Schweitzer Fachinformationen
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Fast hatten sie es geschafft, fast war der Albtraum vorbei.
Die schwarze Limousine stoppte vor dem Ortsrand von Scheibenhardt. In den Häusern an der engen Straße, die geradewegs zur Brücke führte, brannte kein einziges Licht. Tom zog die Handbremse an und blickte konzentriert durch die größeren Löcher der völlig perforierten Windschutzscheibe nach vorn: Im Schein der wenigen Straßenlaternen erkannte er in etwa 200 Metern Entfernung einen rot-weißen Schlagbaum vor der Brücke.
»Wir werden zu Fuß gehen müssen«, stellte Richard angespannt fest. Sarah hatte mit einem Taschentuch auf der Fahrt all das Blut aus seinem Gesicht und von seinen Händen entfernt. Seiner Stimme nach zu urteilen, schmerzten seine Verletzungen mehr, als er zugeben wollte. »Holt eure Dokumente raus. Wenn sie fragen, wir haben drüben Geschäftliches zu erledigen, in Hagenau.« Er klopfte Tom auf die Schulter und fügte hinzu: »Es ist besser, wenn ich mit den beiden Schießeisen die Grenze passiere.«
Tom griff in seine Innentasche und reichte ohne Umschweife die Parabellumpistole nach hinten. Er war froh, sie wieder los zu sein.
»Warum werfen wir die Waffen nicht einfach weg?«, fragte Sarah.
»Noch nicht«, antwortete Richard. »Noch sind wir nicht in Sicherheit. Jetzt muss ich hier erst mal aussteigen .«
»Sollen wir dir helfen?« Sarah knotete sich einen Seidenschal um den Hals.
»Nein, nein, es wird schon gehen.« Richard öffnete die Tür. Er war kreidebleich.
»Tim«, flüsterte Richard sichtlich mit Mühe in Richtung von Tom und nickte dann Sarah zu, als sie in der Dunkelheit langsam durch das beinahe totenstille Dorf marschierten, »du gehst als Erster durch die Kontrolle, dann Sonja. Sollten sie bei mir Verdacht schöpfen, seid ihr zwei schon durch.«
Stacheldrahtrollen säumten den Flussverlauf, und große Schilder wiesen in deutscher Sprache darauf hin, dass sie sich auf die Staatsgrenze zubewegten. Ganz plötzlich glaubte Tom, ein Brennen auf seiner Brust zu verspüren. Er griff für einen kurzen Moment unauffällig auf seinen Mantel und fühlte das kleine Notizbuch in seiner Innentasche, von dem er weder Richard noch Sarah erzählt hatte. Aber er hatte nicht vor, das nun zu ändern. Jetzt war nur entscheidend, dass sie sich in Sicherheit brachten und am Leben blieben, alles andere konnte später geklärt werden.
»Kein überflüssiges Wort mehr«, zischte Tom, als er zwei Soldaten mit geschulterten Gewehren vor einem Wachhaus entdeckte. Hinter dem einzigen Zugang zur Brücke - einem mit Brettern, Draht und Sandsäcken gesicherten Korridor, der an einer kleinen Baracke vorbeiführte - waren zwei weitere Aufseher postiert, die neben dem Schlagbaum in der Kälte froren.
Mindestens vier Mann, dachte Tom konzentriert. Da erkannte er zwei Wachtürme unweit des Ufers, von denen aus man ins Nachbarland spähen konnte. Hinter der kurzen zweispurigen Brücke wehte am anderen Ufer neben einem mit Sandsäcken geschützten Häuschen die blau-weiß-rote Trikolore in einer leichten Brise. Dort war Frankreich.
Das deutsche Scheibenhardt und das französische Scheibenhard waren nicht zwei Nachbarorte, sondern ein in zwei Hälften durchschnittenes Ganzes. Eine Runde illustrer Politiker musste irgendwann entschieden haben, dass der schmale Fluss namens Lauter die zahlreichen kleinen Fachwerkhäuser aus weißem Stein und schwarzem Holz in zwei Teile zu trennen hatte.
Einer der Soldaten sah auf und trat eine Zigarette mit seinem Stiefel aus. Der junge Mann in der dunkelgrünen Uniform hatte Richard, Sarah und Tom bemerkt.
»Sie wollen um diese Zeit über die Grenze?«, fragte er etwas herablassend.
»Ja«, antwortete Tom sofort.
Der vielleicht 18 Jahre alte Deutsche zuckte mit den Achseln, trat zur Seite und deutete auf die Baracke hinter sich. »Weisen Sie sich dort drüben aus. Halt, einer nach dem anderen.«
Tom blickte über seine Schulter zurück. Richard blieb stehen und nickte ihm zu, Sarah schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln.
Sie ist eine außergewöhnlich willensstarke Frau, dachte Tom. Wahrscheinlich konnte niemand wirklich hinter ihre wunderschöne Fassade blicken und wissen, was in ihrem Kopf vorging.
Er wandte sich wieder herum, ging geradewegs unter einer herabbaumelnden Hakenkreuzfahne hindurch und folgte dem schmalen Gang in Richtung der kleinen Baracke.
»Die Papiere«, befahl ein uniformierter Mann Mitte 30 hinter einem Fenster, deutete mit dem Zeigefinger auf eine große Öffnung unter der Scheibe und schob seine Brille die Nase hinauf. Der oberste Knopf seiner olivfarbenen Jacke war geöffnet, der Mann wirkte müde. Tom fasste in seine Innentasche und wollte seinen Pass hinausziehen - doch plötzlich hielt er inne.
»Ihre Papiere«, wiederholte der Beamte ungeduldig. Tom schob seine Hand wieder in den Mantel.
»Nur einen Moment«, beteuerte er, lächelte gequält und wurde hochrot. Er hatte geistesabwesend anstelle seines Ausweises das kleine rote Notizbuch hervorgekramt, das er in Wien in den Kunststoffbeutel eingewickelt hatte. Schnell stopfte er es wieder in die Innentasche und ermahnte sich innerlich selbst: Mach' jetzt, verdammt noch mal, keinen Anfängerfehler! Er hoffte, dass der Beamte keinen Verdacht geschöpft hatte.
»Hier.« Tom legte den gefälschten reichsdeutschen Pass von Tim Wallstrom aufgeschlagen auf das Holzbrett.
»Wallstrom«, las der Uniformierte desinteressiert und gähnte. Tom bemühte sich, so sehr er konnte, nicht aufgeregt zu wirken, aber sein Puls raste. Der Brillenträger blickte auf und musterte Toms Gesichtszüge. Langsam und bedächtig blätterte er dann zum Foto der Fälschung. Tom ließ seine Arme baumeln und bemühte sich, gelassen zu wirken, doch er befürchtete, dass es ihm nicht besonders gut gelang.
»Haben Sie Devisen dabei?«
»Keine 100 Reichsmark«, log Tom sofort, »Ich bin nur kurz in Frankreich. Ich will morgen Abend schon zurück sein.«
»Der Nächste!«, brüllte der Grenzer und ließ Tom zusammenzucken. Erst als der Mann den Pass zurückschob, hatte Tom verstanden. Sofort nickte er, schnappte sich den Ausweis und eilte los. Es hatte geklappt! Er war durch!
Tom ging durch den Korridor auf den Schlagbaum zu. Die beiden Soldaten wichen zur Seite und ließen die Schranke in die Höhe gleiten. Tom fühlte, wie eine tonnenschwere Last von seinen Schultern fiel, als er die vom letzten Regenwasser glänzende Brücke betrat und endlich das Deutsche Reich verließ.
»Ihre Papiere bitte, Fräulein«, hörte er den Beamten hinter sich laut rufen. Tom setzte langsam einen Fuß vor den anderen, hielt die Luft an und lauschte angestrengt. Nun war Sarah hinter ihm an der Reihe.
»Kann passieren.«
Tom atmete auf. Auch Sarah war durch! Es fehlte nur noch Richard.
»Der Nächste.«
»Ihren Ausweis«, vernahm Tom kaum noch hörbar, denn er hatte schon beinahe den höchsten Punkt der Brücke erreicht. Er schloss die Augen, bemühte sich, beinahe geräuschlos aufzutreten und spitzte seine Ohren: Sarahs Schuhe klackten nicht weit hinter ihm auf dem Pflaster. Fast war es geschafft! Fast!
»Frankreich, Frankreich«, murmelte Tom zuversichtlich und ballte seine Hände zu Fäusten. In ein paar Augenblicken würde sich das verdammte kleine rote Buch aus Wien endlich in Sicherheit befinden .
Wenige Meter vor ihm öffnete sich eine Tür in dem Grenzhäuschen auf französischer Seite. Ganz langsam trat eine Gestalt heraus, die einen dunklen Hut trug und in einen langen Mantel gehüllt war. Tom blieb abrupt stehen und blinzelte: Die Gestalt verbarg eine Hand hinter dem Rücken und blickte auf die deutsche Seite hinüber.
Wer zum Teufel ist das?, dachte Tom, als sich die Person seelenruhig etwa zehn Meter vor ihm mitten auf die Fahrbahn stellte. Auf einmal hob sie den Kopf und ließ Tom unvermittelt einen Schritt zurückweichen: Das fahle Licht fiel auf das von Narben übersäte Gesicht von Colonel Francis Colpo.
»Nein!«, wollte Tom vor Wut und Überraschung schreien - doch ehe er es konnte, schnellte schon die rechte Hand des Colonels nach vorn: Tom blickte direkt in die Mündung eines Revolvers. Als Colpo nur einen Augenblick später mit regungsloser Miene abdrückte, ließ sich Tom instinktiv auf den Rücken fallen. Da brach die Hölle los.
Zahllose Stimmen riefen an beiden Ufern mit einem Mal aufgeregt durcheinander, wurden aber von zahlreichen Schüssen aus allen Richtungen mit Leichtigkeit übertönt. Scheinwerfer erleuchteten die Brücke schlagartig taghell. Tom drehte sich unter dem dröhnenden Lärm auf den Bauch und blickte zurück. Die Brücke war leer - und Sarah war verschwunden.
Eine deutsche Wache sackte getroffen mit schmerzverzerrtem Gesicht hinter dem Schlagbaum zu Boden. Ein zweiter Soldat feuerte mit einem Gewehr in die Luft, während neben ihm Projektile in die Sandsäcke und Barrikaden einschlugen.
Tom überlegte nicht lange. Er raffte sich auf und rannte mit eingezogenem Kopf zurück. Ohne von einer Kugel getroffen zu werden, schaffte er es wieder zum Schlagbaum und blickte sich hektisch um. Wo war Sarah? Wo Richard? Was war mit ihnen geschehen?
Während auf dem deutschen Wachturm eine Salve aus einer automatischen Waffe abgefeuert wurde, rollte Tom unter dem rot-weißen Balken hindurch, kam wieder auf die Beine, sprang gebückt über eine Stacheldrahtzaunrolle, krachte dahinter zu Boden, raffte sich erneut auf und raste los.
»Halt!«, kreischte eine Stimme hinter ihm. Tom kümmerte es nicht. Er warf energisch seine...
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