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I muri.
Zé sprach die beiden Worte so sanft wie nur möglich ins Telefon, um ihnen etwas von ihrer Schärfe zu nehmen.
I muri, Couto, sie ist tot, er wiederholte I muri, als fürchte er, die beiden Worte hätten beim ersten Mal nicht ausgereicht, als hätte er selbst das Bedürfnis, sie noch einmal zu sagen.
Couto, hörst du mich, du sagst gar nichts.
Couto nahm wahr, wie das Nachmittagslicht durch eine kleine Fensterluke in das Zimmer mit dem alterslosen, farblosen Linoleum strömte, sah die schwebenden Staubpailletten im Sonnenstrahl und die feuchte, modernde Decke über ihm, die heruntergebrannten Kerzen auf dem Fensterbrett, die Schale mit dem Räucherwerk, die neben dem Bett ihren herben Geruch verströmte, das verblichene Foto von Zé und Malan und allen anderen, wie sie dreißig Jahre zuvor auf Bubaque im Bissagos-Archipel ein paar Stunden vor ihrem ersten Konzert auf der Insel euphorisch aus dem Hubschrauber gestiegen waren.
Er begegnete Esperanças Blick, die nackt neben ihm lag, und wusste sofort, dass sie ahnte, was los war, sah, wie sie die Beine anzog, mit dem Laken das Dreieck unter ihrem Bauch bedeckte wie etwas nunmehr Obszönes, wie sie sich im Bett vergrub und die Augen schloss.
Esperança, du bist wie die Hunde, die sich vor dem Gewitter verkriechen, dachte Couto, du bist anrührend wie die Tiere, die den Donner nahen fühlen und sich lange vor dem ersten Grollen an die Hausmauern drücken, als wollten sie in den Wänden aus Lehm und Stroh verschwinden. Esperança, eben noch waren wir ganz Liebkosungen und verschmolzene Münder und Beine, begierig aufeinander, und nun liegen wir still, das Laken hochgezogen, beide kalt in diesem Bett, Seite an Seite, du und ich. Esperança, hatte ich gesagt, dein Geschlecht ist so köstlich, bu panpana i sabi demais, dein Geschlecht dein geliebter Cashewapfel ist so himmlisch und saftig wie eine reife Frucht und auch deine Brüste die ich umfasse und in den Mund nehmen möchte sind himmlisch wie reife Früchte. Und du antwortetest, als du mein Geschlecht zärtlich in die Hand nahmst, Couto, wie himmlisch ist auch dein Geschlecht, bu obu i sabi demais, ich möchte es stehlen, es mit nach Hause nehmen, so hätte ich es bei mir, auch wenn du nicht da wärst, und könnte es in Gedanken an dich benutzen, das wäre schön.
Couto, meldete sich Zé am Telefon wieder, und seine Stimme war jetzt weit weg, unwirklich, alles ringsum wie in der Schwebe.
Was ist passiert.
Man weiß es nicht, Couto.
Wie, man weiß es nicht.
Niemand weiß etwas.
Wer hat es dir dann gesagt.
Bruno.
Bruno, dieser Lump.
Hör auf.
Couto wartete wortlos auf den Schmerz, darauf, dass die Trauer über die Nachricht sich in seinem ganzen Körper ausbreitete. Aber nichts geschah. Da war nur eine Benommenheit, eine Betäubung, die ihn langsam erfasste und die ihm zuerst als das Gegenteil eines Schmerzes erschien, vielmehr als ein völliges Erschlaffen, ein Ausschalten seines ganzen Wesens. Er war unfähig, noch irgendetwas zu spüren, das geringste Leid zu empfinden, die kleinste Träne zu vergießen, die Augen hoffnungslos trocken, der Atem leicht stockend von etwas, das genauso gut nur eine tiefe Müdigkeit hätte sein können. Das war es also, was Dulces Tod in ihm bewirkte?
Und jetzt?
Das sagte er laut, zu sich selbst ebenso wie zu Zé.
Wollen wir uns treffen, fragte Zé. Soll ich den anderen sagen, dass sie vorbeikommen sollen.
Couto atmete tief durch.
Ich glaube, ich möchte lieber allein sein.
Er dachte an das Licht draußen. An den Schatten der Bäume entlang der steilen Gassen. An die roten und gelben Sonnenschirme auf dem Markt von Bandim, der um diese Uhrzeit vor Leben wimmeln musste.
Ich glaube, ich möchte lieber ein bisschen raus an die Luft.
Dann treffen wir uns eben später, sagte Zé. Am späten Nachmittag.
Couto war einverstanden.
Bei Diabaté.
Bei Diabaté, ja.
Der Gedanke an die Tische im Freien besänftigte ihn. Dort wusste er, dass es gut sein würde, dass er froh wäre, die anderen wiederzusehen.
Er legte auf und reckte sich.
Esperança rückte näher, fuhr ihm mit der Hand durch die Haare, streichelte ihm langsam den Kopf und die Schläfen. Wie ein Tau legte sie ihre Hand auf seine Hüfte, um ihm zu sagen, ich bin da, ich halte dich.
Esperança, die Wunderbare.
Esperança, die jedes weiße Haar auf seinem Kopf kannte, die glorreiche Heldennamen für ihn erfand, mein altersgrauer Irrer, mein schöner schwarzer Greis, mein silberhaariger Mandinka, der bald aussehen wird wie ein Weiser, aber Gott sei Dank noch immer ein Kind ist.
Ihre Bluse und ihr Rock lagen auf dem Boden, neben ihren auf dem Linoleum gestrandeten Unterhosen. Ein lächerliches, formloses Wäschehäufchen.
Sie wusste so gut wie er, was Dulces Ende bedeutete. Wie viel Geduld es sie beide kosten würde, bis dieser Tod nicht mehr zwischen ihnen stünde, bis er verblasste und es wieder nur sie und ihn gäbe. Und man konnte nichts anderes tun, als zu warten.
Diese Teufelin, die du immer lieben wirst, sagte sie immer lachend, wenn im Radio ein Lied von Dulce lief. Diese Zauberin, gegen die ich keine Chance habe.
Dulces Stimme rieselte durchs Zimmer, schwebte zwischen den Wänden, kindlich, voller Anmut.
Carros di botton sines,
dissan na mbera.
Autos mit den schicken Knöpfen,
Lasst mir meinen Teil der Straße.
Dann sah er sie, als stünde sie vor ihm auf der Bühne, wie sie in die Hände klatschte wie früher, sich umdrehte, um seine Gitarrenriffs abzupassen, ihm zulächelte.
Diese Teufelin, die mein Leben lang immer wiederkommen wird, um mir meinen Mann zu nehmen, um ihn mir ein Lied lang zu stehlen, als würde ich gar nicht existieren.
Dulces Stimme schwebte im Raum, und Esperança näherte sich Couto, zwickte ihn, um ihn aufzuwecken.
Couto drückte sie lachend an sich. Sagte ihr, sie solle sich Tundus Solo anhören, Armandos Congas. Hob einen Finger, um sie auf eine Note aufmerksam zu machen, die er selbst spielte und auf die er stolz war, eine leicht dissonante Note, genau im richtigen Maß, ob sie die hörte, da, jetzt, diese Note in Dur, während die ganze Band gerade in Moll spielte. Ach, wenn sie ihn damals auf der Bühne hätte sehen können mit seinen Haaren, seinem Bart, seiner engen Hose, ach, wenn sie ihn nur so gutaussehend gekannt hätte wie damals, sie, die ihn heute ein wenig liebte, wo er doch nur noch ein alter Knacker war.
Esperança war seine Note scheißegal, und auch, dass er damals einen Bart und enge Hosen getragen hatte.
Diese Teufelin, die nur zehn Sekunden zu singen braucht, um dich wieder zu schnappen.
Ihre Hüften wiegten sich im Takt, ihre Arme wedelten, um ihn anzulocken.
Los, komm her zu mir. Kommen Sie her, Senhor Couto, der Gitarrist mit den Dur-Noten.
Sie zog ihn an sich, ihr Mund war warm, ihre Küsse brennend.
Esperança mit ihren unverblümten, ungeschliffenen Worten, die am Anfang sein Verlangen angestachelt hatten. Ihre Art zu sagen: mistiu, ich will dich, ich habe Lust auf dich auf Kreol, ein mit anzüglicher Stimme ins Ohr gehauchtes mistiu, wobei sie ihr Wickeltuch löste, um sich seinen Liebkosungen hinzugeben. Gab es überhaupt ein Mandinka-Wort, um das zu sagen? Ein echtes Wort voller Verlangen, das die gleiche Wirkung hatte wie dieses mistiu? Ein Wort, das nicht rein technisch war, das nicht in erster Linie dazu diente, über Tiere zu sprechen und mehr oder weniger zu sagen: Ich möchte mich mit dir paaren oder ich möchte dich bespringen oder sonst eine alberne Ungeheuerlichkeit?
Was werdet ihr tun.
Couto zog das Laken hoch.
Was sollten wir denn tun.
Werdet ihr trotzdem spielen?
Couto dachte an das Konzert, das für den Abend geplant war, an all die Proben der vergangenen Wochen.
Er ließ seinen Blick über die Decke des kleinen Zimmers schweifen, über den von Feuchtigkeit aufgeworfenen Putz, über die dünnen, schwarz-weißen Striche des Eidechsendrecks.
Was für eine jämmerliche Bude, dachte er und zog die Beine bis zum Bauch hoch. Das klägliche Nest eines Paares, das sich in seinen schmutzigen, ärmlichen Laken wälzt.
Er spürte Esperanças Hand auf seiner Stirn, wohltuend und heilend.
Esperança, so schwarz, wie Dulce hell und schillernd gewesen war. Esperança, fest wie ein Fels, während an Dulce alles brüchig und wild war.
Er spürte Esperança neben sich im Bett, atmete den Geruch ihrer Haare, ihrer Schultern, der Öle, mit dem sie ihren Körper pflegte, den der Grigris, die sie überall im Zimmer verteilte, kaum schaute er weg. Manche entdeckte er gleich, Kolanüsse, getrocknete Zitronen, parfümierte Kaurimuscheln, gut sichtbar auf die Fensterbank oder neben die Räucherschale gelegt. Und dann waren da noch unzählige andere, die er nur erahnte, weil sie...
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