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Vom Schicksal der vergessenen Kinder des Vietnamkrieges
Vietnam, 1969: Die beiden Schwestern Trang und Quy'nh wachsen in einem kleinen Dorf im Mekongdelta auf. Als junge Frauen bestellen sie die Reisfelder ihrer verarmten Eltern, der Vater ist als Invalide aus dem Krieg heimgekehrt. Als eine Freundin ihnen erzählt, in Saigon wäre es für Mädchen wie sie leicht, Arbeit als Barmädchen zu finden, fassen sie den Entschluss, in die Stadt zu gehen. Trang lernt dort einen amerikanischen Soldaten kennen und stürzt sich mitten in den Wirren des Krieges in eine Affäre mit ihm, die nicht ohne Folgen bleibt .Jahrzehnte später kehrt ein amerikanischer Veteran zurück nach Ho-Chi-Minh-Stadt in der Hoffnung, sich von den Schatten der Vergangenheit befreien zu können. Er trifft auf Phong, den Sohn einer Vietnamesin und eines ehemaligen GIs, der in einem Waisenhaus aufwuchs und verzweifelt seine Eltern sucht - kann Phong ihm helfen, seine alte Schuld wiedergutzumachen?
Der atmosphärisch dichte neue Roman der internationalen Bestsellerautorin ergründet das bewegende Schicksal der Kinder vietnamesischer Frauen mit amerikanischen Soldaten - und erzählt eine unvergessliche Geschichte von Schuld und Vergebung.
H?-Chí-Minh-Stadt, 2016
»Das Leben ist wie ein Boot«, hatte Schwester Nhã, die katholische Nonne, die ihn großgezogen hatte, einmal zu Phong gesagt. »Sobald du dich von deinem ersten Anker löst - dem Schoß deiner Mutter -, wirst du von unerwarteten Strömungen davongetragen. Doch wenn es dir gelingt, dein Boot mit genügend Hoffnung, Selbstvertrauen, Mitgefühl und Neugier zu füllen, wirst du allen Stürmen standhalten können.«
Während Phong im amerikanischen Konsulat saß und wartete, spürte er das Gewicht der Hoffnung in seinen Händen - seinen Visumsantrag und den seiner Frau Bình, seines Sohns Tài und seiner Tochter Di?m.
Um ihn herum warteten viele Vietnamesen stehend oder auf Stühlen sitzend darauf, mit einem der Visumsbeamten zu sprechen, die hinter den Glasscheiben der Schalter saßen. Einige der Vietnamesen schauten neugierig zu Phong herüber, und er spürte die Hitze ihrer Blicke. »Mischling«, meinte er sie flüstern zu hören. Von klein auf hatte man ihn als Staub des Lebens, Bastard, schwarzamerikanischen Imperialisten oder Kind des Feindes bezeichnet. Als er ein Junge gewesen war, hatte man ihm diese Beschimpfungen mit solcher Heftigkeit entgegengeschleudert, dass sie sich tief in sein Innerstes gegraben und sich dort festgesetzt hatten. Damals hatte er mit Schwester Nhã im Neuen Wirtschaftsgebiet in Lâm D?ng gelebt, und eines Tages war er in einen großen Eimer geklettert, den er mit Wasser und Seife gefüllt hatte, und hatte sich mit einem Luffa-Schwamm abgeschrubbt, um die schwarze Farbe von seiner Haut zu bekommen. Als Schwester Nhã ihn fand, hatte er geblutet, und er hatte sich gefragt, warum er ausgerechnet als Amerasier zur Welt gekommen war.
»Keine Sorge, anh, du musst nur an dich glauben, dann schaffst du das schon«, flüsterte Bình und strich ihm mit ihrer schwieligen Hand über den Arm. Phong nickte, lächelte nervös und nahm ihre Hand in seine. Diese Hand hatte für ihn gekocht, seine Kleider gewaschen und geholfen, die zerbrochenen Teile seines Lebens zu kitten. Diese Hand hatte ihn und seine Kinder gehalten, mit ihnen getanzt, neue Ernten auf ihren Reisfeldern hervorgebracht. Er liebte diese Hand und ihre Schwielen, so, wie er alles an Bình liebte. Er musste sein Versprechen einlösen, Bình nach Amerika zu bringen. Fort von den Müllhalden, auf denen sie arbeitete, um Plastik, Papier und Metall zu trennen.
Auf der anderen Seite neben Bình saßen Tài und Di?m und winkten ihm zu. Sie waren erst vierzehn und zwölf, aber schon fast so groß wie ihre Mutter. Beide hatten Bìnhs große Augen und ihr strahlendes Lächeln geerbt. Ihre Hautfarbe und das lockige Haar stammten von ihm. »Vergesst nicht, dass ihr schön seid«, hatte er zu ihnen gesagt, als sie sich zu der fünfstündigen Busfahrt hierher aufmachten. Das sagte er ihnen oft, denn er kannte die verächtlichen Blicke der Vietnamesen, die fast alle helle Haut bevorzugten.
Tài beugte sich wieder über sein Buch, und seine schiefe Brille rutschte ihm über die Nase; das Metallgestell wurde nur noch von Klebeband zusammengehalten. Phong nahm sich vor, noch einmal mit seinen Nachbarn zu reden und ihnen einen höheren Preis anzubieten, um ihr Reisfeld zu pachten. Dann könnte er dort Mungbohnen für das Neujahrsfest anbauen, und die Ernte würde genug einbringen, um Tài eine neue Brille und Di?m ein neues Kleid zu kaufen. Di?m trug Tàis abgelegte Sachen, und die Hose war zu kurz, sodass ihre Knöchel hervorschauten.
An einem der Schalter gab ein amerikanischer Visumsbeamter einer jungen Frau ein blaues Papier. Phong kannte die Farbe gut. Blau bedeutete Ablehnung. Als die Frau sich vom Schalter abwandte, stieg Panik in ihm auf.
Er versuchte sich an die Befragungsübungen zu erinnern, die er mit seiner Familie durchgeführt hatte. Er hatte sich die richtigen Antworten ins Gedächtnis geschnitzt, wie Tischler Vögel und Blumen ins Holz schnitzten, aber jetzt waren sie alle wie ausgelöscht.
»Nummer fünfundvierzig, Schalter drei«, verkündete der Lautsprecher.
»Das sind wir«, sagte Bình. Während Phong mit seiner Frau und seinen Kindern zum Schalter ging, versuchte er sich zu beruhigen. Solange er seine Familie bei sich hatte, würde er sich nicht einschüchtern lassen. Er würde um die Chance kämpfen, Bình, Tài und Di?m ein besseres Leben zu bieten.
Phong nickte der Visumsbeamtin zu, die genauso aussah wie die amerikanischen Frauen in den Filmen, die er gesehen hatte: blondes Haar, helle Haut, hohe, schmale Nase. Die Frau reagierte nicht, sondern blickte auf ihren Computer. Phong betrachtete das Gerät und fragte sich, welche Geheimnisse es wohl enthielt. Wenn er nach Amerika kam, würde er hart arbeiten und Tài und Di?m einen Computer kaufen. Die beiden waren mit ihm in der Stadt gewesen, in einem Internetcafé, um ihm zu zeigen, wie Computer funktionierten. Sie hatten gesagt, eines Tages würde er damit vielleicht eine Nachricht an seine Eltern schicken können, übers Internet. Doch würde es je dazu kommen? Er wusste nicht einmal, ob seine Eltern noch lebten.
Die Visumsbeamtin wandte sich ihm zu.
»Gút mó-ninh«, sagte Phong und hoffte, dass er good morning richtig ausgesprochen hatte. Vor Jahren hatte er ein wenig Englisch gelernt, doch seine Kenntnisse der Sprache waren verschwunden wie Regentropfen auf ausgedörrtem Boden. »Chào bà«, fügte er hinzu, damit die Amerikanerin nicht dachte, er beherrsche ihre Sprache fließend.
»Cho xem h? chi?u«, erwiderte sie.
Ihr Vietnamesisch war gut, aber ihr nördlicher Akzent beunruhigte Phong. Er erinnerte ihn an die kommunistischen Soldaten, die ihn damals vor knapp dreißig Jahren in den Umerziehungslagern in den Bergen geschlagen hatten.
Vorsichtig nahm er ihre Pässe aus der Mappe und legte sie in das Fach unter der Scheibe. Er und seine Frau hatten Quang, dem Visumsmakler, ihre gesamten Ersparnisse gegeben, damit er ihnen diese Pässe besorgte und die Anträge ausfüllte und einreichte. Quang hatte sie überzeugt, dass sie sich in Amerika keine Gedanken mehr um Geld machen müssten, weil sie eine monatliche Summe von der Regierung bekommen würden.
Die Frau sah die Dokumente durch und tippte etwas in den Computer. Dann wandte sie sich um und rief eine junge Vietnamesin herbei, mit der sie sich auf Englisch unterhielt. Phong spitzte die Ohren, aber die Laute waren wie schlüpfrige Fische, die so schnell davonschossen, dass er keinen einzigen davon zu fassen bekam.
»Was ist los?«, fragte Bình leise. Phong legte ihr beruhigend die Hand auf den Rücken. Bình hatte solche Angst gehabt, diesen Termin zu verpassen, dass sie darauf bestanden hatte, schon am Vortag den Bus aus ihrer Heimatstadt B?c Liêu zu nehmen und ab vier Uhr morgens vor dem Konsulat zu warten.
Die Vietnamesin sah ihn an. »Onkel Nguy?n T?n Phong, Sie beantragen ein Visum nach dem Amerasian Homecoming Act?«
Wie nett, dass sie ihn mit einem respektvollen Titel angesprochen und ihm Hoffnung gegeben hatte, indem sie den Namen des Programms nannte. Homecoming - dieses Wort war heilig, und der Klang ließ sein Herz flattern. Er war berechtigt, nach Hause zu gehen, in sein Vaterland. Es prickelte in seinen Augen.
»Ja, Miss«, sagte er.
»Sie werden von einem anderen Beamten befragt. In dem Raum dort drüben.« Sie zeigte auf eine Tür zu seiner Rechten. »Ihre Angehörigen sollten draußen warten.«
Bình beugte sich vor. »Mein Mann kann nicht lesen. Darf ich ihn bitte begleiten?«
»Ich werde dabei sein, um zu helfen«, erwiderte die Frau und ging zu der Tür.
Der Raum war groß und von Neonröhren beleuchtet, aber er hatte kein Fenster, und Phong tat der Mensch leid, der dort arbeiten musste. Sein eigenes Haus machte sicher nicht viel her, aber es gab jede Menge frische Luft. Sie wehte das ganze Jahr zu den offenen Fenstern herein und trug den Duft der Blumen und den Gesang der Vögel mit sich.
Der bemitleidenswerte Mensch war ein dicker weißer Mann, der hinter einem wuchtigen braunen Schreibtisch saß, bekleidet mit einem blauen Hemd und passender blauer...
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