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Intro: »Mit Harfe und Leier«
Das Buch der Psalmen, Liederbuch der Bibel, endet mit einer beeindruckenden Liste von Musikinstrumenten, mit denen man Gottes Lob singen kann. Der Mensch legt sein gesamtes musikalisches Gefühl und Können in jenes eine Lied, das er für Gott singt, das zu seinem Lebenslied wird. Mich fasziniert am Mönchtum vor allem, dass der Klang jenes Lebensliedes alles durchdringt. Mönche singen in allen Lebenslagen mit allen Registern ihrer Person für Gott. Sie nehmen den Aufruf des Psalmisten wörtlich:
Lobt ihn mit dem Schall des Widderhorns,
lobt ihn mit Harfe und Leier!
Lobt ihn mit Trommel und Reigentanz,
lobt ihn mit Saiten und Flöte!
Lobt ihn mit tönenden Zimbeln,
lobt ihn mit schallenden Zimbeln! (Ps 150,2-5).
An den Liedern meiner Kindheit war von dieser Art von Mönch in mir noch nichts zu merken. Oder doch? Jedenfalls war ich mir dessen nicht bewusst. Das erste Musikinstrument, das ich spielte, war die allseits bekannte, handelsübliche Mundharmonika. Sie kommt nicht in der Auflistung im Psalm vor und ist auch nicht gerade das, was man später im Kloster erwarten würde. Auch wenn man das Lob Gottes in allen Tönen singen kann, so kann ich beim besten Willen nicht sagen, meine kindlichen Bemühungen als solches erfahren zu haben.
Schon früh bekam ich eine Spielzeugharmonika von meiner Großmutter geschenkt. Ich spielte bekannte Kinderlieder, mehr schlecht als recht. Aber immer mit großer Leidenschaft und Inbrunst, wie meine Mutter mir glaubhaft versichert. Auch wenn ihr der Geräuschpegel sicher manchmal auf die Nerven gegangen ist, was sie heute nicht mehr zugeben will. Später wurde die Mundharmonika für mich zum Melodieträger meiner musikalischen Pubertät. Ich spielte sie auf einem Ständer um meinen Nacken, dazu Westerngitarre. Dazwischen sang ich alle möglichen Lieder: Protestsongs, Arbeiterlieder, Volkslieder.
Allesamt waren sie Versuche, meinem Verlangen nach einer besseren Welt, einem sinnvollen Leben und ein klein wenig Erfüllung Ausdruck zu verleihen. Genauer wusste ich zu jener Zeit noch nicht, wonach es mich eigentlich verlangte. Es war noch nicht mehr als ein Vorspiel. Aber der Klang meiner Mundharmonika wurde im Laufe der Jahre immer leidenschaftlicher. Die geselligen Kinderweisen spielte ich schon lange nicht mehr. Der Blues weckte in mir Sehnsucht, keine Gemütlichkeit. Meine Lieder erwachten zum Leben.
Bluesharp
In dieser Phase hat das Spiel auf dem Blasinstrument eine wichtige musikalische Vorliebe in mir hervorgerufen: Ich begeisterte mich für Singersongwriter und alles, was in den Bereichen Pop und Rock irgendwie damit zusammenhing. Ich bewunderte Liedermacher im In- und Ausland, die den wehmütigen und zugleich verheißungsvollen Klang der Mundharmonika in ihr Werk integrierten. Um mich dabei von jeglicher Volkstümelei abzusetzen, sprach ich inzwischen von einer »Bluesharp«. Das klang doch schon viel mehr nach großer weiter Welt, nach Fernweh, Freiheit und Kreativität. Ich war Autodidakt und verbrachte Stunden blasend und saugend auf meinem Zimmer, krampfhaft ein »Bending« versuchend. Für die Nicht-Kenner: es handelt sich dabei um eine Technik, wie man einen Ton »biegen« kann, das heißt bluesig ein wenig höher oder tiefer spielt. Das gab dem Ganzen einen gewissen Touch, den unverwechselbaren Klang, wie man ihn von Cowboys und Landstreichern kannte.
Der Singersongwriter-Sound, den ich in jener Zeit hörte, war spontan und »basic«. Es ging weniger um filigrane Harmoniegefüge, als vielmehr um die Idee, die Story, das Gefühl. In einem Buch zum Erlernen des Blues las ich: »Früher oder später wirst du an einen Punkt kommen, an dem du zwar improvisiert spielen kannst, dir aber eine gewisse persönliche Note in deinem Spiel fehlt. Diese stellt sich dann ein, wenn manchmal etwas Unerwartetes passiert, und vor allem, wenn man für einen kurzen Moment von der Bluesskala abweicht«.1 Es ist kein Zufall, dass mich die Mundharmonika schon früh auf diesen musikalischen Weg geführt hat, denn er entspricht meiner musikalischen und auch persönlichen Neigung: ich improvisiere für mein Leben gern, in allen Lebenslagen.
Das heißt nicht, dass ich nicht auch etwas gelernt hätte. Man kann nur von der Bluesskala abweichen, wenn man sie zuvor beherrscht, und das ist am Anfang gar nicht so einfach. Momente der Freiheit setzen Struktur voraus, nicht nur im Blues. So bin ich heute froh, dass ich am Klavier eine Art musikalische Grundausbildung erhalten habe, auch wenn mein Klavierunterricht mich langweilte. Die Etüden von Carl Czerny kamen mir öde und sinnlos vor. Lieber spielte ich auch an den Tasten nach Gehör, und zwar ganz unterschiedliche Weisen. Das gefiel meinem Klavierlehrer, dem braven Organisten meiner Heimatpfarrei und einem herzensguten Mann, gar nicht. Er sagte mir, die Etüden seien wichtiger, ebenso wie die endlosen Tonleitern, hoch, runter und dann gegeneinander. Mir leuchtete das zwar irgendwie ein, und ich tat, was nötig war, um die wöchentliche Klavierstunde so unbeschadet wie möglich zu überstehen. Denn ich wollte nichts lieber als Klavierspielen. Doch kaum war er nach einem Gläschen mit meinem Vater wieder weg, spielte ich, was mir in den Sinn kam und auf der Seele brannte: Blues in C.
Ich war wohl eher der Träumer als der penible Techniker. Ich schnappte mir meine Bluesharp, kombinierte sie mit dem Klavier und meiner Westerngitarre, und träumte von einer besseren Welt. Meistens war es recht flach, was ich so spielte. Es stellte sich nichts Unerwartetes ein, wie man es sich bei einer echten Improvisation erhoffte. Dafür fehlte mir noch das Gespür und die Gelassenheit. Vieles von meiner persönlichen Note in jener Zeit war mehr gewollt als gekonnt. Aber ich habe es mit Begeisterung gemacht, fühlte mich individuell und extravagant.
Gregorianik
Von einem Mönch würde man eigentlich eher das Gegenteil erwarten, nämlich dass er sich mit Disziplin und Genauigkeit in das Repertoire des Mönchschors fügt. Eine musikalische Mönchsarbeit kommt an Etüden und Tonleitern nicht vorbei. Der Musikant sollte eigentlich ganz und gar darin aufgehen, keinesfalls auf unerwartete Momente spekulieren. Wenn man als Einzelner im Chor eines Klosters herauszuhören ist, ist das ein ganz schlechtes Zeichen. Es geht um den Chor, nicht um die persönliche Stimme oder Stimmung. Musikalisch schien ich im Kloster also im völlig falschen Film gelandet zu sein.
Auch wenn vielleicht langgezogene Mundharmonikasoli das Vorspiel in meiner Kindheit und Jugend bildeten, so musste doch etwas anderes an ihre Stelle treten, was meinem musikalischen und vor allem spirituellen Verlangen mehr Struktur gab. Die Bluesskala schien mir völlig ungeeignet, denn schon der Klang »gebogener« Töne erweckte eine Sehnsucht in mir, die ich nicht mit ins Kloster nehmen wollte. Schon in den Jahren vor meinem Eintritt in unsere Abtei ließ ich die Bluesharp darum im Etui verstauben. Ich spielte sie nicht mehr und hörte auch nicht mehr die Folk-Platten jener Helden meiner Jugend, die sie so meisterlich einzusetzen vermochten. Ich fand, dass ich nur noch jene Gesänge hören durfte, die für mich der Ausdruck des Mönchtums par excellence waren: Gregorianische Choräle, jenes geheimnisvolle Repertoire, dessen erste handschriftliche Bezeugungen auf das zehnte und elfte Jahrhundert zurückgehen.
Ich tat mein Bestes, die verschiedenen Modi - für Nicht-Kenner: eine Art Kirchentonarten - zu lernen und mich mit der Quadratnotation vertraut zu machen, in der die Melodien festgehalten waren. Nicht dass ich ein Meister darin geworden wäre. Aber langsam entwickelte ich einen Blick für das ungewohnte Notenbild und ein Gespür für die zunächst eigentümlich klingenden Wendungen. Das Fremde wurde mir langsam vertraut, aber es blieb mysteriös. Es klang spirituell, bis ich irgendwann merkte, dass auch die Gregorianik nicht vollständig in Skalen einzufangen war. Im Gegenteil, eigentlich ging es darum, dass historische und spirituelle Praxis zusammengehören.
Dafür braucht man eine eigene Stimme, nicht einfach nur ein mathematisches Wissen und handwerkliches Geschick. Der Gregorianik-Experte Stefan Klöckner beschreibt die Bewegung, die man machen muss, um wirklich singen zu können, folgendermaßen: »In der Verinnerlichung der Gesänge liegen sowohl die Wurzel ihres Entstehens als auch die Verdichtung ihrer spirituellen Tiefe begründet. Alle Debatten um >alt< und >modern<, um >traditionell< und >aktuell< werden vor dem Hintergrund dieses Ansatzes obsolet«.2
Es ist also ein Trugschluss, dass Musik darum schon monastisch wäre, weil sie alt ist. Auch neue Musik kann sehr spirituell sein. Wichtig ist, dass man verinnerlicht, was der Klang und der Text, der gesungen oder musikalisch umgesetzt wird, gemeinsam bedeuten. Dann wird die Grenze von Zeit und Ewigkeit überschritten. Die Freiheit, die man durch die spirituellen Klänge erlangt, kommt nicht durch eine bestimmte Melodie zustande, sondern erst durch den Klang im eigenen Innern.
Erst nach und nach lernte ich, dass die ursprüngliche Art, Gregorianik zu notieren, gar nicht Noten waren, sondern die sogenannten »Neumen«: Zeichen, die angeben, mit welcher Dynamik man eine bekannte Melodie singen sollte. Anscheinend war die Praxis des Singens der Ausgangspunkt, nicht die Skala. Eine Praxis, die scheinbar schon seit tausend Jahren das Innere der Menschen berührte. Ob es im Mittelalter wohl »unerwartete Momente der Improvisation« und »eine persönliche Note« gegeben hatte? Ich war mir sicher: Die Register, mit...
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