Schweitzer Fachinformationen
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Ein junger Mann raucht an einer U-Bahn-Station. Als ein Angestellter ihn darauf hinweist, dass Rauchen verboten ist, greift der junge Mann ihn an und verletzt ihn schwer. Wie kommt es dazu? Hat er nicht gelernt, dass Aggression bestraft wird? Denkt er, er könne so Kritik an seiner Person unterbinden? Hat er ein Ärgerproblem? Ist etwas falsch mit seinem Gehirn? Ist er unreif? Vielleicht ist er in einer Umgebung aufgewachsen, in der Gewalt gang und gebe ist? War die Konstellation der Gestirne zum Zeitpunkt seiner Geburt ungünstig? Oder wurde er gar vom Teufel versucht?
Alle diese Alltagserklärungen außer den zwei letzten sind für einen Psychologen akzeptabel. Die Astrologie versucht, den Charakter aus der Konstellation der Gestirne zum Zeitpunkt der Geburt herzuleiten. Allerdings zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass Astrologen den Charakter einer Person nicht vorhersagen können (Carlson, 1985). Die Astrologie ist unwissenschaftlich, weil es keine stichhaltigen Befunde zur Stützung ihrer Vorhersagen gibt; die Astrologie ist nicht evidenzbasiert. Jede Praxis in der Psychologie muss sich auf die vorhandenen Befunde stützen. Wenn es zu Gott und Teufel kommt, handelt es sich bei diesen um übernatürliche Kräfte, die nicht wissenschaftlich erforscht werden können. Annahmen aus pseudowissenschaftlichen Praktiken und religiösem Glauben liegen deshalb außerhalb der Psychologie, die die Wissenschaft des Geistes und des Verhaltens ist.
Die wissenschaftlichen Denkansätze der Psychologie sind in Tabelle 1 dargestellt. Die erste Spalte zählt die oben erwähnten Alltagserklärungen für das aggressive Verhalten des jungen Rauchers auf. In der Tat entsprechen diese laienhaften Erklärungen ziemlich gut allgemeinen wissenschaftlichen Erklärungen - schließlich begannen die ersten Wissenschaftler mit Alltagserklärungen, von denen viele menschliches Verhalten durchaus richtig erklären. Laien unterscheiden sich in ihren bevorzugten Erklärungen. Einige denken, Aggression liege «in der Natur» eines Menschen und sei damit das Produkt genetischer Veranlagung; andere, die Aggression sei das Produkt «schlechter Erziehung» und damit der Umwelt. Die Frage, ob Gene oder die Umwelt das Verhalten bestimmen, führte in der wissenschaftlichen Psychologie zur Anlage-Umwelt-Kontroverse.
Tabelle 1: Alltagserklärungen, entsprechende allgemeine wissenschaftliche Erklärungen, psychologische Ansätze zur Erklärung von Verhalten und Interventionen; in Klammern das Kapitel, in welchem Ansatz oder Intervention besprochen wird.
Alltagserklärung
Allgemeine wissenschaftliche Erklärung
Ansatz
Interventionen
Frühere Aggression nicht bestraft
Lernen (klassische und operante Konditionierung)
Behaviorismus (1)
Verhaltenstherapie (8)
Denkt, er könne künftige Kritik verhindern
Gedanken (Kognition)
Kognitive Psychologie (2)
Kognitive Therapie (8)
Ärger motiviert ihn
Motivation und Emotion
Motivation und Emotion (3)
Emotionsregulationstraining
Fehler in seinem Gehirn oder seinen Genen
Hirnfunktion;
Gene
Biologische Psychologie (4)
Medizinische Behandlung
Ist nicht reif genug
Entwicklungs-prozesse
Entwicklungspsychologie (5)
Kompetenztraining
Liegt in seinem Charakter
Persönlichkeits-eigenschaften
Persönlichkeitspsychologie (6)
Charaktererziehung
Wurde durch die Zurechtweisung provoziert
Soziale Prozesse
Sozialpsychologie (7)
Training sozialer Kompetenzen
Sieht keinen Sinn im Leben
Lebenssinn
Humanistische Psychologie
Klientenzentrierte Psychotherapie (8)
Unbewusste Konflikte verursachen Aggression
Unbewusste Kindheitserlebnisse
Psychoanalyse
Psychoanalyse (8)
Wuchs in einem sozialen Brennpunkt auf
Gruppe und Kultur
Kulturpsychologie
Interventionen auf Gruppenebene
So drückt die Unterschicht Wut gegen Herrschende aus
Unterdrückung; Machthierarchien
Kritische Psychologie
Interventionen auf gesellschaftlicher Ebene
Eine andere Diskussion geht der Frage nach, welche Rolle der Charakter oder die Situation für das Verhalten spielen. Interessanterweise bevorzugen Laien im Westen Erklärungen, die die Rolle des «Charakters» oder der «Persönlichkeit» für die Aggression des jungen Rauchers betonen, während Personen in Süd- und Ostasien glauben, dass eine bestimmte Konstellation der Situation den Angriff des jungen Mannes hervorgerufen habe, etwa, dass ihn die Zurechtweisung provoziert habe. Der Unterschied zwischen den Erklärungen in westlichen und östlichen Kulturen entspricht der Person-Situation-Kontroverse in der Psychologie. Im Verlauf des Buches werden wir sowohl der Anlage-Umwelt-Kontroverse wie auch der Person-Situation-Kontroverse begegnen und die jeweilige Evidenz für und wider die unterschiedlichen Positionen diskutieren.
Für jede wissenschaftliche Erklärung in der zweiten Spalte von Tabelle 1 gibt es einen ...
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