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Prolog
Es war Mittwoch, der 11. Dezember 2019, am Vorabend der Parlamentswahlen. In der Barbican Hall führte das Freiburger Barockorchester Händels Messias auf. Was für eine Freude - und Erleichterung -, an einem Ort zu sein, zu dem der Krach und der Zorn des Brexit nicht durchdringen konnten, wenn auch nur für ein paar Stunden. Als der Sopran den dritten Teil mit der Arie »Ich weiß, dass mein Erlöser lebet« eröffnete, versetzte mich dies in einen entzückenden kleinen Tagtraum. In meiner Vorstellung erging es allen um mich herum ganz ähnlich. Was für ein Satz - Ich weiß, dass mein Erlöser lebet . Dabei hatte ich gar nichts Göttliches im Sinn. Meine Gedanken an diesem Abend kreisten um etwas viel Irdischeres, Weltliches. Ich war ganz und gar vertieft in das wundersame Schaffen eines gewissen deutschen Maestros. Nein, nicht Händel.
In Gedanken war ich immer noch beim vorangegangenen Abend. Der FC Liverpool hatte Red Bull Salzburg mit 2:0 geschlagen und sich damit für die K.-o.-Runde der Champions-League-Saison 2019/20 qualifiziert. Ein Sieg, der die Handschrift ihres unnachahmlichen Trainers trug: Jürgen Klopp. Konnte es sein, dass er mein Erlöser war? Wohl kaum. Der Messias? Also, das nun wirklich nicht. Aber ist er die treibende Kraft hinter einem Fußballverein, dessen glorreiche Zeiten längst der Vergangenheit anzugehören schienen? Definitiv ja. Und was an dieser Verbindung seltsam, fast einzigartig erscheint, ist, dass sie einem geradezu schicksalhaft vorkommt. Wie vorherbestimmt. Schlecht vorstellbar, dass jemand einen besseren Job für Liverpool gemacht hätte.
Dabei hatte ich bis vor zehn Jahren noch nie von ihm gehört, so wie die meisten anderen wohl auch. Heute, im Jahr 2020, ist er der wahrscheinlich bekannteste und am meisten verehrte Fußballtrainer der Welt. Wie konnte das bitte passieren? Da ich nun wirklich kein begeisterter Anhänger der deutschen Bundesliga bin, war sein Aufstieg beinah vollkommen an mir vorbeigegangen. Bei Mainz 05 hatte er sich als junger Trainer einen Namen gemacht und später den schlafenden Giganten Borussia Dortmund zu neuem Leben erweckt. Es muss um das Jahr 2010 gewesen sein, als ich zum ersten Mal über seinen Namen stolperte. Bei Liverpool herrschte wieder einmal Flaute. Es war die Rede von schlechtem Finanzmanagement seitens der Inhaber Hicks und Gillett, zudem war man unter Roy Hodgson mehr oder weniger festgefahren. Eigentlich ein guter Trainer, nur eben nicht der richtige Mann für den Job. Mehrere Namen wurden als potenzielle Nachfolger gehandelt, wie das eben so üblich ist, darunter der von Kenny Dalglish. Ein befreundeter LFC-Fan, den ich regelmäßig bei unserer freitäglichen Fünf-gegen-fünf-Fußballrunde in Clerkenwell traf, meinte jedoch: »Die sollten mal einen Blick auf Jürgen Klopp werfen.« Wen? Er gab mir einen kurzen Abriss, den ich aber prompt wieder vergaß, zu sehr war ich abgelenkt von der trügerischen Hoffnung auf eine zweite Amtszeit Dalglishs. In der Saison 2013/14 schien es kurzzeitig sogar möglich, unter Brendan Rodgers den Titel zu holen.
Was war das für eine Saison! Liverpool raste mit 240 Sachen pro Stunde übers Feld, angeführt von einer aggressiven Dreierspitze, die den Gegner nach Belieben vor sich hertrieb. Zu Weihnachten an der Spitze, fünf Punkte Vorsprung noch im März. Überall machte sich die kühne Vorstellung breit, wir würden wirklich die Meisterschaft holen . Egal, wie viele Tore der Gegner schoss, wir schossen eins mehr. Bis eben nichts mehr lief. Der 27. April 2014 ging in die Geschichte von Anfield ein als der Tag, an dem sie sich wehrlos hinten reinstellten. Nach der 0:2-Schlappe gegen Chelsea notierte ich voller Trauer in mein Tagebuch:
Wenigstens war es Gerrards Fehler - ihm kann ich noch am ehesten verzeihen. Hätte Kolo Touré so etwas gemacht, ich hätte Rodgers auf ewig verflucht, ihn aufzustellen.
Währenddessen machte drüben in Deutschland Borussia Dortmund mit zwei Meisterschaften in Folge lautstark auf sich aufmerksam. 2012 holten sie außerdem das Double, und 2013 zogen sie ins Finale der Champions League ein. Klopp war plötzlich auf dem Radar. Derweil Liverpool in einem herzzerreißenden Schauspiel implodierte. Die desaströse Endphase unter Rodgers fand 2015 mit einer 1:6-Niederlage gegen Stokes ihren Tiefpunkt, und so wurden auch die Gerüchte um einen möglichen Nachfolger immer lauter. Carlo Ancelotti wurde ins Spiel gebracht. Der Name jedoch, der am meisten nachhallte, war Klopp. Der hatte nämlich bereits beschlossen, Dortmund zu verlassen und ein Jahr Pause einzulegen. Klopp - das hatte irgendwie was, da schwang eine gewisse Haltung mit. Klopp - würde die Aussicht auf die Anfield Road ihn aus seinem Sabbatical-Jahr herauslocken können? Klopp! Klopp! Klopp! Schicksalhaftes Hufgetrappel näherte sich mit wachsender Geschwindigkeit. Manche Fans gerieten darüber derart in Euphorie, dass sie sogar Klopps Ehefrau auf Twitter umwarben.
Nach einem 1:1-Unentschieden im Merseyside Derby am 4. Oktober 2015 wurde Rodgers noch am selben Tag entlassen. Am Ende der Woche hatte Klopp bereits einen Drei-Jahres-Vertrag an der Anfield Road unterschrieben und einen ersten Rundgang über das Gelände gemacht. Und er sah toll aus - beeindruckend groß, tiefenentspannt, in Jeans, schwarzem Shirt und Sakko, die Haare akkurat getrimmt. Das berühmte Lächeln noch etwas schüchtern, aber bereits deutlich erkennbar. Und dann kam die erste Pressekonferenz.
Ging es in seiner Beziehung zu den Dortmunder Fans noch um gegenseitige Verehrung und tränenreiche Dramaturgie, so wollte Klopp bei seiner Amtseinführung in Liverpool die Latte etwas tiefer legen. Vor dem Mikrofon gab er sich bedacht und sprach in ruhigem Tonfall. Der Bedeutung dieses Termins war er sich dabei voll und ganz bewusst (»Ich kann mir keine größere Ehre vorstellen, als hier zu sein«), die Kriegstrommeln wollte er jedoch keinesfalls zu früh schlagen. Die Powerchords von »Heavy Metal Football« würden noch etwas warten müssen. Er war hier, »um einem Club zu helfen«, der zwar in keinem ernsthaften Schlamassel steckte, jedoch auch keine Bestleistungen ablieferte. Sein Ansatz der Erneuerung sollte sowohl mit Blick auf die Spieler als auch auf die Fans langsam seinen Reiz entfalten. Wer den Club unterstützen wolle, der müsse sich wandeln, und zwar »vom Zweifler zum Gläubigen«. Sein zweites großes Zitat. Das erste schien eher zufällig zustande gekommen zu sein - kennt man jedoch seine akribische Art der Vorbereitung, so hat er es wohl einfach nur so aussehen lassen. »Glaubt irgendjemand in diesem Raum, ich könne Wunder vollbringen?«, fragte er und gab den einfachen Jungen aus dem Schwarzwald, dessen Mutter stolz war, ihn nun im Fernsehen bewundern zu dürfen. »Also, ich bin ein ganz normaler Typ . The Normal One.« Volltreffer. Mit seiner Selbstironie erntete er nicht nur einen Lacher. Er grenzte sich damit auch bewusst von all jenen Fußballtrainern ab, die sich für etwas Besonderes hielten. Arroganz war Klopps Sache also schon mal nicht. In seinen Augen war das einzig »Besondere« der Club, dem er fortan dienen würde. Er hatte das Prinzip Liverpool verstanden. Er hatte uns verstanden.
Der nächste geniale Schachzug folgte auf dem Fuße. »Ich möchte Spaß bei der Arbeit haben«, wandte er sich direkt an seine Inquisitoren, ohne dabei eine Miene zu verziehen. »So viele Leute haben mir von der britischen Presse berichtet. Es liegt also an euch - straft sie alle Lügen.« Der nächste große Lacher. Die anwesenden Journalisten waren von jemandem entwaffnet worden, der sie dabei auch noch auf den Arm nahm - und sie liebten es. Was für eine wundervolle Unverschämtheit, gerade sie in sein Vorhaben einzubinden: Seht her, ich präsentiere euch Fußball für alle, die Spieler, Fans, Trainer und ja, sogar für euch, die miesen, bissigen Bluthunde, die in den Klatschspalten ihr Unwesen treiben. Als ihn jemand nach dem Pantheon von Anfield fragte - und damit nach der Bürde der Vereinsgeschichte -, parierte er auch diese Frage im Handumdrehen: Seiner Beobachtung nach hatte noch kein Trainer den Posten in Liverpool bereits als Legende angetreten. Diese Art von Ansehen musste man sich erst einmal verdienen. Wie er es bereits in Dortmund auf den Punkt gebracht hatte: »Es ist nicht so wichtig, was über einen gedacht wird, wenn man kommt. Es ist wichtig, was über einen gedacht wird, wenn man geht.« Da war sie wieder, diese Demut, diese Art, das große Ganze im Auge zu behalten. Das kam an. Wer wirklich an sich glaubt, muss nicht prahlen oder angeben. Selbsterkenntnis erlaubt einem vor allem auch, andere zu verstehen. Man kann sogar eine ganze Karriere darauf aufbauen.
Ein weiser Mann sagte einmal: »Menschen glauben nicht an Ideen. Sie glauben an Menschen, die an Ideen glauben.« Und genau das hatte Klopp bei seiner Vorstellung an diesem Tag so gut rübergebracht. Er zeigte sich von seiner bescheidenen, humorvollen Seite. Seine Grundsätze - aus Zweiflern Gläubige zu machen, die Notwendigkeit, auf dem Boden zu bleiben (»The Normal One«), die Ehre, einer so geschichtsträchtigen Institution zu dienen - glaubte er, mit Geduld und Zusammenhalt erfüllen zu können. Zudem sollten beim Erreichen dieser Ziele auch noch alle ihren Spaß haben - ein weiterer Wesenszug Klopps. Die Premier League ist ein verbissenes Geschäft, in dem um höchste Einsätze gespielt wird. Der Spaß geht darüber oft verloren. Heutzutage wirken viele Trainer verkrampft und gequält. Wer kann diesem permanenten Überwachungsdruck widerstehen? Wer kann diese Schmähungen ertragen? Innerhalb weniger Monate wandelte sich...
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