Schweitzer Fachinformationen
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Im Sommer, als er zehn war, wurde Luca Nardulli vom Blitz getroffen.
Unter der sengenden Nachmittagssonne blieb er mit dem Rad stehen, um zuzusehen, wie Betta den Platz überquerte. Den Lenker fest in den verschwitzten Händen, einen Fuß am Boden und den anderen auf dem Pedal, starrte er sie unverwandt an. Der Mund stand ihm offen vor lauter Bewunderung.
Sie trug Zöpfe, Armbändchen um Handgelenk und Fesseln sowie ein kurzes Fransenkleid. Noch war sie nicht gebräunt, denn sie war gerade erst aus Rom für die Ferien hergekommen. Ihre Flipflops schnalzten, als sie mit raschen Schritten zum Brunnen lief.
Luca konnte den Blick einfach nicht abwenden. Nicht, weil sie so schön war - das fanden mittlerweile alle. Sondern weil er genau in dem Moment begriffen hatte, dass er Betta liebte.
Die lief weiter und unterhielt sich mit Marina Luzi, mit der er auf die Grundschule gegangen war. Als Marina ihn erkannte, winkte sie, und auch Betta drehte sich zu ihm um. Da zuckte Luca zusammen. Ohne den Gruß zu erwidern, nahm er den Fuß vom Boden und raste tief über den Lenker gebeugt nach Hause. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Er trat in die Pedale, ohne weiter auf die Eier zu achten, die in einer Tüte am Lenker baumelten. Obwohl sie in Zeitung eingeschlagen waren, gingen alle kaputt, sodass ihn seine Mutter schimpfte und zum Laden zurückschickte: Sein wöchentliches Taschengeld würde entsprechend gekürzt werden.
Nach dem Abendessen überlegte er, dem älteren Bruder sein Gefühlschaos anzuvertrauen. Maurizio war fast sechzehn: Er hatte Betta schon oft erlebt und kannte sich bestimmt mit solchen Dingen aus.
Sie saßen allein im Wohnzimmer, der Vater, ein Maresciallo, ein Inspektor bei den Carabinieri, war wegen einer Streiterei auf dem Revier, während die Mutter in der Küche den Abwasch machte.
»Und Betta?«, sagte er, als wäre das Erklärung genug. Nicht einmal er selbst wusste, was er damit eigentlich meinte, hatte aber das dringende Bedürfnis, seinen Emotionen irgendwie Ausdruck zu verleihen.
»Eine Schlampe«, meinte Maurizio schulterzuckend, während er kaugummikauend seinen Comic las und den Mund zu einem selbstgefälligen Grinsen verzog. Dem auf der Sessellehne sitzenden Luca verschlug diese Antwort dermaßen die Sprache, dass er sich gleich wieder in sein Mickymaus-Heft vertiefte. Aus der Küche kamen das Klappern von Geschirr und die Stimme der Mutter, die alte Schlager mitträllerte.
Von da an war Betta wieder seine heimliche Liebe: Sein Bruder hatte wirklich keine Ahnung, was Betta betraf.
Nach der Begegnung auf der Piazza himmelte er sie aus der Ferne an, als wäre sie die Madonna. Man konnte so einiges über sie sagen, aber an die Jungfrau Maria erinnerte sie eher weniger. Nicht, dass er jetzt Maurizios Meinung teilte, aber eine Heilige war Betta gewiss nicht. Doch ein seliges Gemüt, das hatte sie!
Und das gefiel ihm ausgezeichnet. Denn so war Betta nun mal. Oder Elisa-Tetta, wie sie wegen ihrer großen Brüste von gewissen Typen genannt wurde. Soweit er das beurteilen könnte, nannte sie niemand bei ihrem richtigen Namen: Elisabetta.
In dem Sommer, als er sechs war, hatte Luca sie zum ersten Mal gesehen.
Eine nächtliche Flutwelle hatte das Strandbad Miami Beach beschädigt, wo die Nardullis einen Gratisplatz in der ersten Reihe hatten, weil der Vater Maresciallo war. Am nächsten Morgen war das Wetter wieder schön, doch hatten die Mutter, sein Bruder und er an jenem Tag deswegen einen Schirm im Lido Pirata nehmen müssen, ganz hinten in der vierten Reihe. Am öffentlichen Strand nebenan tollte Betta herum. Blond und stets strahlend, eine Handbreit größer als die anderen Kinder. Sie war achteinhalb, spielte mit Jungs wie mit Mädchen und trug kein Bikinioberteil. Luca wusste noch, wie ihre Mutter unterm Sonnenschirm mit einem blauen Bandeau-Top gewedelt, laut nach ihr gerufen und geschimpft hatte: Gleich werde der Vater kommen, dann würde sie schon sehen!
Luca verfolgte das Geschehen ganz genau, nicht ohne Betta für ihre Sturheit zu bewundern.
Irgendwann kam dann der Vater, doch das änderte rein gar nichts.
Am nächsten Tag ging er wie immer ins Strandbad Miami Beach und sah sie nur noch selten.
Jedes Jahr traf sie Anfang August ein und reiste Ende des Monats wieder ab. Manchmal tauchte sie auch im Frühling auf, an Feiertagen: in der Kirche und auf dem Jahrmarkt. Es konnte passieren, dass er ihr zusammen mit anderen Kindern oder den Eltern in Torre Domizia begegnete. Dann grüßten sich die Väter, die im August stets zusammen Boccia spielten.
Luca musterte sie neugierig, ohne wirklich zu wissen, warum. Damals konnte er mit Mädchen noch nichts anfangen. Und sie nahm ihn ohnehin nicht wahr: Ständig quatschte sie mit irgendeiner Freundin, dem großen Bruder, ihrer Mutter. Ihr Mund stand nie still. Im Sommer, als er acht war, begann sich Luca Nardulli ohne ersichtlichen Grund zu fragen, ob Betta eigentlich inzwischen ein Bikinioberteil trug. Ein Jahr nach dem Nachmittag mit den zerbrochenen Eiern brachte ihn Betta dazu, zum ersten Mal wirklich zu rebellieren.
Mitte August, Luca Nardulli war mittlerweile elf, kaufte er sich im Strandbad Le Dune ein Wassereis, auch wenn seine Mutter das den Betreibern des Strandbads Miami gegenüber unhöflich fand. Er hatte entdeckt, dass Betta nach dem Mittagessen immer in den Lido Le Dune ging um sich dort mit einer Freundin, die an der Bar jobbte, zu unterhalten. Dabei ließ sie in der Jukebox ununterbrochen Figli delle stelle laufen. Luca betrat die Bar, nahm sich das Eis aus der Kühltruhe, zahlte und tat so, als bewunderte er einen Typen, der wie besessen flipperte und die Finger keine Sekunde von den Tasten ließ. Er aß sein Wassereis in Regenbogenfarben, und unterdessen beobachtete er sie und prägte sich sogar die Farben ihres Perlenarmbands ein. Auch wenn er ganz wehmütig davon wurde, weil seine Liebe bestimmt nie erhört würde, genoss er das. Wenigstens durfte er sie anschauen, schon bald würde er es wieder ein ganzes Jahr ohne sie aushalten müssen.
Eines Nachmittags sah er, dass sie völlig auf eine Partie Tischfußball konzentriert war. Sie spielte mit einem, der bestimmt sechzehn war, gegen zwei andere Jungs. Und schoss wie ein Profi. Die Gegner protestierten und stöhnten laut auf, gleichzeitig verschlangen sie sie mit ihren Blicken. Betta lachte und blieb konzentriert, den Blick auf den Ball gerichtet und jederzeit bereit, die Stange zu drehen: Ein gezielter Schuss und schon verschwand der Ball wieder im roten Tor. So oft, dass sich ihr Mitspieler beschwerte, weil er gar nichts zu tun hatte. Irgendwann schlug er sogar wütend gegen das Gestänge und verwünschte sie. Betta beachtete ihn nicht weiter und setzte ihr Spiel fort. Daraufhin wurde der andere dermaßen sauer, dass er sie mitten im Spiel sitzen ließ, woraufhin ihn die anderen beiden wortreich verfluchten. Betta ließ sich davon nicht beeindrucken und schaute sich lächelnd um. Da fiel ihr Blick auf ihn, ausgerechnet auf ihn, der neben dem Flipperautomaten an seinem Holzstiel lutschte, der noch nach Minze schmeckte.
»Willst du die Partie mit mir zu Ende spielen?«, schlug sie fröhlich vor.
Luca sah sie wie gelähmt an.
»Ach komm schon, nur fünf Minuten!« Sie flehte ihn förmlich an.
Zögernd ging er zum Kickertisch, den Holzstiel zwischen den Lippen, und umklammerte mit feuchten Händen die Griffe. Der Ball prallte laut klackernd auf, während eine der feindlichen Stangen ihn fast einlochte. Darauf streckte er, der immer schmächtig gewesen war, die Brust raus und griff an wie ein Stier. Fast immer verfehlte er den Ball, gleichzeitig verspürte er eine seltsame Erregung. Sie, in nächster Nähe, mit ihrem drallen Busen, der bei jedem Schuss in ihrem Dreiecksoberteil schaukelte, mit ihrem straffen Po, von dem man, wenn sie sich bewegte, mehr sah als schicklich war, nämlich auch nicht gebräunte Haut. Und dann diese goldblonden, verschwitzten Locken, die sich aus dem dicken Pferdeschwanz gelöst hatten und an ihrem Nacken klebten.
Er zerbiss den Holzstiel und schoss den Ball mit einer Kraft ins Tor, die ihm selbst fremd war.
Betta warf die Arme in die Luft, jubelte und klatschte.
Luca witterte den Duft ihrer feuchten Achseln, der sich mit dem des Meeres und der Kokos-Sonnenmilch vermischte. Vor seinen Augen drohte alles zu verschwimmen.
Nach dem Spiel verschwand er ohne ein Wort des Abschieds, kehrte ins Strandbad Miami zurück und ließ seine Mutter unter irgendeinem Vorwand unterm Sonnenschirm sitzen. Dann radelte er wie verrückt nach Hause, sein Körper brannte lichterloh.
Ganz außer Atem kam er dort an und begrüßte beim Heimkommen nicht einmal seinen Vater.
Er ging sofort nach oben, schloss sich im Bad ein, und stellte sich, noch in der Badehose, unter die Dusche. Mit geschlossenen Augen und stockendem Atem lehnte er die glühend heiße Stirn an die Fliesen. An diesem Tag, die Melodie von Figli delle Stelle im Ohr und Bettas Duft in der Nase, begriff er, was das heißt: »fleischliche Freuden«.
Er blieb ihr immer treu, auch als ihm Vanessa Abate, eine Klassenkameradin, ausrichtete, eine aus der Fünften würde mit ihm gehen wollen. Als sie sah, dass er zögerte, wollte sie ihm die Sache sogar mit einem Zungenkuss schmackhaft machen. Luca zeigte sich angemessen beeindruckt, lehnte aber dankend ab. Die aus der...
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