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"Tummas Pól", entfuhr es Maria. "Ja, wer kennt ihn nicht? Ich persönlich habe viele Jahre lang mit ihm zusammen an unserer Schule gearbeitet. Und früher haben wir ihn selbst als Lehrer gehabt. Er ist schon ein spezieller Typ. Heute sind wir keine Arbeitskollegen mehr, deshalb kann ich über ihn auch sagen, was ich denke. Du bist hoffentlich nicht mit ihm verwandt?"
Sie lachten alle. Auch der Hotelchef grinste über das ganze Gesicht, als er ihnen versicherte, dass sie seinetwegen kein Blatt vor den Mund zu nehmen brauchten und über dieses alte Original aus Gjógvará reden konnten, wie sie wollten. Er selbst käme aus Eystureiði und hätte keine besonders engen Verwandtschaftsbeziehungen zu diesem Ort. Aber Tummas Pól Hansen, den würden alle kennen. Man sage, dass er eigen sei, aber auch sehr interessant. Er würde jedes Schaf auf der Weide und jedes einzelne Vogelnest im ganzen Tal kennen. Er sei sehr belesen und würde zu den besten Historikern weit und breit zählen. Außerdem sei er humorvoll und offenherzig wie kaum ein anderer. Solange Tummas Pól selbst erzählen oder den Leuten etwas beibringen könne, sei alles in bester Ordnung. Einstecken könne er dagegen nicht. Erst vor kurzem hätte er nach einem verbalen Schlagabtausch mit einem Fremden Zuflucht im Hotel suchen müssen. Aber meistens sei Tummas Pól gut gelaunt, alltägliche Wortgefechte mit Laien perlten schnell von ihm ab. Gelegentlich begleite er Touristen auf deren Wanderungen, aber nicht alle könnten es ertragen, über jede Blume auf dem Feld oder jeden Vogel in der Luft einen Vortrag gehalten zu bekommen. Sollten die Damen selbst einen größeren Ausflug machen wollen, wie zum Beispiel ins Lambadalur, brauchten sie den alten Lehrer nur zu bitten, sie zu begleiten. Dieser Mann eigne sich hervorragend für eine solche Tour.
Sie sahen einander an. Sie hatten ohnehin in Erwägung gezogen, eine gemeinsame Wanderung zu unternehmen, sofern es das Wetter zuließe. Das Hochdruckgebiet, das die Wolkendecke über ihrem kleinen Inselstaat auf 62 Grad Nord aufgerissen hatte, würde sich vorläufig nicht verziehen. Auch morgen würden sie bei Sonnenschein aufwachen. Da bot es sich förmlich an, hinaus in die Natur zu gehen, die sich zu dieser Jahreszeit von einer ihrer prachtvollsten Seiten präsentierte. Als Reiseleiter wäre Tummas Pól vielleicht ein ganz anderer, als damals als Lehrer. Mittlerweile war es auch viele Jahre her, dass sie zur Schule gegangen und von diesem Mann, der stets Polyesterhosen trug und seine braune Ledertasche dabei hatte, getriezt worden waren.
Auf ihrem Weg hinunter zum Wochenendhaus warfen sie einen Blick auf das Anwesen "undir Trøð", das Tummas Pól gehörte. Sein Auto stand auf dem Hof, und die Tür zu seinem Trockenschuppen war einen Spalt breit geöffnet. Er würde zweifellos zu Hause sein. Vielleicht sollten sie direkt hinübergehen und ihn fragen, ob er sie morgen nicht begleiten könne. Oder war es schon zu spät, um einen älteren Mann zu stören?
"Ich bin kurz vorm Platzen. Ich gehe nirgendwo hin, ohne erst die Toilette aufgesucht zu haben", sagte Jórun, die stark bezweifelte, dass es tatsächlich eine gute Idee sei, diesen unbeliebten, pensionierten Lehrer einen Teil ihres Ausflugs werden zu lassen.
"Vielleicht können wir klarer denken, wenn wir uns noch ein Glas Rotwein genehmigen. Dabei könnten wir gemeinsam herausfinden, was denn nun das Beste ist. Wir sollten jedenfalls alle von diesem Vorschlag überzeugt sein. Ist es nicht so?" Es war Ronja, die für alle fragte und antwortete.
DIE BESTIE MOCHTE um die 90 Kilo wiegen. Ein kolossales Todesgewicht für eine Masse aus Fleisch, Muskeln, Blut und Speck. Aber die schwerste Arbeit war getan. Der alte Mann konnte nicht mehr. Die Schlinge saß fest um seinen Hals. Er hatte um sein Leben gekämpft und um sich geschlagen. Aber was vermochte ein breites Lehrermaul gegen große, starke Seemannshände schon ausrichten? Oder gegen den muskulösen Arm eines Mannes, der weiß, wie man dem Feind die Faust in den Bauch rammt?
Er blickte zwischen den Latten des Schuppens hindurch nach draußen. Wer waren diese Frauen, die dort am Bach gestanden, sich umgeschaut und hier auf dieses Grundstück gezeigt hatten? Fein herausgeputzt, lachend und mit den Armen schwenkend. Und nach einem gelungenen Abend im Hotel offensichtlich nicht ganz nüchtern. Aber nein, zu so später Stunde würden sie wohl kaum vorhaben, auch hier noch einen Halt einzulegen. Dazu hätten sie schon in die entgegengesetzte Richtung gehen müssen. Und erneut den Hang hinauf. Aber je nachdem, welche Wirkung der Alkohol zeigte, könnten sie auf die unmöglichsten Ideen kommen. Weiber in angetrunkenem Zustand konnten verdammt behämmert sein. Das hatte er alles schon erlebt. Es war jedenfalls angebracht, auf der Hut zu sein. Und rechtzeitig die Flucht zu ergreifen, falls die Bande doch hier aufkreuzen sollte. Er konnte sich nicht wirklich sicher fühlen. Auf den Färöer-Inseln hatten nicht einmal mehr Einzelgänger ihre Ruhe.
Aber jetzt musste er sich auf den Treibstoff konzentrieren. Er hielt es für das Beste, sämtliche Spuren zu beseitigen und das Haus kurz nach Mitternacht in Flammen aufgehen zu lassen. Er war gezwungen, die Geduld zu bewahren und noch etwa eine Stunde am Tatort zu bleiben. Es war gut, einen Plan zu haben. Es sei besser, vorausschauend zu denken, als hinterher gut reden zu haben. So hatte sein Vater immer gesagt. Niemand würde nach ihm fragen. In den nächsten Stunden durfte er unter keinen Umständen jemandem begegnen. Ferner musste er es hinbekommen, später weder nach Rauch zu stinken noch sich durch Auffälligkeiten an seiner Kleidung, die auf den Toten hinweisen könnten, verdächtig zu machen. Aber auch das hatte er detailliert geplant. Sollte er im Schuppen bleiben oder ins Haus gehen, um den richtigen Moment abzupassen? Die Holzkiste, in der sich der gesalzene Speck befand, bot ihm eine gute Sitzgelegenheit. Hier konnte er alles hören und überblicken. Vorsichtig zog er die Tür zu. Aber was war das?
TUMMAS PÓL WAR das Gesprächsthema Nummer eins. Auch, als sie auf dem Hof standen und die Abendsonne genossen. Diese sandte ihre letzten Strahlen auf die Menschen und Tiere dieses hübschen Bauerndorfes, in dem noch niemand ahnte, was in den kommenden Tagen auf sie zukommen würde. Auf den Schattenflächen, die sich zwischen den Häusern ausbreiteten, wurde die Luft langsam kühler. Anita begann, ungeduldig zu werden und sich mit verschränkten Armen ihre bloße Haut zu reiben. Sie drängte darauf hineinzugehen, und so stiegen sie eine nach der anderen die Steintreppe hinauf und saßen bald wieder im warmen Wohnzimmer. Aber es kam ihnen vor, als würde Tummas Pól sie verfolgen und nicht mehr loslassen. Der seinem Arbeitgeber gegenüber stets aufopferungsvolle Beamte wurde in der nächsten Stunde gedreht und gewendet, was das Zeug hielt.
"Ich habe nichts übrig für diesen Mann. Er ist ein elendes Überbleibsel eines konservativen Schulsystems, bei dem es erlaubt war, Kinder zu erniedrigen. Schon als ich in die 6. Klasse ging, hatte ich für mich entschieden, dass ich mit diesem selbstzentrierten, vertrockneten Typen nichts zu tun haben wollte. Und das habe ich bis heute nicht vergessen."
Damit hatte Jórun dem zweifelhaften Plan, Tummas Pól als Wanderführer für ihre Tour ins Lambadalur zu engagieren, einen ersten Dämpfer verpasst. Sie schaute die anderen aufgebracht an. Es war kaum zu übersehen, dass sie nicht nur gute Erinnerungen an ihre Schulzeit hatte. Und so fuhr sie fort:
"Wir bekamen Tummas Pól als Lehrer, als seine allerschlimmste Zeit schon vorbei war. Wäre es damals nicht schon verboten gewesen, uns zu schlagen, dann hätte er es getan. Glaubt mir! Die Jahrgänge vor uns haben ihn noch von einer viel härteren Seite erlebt. Und es war klar erkennbar, dass er seine Schüler alles andere als gleich behandelt hat. Jungen hatten es bei ihm viel leichter als Mädchen."
"Ja, da bin ich ganz deiner Meinung", sagte Anita. "Dieser Mann ist mit Vorsicht zu genießen. Und er ist total von sich selbst überzeugt. Schon möglich, dass er als Lehrer auch seine Stärken hatte. Er konnte interessant sein, ja, und wir nahmen aus seinen Stunden einiges mit. Aber er wirkte immer so kalt und lieblos. Man kann wirklich nicht sagen, dass er zu seinen Schülern nett gewesen wäre."
Maria saß da, hörte zu und wollte auch ihre Meinung kundtun. Aber sie musste sich ihre Worte sorgfältig überlegen. Für sie war es fraglich, inwieweit sie das Recht hätte, ihren alten Arbeitskollegen so kurz nach dessen Pensionierung im Strickclub bloßzustellen. Im Grunde brauchte sie jedoch kein schlechtes Gewissen zu haben, denn umgekehrt verschonte Tummas Pól auch niemanden. Sein loses Mundwerk richtete sich gegen alles und jeden. Angriff sei die beste Verteidigung, pflegte er zu antworten, wenn jüngere Kollegen es wagten, seine erniedrigende Art und zeitweise auch seine intellektuelle Kriegsführung zu kritisieren. Nur das kraftvolle Wort beinhalte das erforderliche Schießpulver, fügte er seiner Argumentation gerne noch provozierend hinzu. Maria erinnerte sich auch daran, wie ihr damaliger Jugendfreund Steinar eines Abends auf einer Autofahrt auf Tummas Pól angespielt und über ihn gespottet hatte. Demnach hätte der Lehrer, der den älteren Jahrgängen teilweise auch Sportunterricht erteilte, offenbar an einigen Jungen Interesse gezeigt und - wenn sie Steinar Glauben schenken durfte - unter der Dusche mehrfach einen Ständer bekommen.
"Ich glaube nicht, dass es ein Geheimnis ist, dass Tummas Pól schon sein ganzes Leben lang mit sich selbst und seiner Sexualität zu kämpfen hat. Ja, möglicherweise ist er schwul. Oder er hat Angst vor Frauen. Soweit ich weiß, hat er noch nie...
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