Schweitzer Fachinformationen
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In dunkler Winternacht
Im Glanz der Polarlichter bereiten sich die Bewohner der isländischen Westfjorde auf das Weihnachtsfest vor. Auf einmal taucht in einem Fischgehege vor der Küste eine mysteriöse Leiche auf. Hildur und Jakob übernehmen den Fall, der schon bald ungeahnte Kreise zieht. Überall auf der Insel kommt es zu Gewalttaten, und Hildur stellt fest, dass ihre Schwester ihr offenbar etwas verschweigt. Unterdessen wird Jakob in seiner Heimat Finnland in einen Mord verwickelt und benötigt dringend ihre Hilfe. Unversehens muss Hildur mehr als einen Fall lösen.
Die Deklination der maskulinen Substantive in vier verschiedenen Kasus. Als Beispiel das Wort für Pferd im Singular ohne Artikel: hestur, hest, hesti, hests. Jakob machte sich Notizen in seinem Heft und versuchte sich zu erinnern, wie man im Isländischen das Maskulinum von den beiden anderen Genera unterschied. Wie wurde das Pferd im Singular mit bestimmtem Artikel dekliniert? Und dann dasselbe noch im Plural. Obendrein die Verben, die Zeitformen und die Flexion der Adjektive. Zum Glück wies die Grammatik viele Ähnlichkeiten mit dem Nynorsk auf, das er gelernt hatte, als er in Norwegen wohnte. Im Nynorsk brauchte man bei den Adjektiven keinen Unterschied zwischen Maskulinum und Femininum zu machen. Daher hatte er sich die Grammatik etwas schneller aneignen können.
Jakob seufzte schwer, schob seinen Bürostuhl zurück und rieb sich den steifen Nacken. Er hatte schon eine ganze Weile über den Grammatikbüchern gesessen.
Er musste die Sprachprüfung bestehen, wenn er die Staatsbürgerschaft beantragen wollte. Der isländische Staat forderte von Skandinaviern einen dreijährigen Aufenthalt im Land, untadliges Verhalten und die bestandene Sprachprüfung. Jakob musste noch knapp ein Jahr warten, bevor er den Test ablegen konnte. Er hatte beschlossen, seine Freizeit so weit wie möglich dem Studium der Landessprache zu widmen, damit die Staatsbürgerschaft zumindest nicht an diesem Punkt scheiterte.
Guðrún war eine gute Lehrerin. Sie hatte zahlreiche Post-its mit den isländischen Bezeichnungen für Möbelstücke und Nahrungsmittel an die Wände ihrer gemeinsamen Wohnung geheftet. Gemeinsam übten sie, die Wörter, die Jakob gelernt hatte, in der Praxis anzuwenden.
Vor ungefähr einem Jahr hatten sie abgemacht, sich an den freien Wochenenden auf Isländisch zu unterhalten. Das war anfangs überraschend schwierig gewesen. Jakob hatte sich geniert, weil er sich bei der Erklärung, was er zum Frühstück wollte, wie ein Zweijähriger vorkam. Guðrún hatte sich nicht daran gestört, sondern das Ganze als Spiel betrachtet. Jakob erinnerte sich immer noch daran, wie hinreißend sie ausgesehen hatte, wenn sie sich in ihrem kurzen Seidennachthemd an den Kühlschrank lehnte und ihn abfragte, wie man Milch, Käse, Brot und Skyr richtig aussprach.
Jakob hatte die Flugbegleiterin Guðrún kennengelernt, als er im Herbst vor zwei Jahren mit einem Inlandflug von Reykjavík nach Ísafjörður kam. Wie in Island üblich, übte Guðrún mehrere Berufe aus. Wenn sie als Flugbegleiterin freihatte, arbeitete sie in ihrem eigenen Wollgeschäft im Dorfzentrum oder sprang als Vertretung in der Kita ein. Jakob konnte sein Glück bis heute nicht ganz fassen. Er fand es traumhaft, dass ihm nach all den Jahren ein Mensch wie Guðrún begegnet war. Das Zusammensein mit ihr war leicht, lustig und leidenschaftlich zugleich. In ihrer Gesellschaft fand Jakob Frieden. Sie wollte niemanden herumkommandieren, auch ihn nicht. Das tat ihm gut.
Jakob blickte auf die Uhr. In fünf Minuten würde er Matias anrufen.
Matias wurde bald sieben. Jakob mochte gar nicht daran denken, welchen Anteil an diesen sieben Jahren die Zeit ausmachte, in der er gezwungen worden war, sich von seinem Kind fernzuhalten.
Lena hatte Jakob schon seit Jahren gegenüber allen möglichen Menschen und vor allem gegenüber Sozialarbeiterinnen schlechtgemacht. Es war ihr gelungen, das alleinige Sorgerecht für Matias zu ergattern. Im Beschluss des norwegischen Gerichts hieß es zwar klipp und klar, dass Jakob sich mit seinem Sohn treffen durfte, aber Lena hatte sich immer wieder Vorwände ausgedacht, um die Treffen zu verhindern: Mal war Matias erkältet, mal hatte er eine Magenverstimmung oder starke Kopfschmerzen. Irgendwie hatte Lena es ab und zu sogar geschafft, ein ärztliches Attest zu besorgen, das ihre Behauptung stützte.
Nachdem Jakob nach Island gezogen war, hatte er begonnen, seinen lang gehegten Plan zu verwirklichen. Er hatte beschlossen, für seine Rechte und die seines Kindes zu kämpfen. Gemeinsam mit seinem norwegischen Rechtsanwalt hatte er die Umsetzung des Besuchsrechts gerichtlich eingeklagt. Die Coronapandemie hatte jedoch die Terminkalender der Gerichte und damit auch Jakobs Plan durcheinandergebracht. Die Gerichte waren derart überlastet, dass der Termin immer noch nicht festgesetzt worden war. Und er würde auch gar nicht kommen, denn vor zwei Monaten hatte Lena Jakob angerufen und ihm mitgeteilt, sie würden nach Finnland ziehen. Lenas neuer Partner Filip, der seit vielen Jahren in der Bergbau- und Ölindustrie tätig war, hatte bei einem Bergwerk in Westlappland einen lukrativen Job bekommen. Lena arbeitete in der Hotelbranche, und als ihr Chef von Filips neuer Stelle erfuhr, bot er ihr in der Hotelkette die Position der Finnland-Direktorin an.
Jakob schnaubte. Ausgerechnet nach Finnland, obendrein in den Norden des Landes. Lena hatte sich in Finnland nie wohlgefühlt. Sie hatte alles, was mit Jakobs Herkunft zu tun hatte, von Anfang an verachtet. Jakob hatte in seiner Kindheit und Jugend viel Zeit in Lappland verbracht, in Äkäslompolo, dem »Dorf der sieben Fjells«. Auch diesen Ort hatte er Lena gezeigt, aber sie hatte sich völlig desinteressiert gegeben, sich nur über die Mücken beschwert und die weiten Wege verflucht. Es war ein unglaublicher Zufall, dass Lena sich entschieden hatte, die Stelle anzunehmen und ihrem Partner nach Finnland zu folgen. Vielmehr: Der Zufall war so unglaublich, dass es keiner sein konnte. Als Jakob davon erfuhr, war er sich hundertprozentig sicher gewesen, dass Lena auch dieses Manöver eingefädelt hatte, nur um ihn zu ärgern.
Das war ihr jedenfalls gelungen. Das Telefonat hatte Jakob an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht. Die Neuigkeit hatte ihn getroffen wie eine Bombe. Er hatte gespürt, wie die Angst sich in seinen Körper schlich und seine Glieder wie Gift lähmte. In den letzten Monaten hatte er sich in Norwegen einen guten Anwalt besorgt und sich gründlich auf den Prozess vorbereitet. Das alles hatte ihn viel Zeit und Geld gekostet. Gerade als der Prozess beginnen sollte, war er wieder am Nullpunkt gelandet.
Als die Hoffnung verflog, trat Verbissenheit an ihre Stelle: Jakob war nicht bereit zu kapitulieren. Er hatte beschlossen, seinen Plan allen Schwierigkeiten zum Trotz zu verwirklichen. Also hatte er sich in Finnland einen neuen Anwalt gesucht, ihm die ganze Geschichte erzählt und beim Amtsgericht in Rovaniemi Klage eingereicht. Der Anwalt meinte, der Fall würde entweder im Dezember oder Anfang Januar verhandelt werden. Jakob konnte den Termin kaum abwarten.
Als es sechs Uhr abends war, in Finnland also schon acht Uhr, wählte Jakob auf Skype Lenas Nummer und drückte auf das Symbol für das Videogespräch. Er würde eine halbe Stunde mit Matias sprechen können, bevor der Junge ins Bett musste.
Nach mehrmaligem Erklingen des Freitons wurde das Gespräch endlich angenommen. Jakob straffte sich und stellte das Smartphone in den Halter auf dem Küchentisch. Das verwackelte Gesicht von Matias erschien auf dem Bildschirm. Sein Sohn hielt das Smartphone also selbst in der Hand. Jakob freute sich darüber. Er war erleichtert, dass er nicht mit Lena zu reden brauchte.
»Hallo, Matias, wie geht's dir?«
Der Junge drehte den Kopf hin und her und schnitt lustige Grimassen, die Jakob zum Lachen brachten.
»Wir hatten in der Schule heute Schwimmen.«
»Hast du die Schwimmflossen bekommen, die ich dir geschickt habe?«, fragte Jakob. Er hatte seinem Sohn als Vorweihnachtsgeschenk eine Schwimmausrüstung geschickt.
Matias nickte fröhlich und drehte das Handy so, dass Jakob die Badetasche auf seinem Bett sehen konnte.
Jakob sog alle Einzelheiten in sich auf. An der Wand hingen ein Poster zu Gregs Tagebuch und Fotos von Lionel Messi. Die Spielkonsole mit Kabeln und Zubehör füllte das halbe Bücherregal, und die Anziehsachen des Jungen lagen bunt verstreut auf dem Boden.
Die Sehnsucht nagte heftig an ihm. Er hätte so gern im Zimmer seines Sohnes aufgeräumt. Die Socken sortiert und eine Verlängerung für das Regal getischlert. Er hätte alles dafür gegeben, am Alltag seines Sohnes teilzunehmen.
Das Unbehagen, das die Sehnsucht bei ihm auslöste, wollte er Matias allerdings nicht zeigen. Der Junge sollte die Situation nicht als unangenehm empfinden und sich erst recht nicht schuldig fühlen. Matias konnte schließlich nichts dafür, dass sie sich so selten sahen.
Sie redeten über den Schwimmunterricht und über die Schule. Jakob fragte, was Matias zu Abend gegessen habe und wann er morgen aufstehen und zur Schule gehen müsse. Matias antwortete frisch und munter. Seine gute Laune tat Jakob wohl. Es gab doch noch eine Verbindung zwischen ihnen.
»Ich vermisse dich so sehr«, brachte Jakob schließlich heraus. Er bereute seine Worte sofort, als er merkte, dass Lena ins Kinderzimmer gekommen war und zuhörte. Ihre harte Stimme drang in Jakobs kleine Küche und hallte kühl von den Wänden wider.
»Matias, Zeit fürs Bett. Gibst du Mama das Handy?«
Matias sah zuerst seine Mutter an, dann Jakob. Er wirkte verwundert.
»Es ist doch noch gar nicht so spät«, protestierte er.
»Doch«, sagte Lena streng und nahm ihm das Handy weg. »Schlafanzug an und Zähne putzen!«
Jakob verabschiedete sich von Matias, obwohl der Junge schon gegangen war. Hoffentlich hatte Matias ihn noch gehört. Lenas Kommandoton ging ihm an die Nerven, auch wenn er ihn nach all den Jahren nicht mehr überraschte.
»Musstest du ihm das Handy so wegreißen?«, sagte er barsch. Er hatte es längst aufgegeben, freundlich und...
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