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London, im Februar 2020
Conny Bligh, der selbsternannte Anwalt der Geister, stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite seines Büros und wartete. Nur ein paar Meter von ihm entfernt tat seine Geschäfts- und Lebenspartnerin Allison Harrowmore genau dasselbe und starrte mit fiebrigem Blick auf den Eingangsbereich der SPR, ihrem neuen Vermieter. Denn in den Kellern der Society of Psychological Research residierte seit wenigen Tagen die Kanzlei Harrowmore Souls, und auch wenn man sich nun rein theoretisch endlich wieder voll in die Arbeit hätte stürzen können, so gab es für sie beide Wichtigeres zu tun. Das war der Grund dafür, warum Conny hier auf der Lauer lag.
»Wie lange dauert es noch, was meinst du?«, fragte Conny Allison, die wie gewohnt einen ihrer Overalls trug und das lange schwarze Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte.
»Nach meinen Berechnungen müsste Miranda jeden Moment durch diese Tür kommen«, antwortete sie, ohne den Kopf zu bewegen. »Und dieses Mal muss es klappen, hörst du? Wir haben schließlich nicht unbegrenzt Freiversuche, für diese Aktion. Schon jetzt müssen wir darauf achten, uns selbst aus dem Weg zu gehen.«
Ihre für einen Außenstehenden seltsam anmutende Feststellung ergab für Conny durchaus einen Sinn. Immer wieder war er nun zusammen mit Allison durch die Zeit gereist, um genau an diesem Tag und in diesem Augenblick festzustellen, was mit Miranda Banks, ihrer Angestellten, geschehen war. Ihre bisherigen Beobachtungen hatten zwar einige offene Fragen klären können, doch etwas Entscheidendes war ihnen bisher nicht gelungen. Sie konnten weder verhindern, dass Miranda spurlos von der Bildfläche verschwand, noch hatten sie in Erfahrung bringen können, wohin sie ging.
»Da!«, rief Allison. »Die Tür öffnet sich. Siehst du sie? Die beiden schemenhaften Gestalten, die stetig blasser werden?«
Obwohl es Conny schwerfiel, in dem fahlen Nebelstreif, der jetzt die Stufen zum Bürgersteig hinunterwehte, so etwas wie menschliche Körper zu erkennen, nickte er.
»Das ist vermutlich unsere letzte Chance«, zischte Allison ihm zu. »Wir müssen sie aufhalten. Du kommst von hinten und ich von vorn. Los!«
Ohne noch eine Frage zu stellen, rannte Conny über die Straße, den Blick fest auf den Nebelstreif gerichtet, der sich nach links gewandt hatte und die Straße hinunterzog. Er hatte keine Ahnung, wie man etwas aufhielt, das nicht einmal klar zu erkennen war, und stand Allison mit dieser Unwissenheit in nichts nach. Sie mussten improvisieren.
Kaum hatte Conny die Straße passiert, da ertönte direkt neben ihm ein lautes Klingeln. Gerade noch rechtzeitig wich er einem schimpfenden Radfahrer aus, stolperte über den Bordstein, strauchelte, fing sich wieder und fiel doch hin.
Fluchend kam Conny auf die Beine und sah sich suchend um. Der Nebelstreif war verschwunden. Und nur wenige Meter von ihm humpelte Allison mit schmerzverzerrter Miene auf ihn zu.
»Verdammt noch mal!«, brüllte sie so laut, dass eine zufällige Passantin vor Schreck zusammenfuhr. »Warum geht neuerdings alles schief?«
»Ich habe dazu eine Theorie.« Conny rieb sich den schmerzenden Ellenbogen. »Aber bevor ich mich darüber auslasse, bring uns doch bitte zurück in die Gegenwart. Ich weiß schon gar nicht mehr, welchen Tag wir in Wirklichkeit haben, so oft sind wir jetzt schon hier gewesen.«
Allison brummte etwas Unverständliches und hakte ihn unter.
Einen Augenblick später erhob sich ein Wirbel aus Farben und rosigem Licht um sie beide und einen Wimpernschlag später stand Conny an genau demselben Platz.
Auf den ersten Blick schien sich nichts verändert zu haben. Es war noch immer Februar, es war noch immer saukalt.
Doch Conny hatte in den letzten Stunden gelernt, auf Kleinigkeiten zu achten. Das Auto, das neben ihm am Straßenrand parkte, war Sekunden zuvor noch weiß gewesen. Jetzt glänzte es in frisch poliertem Silber.
»Wie soll ich Nigel begreiflich machen, dass ich nicht in der Lage dazu bin, ihm seine Verlobte zurückzubringen?« Allison schlug mit der Faust gegen die Hausfassade. »Wieder und wieder haben wir jetzt versucht, sie aufzuhalten, aber es gelingt uns nie. Alles, was es zu sehen gibt, ist dieser blasse Nebel, der nicht greifbar ist. Und etwas Substanzloses lässt sich nun mal nicht so ohne weiteres festsetzen.«
»Lass das.« Energisch hielt Conny sie davon ab, weiter auf die Steinmauer einzuprügeln. »Du hast schon genügend Verletzungen davongetragen, seit wir versuchen, Miranda zu retten. Deine Knöchel können auf diese Misshandlung verzichten.«
»Mag sein, aber ich bin eben total verzweifelt.« Sie ließ ihren Kopf so impulsiv gegen seine Brust sinken, dass ihm für einen Augenblick die Luft wegblieb. »Ich weiß einfach nicht mehr weiter.«
»Wir gehen es vermutlich einfach falsch an«, meinte Conny. »Komm, wir besprechen die Lage noch einmal ganz in Ruhe mit Nigel. Vielleicht hat er ja einen brauchbaren Einfall.«
Doch als sie Arm in Arm das Büro im Keller des Gebäudes erreichten, saß Nigel, ihr Empfangsgespenst, mit ausdruckslosem Gesicht auf einem Drehstuhl und betrachtete seine manikürten Fingernägel. Äußerlich sah der Mann aus wie immer. Er trug einen hellen Nadelstreifenanzug mit passender Weste und hatte sein lackschwarzes Haar zurückgegelt. Aber der Sturm, der seit Mirandas Verschwinden in seinem Innern tobte, drohte bereits, seiner Seele ernsthaften Schaden zuzufügen.
»Miranda hatte einen Termin mit ihrer Schneiderin«, flüsterte er. »Sie war allein in diesem Büro und stand unter Zeitdruck. Das ist eine völlig alltägliche Situation, wie konnte sie da verloren gehen?«
Conny trat an den Tisch und griff nach einer darauf abgestellten Tasse. Der Kaffee darin war eiskalt.
»Es war die Geisterbraut, davon können wir mit Sicherheit ausgehen.« Allison klang erschöpft und sank auf den nächstbesten Stuhl.
Conny musste ihr recht geben. Der Geist einer Frau, gefangen in einer Hutschachtel, hatte sie in der jüngsten Vergangenheit schwer beschäftigt. Jetzt war dieses Wesen erlöst und für immer von der Bildfläche verschwunden. Was die Geisterbraut aber zuvor noch mit Miranda hatte anstellen können, war und blieb ihnen ein Rätsel.
»Wir wollten heiraten«, fuhr Nigel tonlos fort. »Miranda wollte mich wirklich haben. Mich, Nigel Goodfellow, der sich 1956 aus Liebeskummer vor einen Zug geworfen hat, anstatt seine intrigante erste Verlobte davor zu stoßen. Mit Miranda hätte ich endlich glücklich sein können!«
»Es tut mir so unendlich leid.« Allison war den Tränen nahe. »Ich habe schon alles ausprobiert, um Mirandas Entführung zu verhindern, aber es gelingt mir einfach nicht. Immer wieder versuche ich, in die Vergangenheit einzugreifen, aber ich scheitere an den seltsamsten Zufällen. Einmal klemmt die Haustür und ich komme gar nicht hinunter in diese Kellerräume. Beim zweiten Mal rennt mich eine Bande spielender Kinder auf dem Bürgersteig um und ich verpasse den richtigen Moment. Dann wieder fällt mir fast eine Deckenlampe auf den Schädel und verhindert, dass ich zu Miranda gelange, bevor alles seinen Lauf nimmt. Was ich auch tue, es ist, als würde mich jemand sabotieren.«
»Das ist vielleicht auch so, denn es sind einfach zu viele Zufälle.« Conny sah den Moment gekommen, seine Theorie loszuwerden. »Ich schätze, die Zeit hat die Schnauze voll von dir, Allison. Es gibt Regeln für Zeitreisende, so viel weiß ich inzwischen. Doch du missachtest sie unaufhörlich, greifst in Abläufe ein, schreckst vor keinem Paradoxon zurück und lebst konstant in deiner eigenen Vergangenheit, um an meiner Seite zu sein. Ganz zu schweigen davon, dass du in einigen Jahrzehnten den Mord an mir verhindern wirst. Du hast das Fass einfach zum Überlaufen gebracht.«
»Aber ich stehe außerhalb der Zeit«, begehrte Allison auf. »Gezeugt in einer Teleportzone, an keinem Ort und zu keiner Zeit, gelten für mich auch keine kleinlichen Regeln.«
»Ja, das behauptest du immer wieder, aber ich schätze, du irrst dich«, widersprach Conny. »Und alles, was wir in den letzten Stunden durchmachen mussten, ist der Beweis dafür.«
»Ich hoffe, du liegst falsch damit. Wie soll ich Miranda wiederfinden, wenn die Zeit mich nicht lässt?«, quengelte Allison. »Sie wurde fortgebracht und ich bekomme nicht heraus, wo sie jetzt steckt.«
»Die Geisterbraut säht Zweifel, die meine Verlobte dazu bringen sollen, ihre eigene Situation ganz genau zu prüfen und sich eventuell umzuentscheiden. Was, wenn Miranda genau das getan hat und gar nicht mehr zu mir zurückkommen will?«, ließ Nigel seine neue Grabesstimme ertönen.
»Aber sie liebt dich doch«, rief Allison, und jetzt sah Conny wirklich die erste Träne über ihre Wange purzeln.
»Okay, das reicht«, herrschte er sie an. »Hört auf damit, alle beide. Weder Gejammer noch wildes Herumgereise in der Zeit werden dieses Problem lösen. Warum können wir die Dinge nicht einmal angehen wie normale Leute?«
»Ach, und wie machen die das?« Allison blinzelte unter Tränen zu ihm hoch.
»Ausgehend von dieser Situation, wie sie sich jetzt eben darstellt, versuchen wir, Miranda...
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