Schweitzer Fachinformationen
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2 Bär feiert
Ich kam mir vor wie ein Geburtstagskind.
Philipp war einfach rührend.
Ich strahlte ihn an.
Meine innere Ausstrahlung kam allerdings nicht von dem Prospekt, den ich anstandshalber in Händen hielt.
Sondern vom Frühschoppen.
Ich war schon um zehn Uhr eingetroffen.
Zum Akklimatisieren.
Mit einer Maß Bier. Genießen und glauben.
Man muss die Prioritäten richtig setzen.
Ich legte den Prospekt neben meine Schweinshaxe, weihte ihn mit einem Fettfleck ein, nahm einen tiefen Zug aus meinem Kreuzberg-Krug, sagte: »Philipp, die Idee mit dem Geburtstagsgeschenk ist einfach gigantisch. Wenn das Seminar so gut wird wie die Haxe und das Bier, werde ich wahrscheinlich seminarsüchtig.«
Das Seminar war mir wurscht.
Aber ich wollte meinem Freund Philipp die Freude nicht verderben. Dachte: Ob Jesus Christus wahrer oder falscher Gott oder Mensch war, hat null Einfluss auf den Bierpreis. Die Frage wurde meines Wissens schon im Jahr 451 auf dem Konzil von Chalcedon endgültig und abschließend entschieden. Mit einer genialen Lösung: wahrer Mensch und wahrer Gott. Basta! Hatte sich wohl noch nicht so richtig rumgesprochen.
Ich sagte: »Und die Fragestellung - wahrer Mensch oder wahrer Gott? - bringt's voll. Spannender als wie ein Krimi.«
Wir stießen an. Ich mit Kreuzberger Klosterbier. Er mit Mineralwasser.
Glauben und genießen. Wir machten Arbeitsteilung. Ich genoss .
Ich blickte mich um.
»Ob wohl schon Leute vom Seminar da sind?«
Philipp blickte sich um.
Am Parkplatz hatte ich vier Busse gesehen.
Ich tippte auf Japaner.
Sah keinen einzigen.
Die Geräusche waren fränkisch. Urfränkisch.
So sprach man am Ende der Welt.
Die Leute sahen aus wie gläubige Genießer. Hielten ihre Maßkrüge wie eine Monstranz, zogen das flüssige Brot in sich hinein wie Allgäuer Kälber frisches Wasser. Schoben Kartoffelknödel, Schweinsbraten, Schweinshaxen, dampfendes Blaukraut in sich hinein.
Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist.
Abendmahl auf Fränkisch.
»Schauen nicht gerade aus wie theologische Seminarteilnehmer«, sagte ich.
Philipp sagte: »Wahrscheinlich sind die noch am Anreisen.«
»Oder in der Kirche. Vorwärmen.«
»Vorwärmen?«
»Ja, bevor man zum Beispiel aufs Oktoberfest geht, kippt man sich noch ein paar Stamperl rein . damit man es besser aushält. Nüchtern überlebt man das nicht.«
Philipp schien nicht zu verstehen. Ich erklärte: »Bevor man ins theologische Seminar geht, gehen manche vielleicht in die Kirche. Sich einen Rosenkranz oder zwei reinziehen.«
»Meinst du fokussieren, konzentrieren, mentalisieren, spiritualisieren .?«
»Ja, irgendwie in Stimmung kommen.«
»So wie wir?«
»Ja, jeder auf seine Weise. Suum cuique.«
Philipp schaute leicht angepisst, sagte: »Ich weiß, dass du mal Abitur gemacht hast . großes Latinum und so.«
Ich sagte: »Keine Sorge. Mein Latinum hat sich bereits in Alkohol aufgelöst. Ich hab mir ein Buch gekauft: >Latein für Angeber<. Da lass ich ab und zu einen Spruch raus. Bin ich meinem Ruf schuldig. Also, du wirst es dann gleich um vierzehn Uhr erleben, wie sich die Teilnehmer in Stimmung gebracht haben. Die aus der Kirche riechen nach Weihrauch, die aus der Schenke nach Bier . und du nach Mineralwasser!«
»Mineralwasser ist geruchsfrei. Da kriegt man keine Fahne davon.«
»Wodka auch. Darum führen alle Alkis eine eiserne Ration Wodka mit sich. Erste Hilfe, wenn die Ernüchterung droht .«
Er sagte: »Hauptsache, sie schweißeln nicht.«
»Bei der Hitze kann das leicht passieren.«
Philipp, ganz der perfekte Geburtstagsgastgeber: »Kann ich dir noch eine Maß bringen?«
»Ja, gern, dann lohnt sich das Pinkeln mehr. Wenn das so weitergeht, hab ich jeden Monat ein Mal Geburtstag.«
Philipp verschwand in Richtung Schenke.
Ich fing an, mich wie neugeboren zu fühlen. War selig.
Blickte in die Weite: das Land der Franken mit der Seele finden.
Die Rhön.
Feuerberg.
Dreistelz.
Auersberg.
Wildflecken.
Rhön-Kaserne.
Truppenübungsplatz.
Ruine Ebersburg.
Wasserkuppe.
Schreckte auf: »Ist hier noch a Plätzla frai für uns zwa?«
Zwei Damen mittleren Alters standen vor mir. Eine im Dirndl, die andere im luftigen Sommerkleid.
Ich wurde gleich noch ein Stück neugeborener. Sagte: »Aber freilig, hockts eich her, wir rutschen a bissle zamm, dann ham mir alle Platz.«
Das Gesicht der Dirndl-Dame erstrahlte. Spirituell. Eine Seminarteilnehmerin?
»Dann hock ich mich gleich neben Sie!«
Ich rutschte.
»Gern!«
Ihre Freundin pflanzte sich gegenüber auf Philipps Platz.
Meine neue Nachbarin sagte, immer noch Glanz im Auge: »Aber gell, Sie sind nicht von hier?«
»Noi. I leb itta im Kloster. Schau ich so aus?«
Sie lachte.
»Wo kommet Se denn her?«
Ich lachte, sagte: »Genau da, wo Sie auch herkommen!«
»Nein!«
»Doch. Ausm Allgäu. Oberallgäu!«
»Jetzt widersprechen S' mir halt nicht dauernd. Glauben und genießen . I bin nämlich aus Tal am See!«
»Noi . i au . am See. Auf der anderen Seite, in Moosburg. Da wohn i.«
»Dann sind wir ja quasi Nachbarn!«
Ihre Freundin saß mit offenem Mund gegenüber.
Ich deutete auf Philipp.
Er trug den vollen Maßkrug vor sich her.
Ich sagte: »Da kommt mein Begleiter mit Verstärkung. Der ist nicht ausm Allgäu. Aber doch ganz nett.«
Die neben mir fragte: »Ihr Enkel?«
Ich zuckte. Hatte sie ihre Brille vergessen?
Sagte: »Mein Bruder! Aus Franken!«
Die gegenüber kriegte ihren Kiefer wieder ein, strahlte: »Allmächt! Aus Franken? Ich bin nämlich auch aus Franken!«
Sie machte Platz für Philipp.
Der setzte sein Fürther Detektiv-Pokerface auf, nickte. »Grüß Gott!«
Seine Nachbarin rückte ihm etwas näher auf die Pelle, sagte: »Aus Frangn kumma Sie? Ich nämlich auch. Woher denn genau?«
Philipp wurde gesprächig, meinte: »Fürth . und Sie?«
»Ganz in der Nähe. Heroldsbach.«
»Heroldsbach . bei Forchheim? Ist das nicht so eine Art Pilgerort?«
»Ja, da ist nach dem Krieg die Maria erschienen . und dann noch ein paarmal. Und bis heute kommen noch ganz viele Pilger hin.«
»Interessant . Und was führt Sie zum heiligen Kreuzberg?«
Die zwei schauten etwas verklemmt, die Allgäuerin sagte: »Mehr beruflich.«
Ende der Durchsage.
»Und ihr beide?«
Sie meinten Philipp und mich.
Ich sagte: »Hochzeitsreise!«
Sie schauten entgeistert.
»Vor zwei Jahr wurde doch das Familienrecht geändert. Ehe für alle. Die Schwulenehe. Und da ham wir geheiratet und feiern heute den zweiten Hochzeitstag. Mein Mann und ich. Gell, Philipp?«
Philipp wurde rot, keine Ahnung, ob aus Verlegenheit oder Zorn, machte kurz den Scheibenwischer vor den Augen zu mir hin, nickte.
»Ach, wie romantisch«, sagte die Heroldsbacherin.
Ich trank meine Maß aus.
Philipp sagte: »Wir müssen jetzt gehen, wir haben noch einen wichtigen Termin.«
»Oh .«
Ich sagte: »Ja, ich hab auch einen wichtigen Termin.« Deutete auf das Bier. »Das treibt. Entwässerung .!«
Wir winkten im Gehen: »Schönen Tag no!«
Sie winkten zurück.
Philipp schnauzte mich an: »Was soll denn die schwule Geschichte?«
Ich sagte: »Frauen stehen auf Schwule. Verstehst? Just in case .«
»Versteh ich nicht.«
»Ist auch nicht nötig. Ich muss jetzt aufs Klo. Brunzen. Sonst derreißt's mich.«
»Das versteh ich! Ich auch .«
Ich steuerte direkt auf die Toiletten zu, Philipp mit seiner Mineralwasserblase hinterher.
Ich kehrte zurück, um gefühlte Hektoliter erleichtert.
Philipp wartete schon, in einen Informationszettel vertieft.
Begeistert sagte ich zu ihm: »Hast gemerkt: Hier ist sogar das Klo spirituell!«
»Wieso?«
»Erstens haben sie hier noch ein Pissoir für Stehpinkler. Die sterben ja sowieso langsam aus. Das Matriarchat macht alle Männer von Kindheit an zu Mädchen. Pinkeln im Sitzen. Saubere Kastration . reiner Penisneid.«
Interessierte ihn anscheinend nicht. Er sagte: »Und zweitens?«
»Die Pinkelbecken haben eine Zielhilfe: eine Kerze. Dezent grau. Auch wenn man sie trifft, verlöscht sie nicht. Eine Art ewiges Licht, in Stein gebrannt. Eine Wucht!«
»Hab ich gar nicht gesehen.«
»Wo schaust du denn hin, wenn du pinkelst?«
»Aus dem Fenster hinaus.«
»Und wenn kein Fenster da ist?«
»In mich hinein. Einsicht nennt man das.«
»Und was für eine Einsicht hast du gehabt?«
»Dass wir uns jetzt die Klosteranlage anschauen, bevor das Seminar losgeht.«
Ich dachte: Scheiß auf die Klosteranlage, ein Königreich für einen Mittagschlaf. Sagte: »Wir können ja mit dem Klosterladen anfangen.«
Der Klosterladen war direkt hinter uns. Ebenerdig.
Philipp meinte: »Der Klosterladen läuft uns nicht weg. Wir sollten uns einen Überblick...
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