Schweitzer Fachinformationen
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Der Hahn kräht. Es ist 5.30 Uhr: Ich ziehe mir die Decke über den Kopf und versuche, die Nacht noch ein klein wenig länger andauern zu lassen. Wenn ich an manchen Tagen morgens aufwache und noch im Halbschlaf bin, vergesse ich, in welchem Abschnitt meines Lebens ich mich gerade befinde, vergesse ich, dass ich Mutter und Ehefrau bin und tausend Dinge erledigen muss. Ich hatte diese Rollen nicht immer inne, aber gekannt habe ich sie gut. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, auf dem es drunter und drüber ging. Mein Zimmer war im Dachgeschoss. In Jugendtagen lag ich morgens manchmal im Bett und starrte durch die Dachluke in die Wolken, den Kopf voller Ideen, wie ich dem Alltag auf dem Hof entkommen könnte. Küchengeräusche drangen die Treppe hinauf. Der Teekessel kochte. Hunde bellten. Türen schlugen. Meine Mutter rief, dass ihr jemand bei der Arbeit helfen oder ich mich für die Schule fertig machen solle. Ich träumte von einem Leben als Künstlerin, davon, auf Reisen zu gehen, ich träumte von einem Leben, das gefüllt war mit Tagen, an denen ich viel Zeit zum Lesen und Nachdenken hatte. Auf keinen Fall wollte ich Bäuerin sein. Die Frauen und Mädchen arbeiteten im Haus und rochen nach Seife. Ihre Arbeit fand kein Ende: Waschen, Bügeln, Kochen und Putzen. Die Männer und Jungen arbeiteten draußen und rochen nach Dreck. Ihr Tagesablauf folgte einer schmutzigen, nassen und kalten Routine des Melkens, Fütterns und Hütens, und sie sprachen kaum über etwas anderes. Auf keinen Fall wollte ich später so an den Hofalltag gebunden sein.
Und doch sitze ich, meiner damaligen Vorstellung zum Trotz, nun hier, auf meinem eigenen Gehöft auf einem Hügel im Lake District, nur an die zehn Kilometer davon entfernt, wo ich aufgewachsen bin. Ich lebe mit meinem Mann James zusammen, wir haben vier Kinder - Molly, Bea, Isaac und Tom. Außerdem haben wir sechs Hunde, zwei Ponys, 20 Hühner, 500 Schafe und 50 Rinder, um die wir uns kümmern müssen. Ich bin eine Bäuerin geworden, und dies ist meine Geschichte.
Mein Vater sagt oft: »Wie man sich bettet, so liegt man.« Jedes Mal, wenn ich das höre, schrecke ich auf, weil er dies meist dann von sich gibt, wenn ich mit etwas zu ringen habe. Ich finde das nicht gerade nett von ihm und auch nicht sonderlich hilfreich. Ich weiß, was er damit meint - dass wir alle so leben, wie wir uns entschieden haben, und einen Preis dafür zahlen. Es stimmt natürlich, »man kann nicht alles haben«. Aber dieses unerbittliche, alte Sprichwort lässt einem keine Möglichkeit, etwas zu ändern. Es impliziert, dass ein Bett - beziehungsweise ein Leben - einmal gemacht wird und dann unveränderlich bis in alle Ewigkeit so steht. Es impliziert, dass man niemals wachsen und sich nicht verändern kann, sondern die Dinge, wie sie dann eben sind, erleiden und aushalten muss. Ich denke hingegen, dass wir uns jeden Tag aufs Neue betten - das Leben ist ein ständiger Prozess des Gestaltens und Umgestaltens von uns selbst und der Art, wie wir unsere Tage verbringen. Ich bin pausenlos auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, »mich zu betten«, und nach Wegen, um nicht stecken zu bleiben.
Eine Fliege schwirrt surrend ans Fenster. Ich stehe auf und öffne den Griff, um sie hinauszulassen. Der Ruf eines Kuckucks hallt durch das grüne Tal. James ist schon hinausgegangen, um nach einer kalbenden Kuh zu sehen, und der Rest des Hauses schläft noch, unbeeindruckt vom Remmidemmi draußen.
Ich schlüpfe in meinen hellblauen Morgenmantel und trage drei Tassen die Treppe hinunter, die die Kinder haben stehen lassen. Auf dem Teppich sehe ich eine verräterische Spur Krümel von stibitzten Keksen.
Ich gehe mit meinem Wasserkessel aus Edelstahl zur Spüle, kippe ihn aus und fülle ihn auf, zünde das Gas auf dem Herd an und bringe ihn zum Kochen. Dann drehe ich eine Runde durch die Küche, den Raum, in dem wir leben, arbeiten, kochen und essen. Nachdem ich die Kissen zurück in ihre ursprüngliche Form geschüttelt habe, platziere ich sie wieder ordentlich auf dem grauen Samtsofa. Ich lese Spielzeugdinosaurier und achtlos zur Seite geworfene Socken vom Boden auf und räume einen Stapel mit Papieren und die Post von gestern auf. Die Blumen aus unserem Garten sind verwelkt, also bringe ich sie nach draußen und stelle die alte Vase meiner Großmutter in die Spüle, um sie später abzuwaschen. Heute wäre ihr Geburtstag gewesen. Ich wische den Tisch ab und rücke die Holzstühle zurecht. Unter meinen nackten Füßen spüre ich die kalten Steinfliesen, also suche ich nach meinen Hausschuhen. Floss, unser Collie im Ruhestand, liegt noch immer in ihrem Bett und hat keine Lust, so früh aufzustehen. Sie wedelt sachte mit dem Schwanz, als ich sie streichle. Ich bereite mir einen Tee in meiner Lieblingstasse zu, umfasse sie mit beiden Händen und spüre, wie der Dampf in mein Gesicht steigt. Ich mache es mir auf meinem Stillsessel gemütlich, den ich in die Nähe des Kamins gestellt habe, neben die Rundbogentüren, die auf die Terrasse vor dem Haus führen. Ich brauche diesen Schaukelstuhl nicht mehr, aber er bleibt für mich ein heimeliges Plätzchen inmitten unseres chaotischen Haushalts und hektischen Familienalltags. Beim Hin- und Herschaukeln denke ich wehmütig an die Tage und Nächte, in denen ich meine Babys gestillt habe, und bin zugleich erleichtert, dass ich kein kleines Kind mehr an meiner Brust hängen habe oder in seinen unruhigen Phasen in den Schlaf wiegen muss. Die auszehrenden Tage mit einem Säugling liegen hinter mir, und die schönsten Erinnerungen daran trage ich fortan in meinem Herzen.
Die Sonnenstrahlen dringen durch die Blätter der Bäume, während ein rotes Eichhörnchen oberhalb der Gartenmauer entlanghüpft, ohne zu merken, dass es beobachtet wird. Ich nehme ein Buch vom Schemel am Fenster und versuche zu lesen, doch meine Gedanken schweifen von den Zeilen ab.
Ich liebe diese ruhige Zeit im Haus. Bald wird es laut werden und alles durcheinandergehen.
Von oben höre ich Tom »Mama« rufen. Als ich in sein Zimmer komme, rollt er sich auf die andere Seite und schläft noch mal ein. Ich lese einen Haufen schmutziger Wäsche vom Treppenabsatz auf, sortiere sie und stecke eine Ladung in die Maschine. Die nassen Sachen von der letzten Wäsche hänge ich auf den Ständer, die trockenen falte ich in einem Korb zusammen. Durch die Glastür des Hauswirtschaftsraums kann ich sehen, wie unsere beiden Sattelschweine im büscheligen Gras dösen. Sie haben in einem Stückchen Boden herumgewühlt, in dem ich kommendes Jahr Gemüse anbauen möchte. Sie wackeln mit den Ohren und liegen auf der Seite, eines an das andere geschmiegt.
Dann höre ich den vertrauten Laut eines blökenden Lamms und lasse von der Wäsche ab. Eine Woche lang etwa habe ich es im Schafstall gefüttert, weil die Mutter bei schlechter Gesundheit war und wenig Milch gab. Mittlerweile hat sich die Mutter erholt, und die beiden sind wieder zusammen draußen auf der Weide, aber Milch gibt sie noch immer nicht genug, also helfe ich weiter nach. Das Lämmchen glaubt jetzt, es habe zwei Mütter. Ich gehe in die Küche, mische Schafsmilchpulver aus einem Becher neben dem Waschbecken mit warmem Wasser und fülle es in eine Nuckelflasche mit Gummisauger. Die Kleine hat sich durch das Gartentor gezwängt und wartet laut mähend an der Küchentür.
Ich sitze draußen auf der Holzbank, füttere sie in meinen Hausschuhen und lausche den Vögeln, die um mich herum zwitschern. Das Lamm braucht nicht lange, um die Flasche leer zu trinken, und schlägt sie mir beinahe aus der Hand, bevor es sich davonmacht, um seine etwas verärgerte Mutter ausfindig zu machen, die es schon erwartet. Die Blüte der rosaroten Rosen hebt sich von dem blauen Lakeland-Stein unseres Hauses ab. Ich laufe die Gartentreppe hinunter, Floss ist mir dicht auf den Fersen. Ich streife den Lavendel in den Hochbeeten am Tor. Bald bin ich unten auf der Weide vor unserem Haus angelangt und stapfe mit meinen Hausschuhen durch Brennnesseln und Ampfer, um mir einen Weg zu bahnen. Ich lasse die Hühner aus ihrem Stall, werfe einen Blick in die Nistkästen und fülle meine Kitteltaschen mit fünf tiefbraunen Eiern. Ich tauche den Wassereimer der Hühner in den Bach und lasse ihn von der Strömung füllen. Zurück im Stall, kommen die Hühner angerannt und recken ihre Schnäbel nach dem Wasser. Sie legen ihre Köpfe in den Nacken, damit es ihre Kehlen hinabfließen kann. Floss beschnüffelt den Boden; wahrscheinlich war ein Fuchs in der Nacht hier. Um mich herum gackern die Hühner, und ich werfe ein wenig von ihrer Futtersaat auf den Boden, da ich gerade keine Küchenabfälle bei mir habe. Ständig bin ich damit beschäftigt, jemanden oder etwas zu füttern oder zu tränken.
Die frische Morgenbrise in meinem Haar fühlt sich gut an. Ich sage mir, dass ich nicht den ganzen Tag im Haus bleiben darf. Es passiert schnell, dass ich mich in die Hausarbeit vergrabe. Es liegt an mir, die Last aufzuteilen. Die Kinder müssen lernen, Aufgaben selbst zu übernehmen. Ich muss meine Familie dazu bringen, die ganze unsichtbare Arbeit zu sehen und wertzuschätzen.
Manchmal sehe ich nur den Haufen Schmutzwäsche auf dem Boden und verliere die in einem ständigen Wandel begriffene Welt da draußen aus dem Blick. Gäste und Besucher halten unser Leben immer für ausgesprochen idyllisch, weil sie an einem sonnigen Tag vorbeikommen, wenn alles grün ist und das Tal atemberaubend anzusehen ist, und wir alle lächeln, doch wir sind wie jede andere Familie auch: Wir müssen hart arbeiten, um unsere Rechnungen zu bezahlen, und die Stimmung eines jeden von uns wechselt wie das Wetter.
Eine Stunde später sind alle anderen aufgestanden, das Haus brummt von elektrischen Zahnbürsten und Geplapper. Das Quad-Bike röhrt in die Einfahrt, Bea springt herunter und kommt ins Haus gelaufen, um ihre Bauernstiefel...
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