Schweitzer Fachinformationen
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Die Antwort kam Tage später von Licek. Er erzählte überall im Dorf, wie er mit seinem Leiterwagen unterwegs war, als plötzlich ein Schwein am Hang auftauchte und auf die Straße wackelte. Er vermutete ganz richtig, dass das Tier dem Bauer Lesjak ausgerissen war. Mit seiner Peitsche zwang er das Tier zur Umkehr und jagte es zurück auf Lesjaks Hof, wo es dann offensichtlich an der hinteren Hauswand sang und klanglos verendete.
In seinem Eifer hatte Licek nicht einmal gemerkt, dass das Schwein eigentlich schon erstochen war.
Auf dem Gelände des kleinen Provinzbahnhofs wimmelte es von wartenden Menschen. Wir kämpften uns in die Nähe der Gleise durch und hofften, einen der nächsten Züge zu erwischen. Da meine Mutter bei einer früheren Zugfahrt eines ihrer Kinder im Gewühl verloren und erst nach Tagen wiedergefunden hatte, band sie diesmal meine beiden Schwestern, sechs und neun Jahre alt, an ein Seil, das sie krampfhaft festhielt. Mir, dem fast Elfjährigen, befahl sie, ja nicht von ihrer Seite zu weichen.
Im Laufe der nächsten zwei Stunden fuhren zwei völlig überfüllte Züge einfach durch. Als der dritte auf der Höhe des Bahnhofs hielt, jubelte die Menge, obwohl auch dieser Zug wenig Hoffnung auf eine Mitfahrt weckte. Passagiere saßen auf dem Dach, teilweise standen sie draußen auf den Wagentreppen.
Die Lok kam direkt vor unserer Nase zum Stillstand. "Helfen Sie uns!", flehte meine Mutter den Mann an, der zufällig neben uns stand. Er packte meine Schwestern, hob sie auf die Treppe der Lok und schob sie hinauf durch die offene Tür des Heizraumes. Dann zerrte er noch meine Mutter und mich hinauf, er selber begnügte sich mit einem Platz auf der Treppe.
Der Zug setzte sich in Bewegung. Wir standen eingeklemmt zwischen dem heißen Ofen und einer großen, mit Kohle gefüllten Kiste. Ein Mann in schmutzigen Klamotten und mit schwarzem Gesicht öffnete immer wieder die Ofentür und legte Kohle nach. Glühende Funken spritzten heraus und hinterließen schmerzhafte Brandflecken auf unserer Haut. Plötzlich fing mein Pullover zu brennen an. Geistesgegenwärtig kippte mir der Heizer einen Eimer Wasser über und verhinderte so meinen "vorzeitigen Abgang aus dieser Welt", wie meine Mutter es später auszudrücken pflegte.
Als der Zug in das Tal der Hopfenplantagen eingefahren war, äußerte meine Mutter erste Zweifel, ob wir als Pflücker angeheuert werden würden. Auf zahlreichen Feldern wimmelte es von Menschen, die schon eifrig am Werk waren.
Im Dorf, in dem die Familie meiner Tante es mit Hopfenanbau zu einem beneidenswerten Wohlstand gebracht hatte, stiegen wir verrußt und verschwitzt aus. Eine staubige Landstraße führte zu ihrem Anwesen. Nach wenigen hundert Metern Fußmarsch begannen meine Schwestern zu heulen und über Hunger und Durst zu klagen.
"Heilige Jungfrau Maria, hab Erbarmen mit uns!", seufzte Mutter und blickte hilflos gen Himmel.
Ein Ochsengespann holte uns ein. "Steigt auf!", schrie der Bauer, nachdem seine Karre neben uns zum Stillstand gekommen war.
"Die Jungfrau Maria hat geholfen", jubelte meine Mutter, während wir auf dem Leiterwagen zwischen Säcken und Bierfässern einen Sitzplatz und Halt gefunden hatten.
Die Ochsen blieben in der sengenden Hitze immer wieder stehen und nur zornige Peitschenhiebe des Bauern vermochten sie erneut in Bewegung zu setzen. Meine Schwestern quengelten pausenlos und jammerten über Hunger und Durst. Die Mutter saß abgestumpft da und starrte vor sich hin.
Der Bauer hielt plötzlich entnervt an, sprang von der Kutsche und befahl uns, auszusteigen. "Ich kann euer Geheule nicht mehr hören. Verpisst euch und zwar sofort!", befahl er mit bebender Stimme.
"Das habt ihr davon, ihr Heulsusen", motzte ich meine Schwestern an und versetzte beiden einen kräftigen Fußtritt. "Wegen euch müssen wir jetzt laufen."
Am späten Nachmittag standen wir völlig erschöpft im Hof vor dem Haus meiner Tante. Die Eingangstür war verschlossen. Wir setzten uns auf die Holztreppe und warteten. Es war schon fast dunkel, als die Familie meiner Tante mit Hopfenpflückern vom Feld heimkam. "Was wollt ihr denn hier?", rief unsere Verwandte, als sie uns auf dem Treppenaufgang sitzen sah. Der Onkel würdigte uns keines Blickes.
"Ach, liebe Vanka, du hast bestimmt von unserem Unglück gehört, wie unser Hab und Gut im Feuer vernichtet wurde. Jetzt sind wir am Bauen, das neue Schuljahr beginnt bald, die Kinder müssen eingekleidet werden und die Schulbücher werden jedes Jahr teurer. Da hatte ich gedacht: Vanka, meine Schwester, hat ein gutes Herz und wird uns bestimmt nicht abweisen." Meine Mutter fasste ihre jüngere Schwester an beiden Händen und flehte: "Lass uns doch in deinem Hopfenfeld ein paar Dinar verdienen, bitte! Wir werden uns."
"Unser Feld ist voll von Pflückern!", unterbrach Vanka eisig. "Ich kann euch nicht gebrauchen." Sie ließ uns vor der Tür stehen und folgte ihrem Mann ins Haus.
Was tun? Von Haus zu Haus gehen und einen Hopfenbauer suchen, der noch Pflücker braucht? Sich irgendwo auf eine Plantage hinein schmuggeln und rotzfrech einfach anfangen zu pflücken? Das kann manchmal gut gehen. Vor allem, wenn der Bauer wegen der vielen Saisonarbeiter die Übersicht verloren hat. Man pflückt, liefert die vollen Behälter Hopfen am Container ab und bekommt Wertmarken, für die man am Abend entsprechenden Lohn erhält. Es gab allerdings schon Fälle, wo solche ungebetenen Pflücker am Abend leer ausgingen. "Ich habe dich nicht angeheuert", sagte dann der Bauer und schickte den Eindringling mit leeren Händen weg.
"Ich will es noch einmal versuchen", sprach die Mutter, stand auf und verschwand im Haus. Wir Kinder warteten draußen und waren ängstlich.
"Mach, dass du weg kommst!", hörten wir den Onkel schreien. "Was willst du hier mit deinen drei Kindern?! Ihr esst uns mehr weg, als ihr verdienen könnt."
Nun sah ich mich in der Pflicht, als Mann aufzutreten. Ich war schließlich schon fast elf Jahre alt und ziemlich schlau. Mein Lehrer 'Einfalt' meinte sogar, ich würde reden wie Erwachsene.
Ich ging ins Haus, meine Schwestern folgten mir. "Lassen Sie uns, bitte, Hopfen pflücken! Sie werden es nicht bereuen", sagte ich und blickte dem Onkel direkt in die Augen. Wenn du jemanden überzeugen willst, so lehrte uns 'Einfalt', musst du ihm direkt in die Augen schauen. "Und ich würde Ihnen außerdem im Stall helfen", spielte ich einen Trumpf aus, von dessen Wirkung ich überzeugt war. Aus Erzählungen meiner Mutter wusste ich, dass der Mann äußerst ungern im Stall arbeitete.
"Was kannst du schon im Stall ausrichten, du kleiner Hänfling?"
"Ich kann melken und ausmisten", sagte ich stolz. "Und füttern, das kann ich sowieso!"
Mit den Armen auf dem Rücken gekreuzt machte er einige Schritte durch die Stube. Er blickte immer wieder zu meinen Schwestern, die sich an Mutters Rockzipfel festhielten. "Na gut", sagte er schließlich. "Meinetwegen! Ihr dürft pflücken", zeigte er auf meine Mutter und ihre Töchter. "Du aber", wandte er sich zu mir, "du bleibst bei mir und hilfst mir, wo immer ich dich brauche."
Mir war es recht, denn Hopfenpflücken fand ich langweilig und mühsam. Außerdem herrschte im Hopfenfeld oft unerträglich Hitze. Ich wurde jedes Jahr als der langsamste Pflücker getadelt. Im vergangenen Jahr gelang es mir zum Beispiel mit Mühe und Not nur fünf skafs täglich zu befüllen. Mein Wochenlohnfiel so bescheiden aus, dass ich mir damit am Wochenende gerade einen Kinobesuch und einige Süßigkeiten gönnen konnte.
In dieser Saison begann der Tag für mich mit Stallarbeit. Kühe und Schweine füttern, melken und ausmisten, alles so wie ich es schon bei Milcek und bei Bauer Lesjak gelernt hatte. Mein Onkel beobachtete mich anfangs bei der Arbeit, im Laufe des Tages schaute er im Hopfenfeld nach dem Rechten, aber die meiste Zeit hielt er sich im Haus auf, las Zeitung und rauchte. Abends begleitete ich ihn zu seinen Schafen, die außerhalb des Dorfes eingezäunt grasten. Fast immer kamen irgendwelche Kosovaren oder Bosniaker dazu, die mein Onkel herablassend als muslimani bezeichnete, und kauften ihm Lämmer ab.
Einmal wies mich der Onkel an, einem schmächtigen bosnischen Jungen zu helfen, das eben erworbene Lamm mit einem Bollerwagen zu ihm heim zu bringen. Als wir die ärmliche Hütte erreicht hatten, in der seine Familie lebte, kam seine Mutter auf uns zu und reichte ihrem Sohn ein Messer.
"Ihr könnt es gleich schlachten, denn nachher bekommen wir Besuch", sagte sie und verschwand in der Hütte. Der Junge schaute mich hilflos an. Seine Hand, in der er das Messer hielt, zitterte.
"Soll ich es machen?", bot ich mich hilfsbereit an.
Er reichte mir das Messer, klemmte das Lamm zwischen seine Beine und zog den Kopf des Tieres hoch, um seinen Hals zu spannen. Noch bevor das Tier sein Schicksal erahnen konnte, schnitt ich ihm die Kehle durch, wie ich es bei Lesjak gelegentlich gelernt hatte.
"Bist du auch ein musliman?", fragte seine Mutter, die inzwischen auf der Türschwelle stand und uns zuschaute.
"Nein, aber ich kann schlachten", sagte ich stolz. Der Bauer Lesjak hatte recht, dachte ich, auf solche Dinge wie Schlachten kommt es im Leben an.
Die Abende verliefen immer gleich. Nach dem Essen brachte ich meine Schwestern in die Scheune und wartete so lange, bis sie im Heu einschliefen. Dann durfte ich noch für eine Weile zurück in die Stube, um mit meiner Mutter und meiner Tante Karten zu spielen. Der Onkel zog sich früh zur Nachtruhe zurück. Sobald die beiden Schwestern damit rechnen konnten, dass er fest schlief, holten sie aus einem Versteck Apfelwein und...
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