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Wenn Cay Steenkamp etwas hasste, dann waren es Menschen, die ihn beim Golf störten. Und alle anderen Menschen.
Sie hatten die Hälfte des Platzes gespielt, und noch war es so früh, dass andere Clubmitglieder nur hier und da als pastellfarbener Schmutz am Rande seines Gesichtsfeldes auftauchten, weit genug entfernt, um namenlos und stumm zu bleiben. Von der Elbe zog Nebel übers Grün, aber die Herbstsonne löste ihn langsam auf. In der Luft lag diese gewisse Kälte, die scharf genug war, um zu Steenkamp durchzudringen. Er war auf der Höhe seines Spiels: Peters und der Neue hatten keine Chance mehr, ihn zu beeindrucken.
Seitdem Steenkamp das achte Loch mit erstaunlich anstrengungslosen drei Schlägen gespielt hatte, waren bei den beiden anderen die Prioritäten verrutscht: Statt sich auf ihr Spiel zu konzentrieren, führten sie eine aufdringlich lebhafte Unterhaltung und streiften dabei Themen, die Steenkamp wütend machten.
«Nennen wir es eine Investitionsmöglichkeit», sagte Peters, dem ein paar Haarsträhnen vom fast kahlen Schädel flatterten. Der Neue hatte seine Standposition eingenommen, um den nächsten Schlag vorzubereiten, brach jetzt aber unverrichteter Dinge wieder ab, stützte die Hände in die Seiten, musterte Peters interessiert und sagte: «Eine Investition, hm? Aber so ziemlich am Rande, also, am Rande .»
«Am Rande von allem», sagte Peters und lachte. Viel zu laut für den Golfplatz. Steenkamp biss die Zähne zusammen. Der Neue lachte auch. Er hieß Lorsch, und angeblich hatte er Geld. Neues Geld, keine zwei Generationen alt, mit Schnaps verdient. Er war braun gebrannt, schwer, ziemlich groß, vielleicht Mitte fünfzig: ein junger Mann. Für Steenkamp waren alle unter sechzig junge Männer. Weil sie noch Pläne und Ziele und etwas zu verlieren hatten. Er selbst war deutlich älter und lebte nur noch in der Gegenwart, und er konnte nicht sagen, dass es ihm dort gefiel.
Der Neue hatte ein offenes Gesicht, aber diese Offenheit wirkte gelernt und aufgesetzt, angemessen für den Golfplatz und ein Gespräch unter Kaufleuten, bedeutungslos darüber hinaus. Hinter dem offenen Gesicht ahnte Steenkamp Zurückgezogenheit und Diskretion, und das beruhigte ihn. Der Neue war seit mindestens zehn Jahren im Club, aber Peters und er hatten ihn bisher geschnitten. Höchstens, dass Peters einmal eine anzügliche Bemerkung gemacht hatte über die Frau des Neuen, die ab und zu im Club zu Mittag aß.
Aber die Situation hatte sich verändert: Seit Monaten versuchte Peters, ihn von einer Geschäftsidee zu überzeugen. Steenkamp verkrampfte sich innerlich, während er einige Meter abseits stand und die beiden bei ihrem absurden Geplänkel beobachtete. Was war passiert, dass einer seiner Mitspieler auf dem Platz oder im Clubhaus andere um Geld anging? Seit wann war eine halbe Million der Rede wert, oder besser: Peters' Gefasel? Warum musste er, Steenkamp, sich das antun? Nur, weil Peters Dinge über ihn wusste, die andere nicht wussten? Weil er Peters auf den Leim gegangen war und ihm mit der hin und wieder aufflammenden Bedürftigkeit eines älteren Mannes von seinem Leben erzählt hatte, am Ende sogar von seinen Kindern? Von seinen Erfolgen und von Fehlern, die er mit den besten Absichten begangen hatte?
Wut stieg in ihm auf wie Magensäure. Die Situation mit der Firma. Er wusste nicht, was ihn wütender machte: die Formulierung oder das, was sie bedeutete. Wenn er Peters aufforderte, nicht von «Situation» zu sprechen, sagte der: «Schieflage». Steenkamp fand Metaphern feige. Die Wahrheit war: Durch ein paar wenige falsche Entscheidungen war es ihm auf verblüffende Weise gelungen, die Firma, die seit mehr als siebzig Jahren im Besitz seiner Familie war, an den Rand des Ruins zu bringen. Ruin: Das war ein Wort, mit dem er etwas anfangen konnte. Bisher hatte er es immer nur auf andere angewendet.
Um sich abzulenken, wandte Steenkamp sich ein wenig zur Seite, zog den Handschuh aus und steckte die Hand hinter den Hosenbund, tief, bis er dort alles wieder an seinen Ort schieben konnte. Seit der Prostataoperation bekam er in den seltsamsten Augenblicken Erektionen, weiche Schwellungen wie überreifes Obst. Peters und der Neue redeten immer noch, aber wenn man genauer hinsah, redete Peters, und der Neue hörte zu, seine Augen unsichtbar, weil sich in den tropfenförmigen Gläsern seiner Brille die Sonne spiegelte. Während Steenkamp den Handschuh wieder anzog, blickte er in Richtung Elbe, als seien dort Ruhe und Seelenfrieden zu finden.
Aber es hatte keinen Zweck. Zwischen dem zehnten und dem elften Loch stand am Rande des Grüns ein Schuppen, darin Geräte für die Rasenpflege und die Wartung der Carts. Damit die Greenkeeper auf dem Gelände einen zweiten Stützpunkt hatten und nicht jedes Mal den kilometerlangen Weg zurück zum Haupthaus und seinen Wirtschaftsgebäuden machen mussten. Die Clubleitung nannte den Schuppen «Maintenance Point», und Steenkamp hasste ihn. Wenn er hier stand und spielte, wollte er keine Rasenmäher sehen und keine Vertikutierer und ganz bestimmt auch keine Ersatzreifen für Carts - und zuallerletzt das seltsam südländische Personal mit den schwarzen Hosen und den weinroten Windjacken. Die Clubleitung hatte sich bemüht, den Schuppen in der Landschaft verschwinden zu lassen: braunes Holz, das Dach mit Gras bewachsen. Aber meistens stand die Tür offen, und wenn man einmal angefangen hatte, sich daran zu stören, konnte man den Schuppen nie wieder übersehen.
Wie immer, wenn er längere Zeit gestanden hatte, war Steenkamp überrascht, wie schwer seine Beine sich in Bewegung setzten und wie schwierig es war, ihnen die gewünschte Geschwindigkeit abzuverlangen. Er hörte, wie Peters und der Neue hinter ihm weiter in offenen Andeutungen über Geld sprachen, während er sich dem etwa fünfzig Meter entfernten Schuppen näherte. Die Tür stand offen, und an einer Hand auf dem Türblatt sah er von weitem, dass jemand vom Personal sich in Richtung Schuppeninneres bückte. Steenkamp näherte sich dem Schuppen so, dass die offen stehende Tür ihn auf seinem Weg verdeckte. Aus der Nähe sah er, dass sie aus schwerem, billigem Holz war wie eine Blockhüttentür in einem skandinavischen Freizeitpark, lackiert in einem beleidigenden Dunkelbraun, das viel zu billig glänzte, um zu einem Golfclub in den westlichen Elbvororten zu passen.
Steenkamp blieb stehen. Durch den etwa fingerbreiten Spalt zwischen Türblatt und Zarge sah er eine junge, blonde, eher osteuropäische als südländische Frau, die offenbar gerade fand, wonach sie gesucht hatte. Sie wandte sich um und machte einen Schritt in Richtung Tür, und für einen Moment war Steenkamp nicht sicher, ob ihre Blicke sich durch den Spalt getroffen hatten.
Als Steenkamp seine Hand auf die Außenseite der Tür legte, war er froh, einen Handschuh aus Kalbsleder zu tragen, denn er ahnte, wie trostlos und banal sich derlei lackierte Eiche anfühlte. Einen Sekundenbruchteil später, als er die junge Frau direkt dahinter wusste, stieß er mit der ganzen Kraft seines zwar alten, aber golftrainierten Armes die Eichentür Richtung Schloss, so, als wollte er sie wütend zuschlagen und wüsste nicht, dass dahinter ein Mensch war. Er hatte tief eingeatmet, seine Fußhaltung und Körperstellung auf optimale physikalische Wirkung hin ausgerichtet, und alles, was er im Körper hatte, in diesen Stoß gelegt. Er hatte seinen Arm noch nicht ganz durchgestreckt, als die Tür einen Lidschlag später gegen den Kopf der jungen Frau krachte. Er merkte, dass es ihr Kopf war und nicht die Schulter, denn das Schlaggeräusch kam von weiter oben, und es war hart, unnachgiebig, es hörte sich an, als hätte jemand auf einen Stapel Bretter ein weiteres geworfen.
Die Frau ächzte, aber sie schrie nicht, als sie in Steenkamps Gesichtsfeld fiel. Die Tür hatte sie oberhalb der Schläfe und am Wangenknochen getroffen, das sah er an ihren Wunden. Die untere war eine Prellung, die obere eine Platzwunde. Es überraschte ihn nicht zum ersten Mal in seinem Leben, wie hell das Kopfblut war, und er merkte, dass ihm gefiel, wie es in ihr blondes Haar lief. Abgesehen vom fast perfekt gespielten Golf am achten Loch vielleicht der erste Lichtblick heute.
«O mein Gott», sagte Steenkamp, «o mein Gott. Das tut mir so leid, ich habe Sie nicht gesehen.»
Die Frau war zu Boden gesunken und machte keine Anstalten, aus eigener Kraft wieder aufzustehen. Er packte sie so hart am Oberarm, wie er es früher mit Jette und Jörn gemacht hatte, als sie Kinder gewesen waren und laut. Er drückte seinen Daumen in ihr Fleisch, bis er ihren Oberarmknochen spürte, und vielleicht war es dieser zweite Schmerz, der sie zu sich kommen ließ. Sie stöhnte und versuchte, ihn abzuschütteln, aber er ließ sie nicht, sondern richtete sie auf, bis sie unsicher schwankend auf ihren Füßen stand und sich gegen ihn lehnen musste.
«Mein Gott», sagte Steenkamp, «ich wollte doch nur die Tür zuschlagen. Das sieht so hässlich aus vom Grün. Wenn die Tür hier immer offen steht. Ich hatte ja keine Ahnung, dass Sie .»
Die junge Frau, die eigentlich ganz hübsch war, wenn er darüber hinwegsah, dass sie ein sehr rundes und etwas flaches Gesicht hatte, starrte ihn fassungslos an. «Aber Sie haben mich doch gesehen», sagte sie mit dem Anflug eines ausländischen Akzents. «Sie haben doch gesehen, dass ich gerade .»
«Um Gottes willen», sagte Steenkamp und schüttelte sie ein bisschen, und dann noch ein bisschen mehr, weil er wusste, dass sie zu verwirrt war, um sich dagegen zu wehren. «Was glauben Sie denn. Ich hatte ja keine Ahnung, dass Sie ausgerechnet in dem Augenblick aus der Tür .»
«Aua», sagte die junge...
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