Schweitzer Fachinformationen
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Im November 2021 sprang ich spontan ein, um die Eröffnungs-Keynote am Divörsity-Kongress2 zu halten. "Es ist nicht die stärkste Spezies, die überlebt, auch nicht die intelligenteste, sondern diejenige, die am besten auf Veränderungen reagiert"3, mit diesem Zitat begann ich meine Rede. Während ich im Vorfeld über meinen Notizen dafür saß, kam mir mit großer Dringlichkeit in den Sinn, dass das Tolerieren von Unterschieden, das Aushalten von Vielfalt und Veränderungen eine Kompetenz ist, die wir nicht genug kultivieren.
Ja, eine Vielfalt an Zuständen! Inmitten der Krisen und Katastrophen, die es in einer Gleichzeitigkeit zu behandeln gilt, sind wir konfrontiert mit Fragen, wenn nicht sogar einer Sehnsucht nach Handlungsanleitung, Verantwortung, Beurteilung, Kapitulation, Erfolg. Nur, wohin führen uns diese Ansprüche?
"Ich halte das alles nicht mehr aus! Ich sag dir eines, die Welt steht nimmer lang!" Wie oft hören wir in letzter Zeit diese Sätze oder lesen sie auf Social Media? Sie sind schnell dahingesagt und klingen in meinen Ohren auch eher harmlos, weil ich sie schon als Kind von meiner Großmutter oft zu hören bekam. Aber gerade weil ich mit der Aussage nicht erst kürzlich konfrontiert wurde, hat sie für mich den Anschein, alt zu sein, vielleicht sogar so alt wie das zivilisierte Zusammenleben der Menschen selbst.
Wann benutzen wir diese Sätze? Dann, wenn wir uns ohnmächtig fühlen, den Umständen gegenüber, der Veränderung. Wenn die Welt, wie wir sie kennen, sich in einer enormen Geschwindigkeit in eine neue Richtung dreht und wir nicht mehr hinterherkommen. Wenn wir mit Dingen konfrontiert sind, die uns das Leben schwermachen, die uns stören und belasten. Die Erde dreht sich weiter, die Welt verändert sich, ob wir wollen oder nicht. Jetzt geht es um Anpassung, an neue klimatische, wirtschaftliche und soziale Verhältnisse. Und diese werden sich nicht zwingend zum Besseren wenden.
Können wir uns auf diese Schwierigkeiten besser vorbereiten? Ich versuche mit diesem Buch die These: ja, durch Aushalten. Können wir das Aushalten als Kompetenz trainieren oder kultivieren? Davon bin ich prinzipiell überzeugt. Die Frage, ob das schon in der Kindheit passieren muss oder ob diese Kompetenz zu jedem Lebenszeitpunkt erlernbar ist, macht mich neugierig.
Ich halte mich für einen grundsätzlich offenen Menschen, was bedeutet, dass ich vieles toleriere, das anders ist. Ich bin weltoffen und auch ein Stück weit naiv, ich glaube grundsätzlich an das Gute in den Menschen. Für mich ist das Aushalten im Grunde sehr positiv. Der Zustand, den mensch nicht dulden, ertragen oder überwinden kann, wird zwar eher negativ empfunden (weg von), aber das Aushalten stellt sich als Wunsch, als Ziel, als Lösung dar. Nämlich als Wunsch, etwas auszuhalten, bis es sich ins Positive geändert hat. Als Ziel, ebendiese positive Situation zu erreichen. Oder die aktuelle Situation auszuhalten, bis es eine Lösung gibt. Und das ist ein Hin-zu, weil es dem Aushalten auch einen Sinn gibt. So gebrauche ich Aushalten auch persönlich - als Wunsch nach einer Lösungsfindung.
Ich selbst drücke die zuvor genannte Ohnmacht oder Hilflosigkeit eher durch die (meist rhetorische) Frage "Wie soll ich das bitte aushalten?" aus, wenn ich einen Ausweg brauche. Diese Frage interpretiere ich als Wunsch nach einer Idee, wie ich mit etwas umgehen soll oder kann, also als eine sehr konstruktive und daher positive Haltung. Natürlich muss ich zugeben, dass vor allem im Raum Wien, wo der Grant immer im Subtext steht, sich dieser Wunsch nach Lösungsfindung eher wie ein Vorwurf anhört und daher hier negativ konnotiert ist. Aber die Philologin in mir neigt zur Überzeugung, dass Aushalten beides sein darf, sowohl positiv als auch negativ, und ich entscheide mich immer für die positive Bedeutung.
Ich bin über die sprachwissenschaftliche These gestolpert, dass die Wurzel des Wortes "halten" mit der von "hüten" zu tun hat. Vieh halten, Vieh hüten. Behalten, behüten. "Halten" eröffnet bei genauerer Überlegung mich völlig faszinierende Möglichkeiten, was alles gehalten werden kann, bzw. mit welcher Konnotation. Stehen bleiben, parieren: eine körperliche Entscheidung, sich nicht mehr zu bewegen, zu bremsen, oder aber die Bewegung eines anderen (Objekts) abzubremsen, zum Beispiel den Ball, bevor er ins Tor gelangt. Halten als aufhalten oder tragen, mit den Händen, ist eine aktive Handlung, bei der ich entscheide, etwas physisch anzugreifen. Die Hand von jemandem, eine Taschenlampe oder eine Einkaufstasche halten. Im Vergleich dazu: eine Rede halten - dynamisch meinen Mund und meine Sprache gebrauchen, während eine Tasche halten eine statische Aktivität ist. Ich lege diese unterschiedlichen Dynamiken auf das Aushalten um und verstehe Aushalten sowohl als Prozess als auch als Zustand. Das sind nur meine Assoziationen, aber sie zeigen, was für ein weites Feld das Wort aushalten aufmacht.
Der Duden (Duden.de) bietet 584 Synonyme für das Wort aushalten an. Die beliebtesten sind unter anderem: tragen, abhalten, bewältigen, sich fügen, hinnehmen, übernehmen, ertragen, vertragen, sich ergeben, durchhalten, verkraften, abkönnen, einstecken, stützen, bestehen, überstehen, durchmachen, dulden, ausstehen, standhalten, erleiden, leiden, mitmachen, sich schicken, sich behaupten, durchstehen, verschmerzen, verwinden, verdauen, aufkommen für, auffangen, überleben, erdulden, tapfer bleiben, versorgen, anhalten, fertig werden mit, tolerieren, auf sich nehmen, über sich ergehen lassen, schlucken, nicht nachgeben, nicht aufgeben, schmachten, unterhalten, sponsern, widerstehen, bleiben, ausharren, sich widersetzen.
Dulden klingt nicht nach Erfolgskompetenz. Haltung hingegen schon eher. Aushalten und Haltung haben den gleichen Wortkern, auch in vielen anderen Sprachen als Deutsch. Sie haben etwas mit Stand, Standfestigkeit zu tun, also eine geistige Fähigkeit, die als körperliche Metapher funktioniert. Die Beine stehen fest, durch Muskelkraft - vielleicht sogar durch Wurzeln gefestigt -, und erlangen durch Training, durch mehr Belastung oder Nutzung noch mehr Kraft.
Nach diesem Ausflug in die Semantik halten wir fest: Aushalten ist offenbar ambigue, also zwei- oder mehrdeutig. Besonders spannend ist es in Verbindung mit Aussicht auf Wandel, auf Veränderung - und diesem Spannungsfeld widme ich dieses Buch. Denn ich bin der Meinung, dass wir Menschen uns gerade mitten in einer Zeitenwende befinden, mit noch nicht absehbaren positiven sowie selbstverständlich auch negativen Auswirkungen für uns Menschen. Und wenn ich eines aus der Geschichte der Menschheit und aus meinem eigenen kurzen Leben gelernt habe, dann ist es Selbstverantwortung als höchste Prämisse. Ich möchte mich vorbereiten auf das, was kommt, ich möchte die Gegenwart besser aushalten können, damit ich die Zukunft, sofern sie mir streng entgegenschlägt, noch besser aushalten kann.
Mich beschäftigt das Thema Aushalten daher sehr und ich möchte mit diesem Buch zum Dialog einladen. Denn ich weiß nicht mehr als du, lieber Leser und liebe Leserin. Was ich mir aber wünsche: einen breiten Diskurs über das Aushalten.
Dieses Buch ist also kein Handbuch, auch keine Anleitung. Dieses Buch ist eine Lernreise. Zum gemeinsamen Lernen voneinander. Darüber, was gut funktioniert und nachahmbar ist, und darüber, was keine:r weiß oder kann und wie Expert:innen glauben, uns darauf vorbereiten zu können.
Ich denke grundsätzlich optimistisch und zuversichtlich, während ich am Boden der Realität stehe. Ich weiß, dass viele Menschen (noch) nicht aus diesem Holz geschnitzt sind. Speziell für jene Menschen ist diese Lernreise gedacht, damit wir uns gegenseitig Mut machen und zum Kulturwandel motivieren. Meine Sicht auf das Thema Aushalten fließt in diesem Buch zusammen mit dem Blickwinkel und den Erfahrungen von 17 Personen, die ich interviewt habe. All diese Gedanken sollen Perspektiven anbieten sowie zur Debatte und Diskussion anregen - darüber, wie und was eine Gruppe, eine Organisation, eine Gesellschaft gemeinsam aushalten kann und soll.
Auch will ich dir durch die unterschiedlichen Interpretationen die Basis dafür bieten, dass du dich mit deinen eigenen Mustern des Aushaltens und deinem persönlichen Umgang mit der Gegenwart und der nahen Zukunft auseinandersetzen kannst. Dieses Buch ist somit eine Einladung zum Dialog an dich, liebe:r Leser:in.
Alle reden vom Wandel, von der Transformation. Die Veränderung ist allgegenwärtig. Ein oft bemühtes Zitat ist: "Die einzige Konstante im Leben ist die Veränderung." Es wird entweder Heraklit oder Buddha zugeordnet.
Wenn ich auf das menschliche Leben schaue, auf mein eigenes, auf das meiner Kinder, kann ich das nur bestätigen. Nichts ist heute so, wie es gestern war. Jede Person, die Kinder hat oder kennt, weiß das; bei der Entwicklung von Kindern nehmen wir Veränderung als gegeben wahr und an. Die Kindheit, die Pubertät, das Erwachsenwerden, das Altern wird als Veränderungsprozess wahrgenommen, das können wir bei uns selbst gut beobachten. Tatsächlich ist das biologische Leben der beste Beweis dafür, dass die Veränderung der einzig mögliche Weg ist, sich dem irdischen Leben zu stellen und auf diesem Planeten zu überleben. Aber Veränderung ist immer Arbeit, sie verlangt immer eine Anpassungsleistung. Sie ist anstrengend, teilweise überfordernd, bestimmt auch manchmal lustvoll, aber in jedem Fall meistens eine...
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