Schweitzer Fachinformationen
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»Bitte!«
»Schnauze!«
»Das wird .«, mühevoll holte er Luft, »schlimme Folgen haben.«
»Für dich hat es schlimme Folgen, ja.«
»Wir können .«
Blut quoll aus der Wunde, die der Zelthering verursacht hatte, der unterhalb des Herzens die blasse Haut mit seiner rostigen Spitze durchbohrt und daraufhin den Weg ins Körperinnere genommen hatte. Mit jeder Sekunde hauchte er ein Stück Leben aus. Hatte er jemals Angst gehabt? Jetzt fürchtete er sich, die Luft ging ihm aus, der Tod klopfte an.
»Was wird das?«, jammerte er und sah aus dem Augenwinkel, wie sein Blut an ihm hinabrann. Er lag auf dem Boden, der zur Mitte geneigt war, wo sich ein Abfluss befand. Der Kopf lag etwas tiefer als die Füße und das Blut bahnte sich den Weg dorthin. Er bog sein Haupt nach oben, denn wenn er es hinlegen müsste, weil die Nackenmuskeln schlappmachten, würde der Blutstrom sein Gesicht umfließen. Vielleicht war es dann auch schon egal. Aber noch pumpte der wichtigste Muskel.
»Halt die Fresse, du hast ausgesabbelt«, erwiderte der Mann. Sein Aussehen, mit einem schwarzen Strumpf über dem Kopf, verhieß wenig Hoffnung auf ein gutes Ende. Dem am Boden Liegenden war nicht klar, woher sein Peiniger plötzlich aufgetaucht war und wie er hatte zustechen und ihn in diese Lage bringen können.
Die Gestalt, die Stimme. Er kannte den Mann nicht erst seit gestern, die Maskerade hätte er sich sparen können. Woher hatte der Kerl gewusst, dass er hier sein würde, gerade heute, um diese Zeit? Wer zum Teufel hätte ihm das sagen können? Hatte es überhaupt jemand außer ihr gewusst? Aber wo hätten er und sie sich begegnen sollen? Und selbst wenn, sie wechselten doch nie ein Wort.
Der Blutende begann zu bereuen. Würde man sagen, er habe ihn, der jetzt im wahrsten Sinne des Wortes über ihm stand, unfair behandelt, wäre dies noch nett ausgedrückt. Natürlich war es falsch gewesen, ihn bloßzustellen. Damals, im Dorfkrug. Er hatte sich noch damit gebrüstet! Aber jetzt verreckte er, wenn nicht bald etwas geschah. Es war idiotisch gewesen, ihn schlechtzumachen, aber nach ein paar Pils und Korn konnte das passieren, dann brachen bei ihm schon mal die Dämme. Eine solche Reaktion hätte er ihm trotzdem niemals zugetraut. Dass er überhaupt reagierte, war erstaunlich, sonst war er doch so apathisch. Und jetzt stach er ihn nieder? Dabei war seit diesem Abend so viel Zeit ins Land gegangen, genug, um zu vergessen. Er musste ihn damals unsäglich gekränkt haben. Wer vor versammelter Mannschaft als Versager gebrandmarkt wird, kann nicht verzeihen. Zeit heilt nicht alle Wunden.
Die Nackenmuskeln machten schlapp. Er senkte den Kopf, langsam, wollte es nicht, aber konnte nicht verhindern, sich in eine Lache seines eigenen Bluts zu legen. Neuer Lebenssaft floss nach. Lebenssaft, ha! Solange er nicht stoßweise aus dem Körper sprudelte, hielt er einen am Leben. Was war geschehen? Er hatte die Halle betreten, sich umgesehen. Plötzlich diese völlig unvorhergesehene Begegnung. Er war in Wut geraten, und ehe er sich versah, steckte etwas in seinem Bauch, einmal, zweimal, dreimal. Ein alter, rostiger Hering! Spitz genug, die Bauchdecke zu durchdringen. Ein irrsinniger Schmerz durchfuhr ihn, er wollte losrennen, doch er schaffte kaum zwei Meter, dann fiel er. Noch im Fallen war ihm eine Gestalt aufgefallen, deutlich wahrgenommen hatte er sie nicht. Jetzt war er unsicher: Hatte es diese Gestalt tatsächlich gegeben? Einbildung? Wahnvorstellungen aufgrund einer unerwartet erlittenen tödlichen Verletzung? Oder war es ein kurzer Trip ins Jenseits gewesen, um vorzufühlen, wie es dort wohl ist? Es gab Menschen die behaupteten, schon einmal tot gewesen zu sein.
Nachdem er sie auf die schmerzende Stelle gepresst hatte, sah er sich seine Handflächen an. Blutig, tiefes Rot durchmischt mit Dreck vom Fußboden, Staub. Überall an seiner Kleidung klebten Blut, Spinnweben und Wollmäuse. In der Halle war lange nicht mehr sauber gemacht worden.
An ihm war gezerrt und ihm waren Hände und Füße zusammengebunden worden. Mit einem Stück Seil, fest und schneidend. Als wenn er noch irgendetwas hätte ausrichten können. Er wurde in einen anderen Raum geschleppt. Er protestierte, versuchte es zumindest. Ein alter Lappen wurde ihm in den Mund gesteckt. Er lag gekrümmt auf dem Boden, hilflos wie ein Hirschkäfer auf dem Rücken. Der Schlitz im Strumpf zeigte die Augen des Peinigers. Dunkle Augen. Sie wirkten unbeteiligt, nichtssagend, wie er sie all die Jahre gesehen hatte.
Er hatte alle Register gezogen, um den schwarzen Mann umzustimmen, hatte ihn dazu bewegen wollen, den Inselarzt zu holen. Hatte versichert, er würde die Klappe halten, behaupten, es sei ein Unfall gewesen. Schließlich verweigerten Nerven und Muskeln die Zusammenarbeit, die Sprache stockte, er verstummte, japste nach Luft. Er spürte, wie sich der Blutvorrat in seinem Körper minimierte, gleich den letzten Zentilitern Wassers, das durch den geöffneten Wannenstöpsel fließt. Er hätte ihm gern gut zugeredet, wollte ansetzen, doch der Knebel verhinderte es. Er bekam einen Tritt in die Seite und der Maskierte schrie:
»Endlich bist du still! Du machst keine miesen Sprüche mehr! Du stirbst, ist dir das klar?« Ja, er starb, er wollte es nicht wahrhaben, aber der Tod war unvermeidlich. Er ließ sich Zeit, aber er würde siegen.
Wiederholt begab sich der Maskenmann zu einem kleinen Fenster, schob die vergilbte Gardine davor ein winziges Stück nach links und lugte durch die Scheibe hinaus, von der er einen Schmierfilm aus Dreck und Staub gekratzt hatte. Das Gebäude, an der Straße zum Flugplatz gelegen, war lange nicht genutzt worden. Bis eine Gruppe von Jugendlichen sich beim Gemeinderat dafür eingesetzt hatte, in zwei Räumen, die früher einem Baubetrieb als Büro gedient hatten, einen Treffpunkt für ihre Aktionsgruppe proUmwelt einrichten zu dürfen. Dem Gebäude gaben sie den Namen >Future House<. Die Bezeichnung stand im krassen Gegensatz zu dessen Zustand, aber die Jugendlichen waren überzeugt, dass die Gemeinde demnächst Renovierungsarbeiten angehen würde. Schließlich machte ein derart vom Zahn der Zeit angefressenes Haus bei den Feriengästen alles andere als einen guten Eindruck. Im >Future House< planten sie ihre Aktionen, die die Insulaner und vor allem auch die vielen Gäste, die auf Juist Urlaub machten, aufrütteln sollten.
Der Mann am Boden röchelte. Seiner Ansicht nach war proUmwelt über das Ziel hinausgeschossen. Die jungen Leute lenkten die Aufmerksamkeit der Kurgäste sehr erfolgreich auf Probleme, die er für weniger bedrohlich hielt als sie: der Klimawandel und seine Folgen, die Verschmutzung der Ozeane mit Mikroplastik, die ungewissen Folgen zunehmenden Unterwasserlärms für Fische und Meeressäuger. Hatte er nicht versucht, das Gespräch mit ihnen zu suchen? Es musste doch nicht sein, dass sie ihren Infostand direkt am Hafen aufbauten. Schließlich wollten die ankommenden Gäste nicht mit Problemen konfrontiert werden, zumindest nicht unmittelbar nach ihrer Ankunft auf dieser Trauminsel, in ihrem wohlverdienten, oft lang ersparten Urlaub. Doch seine Klärungsversuche gingen ins Leere. Er wurde wütend, schrie, dass diesen Mist niemand hören wolle, der die schönste Zeit des Jahres vor sich hatte. Die Gäste wünschten sich Sonne, Dünen, Strand und Meer, hatten wenig Lust, sich mit Umweltproblemen herumzuschlagen. Schließlich kämen sie auf die Insel, weil sie hier unberührte Natur vorfanden. Die Jugendlichen würden den Gästen Angst machen, die in der Folge den Fisch nicht mehr essen würden wegen der mikroskopisch kleinen Plastikpartikel, die die Meeresbewohner - angeblich! - tagein, tagaus aufnahmen und die am Ende über die Nahrungskette im menschlichen Körper landeten. Unvorstellbar, welche Folgen dies für die Restaurantbesitzer auf der Insel hatte. Und dazu kam jetzt die Sache mit der Deicherhöhung!
Er wusste, dass proUmwelt eine Aktion für den nächsten Tag geplant hatte: einen Infostand am Hafen, wenn die Fähre aus Norddeich anlegen würde. Sie wollten Flyer verteilen und so viele Leute wie möglich ansprechen. Angeblich hatten sie sich ein Megafon besorgt, damit man sie auch hörte! Als er davon erfahren hatte, hatte er getobt. Gerade morgen, wo 24 neue Gäste seines Hotels und seiner zwei Pensionen anreisten. Die kämen vom Schiff und sähen sich in Diskussionen über Mikroplastik in Fischen und Muscheln und den steigenden Meeresspiegel verwickelt. In seinem Restaurant hatten schon einige Gäste gefragt, wenn auch halb im Scherz, ob Fisch überhaupt noch genießbar sei. Und sie erkundigten sich, das allerdings mit ernsterem Unterton, wann Juist denn endgültig unterging angesichts des steigenden Meeresspiegels infolge des Klimawandels. Es hatte ihn geärgert. Was war denn bewiesen von alldem? Wer konnte denn zehn, 20, ja 50 Jahre in die Zukunft schauen, etwa ein Computer?
Nein, nicht mit ihm, hatte er sich gedacht, er wollte, er musste den Infostand verhindern. Von ihm aus sollten sie irgendwann anders dort stehen oder nachdem die Gäste das Schiff verlassen und im Dorf verschwunden waren. Am besten sollten sie gar nicht erst auftauchen. Diesmal hatte er dieses Verhalten nicht durchgehen lassen wollen, am Ende tanzten ihm diese jungen Gören auf der Nase herum. Und er war nicht irgendwer, verdammt noch mal!
Schnell war eine Idee geboren gewesen, wie er es anstellen konnte. Er musste den Handwagen, auf dem die jungen Leute ihre Plakate und Infoblätter, den Tapeziertisch und zwei Stühle sowie eine Plakatwand transportierten, außer Gefecht setzen. Nichts leichter als das. Ein Stich in die Reifen und fertig. Das würden sie morgens nicht schaffen: die Reifen...
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