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Der Tod ist echt scheiße.
Am blödesten ist es für den Verstorbenen. Ja, okay. Für den Verstorbenen ist es definitiv am beschissensten. Aber vielleicht auch nicht. Vielleicht ist da nichts nach dem Tod. Vielleicht ist es für die Hinterbliebenen viel schlimmer, denn sie müssen mit dem klaffenden Loch zurechtkommen, das derjenige hinterlassen hat.
Aber wisst ihr, was noch beschissener ist, als an einer Beerdigung teilzunehmen? Die Verlesung des Testaments. Nicht dass ich bei so etwas schon oft dabei gewesen wäre. Es ist mein erstes Mal. Und ich kann euch sagen: Es ist reine Zeitverschwendung. Vor allem, wenn die wichtigste Person überhaupt nicht anwesend ist.
Ich werfe einen Blick auf die kleine goldene Wanduhr und frage mich, ob Luther Lloyd, der Anwalt, eine Stoppuhr hat, damit er seinen Klienten möglichst viel Geld abluchsen kann. Zum Glück muss ich nichts bezahlen, aber Chip hat es eine Menge gekostet. Was scheiße ist. Der Kerl ist viel zu früh verstorben.
Als mich Luther angerufen hat, um mir zu sagen, dass ich bei der Verlesung dabei sein solle, war ich ziemlich überrascht, denn ich hätte nicht gedacht, dass Chip ein Testament hinterlassen würde. Für mich war er eher der Typ, der nur einen Notizzettel schreibt mit: »Werft meine Asche in den Lake Starlight. Ich hatte ein glückliches Leben. Wir sehen uns auf der anderen Seite.« Keiner, der seine Sachen an Leute verteilt, für die sie eh nur Müll sind. Ich will weder sein Highschool-Diplom noch seine Kaffeemaschine noch sonst was. Mir wäre es lieber, er wäre noch hier.
»Wie lange wollen wir noch warten?«, frage ich.
Luther wirft einen Blick auf die Uhr, denn er gehört zu den Menschen, deren Leben genau nach Plan verläuft. »Ich habe ihr am Telefon gesagt, wann sie da sein soll. Geben wir ihr noch fünf Minuten.«
Ich nicke und trommle mit den Fingern auf meinen Vans herum. Nicht unbedingt für den Winter in Alaska geeignet, aber solange es nicht schneit, geht es schon.
»Hast du heute eine Exkursion?«
Ich schüttle den Kopf.
»Und wie läuft das Geschäft?«
Ich zucke mit den Schultern. Ich würde ja gern sagen, dass es gut läuft. Tut es aber nicht. Und bei dem Gedanken, dass die Frau, auf die wir warten, Lifetime Adventures übernehmen wird, wird mir so schlecht, dass ich am liebsten in ihre Gucci-Tasche kotzen würde. Sie wird die Firma gegen die Wand fahren, was bedeutet, dass alles, was Chip aufgebaut hat, mit ihm sterben wird. Sein Vermächtnis wird entweder im Bankrott enden oder an den Höchstbietenden versteigert werden.
»Ich weiß, es ist schwer für dich. Du und Chip standet euch sehr nahe.«
Wieder hebe ich die Schultern. Was will Luther von mir? Erwartet er, dass ich ihn um ein Taschentuch bitte und ihm das Herz ausschütte? Auf keinen Fall. Ich bin an den Tod gewöhnt. Wenn du mit vierzehn deine Eltern verlierst, ist es, als würde man dein Herz mit einem Vorschlaghammer zertrümmern. Ich habe früh gelernt, dass es keine Happy Ends wie im Märchen gibt. Ich habe gelernt, dass das Leben zerbrechlich ist und man nie weiß, wann es vorbei ist. So einen Mist sollte man mit vierzehn, wenn man sich noch für unbesiegbar hält, nicht wissen.
Als mir Chip gesagt hat, dass sein COPD, eine chronische Verengung der Atemwege, schlimmer geworden sei, war es bereits abzusehen, dass er sterben würde. Ich bin immer an seiner Seite geblieben, habe seine Exkursionen übernommen und ihm mit dem Bürokram geholfen, denn das tut man eben, wenn man jemanden mag. Ich sollte froh sein, dass die Firma heute an Chips Tochter, Cleo Dawson, übergeben wird. Dann kann ich endlich in mein lässiges Leben als Buschpilot zurückkehren. Aber wenn ich daran denke, dass sie die Firma, für die ihr Vater so hart gearbeitet hat, in den Ruin treiben wird, bekomme ich Panik.
Wieder werfe ich einen Blick auf die Wanduhr, was Luther dazu bringt, erneut auf seine Armbanduhr zu spähen. Er scheint zu kapieren, dass er mit mir kein Gespräch führen kann, atmet laut aus und schlägt Chips Akte auf.
»Wie viele hast du da drin?« Mit dem Kopf deute ich auf seinen Aktenschrank mit den vier Schubladen. Wahrscheinlich befindet sich darin auch Grandma Doris Akte, in der verzeichnet ist, wer von uns neun Geschwistern welchen Anteil von Bailey Timber bekommt. Bei dem Gedanken dreht sich mir der Magen um.
Er folgt meiner Blickrichtung und zieht die buschigen grauen Augenbrauen zusammen. Wahrscheinlich denkt er sich: Was zur Hölle ist bloß los mit dir, Denver? Du tauchst hier in Jeans, Sweatshirt und ausgelatschten Vans auf. Nicht mal eine höfliche Unterhaltung willst du führen. Bestimmt denkt er, ich hätte einen Kater. Aber dann denkt er an meine tragischen Umstände und bekommt Mitleid. Dann wird sein Blick weich werden, er wird nicken und mich ansehen, als wollte er sagen: »Ich weiß, dass deine Eltern viel zu früh gestorben sind. Das ist echt beschissen.«
Inzwischen bin ich diesen Blick gewohnt. Er prallt an mir ab.
Meistens.
»Fast ganz Lake Starlight. Hast du auch schon mal über ein Testament nachgedacht?« Luther lehnt sich zurück, und sein kleines Grinsen verrät, dass er seine Frage genauso lustig findet wie ich.
»Wir wissen beide, dass ich nichts zu vererben habe.«
»Jeder hat irgendwas«, erwidert er und hält seinen Kugelschreiber mit beiden Händen waagerecht vor sich.
»Ich habe weder ein Haus noch irgendwelche Ersparnisse.« Abgesehen von meinem Handy mit den Nummern meiner One-Night-Stands besitze ich nur mein Flugzeug, das ich immer noch abbezahle. Da mein Zwillingsbruder verlobt ist und mein bester Kumpel Liam mit meiner Schwester Savannah bald das Gleiche tun wird, kann keiner von ihnen etwas mit meinem Smartphone anfangen.
»Was ist mit persönlichen Gegenständen? Ich habe schon mehr als einmal erlebt, dass sich Familienmitglieder um einen Fernseher gestritten haben.«
»Ich wohne gerade bei Savannah. Gehört alles ihr.«
Er richtet sich gerader auf. »Du weißt, was ich meine.«
Die Tür geht auf, und Luther blickt über meine Schulter. Ich schwöre, es wird kälter, als sie den Raum betritt.
Cleo Dawson.
Chips Tochter.
Ich muss mich gar nicht umdrehen, denn das Klackern ihrer High Heels kommt auch so immer näher. Im Schlepptau hat sie ihre Stiefschwester, ihre Mutter und ihren Stiefvater, was mich nicht sonderlich überrascht. Gott bewahre, sonst müsste sie sich ja allein um ihre Angelegenheiten kümmern.
Während sich ihre Gefolgschaft setzt, verebbt Luthers Lächeln.
Natürlich nimmt sie im Ledersessel neben mir Platz und schlägt die Beine übereinander. Das bringt auch nur Cleo fertig, mitten im alaskischen Winter High Heels und ein Kleid zu tragen.
»Denver.« Ihre Stimme klingt unterkühlt mit einem Hauch gezwungener Höflichkeit.
Ich drehe mich ein wenig zu ihr. Ihre gebräunten Beine verraten, dass sie aus dem Süden kommt. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, ich fände ihre Beine nicht sexy, aber das ist genau das Ding mit dem Teufel - keiner hat je behauptet, er oder sie sei nicht verlockend.
»Cleo.« Ich nicke.
»Miss Dawson, es tut mir leid, aber im Testament steht, dass es nur vor Ihnen und Mr Bailey verlesen werden soll.«
»Warum?«, will Cleo wissen.
Ihr Stiefvater steht auf und stützt sich auf ihre Rückenlehne. Als sich auch noch ihre Mutter danebenstellt, wird es langsam eng.
»Wir sind ihre Eltern«, protestiert ihre Mutter.
Ich inspiziere ihren Nerzmantel. Bestimmt hat sie ihn extra für diese Reise gekauft, denn in Texas braucht man so was nicht.
»Cleo ist über achtzehn und erwachsen. Ich werde jetzt das Testament verlesen, und wenn Cleo will, kann sie es danach mit Ihnen besprechen.«
»Das ist doch lächerlich«, schimpft ihre Mutter. »Er war mein Ehemann.«
»Ex«, korrigiere ich sie.
Alle Blicke richten sich auf mich. Offensichtlich sind sie entsetzt, dass ich die Frechheit besitze, den Mund aufzumachen.
»Warum ist er überhaupt hier? Er ist nicht einmal mit Chip verwandt.« Cleos Mom beäugt mich, als wäre ich Dreck.
»Haben Sie etwa Angst, dass Sie ihm nicht auch noch den letzten Cent abknöpfen können?« Ich verdrehe die Augen.
Cleo dreht sich in ihrem Sessel und legt die Hand auf die ihrer Mutter. »Schon in Ordnung. Wartet draußen auf mich.«
»Ich bin ihre Mutter. Wenigstens ich sollte jetzt bei ihr sein.« Bevor die drei das Büro verlassen, schnaubt sie wütend.
»Kommst du allein klar?«, frage ich Cleo.
»Ich hoffe, du hast die Schlüssel dabei.«
Ich befühle meine Hosentaschen. »Scheiße, ich wusste, dass ich etwas vergessen habe.«
Sie verengt die Augen zu Schlitzen. Ich beobachte, wie sie die Nüstern bläht und beinahe schäumt vor Wut.
»Okay. Dann lasst uns anfangen. Wir sind schon spät dran.« Ungeduldig tippt Luther mit seinem Stift auf den Schreibtisch.
»Ich frage mich, woran das liegt«, spotte ich.
»Das Wetter ist nicht gerade trocken. Die...
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