Schweitzer Fachinformationen
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Striguil Castle, Ostwales, Pfingsten 1164
Lia duckte sich unter einer Handvoll Pferdedung hinweg. »Meine Großmutter zielt besser, Colwyn! Und die ist eine Lady - die kann überhaupt nicht werfen!«
»Ach ja?« Colwyn wischte sich die Hände im taunassen Gras ab und ballte sie zu Fäusten. »Komm her, wenn du dich traust, und sag das noch einmal!«
Lia wandte sich demonstrativ ab, sie sollte lieber nicht darauf eingehen.
»Also doch ein Feigling!« Colwyn stampfte auf den Boden, kam aber nicht näher. Das tat er selten, meist gab er sich damit zufrieden, sie aus der Ferne zu beleidigen. Er war neun Jahre alt, nur wenig älter als sie, aber er sah sehr viel stärker aus. Sein Vater war einer der Fischer aus dem Dorf, hier im Schatten der Burg von Striguil. Er versorgte die Garnison mit allem, was der Fluss so hergab, während Colwyn lieber herumstreifte und Ärger machte.
»Komm, Alina.« Lia nahm ihre Zwillingsschwester bei der Hand und hob mit der anderen den Weidenkorb mit dem Leinen auf. »Wir müssen uns beeilen. Wenn Mam heute Abend von der Arbeit auf der Burg zurückkommt und keine saubere Wäsche findet, gerbt sie uns das Fell.«
Alina warf ihr einen ihrer typisch tadelnden Blicke zu. »Deine Sprache lässt zu wünschen übrig - wie immer. Und wärest du nicht stehen geblieben, um mit Colwyn zu streiten, müssten wir uns nicht so beeilen . wie immer.«
»Dann ziehe ich dich das nächste Mal eben nicht mehr aus dem Weg, wenn er Mist nach uns wirft.«
»Du weißt, was Mam sagt, Basilia: Gall pechod mawr ddyfod trwy ddrws bychan - eine große Sünde kann durch eine kleine Tür eintreten.«
Lia verengte die Augen, sie hasste es, wenn ihre Schwester sich so altklug benahm und sie mit ihrem vollen Namen ansprach. Es war ein Name, der nicht zu ihr passte. Er gehörte zu strengen, normannischen Ladys, zu Frauen, die auf steinernen Burgen lebten und nicht mit Dreck oder Schlimmerem beworfen wurden. Lia war weder eine Normannin noch eine Lady und fand ihren Namen daher eher verhöhnend. Sie wandte sich Alina zu, bemüht, einen halbwegs freundlichen Ton anzuschlagen. »Eine große Sünde? Was willst du damit sagen?«
»Dass du stets anzunehmen scheinst, deine Streitereien wären bedeutungslos. Als wären es nur ein paar harmlose Worte, während du in Wahrheit mit deinem Verhalten Schande über uns alle bringst. Du vergisst, dass der Herrgott es so vorgesehen hat, dass Mitglieder des schwachen Geschlechts sich nicht mit denen des starken messen.«
Kopfschüttelnd trat Lia nach einem Kieselstein. »Ich bin ganz bestimmt nicht schwächer als Colwyn.«
Alina schnappte empört nach Luft und bekreuzigte sich. »Nâd i'th dafod dorri dy wddf - lass deine Zunge dir nicht das Genick brechen.«
»Himmel, Alina, pass bloß auf, sonst unterstellt man dir noch, für ein Mädchen unschicklich klug zu sein.«
Alina funkelte sie an. »Ich kenne noch ein paar weise Worte: Y mae dafad ddu ym mhob praidd.«
Lia senkte den Blick, sie wollte es nicht zeigen, aber diese Worte trafen sie. Da ist ein schwarzes Schaf in jeder Herde. Wie oft hatte sie sich schon so gefühlt?
»Colwyn zu ignorieren ist das beste Heilmittel, wann lernst du das endlich, Basilia?«
Lia deutete mit dem Daumen hinter sich, Colwyns schlurfende Schritte waren deutlich im nassen Gras zu hören. »Wie du wünschst, Alina.«
Sie hatte kaum ausgesprochen, da kam der Fischerjunge auch schon an ihre Seite entlang des Ufers, seine unnatürlich langen Arme schwangen mit jedem Schritt vor und zurück. »Haltet ihr euch immer noch für was Besseres, Bastarde? Denkt ihr, ihr müsst euch nicht mit mir abgeben, nur weil eure Großmutter eine Lady ist?«
Er gab Lia einen Stoß in den Rücken, und sie biss die Zähne zusammen. Sie verbot sich, auf irgendeine Weise zu reagieren, ließ aber Alinas Hand los und legte ihr den Arm um die Schultern, um sie besser schützen zu können. Sie mochten nur selten einer Meinung sein, trotzdem fühlte Lia sich für ihre jüngere Schwester verantwortlich. Zwar war Alina nur kurz nach ihr geboren, aber sie war ein gutes Stück kleiner als sie und wäre nie in der Lage, sich gegen einen Grobian wie Colwyn zu wehren. Diese Aufgabe war seit jeher Lia zugefallen. Egal, ob sie das zu einem schwarzen Schaf machte oder nicht. »Verschwinde, bevor du es bereust.«
»Was willst du denn machen, he? Zu Väterchen laufen?« Noch ein Stoß. »Der ist nicht hier, und ansonsten schert sich niemand auch nur einen Dreck um euch.«
»Sag nichts«, zischte Alina und zwickte sie in die Seite. Doch der hochmütige, tadelnde Blick von gerade eben war verschwunden, stattdessen las Lia Furcht in ihren Augen.
Sie schluckte die Widerworte hinunter und konzentrierte sich auf ihr Ziel. Unbeirrt hielt sie auf die Stelle des Flusses zu, wo das Ufer flach hinabfiel und die Strömung friedlicher war. Ihre Mutter hatte ihnen immer wieder eingeschärft, nirgends anders zu nahe ans Wasser zu gehen, denn so knapp an der Mündung zum Severn türmten sich die Wellen mit den Gezeiten oft mehrere Fuß hoch, um sich dann weiß schäumend niederzuwerfen. Es wäre leicht, vom Gewässer mitgerissen zu werden und hinter der scharfen Biegung des Flusses für immer zu verschwinden. Einen Moment lang überlegte sie, Colwyn einen Schubs zu geben, erschrak aber sogleich selbst über diesen Gedanken. Der Priester hatte ihr oft bei der Beichte erklärt, dass ihre Fantasien frevelhaft und unchristlich waren, dass ihre Seele durch den Makel ihrer illegtitimen Geburt beschmutzt war und sie nur durch ständiges Beten auf Gottes Pfad überdauern konnte - so wie ihre tugendhafte Schwester.
»Alina, nimm die Hemden, ich fange mit den Überkleidern an.« Sie kniete sich ins nasskalte Gras und beugte sich über das Wasser. Vielleicht verschwand Colwyn wirklich, wenn sie ihm lange genug ihre Aufmerksamkeit verwehrten.
Sie konnten ihre Arbeit nur bei Flut erledigen, setzte die Ebbe ein, blieb kaum mehr als ein schlammiges Bett übrig, das Unwissende in seinem Treibsand verschluckte. Noch ein unchristlicher Gedanke streifte sie, während sie Colwyn hinter sich auf und ab gehen hörte. Was war nur los mit ihr? Sie sollte einfach ignorieren, dass er hier war. Es war ein taufrischer Frühlingsmorgen, an dem die Bäume am Ufer mit ihren rissigen Rinden silbern glänzten. Die Blätter strahlten in saftigem Grün und verhießen freundlichere, wärmere Zeiten. Darauf sollte sie sich konzentrieren, auf das Schöne, anstatt auf die auf- und abgehenden Schritte hinter sich.
Sie wollte gerade die ersten Kleidungsstücke ins eisige Nass tauchen, als ihr ein schmerzhafter Schlag in den Nacken die Luft entweichen ließ.
»Ich rede mit dir, Bastard! Plötzlich nicht mehr auf deinem hohen Ross, was? Glaubst du, ich verschwinde einfach? So wie der Anteil unserer Getreideration im Winter, die dein Vater einfach gestrichen hat?« Noch ein Schlag.
Alina wimmerte neben ihr und schrubbte mit der Aschelauge so energisch die Hemden, als könnte sie dadurch alles andere ausblenden. Dabei murmelte sie immer wieder leise: »Nicht, nicht, nicht.« Wie eine Beschwörung, aber Lia konnte nicht schweigen.
Sie warf Colwyn einen Blick über die Schulter zu. »Nimm dich in Acht, wenn du über meinen Vater sprichst. Er kommt zu Pfingsten zurück, vermutlich ist er längst auf dem Weg. Und wenn er hört .«
Colwyn lachte boshaft auf. »Der Earl ist weit weg im Frankenreich! Vielleicht ersäuft er auf der Heimreise im Meer, vielleicht fällt er in einer von König Henrys Schlachten auf dem Festland. Und was dann, Bastard? Was passiert dann mit deiner Hurenmutter und euch Halbblutbälgern? Wer wird euch beschützen?«
Lia stopfte die Kleider zurück in den Korb und rappelte sich auf, Alinas zischendes »Nein« ignorierend. Sie baute sich vor Colwyn auf, der ob ihres Vormarsches einen Moment lang erschrocken die Augen aufriss.
Sie war fast so groß wie er, dennoch bot er einen furchterregenden Anblick. Die schwarzen strähnigen Haare betonten seine blasse Haut, die riesige Nase und buschigen Augenbrauen wirkten riesig in seinem schmalen Gesicht. »Du sprichst von Dingen, die nicht geschehen sind und so Gott will, auch nicht wahr werden. Noch ist mein Vater einer der mächtigsten Männer in ganz Wales, England und der Normandie, und du tätest gut daran, dich zu erinnern, wie man seine Töchter behandelt.«
»Seine Bastarde!« Er gab ihr einen weiteren kleinen Schubs, nur um sie zu provozieren, nicht mehr, um sie zu verletzen. Vielleicht zeigten ihre Worte doch Wirkung. Der Schatten der Burg, das Wissen, wer ihr Vater war, hatten sie schon oft vor ernsthaftem Schaden bewahrt.
»Die Bastarde des Feindes!«
Lia atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Sie sollte seine Schikanen gewohnt sein, die anderen Kinder im Dorf behandelten sie selten anders. »Es ist schon erstaunlich, wie gerne du Bastard sagst, obwohl es doch ein Wort des Feindes ist.« Sie stemmte die Hände in die Seiten. »Mir scheint, du bist kein so reiner, stolzer Waliser, wie du vorgibst.« So wie das halbe Dorf, fügte sie in Gedanken hinzu. Denn die Waliser kannten Bastarde nicht. Für sie spielte es keine Rolle, ob ein Kind ehelich oder unehelich geboren war, solange der Vater es anerkannte. Aber das schien wohl nicht für Kinder eines...
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