Schweitzer Fachinformationen
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Wichtel im Speckmantel
Die Dämmerung senkte sich über den Wald und verwischte die Wege, die aus ihm herausführten. Es half also nichts, Glim musste gleich in der ersten Nacht ihrer Wanderschaft im Freien übernachten.
Die Wichtelin sammelte im letzten Schimmer des Tages Holz und Reisig, zog dann Zunderschwamm und Feuerstein hervor und schon bald prasselte vor ihr ein herrliches Feuer. Behaglichkeit machte sich im Wald breit. Glim wickelte eine Kastanienwaffel um einen Stock und röstete sie über dem Feuer. Mmmh, Waffelduft, noch mehr Behaglichkeit.
Nachdem Glim ihre Waffel gegessen und den Stock in die Glut geworfen hatte, musste sie allerdings eine erschreckende Feststellung machen. Wenn man nachts zum ersten Mal tief im Wald hockt, noch dazu allein, reicht die Behaglichkeit nur so weit wie der Schein des Feuers. Dahinter ist nichts als Dunkelheit. Eine schwarze Leinwand, auf die man auch ohne viel Fantasie die schrecklichsten Ungeheuer und Finsterlinge malen kann.
Tausende Augen starrten Glim jetzt an. Überall wurden Krallen ausgefahren, giftige Stachel warteten ungeduldig auf ihren Einsatz, Zungen leckten über Zähne, so groß und scharf wie Dolche.
Nachdem Glim ihrer Fantasie eine Weile erlaubt hatte, Albträume in die Dunkelheit zu werfen, atmete sie tief durch und beruhigte sich allmählich. Wenn da wirklich etwas wäre, müsste sie es ja hören!
Der Gedanke war kaum gedacht, da raschelte es im Unterholz. Einmal aus dieser Richtung, dann aus jener. Fast so, als würde etwas um die Feuerstelle schleichen. Allerdings wollte es mit dem Schleichen nicht so recht klappen. War die Kreatur dafür zu ungeschickt? Oder zu groß? Oder beides? Hatte sie Krallen, Stacheln, Zähne? Vielleicht war es ja nur ein neugieriges Reh oder ein vorwitziger Hirsch. Aber dann war da dieses rasselnde Geräusch. Ein Atem, der klang, als wäre er an rostige Ketten gefesselt. Das war kein Hirsch und auch kein Reh. Das war überhaupt nichts, was Glim kannte. Vielleicht war es nicht mal ein Tier. Der Gedanke daran ängstigte die Wichtelin.
»Wer immer du bist, es gibt hier nichts für dich!«, rief sie in die Schwärze des Waldes, ihren ganzen Mut zusammennehmend.
»Nichts«, tönte es dunkel und dumpf zurück.
Ein Tier ist es schon mal nicht, dachte Glim, was die Sache aber leider nicht besser machte.
»Wer bist du?«, rief sie erneut ins Dunkel.
»Nichts«, kam es abermals rasselnd zurück.
»Das glaube ich dir nicht, zeig dich oder bist du dazu nicht mutig genug?«, entfuhr es Glim, die sich sofort fragte, ob sie das Wesen überhaupt sehen wollte.
Unter Knacken und Rascheln schälte sich langsam eine Gestalt aus der Finsternis. Das Wesen war riesig, hatte zotteliges Fell, an vielen Stellen verfilzt und an anderen von Käfern durchkrabbelt. Dazu große Augen, eine noch größere, schrumpelig warzige Nase und einen Mund, den man vor lauter Fell nur dann sehen konnte, wenn es rasselnd ausatmete. Aber das war nicht das Fürchterlichste. Was da aus der Dunkelheit kam, besaß keinen Hals! Es hatte nicht einmal einen Kopf. Augen, Mund und Nase saßen auf dem Oberkörper genau unter den Schultern, an denen kräftige Arme baumelten. Ein wenig tiefer befanden sich zwei stämmige Beine und große Füße. Glim war sofort klar, dass sie hier einen Wald-Unhold vor sich hatte. Und wenn diese Fabelwesen angeblich von einer Waffel im »Zum Goldenen« satt würden, mussten sie da wirklich ein ziemlich großes Waffeleisen haben.
»Hunger!«, tönte es da auch schon aus dem Schlund des Unholds.
»Waffel?«, entfuhr es Glim spontan, in der vagen Hoffnung, hier eine harmlose, wenn auch ziemlich große Naschkatze vor sich zu haben.
»Wichtel!«, wurde ihre Hoffnung von der anderen Seite sofort enttäuscht.
»Soweit ich weiß, ist Wichtel im Speckmantel nicht halb so lecker, wie es sich anhört«, versuchte Glim die Situation zu entschärfen.
»Nur Wichtel!«, raunte der Unhold und kam einen Schritt näher.
Glim wollte aufspringen, aber da traf sie etwas Schweres, das dann neben ihr auf dem Boden landete. Es sah im flackernden Feuerschein so aus wie ein Sack, aus dem rundliche Dinge herauskullerten.
»Und Runkelrüben!«, hörte sie eine zweite Stimme neben sich. Sie war etwas heller als die Erste, klang aber interessanterweise genauso finster.
Ein zweiter Wald-Unhold trat aus der Dunkelheit oder genauer gesagt war es eine Wald-Unholdin, zumindest der Stimme nach zu urteilen.
Glim brauchte einen Moment, um sich von dem Schreck zu erholen, sammelte sich aber schnell und versuchte abermals, die Situation mit Worten zu lösen.
»Warum esst ihr heute nicht einfach mal nur Runkelrüben?«, schlug sie ängstlich vor.
»Runkelrüben schmecken nicht«, kam sofort die rostige Antwort vom ersten Unhold.
»Schmecken bäh!«, bestätigte die Unholdin.
Glim war nun klar, dass Worte hier nichts bewirken würden, rennen aber schon. Sie sprang auf, schnappte sich ihren Rucksack und raste in die Dunkelheit, leider einem dritten Wald-Unhold genau in die langen Arme.
»Wichteleintopf mit Runkelrüben«, raunzte dieser voller Vorfreude.
Glim versuchte, sich mit Händen und Füßen zu wehren, aber die pelzigen Pranken des Unholds waren zu stark. »Lass mich los«, schrie sie, wurde jedoch vom Magenknurren des Unholds übertönt.
Der trug die Wichtelin zurück zu seinen Gefährten, die sie anstarrten, als wäre sie neben Runkelrüben, einer Prise Salz, Morcheln, Brunnenkresse und Lauch nur eine weitere Zutat für ihr Abendessen. Da hatte Glim endlich eine Idee.
»Ich bin doch viel zu wenig Wichtel für so einen großen Eintopf«, empörte sie sich. Die Unholde musterten sie mit ihren dümmlichen Augen. »Eine Wichtelpfanne mit Wildkräutern würde viel besser zu mir passen.«
»Wichtelpfanne!«, sagte die Unholdin sichtlich angetan von der Idee, aber der erste Unhold beharrte dumpf grunzend auf »Wichteleintooopf!«.
»Oder wie wäre es mit Wichtel im Schlafrock, ein Gedicht, sage ich euch«, hatte Glim die nächste schmackhafte Idee, die vor allem dem dritten Unhold sehr zu gefallen schien.
»Wichteleintooooooopf!«, versuchte sich der erste Unhold nochmals durchzusetzen.
»Schlafrock-Wichtel«, fuhr ihn der Dritte an, nur um von der Unholdin mit »Wichtelpfanne!« zurechtgewiesen zu werden.
Langsam wurde der Ton rauer und die Unholde warfen sich die Worte »Wichteleintopf«, »Wichtelpfanne« und »Schlafrock-Wichtel« an die Köpfe. Manchmal bestand ein Unhold, der eben noch voller Inbrunst »Wichtelpfanne« gebrüllt hatte, nun auf »Wichteleintopf«, ohne es selbst zu merken.
Schon nach kurzer Zeit wurde der Streit durch Schubsen und Boxen erweitert. Da man dazu aber beide Hände braucht, war Glim endlich wieder frei. Sie schlich sich in die Dunkelheit und versuchte, möglichst leise zu entkommen. Dabei trat sie auf einen Ast, der verdächtig knackte.
Die drei Unholde hielten inne. Angestrengt überlegten sie, was hier nicht stimmte. Keiner der drei schien aber auf Anhieb darauf zu kommen. Glim atmete erleichtert aus.
»Wichtel weg!«, stellte die Unholdin schließlich doch noch messerscharf fest.
Sechs Augen schauten in die Richtung, aus der Glims Knacken gekommen war. Die Wichtelin fragte sich, ob die Unholde sie in der Dunkelheit überhaupt sehen konnten.
»Eintopf!«, riefen alle drei wie aus einem Mund und rannten auf Glim zu.
Nun ergab sich folgendes Problem: Wald-Unholde sind nachtaktiv und sehen in der Dunkelheit so gut wie Eulen. Anders Wichtel, die im Dunkeln so gut wie nichts sehen. Während die Unholde also mühelos über Stock und Stein sprangen, konnte Glim sich nur unsicher vorantasten. Überhaupt schien der Wald nachts viel dichter, glitschiger und dorniger zu sein als am Tag. Sie rutschte, blieb an Ästen hängen und fiel der Wichtelnase nach hin. Dabei kam der rasselnde Atem der drei Wald-Unholde unaufhaltsam näher.
Glim stolperte weiter, ihr schlug das Herz bis zum Hals. Sie wollte nicht am ersten Tag ihrer Reise als Wichteleintopf enden. Allerdings auch nicht am zweiten oder dritten. Sie wollte überhaupt nicht als Eintopf enden!
Die Unholde waren jetzt direkt hinter ihr. Der erdige, moosige Geruch der Wesen schlug ihr entgegen. Die ersten Finger kamen bedrohlich näher. Dabei waren diese zotteligen Kreaturen doch eben noch bloße Märchengestalten gewesen! Jetzt waren die Finger schon so nah, dass sie Glim berührten. Sie konnte nicht mehr, keuchte, japste.
»Hört auf, lasst mich in Ruhe!«, schrie sie, aber die Unholde wollten einfach nicht auf ihr Abendessen verzichten.
Die Wichtelin wusste, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hatte. Ach, wenn es doch schon hell wäre, dann könnte sie diesen Kreaturen bestimmt wieselflink entwischen. Später würde Glim gar nicht mehr wissen, wie ihr der folgende Satz in den Sinn kam und warum sie ihn ausgesprochen hatte, aber sie tat es einfach:
Wenn es doch nur heller...
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