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»Kommst du?«, fragte ich. Genauer gesagt brüllte ich es, denn die Verbindung war schlecht. Nicht verwunderlich, da das Handy, das ich angerufen hatte, vermutlich gerade im U-Bahn-Tunnel irgendeines aufstrebenden asiatischen Finanzzentrums steckte.
»Zu deiner WG -Party?«, kam es, von Störgeräuschen unterbrochen, zurück.
»Das ist DIE Party des Jahres, Daniel. Und nachdem ich vier Jahre in dieser WG gewohnt habe, solltest du sie kennenlernen, bevor es vorbei ist.«
»Wie gut, dass du endlich aus dem Einflussbereich dieser weichgespülten Ökotante rauskommst«, schrie mein Bruder ins Telefon. »Dann kannst du dich demnächst auch wie ein ganz normaler, erwachsener Mensch benehmen. Kannst Fleisch essen, Auto fahren und Flugreisen machen. Vielleicht besuchst du mich dann ja endlich mal in New York.«
Das Angebot machte er mir seit Jahren, aber es lag nicht nur an meiner Flugverweigerung, dass bisher nichts daraus geworden war. Daniel war einfach nie lange genug an einem Ort, um dort Besuch zu empfangen - und wenn doch, dann hatte er es vorher nicht gewusst, musste seinen Aufenthalt spontan verlängern, ohne zu wissen, wann er den nächsten Flieger besteigen würde. Hauptsächlich deshalb hatte ich seine Einladung seit Jahren nicht angenommen. Die katastrophale Klimabilanz von Transatlantikflügen war dann nur noch ein weiterer Grund.
»Svenja ist keine Ökotante. Sie ist . Na ja, du wirst sie ja kennenlernen.«
»Ich versuche es einzurichten, okay? Aber wenn sich die Situation in Japan verschärft, werde ich wohl .«
Den Rest verschluckte eine technische Störung, aber ich konnte mir schon denken, wie es weiterging. Daniel, mein großer Bruder, war in einem Finanzinstitut für ein Portfolio von mehreren Milliarden Euro verantwortlich und düste um die Welt, wie andere Leute Joggingrunden im Park drehten. Es wäre ein Wunder, wenn er käme.
Es wurde ein Wunder.
Allerdings wünschte ich die nächsten sechs Monate, er wäre nach Japan geflogen, statt zu meiner Party zu kommen.
Und mit diesem Wunsch war ich beileibe nicht allein.
Meine Party fand aus mehreren Anlässen statt. Erstens hatte ich meinen Studienabschluss in der Tasche, genauer gesagt: den zweiten der beiden Abschlüsse in Design und Kommunikationswissenschaft, für die ich in den vergangenen Jahren geschuftet hatte wie ein Straßenkicker, der in die Nationalelf will. Nicht, dass ich ein Fan von Fußball war - der Vergleich stammte von meinem Kumpel Federico, der Fußball liebte, und er gefiel mir. Der Vergleich. Federico gefiel mir auch, seit wir in der Grundschule in der gleichen Bank gesessen hatten, allerdings rein platonisch. Er arbeitete seit vier Wochen in Barcelona, kam aber pünktlich am Tag vor der großen Party in Düsseldorf an und rollte seine Isomatte in meinem Zimmer aus. Damit war auch der letzte Zentimeter des Kämmerleins, das ich in der Vierer-WG bewohnte, belegt.
Der zweite Grund zum Feiern war mein unbefristeter Arbeitsvertrag, den ich als stolze Berufsanfängerin ergattert hatte. Ein ungewöhnlicher Glücksfall, denn die meisten meiner Freunde absolvierten schlecht oder gar nicht bezahlte Praktika oder saßen im Lebensmitteldiscounter an der Kasse. Ich hingegen war zum ersten Februar im Produktmarketing eines mittelständischen Unternehmens gelandet, in dem ich bereits zwei Praktika absolviert hatte. Alle Welt sagte mir, dass ich mich glücklich schätzen dürfe, und das tat ich - sogar mehr, als die meisten Menschen ahnten, denn der Juniorchef des Unternehmens gefiel mir nicht nur in professioneller Hinsicht. Allerdings machte ich mir keine Hoffnungen, denn ein so gut aussehender, intelligenter, erfolgreicher Mann wie er bekam sicher weit attraktivere Angebote als solche von einer pummeligen rothaarigen Berufsanfängerin mit Sommersprossen vom Scheitel bis zum Zeh.
Der dritte Anlass für die Party war einer, der eigentlich noch gar nicht aktuell war, nämlich die Auflösung unserer WG. Ich war auf Wohnungssuche, Svenja war auf dem Weg nach Indien und Conny und Mike maulten rum, dass sie sich die Wohnung zu zweit nicht leisten konnten, aber auch keine Lust auf neue Mitbewohner hatten. Ich konnte ihren Unwillen verstehen, denn es war schon sehr unwahrscheinlich, dass Conny, die Bohnenstange mit der Schlafkrankheit, und Mike, der Macho aus dem Mittleren Westen der USA, noch mal zwei Idioten wie Svenja und mich fänden, die die Bude putzten, den Kühlschrank füllten und den Müll rausbrachten.
Die Vorbereitungen für die Party nahmen Svenja und mich eine ganze Woche in Anspruch, denn wir hatten keine Lust, Fertigfraß minderer Qualität zu kaufen, und kein Geld für Convenienceprodukte aus dem Biomarkt. Also kochten, schnippelten, brutzelten und buken wir wie die Weltmeister, was uns großen Spaß machte. Einige Gäste würden weitere vegetarische oder vegane Salate und Desserts mitbringen. Alles gesund, alles bio und genau das, was mein Bruder Daniel verächtlich als Kaninchenfutter bezeichnete. Das war auch der Grund, weshalb er sich nie bemüht hatte, meine Partys in seinem Terminkalender unterzubringen. Wir lebten einfach in verschiedenen Welten. Trotzdem liebten wir uns heiß und innig, und deshalb war ich optimistisch, dass er dieses Mal kommen würde.
»Leo, Bier ist alle.«
»Leo, gibt's noch Kartoffelsalat?«
»Leo, wo ist der Aschenbecher?«
Ich seufzte. Die Party war in vollem Gange und wie immer legte jeder, der einen Fuß über unsere Türschwelle setzte, sein ganzes Wohlergehen in meine Hände. Warum nicht in Svenjas? Es war ihre Party ebenso wie meine. Aber die Antwort lag auf der Hand: Svenja war viel zu ätherisch für Kartoffelsalat, Bier oder Aschenbecher. Sie trug ein langes, weißes Kleid aus Leinen und Baumwollspitze, ihre zarten Finger waren mit Ringen geschmückt, bunte Bänder betonten die schmalen Handgelenke. Das blonde Haar fiel ihr lose auf die Schultern und sie war, obwohl unsere Wohnung im Winter zugig war, barfuß.
Svenja konnte durchaus zupacken, aber das sah man ihr nicht an und deshalb würde auch niemand sie darum bitten. Sie war ebenso praktisch und lebenstüchtig wie ich, hatte aber zusätzlich diesen Drang nach spiritueller Erfüllung - oder wie immer man das nennen sollte. Seit etlichen Jahren machte sie Yoga und transzendentale Meditation, malte Mandalas und studierte die Lehren Buddhas. Sie war überzeugte Veganerin, dankte Mutter Erde, dass diese sie trug und nährte, und fing Fliegen und Mücken in der Wohnung mit einem kleinen Kescher, um die Viecher dann draußen freizulassen. Sie gehörte zu den verrücktesten Menschen, die ich kannte, und ich würde sie vermissen.
Dachte ich.
Das Vibrieren des Handys riss mich aus meinen Gedanken. Daniels Nummer. Aha, der Herr steckte bestimmt mitten in einem Milliardendeal und rief nur an, um mir mitzuteilen, dass er es selbst mit dem nächsten Flug nicht mehr um die halbe Welt schaffen würde.
»Wo steckst du?«, fragte ich ihn statt einer Begrüßung.
»Kopf noch halb in Hongkong, Füße auf einer grauen Granitstufe, Finger auf deinem Klingelknopf, Sweetie.«
Ich grinste. Wenn Daniel mich Sweetie nannte, hatte er gute Laune. Ich drängelte mich durch den Flur voller Gäste und drückte die Tür auf.
Vegetarische Gemüsesuppe, veganer Kartoffelsalat, panierte Tofuschnitzel mit Walnusspaste, Krautsalat, Sauerkrautsuppe, Vollkornbrötchen und Grünkernfrikadellen, Spinattaschen und Nudelauflauf mit Lauch und Rosenkohl. Bier, Linsensalat, Hummus, Muhammara, Mousse au Chocolat und Tiramisù - Schüsseln und Gläser wurden leer und mussten aufgefüllt werden, Aschenbecher wurden voll und mussten geleert werden und dazwischen wünschten mir Freundinnen und Freunde alles Gute. Leute, die ich nicht kannte, fragten, wo das Klo sei, und zwischendurch grinsten Daniel und ich uns gelegentlich zu.
Mein Bruder sah verdammt gut aus. Sein schwarzes Haar, das er von unserem Vater geerbt hat, war etwas länger als bei unserem letzten Treffen und fiel ihm in einer akkurat verstrubbelten Locke in die Stirn. Seine Haut war wie immer dezent gebräunt und seine breiten Schultern verschafften ihm einen bemerkenswerten ästhetischen Vorteil gegenüber den schmalbrüstigen Jüngelchen, die sich in unserer Wohnung drängten. Dabei war Daniel unverdientermaßen vom Glück begünstigt, denn er trieb niemals Sport und tat außer dem regelmäßigen Besuch des Solariums und seines Hairstylisten in New York nichts für sein Aussehen oder seine Gesundheit. Im Gegenteil. Er lebte von Champagner und Kaviar, Kaffee, Steaks und Junkfood, hetzte für haufenweise Geld in der Businessclass durchs Leben und würde eines nicht allzu fernen Tages vermutlich am Herzinfarkt sterben - aber bis dahin war er ein Bild von einem Mann. Kein Mensch mit weniger als zehn Dioptrien Fehlsichtigkeit würde uns für Geschwister halten.
Gegen Mitternacht wurde es leerer. Diejenigen, die nur hatten satt werden wollen, waren vermutlich auf dem Weg ins Kino oder zu einer anderen Party mit schlechterem Buffet. Zum ersten Mal sah ich die Gelegenheit, mich mit Daniel zu unterhalten. Ich suchte ihn in der Küche, denn Daniel stand grundsätzlich im Zentrum des Universums und das war in einer WG im Allgemeinen und bei einer Party im Besonderen die Küche - aber dort fand ich ihn nicht. Auch in meinem Zimmer hatte ich kein Glück, im Flur war er ebenso wenig. War er zwischendurch ein ordentliches Steak essen gegangen? Ich unterdrückte ein Grinsen. Zuzutrauen wäre es ihm. Ein großes Stück Fleisch, ein Glas Schampus und wenn er standesgemäß satt wäre, käme er wieder. Aber noch gab ich die Suche nicht auf. Nach einer Runde durch die anderen Zimmer fand ich ihn auf dem Balkon.
Der Balkon unserer Wohnung war ein schmales...
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