetzungen der in den Illustrationen zu sehenden Original-Bildtitel.)
Dann stieg sie in einen Wagen, kehrte zum Haus ihrer Familie zurück, sank hinter einer Papierschiebetür zu Boden, blieb liegen und konnte nur noch weinen. Als ihre Mutter und ihre jüngere Schwester das sahen, fragten sie: »Was ist? Was ist denn?«, doch Gio war nicht in der Lage, zu antworten. Erst als Mutter und Schwester eine Dienerin, die Gio begleitet hatte, befragten, erfuhren sie von dem Geschehenen. Auch die monatliche Zuwendung von fünfzehn Tonnen Reis und einhunderttausend Geldstücken blieb aus. Jetzt waren es die Verwandten von Frau Buddha, denen zum ersten Mal ein derartiges Glück blühte. Als die Leute der Hauptstadt, Hoch wie Niedrig, von der Sache erfuhren, meinten sie: »Ist das wahr? Gio wurde aus der Residenz Nishi-hachijo entlassen? Dann will ich bei ihr vorsprechen und mich mit ihr vergnügen.« So gab es welche, die einen Brief schickten, und andere, die einen Boten sandten, doch Gio erschien es nunmehr unangemessen, Männern zu begegnen, um sie zu unterhalten und ihnen Vergnügen zu bereiten. Nicht einmal Briefe wurden von ihr angenommen und umso weniger Boten empfangen. Alles stimmte Gio zutiefst traurig, und sie vergoss Tränen, die doch nichts änderten.
So verging das Jahr, und als der nächste Frühling kam, schickte der Novize-Premier einen Boten zu Gio, der ausrichtete: »Wie ist es dir ergangen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben? Frau Buddha wirkt schwermütig. Komm hierher, singe Imayo-Lieder und führe Tänze auf, um sie zu erheitern.« Gio war zu keiner Antwort fähig, musste ihre Tränen zurückhalten und ließ sich zu Boden sinken. Der Novize fragte daraufhin: »Was hat es zu bedeuten, dass Gio nicht antwortet? Sie will wohl nicht kommen. Falls dem so ist, soll sie es sagen. Dann habe ich Pläne mit ihr.« Als die Mutter Toji...
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