Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Dieser Verhörraum riecht genauso wie all die anderen: nach abgestandenem Kaffee und scharfen Reinigungsmitteln. Es fühlt sich an, als würden sich alle Gerüche in meinem Innern mischen. Die des Leichenschauhauses, aus dem wir gerade kommen. Die der abgenutzten Möbel dieses ungeliebten Orts. Mein Blick wandert zu der alten ratternden Klimaanlage. Ein breites Stück Paketband, mit dem ein Riss geflickt werden sollte, hat sich gelöst und zittert im Lufthauch wie ein anklagender Finger.
»Mrs. Nelson«, beginnt Officer Brewer. »Ich danke Ihnen, dass Sie uns für ein paar Fragen zur Verfügung stehen. Sie sind hier aus freiem Willen und stehen nicht unter Arrest. Dennoch bin ich gesetzlich verpflichtet, Sie darüber zu informieren, dass Sie sich einen Anwalt nehmen dürfen. Den können Sie selbst auswählen oder es könnte Ihnen einer gestellt werden.«
»Mormonen brauchen keinen Anwalt«, entgegne ich. »Gott ist unser Zeuge.«
Brewer runzelt leicht die Stirn.
»Tut mir leid«, sage ich. »Wenn ich nervös bin, mache ich Scherze.«
»Oh«, ihre Stirnfalte wird tiefer, »es besteht kein Grund, nervös zu sein, Mrs. Nelson. Das alles ist reine Routine nach einem Todesfall. Damit wir Sie aus unseren Ermittlungen entlassen können.«
Sie blickt auf, schenkt mir ein Lächeln, das ihre Augen nicht erreicht, und öffnet eine Akte. Ganz oben liegen ein paar Außenaufnahmen von unserer Ranch. Sandige Erde. Schäbige Nebengebäude.
Wie ein Schlag trifft mich die schreckliche Erinnerung an meinen letzten Besuch in einer Polizeiwache.
»Alles in Ordnung, Mrs. Nelson?«
Ich nicke, aber mein Herz hämmert.
»Sie sehen ein bisschen blass aus. Soll ich Ihnen was holen? Ein Glas Wasser?«
Ich schüttle den Kopf.
»Sind Sie sicher, dass Sie meine Fragen beantworten können?«
»Ja.«
»Gut.« Wieder lächelt sie, aber diesmal mit echt wirkendem Mitgefühl.
Ich betrachte erneut die Polizeifotos von der Ranch, die selbst mir heruntergekommen erscheint, da überall Blakes kaputte Gerätschaften und dergleichen für seine Projekte herumliegen.
»Ich muss Ihnen sagen«, setzt Brewer an, »dass ich nach all den Jahren bei der Polizei wirklich meinte, ich hätte schon jeden denkbaren Haushalt gesehen. Aber Utah überrascht mich immer wieder.« Sie zieht die Augenbrauen hoch und schüttelt den Kopf. »Sie wohnen auf einer verlassenen Farm?«
»Es war eine Ranch. Für Rinder.«
»Aber Sie nutzen sie nicht mehr so«, sie blättert durch die Akte. »Weil Viehbetriebe normalerweise doch keinen . was ist das? Ein alter Aussichtsturm?«
»Blake glaubte, wir könnten einen Ausguck gebrauchen«, erkläre ich. »Denn das Ende ist nahe, und man will sich doch sicher sein, dass etwaige Besucher freundlich gesinnt sind.«
Sie bedenkt mich mit einem langen Blick. »Klar.«
»Es waren nur Sie vier da draußen?«, hakt sie nach. »Keine Kinder?«
»Noch nicht!« Diese Antwort ist mir so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie wie ein Reflex herauskommt, und lauter, als ich beabsichtigt hatte.
Als Brewer mich daraufhin verwirrt ansieht, erkenne ich, wie seltsam das klingen muss, nach dem, was passiert ist.
Brewer sieht sich weitere Fotos an. »In diesem kleinen Holzhaus also . haben Sie alle gewohnt und geschlafen. Mit einem kleinen Anbau dahinter.«
Ich nicke.
»Gemütlich. Und dies hier?« Sie zeigt auf einen rostigen alten Wellblechstall.
»Blake hat da viel Zeug aufbewahrt. Wir sollten da nicht hineingehen.«
»Dann können wir uns wohl glücklich schätzen«, erwidert sie ausdruckslos und nimmt ein Foto von dem dunklen Inneren hoch. Man sieht nur ein Durcheinander von Dingen, die Blake für seine Projekte sammelte. Räder und Geräteteile von Schrottplätzen.
»Männerhöhle, was?«, fragt sie.
»So in etwa.«
»Dann . ist da noch dieses Lagerhaus, etwa zwanzig Meter vom Haus entfernt. Dort machen Sie Ihre Essenskonserven, richtig?« Sie hält weitere Fotos in die Höhe. Darauf sieht man deckenhohe Regale mit Gläsern und Dosen in allen Farben. Der Survive-Well-5000-Einkochapparat wirkt massiv und so, als wäre er gerade aus dem Weltraum gelandet.
»Aber Sie betreiben doch kein Konservengeschäft, oder?«, fragt sie. »Das alles ist nur für den Hausgebrauch?«
Daraufhin pfeift sie leise. »Tja, dann sind Sie gut vorbereitet«, sagt sie schließlich und wendet sich erneut den Fotos zu.
»Also .«, wieder bedenkt mich Brewer mit ihrem unechten Lächeln, »Sie sagen also, Ihr Mann sei gestern angeln gewesen?«
»Das stimmt.« Mein Mund ist trocken. Ich schlucke. »Er war oft angeln.«
»Aber dieses Mal ist er nicht zurückgekommen. Waren Sie nicht besorgt?«
»Nun, manchmal kam er erst spätabends nach Hause. Weil man nachts oft einen größeren Fang macht. Wenn er den ganzen Tag nichts geangelt hatte.«
»Also war es nicht ungewöhnlich, dass er mal eine ganze Nacht draußen blieb?«
»Nicht die ganze Nacht. Aber mal bis spät in den Abend. Dann kam er nach Hause, wenn wir alle schon schliefen.«
Ein seltsamer Ausdruck huscht über Brewers Gesicht, ganz kurz nur.
»Und diese Angelstelle«, fährt sie fort. »Wie weit ist die vom Haus entfernt . etwa fünf Minuten zu Fuß?« Sie sichtet noch mal die Fotos und schiebt die von den Farmgebäuden beiseite. »Diese Stelle?«
»Ja, die ist ungefähr fünf Minuten entfernt.«
Ich denke an das etwas tiefer gelegene Gelände, wo der Fluss breiter wird und das olivgrüne Wasser durch staubige Erde und trockenes Gestrüpp fließt. Auf der gegenüberliegenden Seite ragt eine braune Felswand steil in die Höhe, glitzernd von kleinen Rinnsalen, die aus ihr herausdringen wie aus Weißkäse.
In der Nähe des Ufers steht ein Wacholderbaum, so knorrig wie die Hand einer alten Dame. Wacholderbäume werden normalerweise als hässlich und nackt betrachtet, aber mir haben sie schon immer gefallen. Sie wachsen im kärgsten Boden, in sengender Sonne und sogar unter einer Schneedecke. Sie sind viel stärker, als sie aussehen.
»Gehen Sie Frauen auch mal zu dieser Stelle am Fluss?«, erkundigt sich Brewer.
»So gut wie nie. Einmal im Jahr hat Blake Tina und mich in dem Wasser getauft.«
»Emily nicht?«, fragt sie ein bisschen zu rasch.
»Emily kann nicht schwimmen. Sie hat Angst vor der Strömung, deshalb wurde sie am Ufer getauft.«
Wieder zieht Brewer die Augenbrauen in die Höhe.
»Also, um das noch mal klarzustellen«, sagt sie. »Ihr Mann verlässt das Haus und kommt nicht wieder. Hat es vielleicht Streit gegeben?«
»Ja, schon«, gestehe ich, und bei der Erinnerung daran zieht sich meine Brust so zusammen, dass ich nur schwer atmen kann. »Aber wir hatten uns versöhnt.«
»Dürfte ich fragen, worum es bei dem Streit ging, Mrs. Nelson?«
Als ihr Blick wieder auf meinen Arm fällt, zupfe ich erneut am Ärmel, obwohl man die blauen Flecke jetzt nicht sehen kann.
»Ja, also, Blake hatte mit jemandem aus meiner Familie gesprochen. Damit war ich nicht einverstanden.«
»Aha?« Brewer faltet die Hände und beugt sich vor.
»Meine Beziehung zu meiner Familie ist kompliziert, Officer Brewer, wir kommen nicht gut miteinander aus.«
»Und Blake wollte vermitteln? Waren Sie deshalb so wütend auf ihn?«
Ich blicke ihr direkt in die Augen. »So wütend war ich nicht, Officer«, antworte ich leise. »Aber ja, ich war verärgert. Weil ich fand, er hätte mich vorher fragen sollen. Wir haben darüber geredet, und er hat sich entschuldigt.«
Brewer runzelt die Stirn.
»Ach, so einfach war das? Ich wünschte, mein Mann wäre auch so einsichtig«, sagt sie. »Vielleicht wären wir dann zusammengeblieben. Okay. Also, wie war das? Blake verschwindet und kommt nicht zurück. Was dachten Sie da? Dass er ganz allein am Fluss bleiben wollte?«
An ihrer Miene sehe ich, dass sie das für höchst unwahrscheinlich hält.
»Ich . ich dachte, er hätte noch bis spät geangelt und wäre zurückgekommen, als wir schon schliefen.«
»Aber als Sie morgens aufwachten und er war nicht da . was haben Sie da gedacht?«
»Also, das ist auch schon mal vorgekommen. Zum Beispiel, wenn er ins Gebet vertieft war. Aber ich, äh . ich war nicht in . seinem Bett. Dem . äh, Hochzeitsbett.« Jetzt spüre ich, wie ich knallrot werde.
»Das Bett, das für die eheliche Beziehung gedacht ist?«
»Gut.« Brewer zögert nur kurz. »Wer war in dem Bett?«
»Für diese Nacht hatte er, bevor er ging, Emily gewählt«,...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.