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Diesmal würde mir das nicht passieren. Ich war gewappnet. Ich überprüfte zum zwanzigsten Mal mit nervösen Fingern die Ohrstöpsel, doch mein Blut rauschte so laut, dass ich nichts hören und spüren konnte als mein keuchendes Herz, ängstlich, gespannt, aber auch gewillt, dem Spuk ein Ende zu bereiten, der Sache auf den verwirrenden Grund zu gehen. Ich war um einiges früher auf dem Weg als sonst, platzierte mich auf der Höhe der Stadtbahnstation und wartete. Fast hätte ich das Herannahen des dunklen Wagens verpasst, denn auch er war an diesem Tag früher dran. Aber ich hatte ihn erspäht, mein Gehör sicher abgedichtet, und nun trat ich auf die Straße, in den Weg, und winkte mit beiden Armen, damit er stehen blieb. Ein kurzer Angstmoment, aber er bremste rechtzeitig, lehnte sich mit bösem Gesicht aus dem Fenster. Ein dunkler Typ, rasierter Kopf, pockiges Gesicht. Beschwichtigend senkte ich die Arme, trat an die Fahrerseite und nahm vorsichtig die Stöpsel heraus. Aus seinem Autoradio tönte Musik, aber leiser heute, und ganz anders als am Vortag.
»Es tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe, aber ich muss dich was fragen.«
Er schüttelte den Kopf und begann zu grinsen, nicht gerade sympathisch.
»Das ist neu, jetzt fangen mich die Weiber schon auf der Straße ab!«
Mein erwidertes Lächeln war nur aufgesetzt, denn er war ein echter Kotzbrocken, unschwer zu erkennen.
»Von wem war die Musik, die du gestern und vorgestern hier im Auto laufen hattest?«
Sein Grinsen fiel ihm aus dem Gesicht.
»Was?!«
Eins hatte ich aus der Fieberzeit auf dem Krankenlager mit in die Gegenwart gebracht: Die Gewissheit, dass die Musik etwas mit meinen unglaublichen Erlebnissen zu tun hatte. Was ich gehört hatte, bevor mich der Schwindel übermannte, war laut, schnell und im nächsten Moment schon vorbei gewesen. Aber die wenigen Töne, die kurze Melodiefolge hatte offenbar gereicht, die Zeit kurz anzuhalten. Oder außer Kraft zu setzen. Und nun war ich den ganzen Vormittag aufgekratzt, wie frisch verliebt oder in Urlaubsstimmung. Der Name der Band und der Titel ihrer CD fuhren in meinem Kopf Karussell. Der Typ aus dem dunkelblauen Wagen hatte erst belämmert geschaut, dann gab er aber bereitwillig Auskunft über die finnische Heavy-Metal-Band Lumiukko, deren laute und harte Musik nur aus Celli und Schlagzeug bestand. Oder in den Worten des Pockigen:
»Kennst nicht? Voll geil, und voll im Geschäft! Die nehmen die echten Akustikcellos, halt solche wie im Orchester, wo die alten Herrschaften hingehn, und dann dreschen sie richtig drauf!«
Lumiukko war Finnisch für Schneemann, aber mit winterlichen Kinderspielen hatten die vier Finnen dem Anschein nach wenig am Hut. Der Typ hatte mir das CD-Cover gezeigt: bedrohliche schwarze Silhouetten vor dem Hintergrund eines lodernden Feuers in der Nacht, Funkenflug, und das alles unter dem Titel SLUSH FROM THE PAST, grob übersetzt: der Schneematsch der Vergangenheit.
Ich hatte nichts gegen Düsternis, ich war schließlich mit The Cure, The Cult, und The Sisters of Mercy aufgewachsen, mit schwarzen Klamotten, Schnallenstiefeln, Kreuzanhängern. Aber diese Typen gehörten wohl eher zur anderen Fraktion. Im Schleswig-Holstein der frühen neunziger Jahre, immer ein wenig der Zeit hinterher, konnte man Waver oder Metaller sein, die Grenzen waren klar gezogen. Schwarze Rüschen oder gebleichte Jeans und Lederkutte. Die einen hatten mit den anderen wenig bis gar nichts zu tun, und man tauschte mitleidige bis angewiderte Blicke. Metal klang zu sehr nach Torfrock und Werner, nach den Posen von Doro Pesch und der gestylten Lockenpracht dieses Schweden und seines Final Countdown. Schneematsch der Vergangenheit, was?
Meine Augen verfolgten ungeduldig die Zeiger der Uhr, bis der Feierabend nahte. Und als es endlich so weit war, ging ich schnurstracks zum Virgin Megastore auf der Mariahilfer Straße. Aber dieses überdimensionale Musikkaufhaus hatte nichts von Lumiukko. Ich buchstabierte den Bandnamen. Der Computer spuckte aus, dass man SLUSH FROM THE PAST bestellen konnte, das würde etwa zehn Tage dauern. Der Verkäufer überlegte sich, wie er mein enttäuschtes Gesicht wohl befrieden könnte:
»Um was für ein Genre handelt es sich denn? Vielleicht hat ja einer der Special-Interest-Kollegen die CD vorrätig?«
Kein Wiener, so viel war klar. Wie drückte der sich denn aus? Er sah eh eher aus, als gehörte er in eine Beraterbank, und hätte sich auf dem Weg zur Arbeit in der Tür geirrt.
»Heavy Metal?« Er nickte kenntnisreich. »Dann versuchen Sie es doch mal in der Johanngasse, das ist die zweite links, wenn sie von hier aus rechts in die Zieglergasse einbiegen. Ist ein Stückerl zu laufen, aber dort gibt es ein kleines Spezialgeschäft, in dem Sie fündig werden könnten.«
Ich bedankte mich, und folgte seinen Anweisungen. Stückerl? Doch ein Wiener? Wenn sie einen breiten Akzent hatten, die Worte verniedlichten, überhöflich waren und doch spüren ließen, dass sie die Arroganz von Monarchie und Selbstverliebtheit besaßen, dann liebte ich die Wiener. Es war, als tanzten sie Walzer im Gespräch. Wenn man sich in ihre Arme fallen ließ, glitt man beschwingt dahin. Der Wiener verstand es, eine Dame zu führen. Man musste nur loslassen, und eine sein. Ich kicherte noch selbst über meine Gedankenbilder, als ich schnellen Schritts bereits die Zieglergasse erreicht hatte. Ich orientierte mich, fand den vollgestopften Laden im Erdgeschoss eines alten Hauses, anstrichwürdig, viel zu schrille Glöckchen an der Tür. Der Besitzer war geradewegs einem Klischee entsprungen, lange Spaghettihaare, Lederkutte über dem schwarzen Motörhead T-Shirt, Schlange-windet-sich-um-Schwert-Tätowierung, viel zu großer Schnauzbart:
»Wir schließen's fei in zehn Minuten.«
Innerlicher Seufzer, süßes Lächeln:
»Ich suche eine CD von Lumiukko, haben sie so was?«
Es ratterte sichtlich in seinem Kopf, der als Computerersatz herhalten musste. Dann ging ihm ein Licht auf:
»Ah, das sind diese verrückten Finnen! Kein schlechter Sound.«
Er begann, in einer der vielen markierten CD-Kisten zu blättern, hob dann triumphierend die gleiche Scheibe hoch, die mir der Schmierige am Morgen gezeigt hatte. Ich nickte.
»Ist das die einzige Platte, die die Band bisher gemacht hat?«
Der Schnauzbart schüttelte den Kopf.
»Na, die erste war noch mehr minimal, net mal Schlagzeug, bloß die Celli. Überlegen. ich glaub die hieß irgendwas mit Winter. Aber die hier hat mehr Schmäh!«
Nickend bezahlte ich die CD und wünschte ihm einen schönen Feierabend. Sein enthusiastisches Grinsen ließ unfreiwillig Filme in meinem Kopf ablaufen: Endlich frei. Ab auf die Harley und heim in den eigenen Folterkeller, wo drei leichtbekleidete Motorradbräute sich schon in Ketten für ihn auf der Streckbank räkelten. Schluss jetzt!
Eigentlich wollte ich meinen Schatz heimtragen, in der Sicherheit der eigenen Wohnung Track für Track anhören, den Finger auf der Pausentaste, so dass ich eventuell den Moment einfrieren könnte, wenn der Schwindel käme. Aber nun, mit der kleinen, alltäglichen Silberscheibe in der Hand, schlich sich trotz der lauen Abendluft eine Gänsehaut über meinen Körper, und es war nicht Angst, sondern vielmehr ein unbestimmbares Grauen, das mich einspann und festhielt. Ich musste dringend etwas Schönes, Helles, Besänftigendes tun, um die Härchen an meinem Körper wieder anzulegen. Wie weit war es von hier ins Hawelka? U-Bahn Zieglergasse, und ab in den Kokon der Zeitungsleser und Kaffeetrinker. Das Herz und die Haut beruhigten sich, und bei einem Marillenknödel mit Schokosauce und einem großen Braunen fiel mir auf einmal Henry ein.
Henry. Uni Hamburg, endlich der Zauber, die Freiheit der Großstadt. Mein Horizont als Studentin Luise hatte zunächst eher kleine, vorsichtige Kreise gezogen, bis ich mich schließlich sehr zuhause und sehr wohl fühlte. Ein Mädchen aus dem kleinen Rendsburg zwischen Kiel und Husum war der großen Stadt nicht auf Anhieb gewachsen. Die Universität, der Fachbereich, die Fachschaft waren meine Anker, der Radius eingeschränkt, oft pragmatisch aufs Wesentliche konzentriert. Dann hatte ich das passende Nachtleben gesucht und gefunden, mich an Electro und Industrial gewöhnt, immer mehr Gefallen gefunden an der großen Kühlen und ihrer Backsteinsilhouette am Wasser. Henry war ein zerzauster Verrückter, der seine Zeit mit Wikingerrollenspielen auf dem Brett und im Internet verbrachte, und er wurde der sprichwörtliche beste Freund, den jede Frau braucht. Wir hatten mal gemeinsam ein Referat über Schiffsdarstellungen in der frühmittelalterlichen Kunst halten müssen, zugeteilt von Professor Teufel, und waren seither die engsten Vertrauten. Und diese Nähe war geblieben, auch als wir alle uns in die sprichwörtlichen Winde zerstreuten. Henry und ich telefonierten regelmäßig oder kommunizierten per E-Mail.
Wenn es...
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