Schweitzer Fachinformationen
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Unter einer Brücke, Autobahnkreuz Duisburg-Kaiserberg
Da waren Männer und Frauen in Uniform, andere in weißen Ganzkörperschutzanzügen im zuckenden Blitzlicht des Fotografen. Hinter der Absperrung stand eine Menge schaulustiger Bürgerinnen und Bürger.
Aus düsteren Wolken fiel feiner Nieselregen. Wenn es Schnee wäre, dann sähe alles nicht so gruselig aus. Aber es war nun mal kein Schnee .
Das Gelände unter der Autobahnbrücke war an sich schon keine heimelige Kulisse, nun kamen die Flüche hinzu, halblaut, gezischt, zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorgestoßen. Das Kaiserberg-Autobahn-Kreuz, auch bekannt als der Spaghetti-Knoten, war ein summendes Gewirr dreier aufeinandertreffender Autobahnen.
Jemand schaltete einen Scheinwerfer an, der auf einem Stativ montiert war. Der Leichnam war nun deutlich zu erkennen.
Es war ein Mann mit kurz geschorenen Haaren, schlank, die Arme waren hinter dem Rücken verborgen, vermutlich zusammengebunden. Der Oberkörper lehnte an der grauen Mauer der Unterführung. Das Alter lag irgendwo um die fünfzig. Der Kopf gestützt an der Betonmauer, die Backen waren gewölbt, der Mund stand offen, die Ecke eines Papierfetzens, der über seine Lippen hing, konnte man erahnen. Ich hatte die Berichte über die anderen drei Opfer gelesen, die Tatortfotos gesehen, aber, wenn man dann vor einem Toten kniet und in seine gebrochenen Augen sieht, verändert sich der Blickwinkel.
Dat is wie wenne echt hingehs zum Fußball, totaler Unterschied zwischen dat Stadion und die Glotze, pflegte Erich Sawatzki, mein Lieblingslehrer an der Polizeischule immer zu sagen. Dat eine is Limo, dat andere is Schampus. Er war ein Mann mit vielen Weisheiten gewesen und hatte etwas vom Fernseh-Schimanski gehabt. Leider war er seit letztem Jahr auch schon weg von der Bühne des Lebens.
Jonathan Dawson war wieder da, zurück in seiner alten Heimat in Duisburg, Stadt im Ruhrgebiet. Kohle und Stahl, Schrebergartenromantik, Bergmannsheil, Kumpels und Eisenkocher, verpestete Luft und rußverschmierte Fassaden. Das alles war längst Geschichte. Zum 30. Juni des Jahres 2008 wurde der Bergbau im Grubenfeld Walsum eingestellt und das Bergwerk stillgelegt. Schicht im Schacht, Glückauf ihr tapferen Kumpel, ihr habt ausgedient, der Steiger kann gehen.
An der Brücke am Werthacker besichtigte er den Tatort eines Mordes. Es war die vierte Leiche innerhalb eines Monats, ein verdammt beschissener Rekord.
Die drei vorangegangenen Opfer waren zwei Männer und eine Frau. Der erste wurde mit dreiundzwanzig Messerstichen abgeschlachtet, die Frau vergiftet, dem dritten schnöde in den Kopf geballert. Drei absolut unterschiedlich ausgeführte Verbrechen und doch . da bestand zweifellos ein Zusammenhang, denn alle drei Opfer wiesen eine gruselige Gemeinsamkeit auf. Der Mund, der Rachenraum, bis hinein in den Schlund, war mit Papier vollgestopft. Dickes, braunes Papier, welches man für Pinnwände gebrauchen kann, um Kärtchen anzuheften. Hinzukam, dass dieses Papier, das in allen Fällen posthum eingeführt worden war, mit Texten versehen wurden.
Mal was Neues, dachte ich fröstelnd.
Als ich Hauptkommissar Bröker mit seinem hellblonden Igelschnitt und seiner kantigen Visage erspähte, wünschte ich mich zurück in mein kuscheliges Bett. Warum musste ich Dumpfbacke mich auch hierherschleppen? Blödsinn. Es hätte vollkommen gereicht, später im Revier aufzutauchen, oder noch besser . nach dem Einsatz in Hamburg einfach mal eine Auszeit einzufordern, das wäre intelligent gewesen.
»Ach du große Kacke, der hat mir gerade noch gefehlt. « Na prima, er hatte mich auch gesehen.
»Was wollen Sie denn hier, Dawson?«
»Ich freue mich auch Sie zu sehen.«
»Ich mich aber nicht.«
»Sie kennen die Vorschriften.«
»Wir finden den Irren auch ohne Sonderermittler Neunmalklug.« Der Kleiderschrank von einem Mann walzte auf mich zu. Die Flügel seiner enorm großen Nase blähten sich auf wie Pferdenüstern. »Oder wie heißt das so schön Neudeutsch . Profiler?«
»Das ist hier nicht CSI New York.«
Bröker lachte bellend. »Nee, beileibe nicht.«
»Ich bin da, um Sie zu unterstützen.«
»Na, da habe ich sofort die richtige Idee. Verkrümeln Sie Ihren Astralkörper hinter irgendeinen Schreibtisch und lassen Sie uns unsere Arbeit machen.«
»Hier ist offensichtlich ein Serientäter am Werk.«
»Boah, wat 'ne Erkenntnis.«
»Und Sie haben keine einzige verwertbare Spur.«
»Wer behauptet denn so 'ne Scheiße?«
»Der Herr Polizeipräsident.«
»Noch so 'n Sesselpupser.« Verdrießlich stapfte Bröker in Richtung Leiche. Seine Pranken wedelten auffordernd im grellen Scheinwerferlicht. Achselzuckend folgte ich Bröker. Wir erreichten den Fundort.
»Hi, Jonathan.« Endlich eine vertraute, angenehme Stimme. Jessica Wald war Leiterin der Spurensicherung des Dezernats, eine der führenden Expertinnen auf dem Gebiet der Forensik des Landes. »Lange nicht gesehen. Schön, dass du den Fall übernimmst. Ich glaube es selbst kaum, aber ich habe dich vermisst.« Ein paar blonde Strähnen lugten aus der Vermummung des weißen Schutzanzuges hervor.
»Ich war 'ne Weile in Hamburg.«
»Das Phantom der Oper.«
»Ja, hat gedauert, bis wir den Drecksack überführen konnten.«
»Tja, mal sehen, wann wir hier einen Treffer landen können.«
»Könnten Sie Ihren Kleinkinderflirt vielleicht unterbrechen und die Arbeit wiederaufnehmen?«, ätzte Bröker.
Jessica lachte verhalten, sie kannte die polterige Art Brökers nur allzu gut, wusste aber damit umzugehen. »Flirten geht anders, Gernot, aber davon hast du ja keine Ahnung.«
»Wozu auch, ich bin verheiratet.«
Jessica schob die Plastikhaube, die ihren Kopf einschloss, auf die Schultern zurück. Ihre blonden Locken fielen dankbar aus der ungewohnten Umklammerung. Jessica Wald ging wie ich langsam auf die fünfzig zu, hatte sich eine schlanke Figur und ein unendlich sanftes Lächeln bewahrt. »Wir sind übrigens fertig, Gernot.«
»Wurde auch Zeit. Ist arschkalt hier.«
Bröker war ein echtes Ekelpaket, allerdings auch ein guter Ermittler. Seine Aufklärungsquote lag deutlich über dem Landesdurchschnitt. Nur in diesem Fall kam er offenbar nicht weiter.
»Kaczor, was haben wir?« Brökers Assistent, Kommissar Adrian Kaczor, gerade dreißig Jahre alt geworden, schreckte geradezu zusammen.
»Todesursache?«, fragte Bröker forsch.
»Stranguliert, ganz eindeutig.«
»Aber doch nicht hier.«
»Nee, wo denn auch?«
»He, nicht frech werden, Bürschchen.« Bröker, fast doppelt so alt wie sein Untergebener, drohte mit dem rechten Zeigefinger.
»Bernd Kohler, zweiundfünfzig Jahre alt, wohnte in Neudorf, Pass und Brieftasche wie üblich nicht gestohlen.«
»Popelt vielleicht mal einer das Papier aus dem Kerl raus?« Bröker sah Kaczor auffordernd an.
»Das ist ja wohl meine Aufgabe, Herr Hauptkommissar«, intervenierte Jessica energisch.
»Gibt es irgendwelche verwertbaren Spuren, die auf den eigentlichen Tatort hinweisen?«, fragte ich dazwischen.
»Erst mal nicht«, bekannte Jessica. »Der Boden besteht aus losem, grobkörnigem Schotter. Klar, wir haben auf den letzten zwei Metern Schleifspuren des Opfers, aber keine Fußabdrücke des Täters. Von der Straße bis kurz vor der Mauer, wo er sein Opfer abgeladen hat, muss er ihn entweder getragen haben oder er hat eine Karre benutzt. Da sind Vertiefungen in der Asche.«
»So ein Scheiß«, blaffte Bröker. »Na, Super-Hero, schon eine Erleuchtung?«
Ich ignorierte ihn und betrachtete das Opfer. Das Gesicht des Mannes wirkte wächsern, fast puppenhaft. Die vollgestopften Backen irritierten auf eine schreckliche Art und Weise. Der Tote sah aus wie eine Karikatur aus den Dreißigerjahren.
»Hat ihm jemand die Augen geschlossen?«, fragte Adrian Kaczor schaudernd. Jessica schüttelte verneinend den Kopf. »Dann war's wohl der Papiermörder.«
»Papiermörder?«, echote Bröker. »Na, über den Namen wird sich die Presse aber freuen.« Die Aussicht die nächsten Tage, vielleicht sogar Wochen im Dunstkreis dieses Ermittlers verbringen zu müssen, trieb mir trotz der Kälte Schweiß auf die Stirn.
»Können wir, Chef?« Das waren die Leichenschlepper, die darauf warteten, den Toten in die Pathologie verfrachten zu können. Der Zinksarg lag schon bereit.
»Jemand Einwände?«
Jessica Wald schüttelte resignierend den Kopf.
»Dann ab dafür.« Bröker schickte sich an den Fundort zu verlassen.
»Ich werde ein Büro benötigen«, rief ich ihm hinterher.
»Das war zu befürchten. Sie wissen ja, wo wir hausen. Wir werden schon 'ne Abstellkammer für Sie finden.« Bröker wieherte...
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