Sommer ohne Horst

Gleich hinter der Eingangstüre in diesem Heim befand sich eine Art Holzverschlag für den Portier, wo es schon um diese frühe Stunde des Tages nach billigem Fusel mit einer leichten Note abgestandener Pisse roch. In seinem Kobel sah es aus wie im Schweinestall: Da waren volle Aschenbecher, leere Zigarettenpackungen, ein Nagelzwicker, vollgeschriebene Zettel und . ein paar Zehner, die achtlos herumlagen.

Er döste mit der Stirn gegen den Schreibtisch, fuhr aber hoch, als ich gegen die Scheibe klopfte. Als wir nach dem Chef verlangten, lachte er und schrie: "Chef!" Dann fiel ihm das Geld auf, das bei ihm herumlag, und er steckte es schnell weg.

Ich fragte: "Wie heißt du?"

"Hubert."

Schon kam einer um die Ecke, der wirklich nicht wie ein Chef aussah, sondern eher wie eine Mischung aus Nasenbohrer und Nonne. Seine Wangen waren glatt und rosig, die Ohren riesig und die Haare mit Spucke nach hinten gekämmt. Seine helle Kutte war auf Slim Fit geschnitten, worauf er offenbar Wert legte, darunter trug er türkisene Socken und Jesuslatschen - klassisch! Er stand stocksteif da, als hätte er etwas im Arsch, und schaffte zur Begrüßung nur ein schwaches: "Ah, die Herren von der Mordkommission?"

"Der Herr!", korrigierte ihn die Biene und deutete auf Guttmann.

"Und die Dame, wenn's recht ist", ergänzte sie schneidig und deutete auf sich.

Und dann kam noch ich an die Reihe: "Rock Rockenschaub, Superschnü?er."

Er stellte sich mit "Bruder Sebastian" vor und entschuldigte sein nervöses Auftreten damit, dass er erst seit drei Wochen hier war: "Vor mir hat Pater Pius das Heim geleitet, aber der ist vor drei Wochen gestorben. Vor Pater Pius war es Pater Augustinus, aber der ist letzten Herbst gestorben. Und vor Pater Augustinus ."

Ich sagte: "Jaja, schon gut. Mir musst du darüber nichts erzählen, ich weiß, wie das ist."

Also erzählte er, dass er sich erst vor zwei Monaten für den Ordenseintritt entschieden hatte, weil er nicht wusste, was er sonst machen sollte. Er war ganz eindeutig der verklemmte Typ, der zu lange gestillt worden war - oder zu kurz, worauf Kubelka die meisten Probleme der Menschheit zurückführte. Und wenn man sich seine beschissene Optik anschaute und die Chancen, die ihm diese bei den Ladys da draußen bescherte, und wenn man weiters bedachte, wie sehr die Mieten immer noch stiegen, dann war sein Ordenseintritt eine gute Entscheidung.

"Also, was gibt's?", fragte Guttmann ungeduldig, er wollte ja hinaus zum SUV.

"Der Tote hieß Herr John James und war ein nigerianischer Kardinal, der vor den Boko Haram, der dortigen radikalislamistischen Terrorbewegung, fliehen musste. So hat er es uns erzählt."

Ich fragte: "John James?"

"Ja, Kardinal John James."

Kann ja auch ein Zufall sein, dass zwei Nigerianer, die einen Job als Pfaffe hatten, John James heißen, hoffte ich immer noch. Könnte aber auch ein interessanter Tag werden, dachte ich insgeheim.

"Und warum wohnt ein Kardinal in einem Obdachlosenheim?", fragte die Biene schließlich das einzig Richtige.

"Auch für Kardinäle ist der heimische Wohnungsmarkt nicht einfach", sagte der Mönch. "Speziell, wenn sie so aussehen wie Bruder John James, der ja . nun ja . schwarz war."

Blieb immer noch die Frage, warum er nicht bei seinem Kardinalskollegen im 1. Bezirk wohnte, in einem Himmelbett aus purem Gold, in dem Kardinäle normalerweise schliefen, und mit Gratishuren, wann immer sie wollten.

***

Der Tote lag im zweiten Stock, und auf dem Weg dorthin erklärte uns Bruder Sebastian, wie der Laden hier so lief: "Die Bewohner müssen untertags das Heim verlassen. Außer die, die für bestimmte Dienste eingeteilt sind, also Putzdienst, Küchendienst, Portierdienst." Gerade wären sie mit nur vierzehn Obdachlosen "relativ dünn belegt, weil die Klienten bei gutem Wetter lieber draußen bleiben".

"Ihr sagt Klienten?", fragte ich.

Und Gutti wollte wissen: "Warum lieber draußen?"

"Vielleicht darum?"

Die Biene rümpfte die Nase, weil es hier nämlich streng nach Herrenklo roch, das schon länger nicht mehr geputzt worden war.

Es war dann immer wieder überraschend, wie zwei Stockwerke, zu Fuß absolviert, die Spreu vom Weizen trennen konnte. Ich selbst blieb beim Aufstieg möglichst dicht hinter der Biene, die den Pulk anführte, weil sie richtig fit war in diesem Sommer, was man an ihrem Arsch und ihren festen Schenkeln sehen konnte - ein herrlicher Anblick von hinten!

Mit dieser Karotte vor meiner Nase schaffte ich es, ihr ohne allzu große Probleme zu folgen. Der Bruder hinter mir kämpfte schon ein wenig, und ich merkte, wie er dabei immer wieder an meinem Arsch vorbei auf den Arsch der Biene schaute - wer wollte es ihm verübeln? (Wenn ich diese Ordenssache richtig verstanden hatte, dann war er ja noch Jungfrau!)

Die Nachhut bildete erwartungsgemäß Guttmann, den wir aus dem ersten Stock schnauben hörten, wo er eine Pause einlegte.

Mir war nach der Bergankunft nach Mund-zu-Mund-Beatmung, also lehnte ich mich im zweiten Stock gegen die Biene, die ihrerseits mit dem Rücken gegen eine Wand gelehnt dastand, und legte meine Hand auf ihre Hüfte. Sie nahm sie von dort weg und schob sie auf ihren Arsch, denn sie war - wie schon gesagt - erfreulich unkompliziert in diesen komplizierten Zeiten. Wir beatmeten uns gegenseitig, während der Sebastian verschämt auf den Boden schaute, aber zwischendurch natürlich schon auch immer wieder mal auf den Arsch der Biene, was sie irgendwie anturnte.

Plötzlich fiel mir der Putzkübel mit dem Mops drinnen auf, der hier mitten am Gang herumstand und von dem aus sich eine zehn Meter lange Spur Klebrig-Durchsichtiges zu dem Zimmer zog, in dem der Kardinal lag. Während wir immer noch auf Guttmann warteten, fragte ich die Biene: "Was ist denn deiner Meinung nach das Klebrige da am Boden?"

Sie sagte: "Sieht aus wie Zeug." Und löste sich von mir, holte die Lesebrille aus ihrer Handtasche, die sie beim Küssen nicht brauchte, und beugte sich interessiert darüber. Nahm etwas davon mit einem Tuch auf und steckte es in eines ihrer kleinen Säckchen, in denen sie die Proben sammelte. Als sie sich wieder aufrichtete, tauchte Guttmann auf, und sie sagte zu mir: "Kann aber auch einfach nur Rotz sein."

Der Kardinal lag auf dem Rücken in einem der zwei Betten, die hier jeweils einzeln an einer der Seitenwände standen, zwischen den Betten war ein Fenster weit geöffnet, unter dem die zwei Nachtkästchen standen. Die Kutte war dem Gottesmann weit nach oben gerutscht, seine Unterhose hingegen war bei den Knien, und dort war - eine riesige Wunde.

Eine geöffnete Dose Sardinen lag auf ihm drauf, und der Deckel, mit dem ihm die Gurgel aufgeschnitten wurde, steckte noch in seinem Hals. Das Blut aus dem Kardinal hatte sich großflächig im Zimmer verteilt, auch auf den Wänden.

"Mit dem Fischdosendeckel hat man seine beiden Schlagadern durchtrennt", sagte die Biene. "Dann pumpte das Herz noch ziemlich lange weiter und verteilte das Blut in zuckenden Fontänen. Insgesamt sind es vier bis fünf Liter im Körper eines Mannes. Bei ihm waren es vielleicht sogar sechs."

Sie deutete zwischen seine Beine, wo sein Ding gehangen war, bis es ihm abgesäbelt wurde, vermutlich auch mit dem Fischdosendeckel. Wenn man so etwas sah, war immer die erste Frage: Warum tut jemand so etwas? Warum schneidet man einem den Schwanz ab?

"Würde man euch das Teil abschneiden, würde da eine Wunde in der Größe einer Zehn-Cent-Münze klaffen", erklärte uns die Biene. "Bei ihm ist sie groß wie ein Bierdeckel, nur damit ihr mal den Unterschied seht."

"In der Größe einer Fünfzig-Cent-Münze", sagte ich ein wenig hilflos.

"Alleine für den Truthahnhals, der da dranhing, brauchte er wahrscheinlich einen Liter, um ihn voll zu kriegen. Wirklich schade um ihn", sagte die Biene. Und dann weihte sie den Jungmönch in die Geheimnisse der Feststellung des Todes ein: "Wenn er noch dran wäre, würde ich ihn jetzt mit meiner Hand umfassen und seinen Puls fühlen. Auf diese Art prüfe ich, ob er auch wirklich tot ist ."

Wir alle konnten sehen, wie sehr sich der Sebastian in diesem Augenblick wünschte, selbst tot zu sein, damit die Biene auch an ihm prüfen könnte, ob er auch wirklich tot war.

Für die Biene wäre dieser Griff eine schöne Ablenkung von der ganzen Sauerei gewesen, für mich aber war es die letzte Bestätigung, dass es sich bei dem Toten tatsächlich um den Schlauch handeln musste.

Zeit also, sich ein paar ernste Fragen zu stellen: Seit wann war er überhaupt Kardinal? Wer hat ihn gekillt? Wo war sein Rüssel jetzt?

Und warum zur Hölle war kein Fisch in dieser Dose, mit deren Deckel ihm die Kehle aufgeschlitzt wurde?

***

Der Pfarrer hatte es sich in seinem Zimmer leidlich schön eingerichtet, ein bisschen Krimskrams hier, ein bisschen Schnickschnack da. Kein Kruzifix...