Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Der 18-jährige Sibbe setzt sich in seinen Bulli und fährt los, um sein Leben als Punk auf dem Dorf hinter sich zu lassen. Auf seiner Fahrt lässt er die letzten Jahre Revue passieren. Er blickt zurück auf die Anfänge, als Punk ein Mittel gegen die Tristesse der Provinz wird, auf die Konflikte mit Eltern und Großeltern, aber auch auf seine erste Liebe und den damit verbundenen ersten großen Kummer.Und während Sibbe sich an Exzesse, Frustrationen, Freundschaften und eskalierende Demos erinnert, läuft sein Aufbruch in ein neues Leben auch anders, als er sich das so gedacht hat .
"Provinzrebellen" ist eine leidenschaftliche Ode an die Punk- und Independent-Subkultur kurz vor der Jahrtausendwende und zugleich ein authentischer, zeitloser Coming-Of-Age-Roman über die endlose Suche nach einem Platz in einer konservativen, verstaubten Gesellschaft.
Der Bulli, den ich mir nach bestandener Führerscheinprüfung von meinen Eltern hatte finanzieren lassen, ist mit allem beladen, was man fürs Erste benötigt, um einen Neustart in der Ferne zu wagen.
Ein Haufen alter T-Shirts von Bands, die ich verehre oder irgendwann mal verehrt habe: Ärzte, WIZO, Toxoplasma, Slime, But Alive und so weiter. Jeder mit einem Fünkchen Ahnung bemerkt gleich die Ambivalenz und dass sich mein Musikgeschmack in den letzten Jahren verändert hat. Vielleicht ist er auch einfach nur gereift.
Ein paar Hosen, ein Schottenrock, drei Hoodies. Einen Zehnerpack Unterhosen und ein Zehnerpack Socken hat meine Mutter in der Woche vor meiner Abfahrt bei Tschibo besorgt. Meine Lederjacke, Fliegermantel für kalte Nächte, meine Knobelbecher. Das Nötigste an Werkzeug, zusammengestellt von meinem Vater, ein Multitool und ein Schweizer Taschenmesser. Im Handschuhfach liegt der Kurzschlussstecker, man weiß nie, wann man ihn gebrauchen kann.
Die Gasflasche für den Campingkocher ist noch gut gefüllt, das Bett ausgeklappt und ordentlich gemacht, wahrscheinlich zum letzten Mal. Ich halte Bettenmachen für die unnötigste Arbeit der Welt.
Der Kühlschrank ist, dank meiner Mom, gut bestückt mit Käse, Äpfeln, Kiwis und Bananen. In einer Plastikdose vier hartgekochte Eier von glücklichen Hühnern. Sie lernt es nie, denke ich und muss doch schmunzeln.
Ich umarme meine Geschwister und meine Mama, und als mir mein Vater ein dickes Elektrokabel überreicht, sehen seine Augen seltsam feucht aus. Das Kabel hat er mir extra zum Schlagstock umgebaut. Zu Selbstverteidigungszwecken, wie er meint. Schließlich würde ich ja vorerst im Bus schlafen und wer weiß schon, welchen Gefahren man sich in einer Großstadt ausgesetzt sieht. Das obere Ende des Knüppels ist mit Isolierband verklebt.
"Damit sich niemand an den Kabelenden verletzt", erklärt er, und seine Augen füllen sich mit Tränen.
"Danke, Papa", sage ich und nehme die Waffe, ehrlich ein bisschen gerührt, entgegen. Das Teil ist etwa 40 Zentimeter lang und dreieinhalb Zentimeter dick. Es liegt mir schwer in der Hand und ich packe es unter den Beifahrersitz. Wenn ich mit diesem Prügel irgendwann mal zuschlagen muss, denke ich, sind die Enden des blanken Kupferkabels das geringste Problem meines Gegenübers.
Jetzt umarmt auch er mich, mit seinen starken Malocherarmen, als wolle er mir noch schnell das Rückgrat zerlegen, und dann brechen bei ihm alle Dämme. "Mach's gut, mein Junge", schluchzt er wie ein kleiner Schlosshund.
"Ach, Papa, mach's uns doch nicht unnötig schwer. Ich komm ja zu Besuch." Ich bin es einfach nicht gewohnt, meinen Vater so sentimental zu sehen.
"Ich weiß, es ist ja nur .", er stockt kurz und gibt mich aus der Umklammerung frei, "das ging jetzt alles so schnell."
"Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Hast du doch selber immer gesagt", versuche ich ihn zu beruhigen.
Auf der anderen Straßenseite steht unsere Nachbarin, Frau Esser, vor ihrer Haustür, mit ihrem brachialen Hintern an ihre Gehhilfen gelehnt. Wie immer, wenn es nicht gerade in Strömen regnet oder schneit. Wie immer in viel zu knappen Hotpants, die die Zellulitiskrater an ihren Oberschenkeln preisgeben, und den Namen nicht verdient haben, wenn sie sie trägt.
"Sebastian, gute Reise", ruft sie und winkt herüber. Es klingt genauso wehleidig wie all ihre Rufe. "Sebastian, bitte etwas leiser", wenn wir im Partykeller meiner Eltern eine Bandprobe hatten, "Sebastian, wieder im Lande?", wenn ich aus dem Urlaub zurückkam. Immer in diesem weinerlichen Ton, dirigiert vom jahrelangen Alleinsein einer alten, kinderlosen Frau.
Ich winke zurück, ohne etwas zu erwidern. Allein schon Sebastian. Kein Mensch - abgesehen von Frau Esser von gegenüber - nennt mich noch so. Meinen bürgerlichen Namen verlor ich auf der Grundschule. Rick war der Erste, der mich Sibbe nannte und auch wenn meine Eltern noch eine Zeit lang versuchten, Sebastian durchzusetzen, scheiterten sie sehr bald damit, resignierten und fanden sich mit Sibbe ab.
Sebastian. Was war das auch für ein Name, den sich meine Eltern da für mich ausgedacht hatten. Glaubt man meinem Vater, so entstand dieses Stück Schall und Rauch auf einem gemeinsamen Winterurlaub mit Freunden in Österreich, irgendwo auf einer Almhütte. Meine Mutter war mit mir in anderen Umständen und mein Vater begoss dies gemeinsam mit seinem Kumpel und dessen Lebensgefährtin, stilecht mit einer Flasche Stroh-Rum. Um genauer zu sein, mit einer Flasche aus dem Hause Sebastian Stroh. Ich wurde also tatsächlich nach einer Flasche 80%igem benannt. Also auch nicht viel besser als Sibbe.
Mein Namensgeber Rick war ein armer Tropf und ging mit mir in die Grundschule. Viel zu dünn, fettiges Haar und immer ein Herpesbläschen abwechselnd auf der Ober- oder Unterlippe. Sein Gesicht sah schon in der ersten Klasse aus wie das eines alten Mannes und wahrscheinlich hatte er auch schon so einiges gesehen und erlebt, was für seine junge Seele zu krass war. Er wohnte in Zone vier, in einer der angeblich so "sorgenfreien Villen" und er kam, wie man sagte, "aus schwierigen Verhältnissen" - wobei die größte Schwierigkeit für ihn darin bestand, seine Familienverhältnisse selbst auf die Kette zu kriegen. Also, wer sein leiblicher Vater war, wer sein Halbbruder und wer sein richtiger Bruder, beziehungsweise wer seine Halbschwester und seine richtige Schwester war. Nur seine Mutter wechselte nie den Status, wenn auch den Familiennamen, is ja logisch. Aber er wusste nie, welchen Nachnamen er selbst denn nun trug und ob es der Gleiche war, den seine Brüder und Schwestern trugen. Und weil er es war, der mir meinen neuen Namen gegeben hatte, hatte dieser Name etwas Verwegenes.
Ich löse mich aus meinen Gedanken und Erinnerungen. Auf der Fahrt, die mir bevorsteht, werde ich noch genug Zeit haben, über die Tristesse meines bisherigen Lebens nachzudenken. Dann eine letzte mütterliche Umarmung.
"Pass auf dich auf, mein Großer."
"Du aber auch auf dich, Mama."
"Fahr schon los, sonst muss ich auch noch heulen."
"Okay. Tschö! Hab euch lieb."
Bei uns sagt man Tschö, da wo ich hin will, sagen sie Tschüss.
"Tschö, großer Bruder", meine Schwester drückt mir einen Kuss auf die Wange, als ich mich zu ihr runterbeuge, um sie ein letztes Mal zu umarmen. Dann kommt mein Bruder auf mich zu, den ich als Teenager in dieser Ödnis zurücklasse. Er hat sich ganz gut gemacht in letzter Zeit, denke ich.
"Mach's gut", sagt er kurz und knapp, wie es seine Art ist, und klopft mir auf die Schulter.
"Bau kein Scheiß", sage ich und meine eigentlich das Gegenteil. "Tu nichts, was ich nicht auch getan hätte", füge ich dann relativierend hinzu und ich glaube, er versteht, was ich meine, als ich ihm auf den Oberarm boxe. Ich steige in meinen Bulli, starte den Motor und fahre, tatsächlich etwas wehmütig, los.
Ihr findet das jetzt wahrscheinlich nicht sonderlich cool und punk, dass meine Augen gerade anfangen zu glänzen, aber das ist, auch wenn ich es mir selber ausgesucht habe hier wegzugehen, schließlich meine Heimat, mit meinen Löweneltern und meinen Geschwistern und all dem Bums, der da dranhängt. Ich bin echt nah am Wasser heute, also lasst mir gefälligst diesen Moment. Is voll Emocore, echt jetzt.
Meine Familie steht winkend auf der Straße und auch Frau Esser wedelt mit ihren speckigen Armen, dass das Winkfett nur so hin und her schwabbelt, bis ich aus ihrem Blickfeld verschwunden bin.
Ich fahre an die Tanke ran, um den Fuffi, den mein Papa mir heimlich zugesteckt hat, in Diesel zu investieren. Mir bleibt also noch der Fuffi, den mir meine Mama heimlich zugesteckt hat.
David arbeitet heute nicht. Er liegt wahrscheinlich noch im Bett und schläft seinen Rausch aus.
Am Abend vor meiner Abreise hatten wir uns alle gebührend voneinander verabschiedet. David hatte bereits seine Pläne für einen Umzug nach Köln konkretisiert, wo er mit Tödder und Dieken eine WG gründen wollte.
Bayer schwärmte von Berlin und Hamburg, der Woodmaster hatte keine Ambitionen seine Heimat zu verlassen und sein Bruder, Borger Flo, wollte sein Glück erstmal in Siegen versuchen.
Tsunami hatte zappelig auf dem durchgewetzten Sofa gesessen. Er hing jetzt öfter auf irgendwelchen Goa-Partys im Sauerland ab. Wahrscheinlich würde er einfach irgendwo im Wald eine Blätterbude bauen, Pilze sammeln und dort für immer versacken.
Alle hatten irgendwelche Vorstellungen und Träume, wie es weitergehen könnte, wenn hier alles zusammenbräche, was wir uns in mühevoller Kleinarbeit über all die Jahre aufgebaut hatten.
Als müsste noch irgendetwas gesagt werden, als stünde noch etwas im Raum, das einer Klärung bedurfte, diskutierte ich mit Borger Flo über Begrifflichkeiten. Sagte man nun "gefachsimpelt" oder "fachgesimpelt"? War es die "Habachtstellung" oder die "Halbachtstellung"? Sprach man von "Torschusspanik" oder von "Torschlusspanik"?
Zumindest beim Letzteren war ich mir sicher, dass es nichts mit der Versagensangst des Elfmeterschützens zu tun hatte, sondern vielmehr mit der Panik, nicht vor Schließung des Tores zurück in die sichere Burg zu gelangen.
"David! Was habt ihr...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Adobe-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet – also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Adobe-DRM wird hier ein „harter” Kopierschutz verwendet. Wenn die notwendigen Voraussetzungen nicht vorliegen, können Sie das E-Book leider nicht öffnen. Daher müssen Sie bereits vor dem Download Ihre Lese-Hardware vorbereiten.Bitte beachten Sie: Wir empfehlen Ihnen unbedingt nach Installation der Lese-Software diese mit Ihrer persönlichen Adobe-ID zu autorisieren!
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.