Kapitel 25: QUO - Wohin?
Wir schreiben das Jahr 1990. Ein Jahr neuer Perspektiven und Aussichten. Ich schloss die Ausbildung zum Technischen Kaufmann mit Bravour ab und fand danach sogar wieder eine Anstellung als Industriekaufmann in einer Firma in Menden.
Die Hin- und Rück-Fahrten von Altena nach Menden gestalteten sich oftmals sehr zeitintensiv. Manchmal war ich fast 2 Stunden unterwegs für eine Strecke die bei normalem Verkehr nur knapp 40 Minuten in Anspruch nahm. Bei normalem Verkehr. Außerdem ging mir das Management ganz ehrlich gesagt: auf den Sack!
Mit meinem damaligen Partner Detlef lief es auch nicht mehr so flüssig. Ich war nicht auf der Suche, wurde aber gefunden. Von meinem neuen Partner Xaver aus Essen. In der Mitte des Jahres zog ich halb bei ihm ein. Eine Hälfte blieb noch in der Stadtgalerie. Dort hatte ich auch schon die Schnauze voll von dem Ärger mit renitenten aufgehetzten Galerieaufsichten und Anwohnerbeschwerden. Ich wollte dem entfliehen, traute mich aber noch nicht so ganz. Das dauerte bis zum Dezember 1990. Da packte ich endlich meine Koffer und zog ganz nach Essen.
Rückblende, 10 Monate vorher:
Im Februar endete meine Weiterbildung zum Technischen Kaufmann. Die neue Stelle in Menden sollte ich Mitte März beginnen. Also hatte ich über einen Monat Freizeit. Hurra! Ich wollte mich in kreative Arbeit stürzen und stürzte tief.
Im März 1990 begannen in Wuppertal die Dreharbeiten zum Kurzfilm QUO. Mit diesem Film wollte sich Marcus C. Hambsch in der Filmwelt etablieren. Vielleicht ein paar Festivals gewinnen und dann den Oscar für den besten Kurzfilm einheimsen. Das wäre doch fein. Aber so weit waren wir ja damals noch nicht.
Ich fuhr voller Vorfreude nach Wuppertal und stieg lange Treppen hinab. In mehreren leeren riesigen Kellergewölben sollte gedreht werden. Kein Studio -dafür schöne muffige Kellerwelt. Eine verstellbare Kulisse mit täuschend echt aussehenden Ziegeln und grauen Fugen stand an eine Wand gelehnt. Die andere war halb bedeckt mit den roten Ziegel-Riemchen und musste noch fertiggestellt werden.
"Du kannst schon mal die Ziegel aufkleben", meinte Marcus zu mir. Ich konterte mit einer Gegenfrage: "Wo ist denn die ganze Filmcrew?". Wir lächelten uns an, aber ich ahnte, dass seine Antwort nicht positiver Art war und er druckste so rum.
"Wir haben Mittwoch, also mitten in der Woche, da haben die anderen nicht frei. Die kommen am Wochenende dazu", meinte Marcus. "Und wir basteln jetzt die Kulisse?", fragte ich. Ein Nicken seitens Marcus bestätigte meine Befürchtung. Ich, der große Burg-(Holtzbrinck)-Schauspieler sollte jetzt Riemchen nageln und anmalen? Ich war nicht vorbereitet, hatte auch gar keine "Gammelklamotten" dabei. Es sollten ja eine Garderobiere, eine Maskenbildnerin, ein Kameramann, ein technischer Berater und viele, viele Helfer, so um die 8 Mann dazukommen und eben helfen. Und jetzt das hier? Ich war fassungslos und wollte eigentlich schon wieder fahren. Aber ich dachte mir: Vielleicht wird der Film ja was und ich werde entdeckt oder wenigstens zu einem anderen Film weitergereicht oder... oder... oder...
Abb.: 43 Dreharbeiten zu QUO von Marcus C. Hambsch Mauerbau
Ich begab mich auf den Boden der Tatsachen und nagelte kleine rote Riemchen auf die vorher grau gestrichene Kulissenwand. Minute um Minute - Stunde um Stunde und Tage um Tage... Die Kisten schienen nicht leerer zu werden und die Wand nicht voller.
Marcus sei Dank, er besorgte und bezahlte immerhin die Verpflegung. Dafür keine Fahrtkosten und keinen Arbeitslohn, geschweige denn Gage. Ich wollte nur ein kreatives Werk mit meinem Regisseur schaffen, in dem ich mal glänzen konnte. Aber der Glanz verblich, auch aus meinen Augen, die wurden abends immer schön rot. Vielleicht weil wir kaum Frischluft in den Gewölben atmen konnten. Immer nur abgestandene Muffluft.
Manchmal kam nachmittags ein Bekannter von Marcus vorbei und half mit beim großen Riemchen-Nageln. Das ging fast 2 Wochen lang so. In dieser Zeit nistete ich mich bei meiner ältesten Schwester und ihrem Verlobten ein. Sie wohnte nur ein paar Kilometer entfernt in Wuppertal-Obensiebeneick.
Kein Tageslicht, keine Frischluft, keine anderen Freizeitaktivitäten und abends nur ein paar Mal in Wuppertal ins Kino. Das war's. Nur Riemchen, Keller und Gemuffe.
Irgendwann hatte ich keine Lust mehr und tat das auch lautstark kund und siehe da, Hilfe kam an den Wochenenden. An diesen "überfüllten" Wochenenden machte ich dann frei, nur um wieder in der Woche in den Keller hinabzusteigen.
Nach 2 weiteren Wochen begannen endlich die Dreharbeiten. Hurra!
Erste Einstellung: auf dem Boden liegend in Embryostellung in grauem Hemd, Hose, schwarze Schuhe und eine graue Weste. Aufstehen, ein bisschen räkeln, sich blöde umschauend und dann frisch ans Werk das Laufen beginnen.
Abb.: 44 Dreharbeiten zu QUO von Marcus C. Hambsch Embryostellung
Ich sollte Marcus darstellen, als sein Alter Ego. Oder lieber Baby-Ego? Oder wie sagt man das jetzt? Marcus war 23 Jahre alt, ich 27 Jahre. Er hatte schon eine üppige Glatze vorzuweisen und bei mir fing mein Haupthaar gerade an sehr, sehr dünn zu werden. Er wollte mich haarlos. Wie? Was? Wieso? Warum? Alles? Ja, Marcus dachte an ein frisch geschlüpftes Baby, also völlig haarlos. Ich sollte mir eine Glatze rasieren, den Schnäuzer rasieren, mir sogar die Augenbrauen und auch die Härchen auf Armen, Fingern und der Brust rasieren.
Ich war nicht einverstanden. Ich hatte noch nie meinen Schnauzbart abrasiert. Schon als die ersten Härchen mit 13 Jahren sprossen, war ich mächtig stolz auf diese Art Männlichkeit. Frauen haben ja keine Bärte, ätsch! Und wenn doch, sieht es nicht so aus, als ob sie wirklich dahin gehören. Das muss ein Privileg der Männer bleiben. Basta! Bei den Brusthaaren lief das Fass endgültig über. Die blieben dran. Das waren doch nur ein paar und sind auch nie mehr geworden.
Ich erlaubte den Kopf fast kahl zu scheren. Erste Einstellung meines Langhaarschneiders: knapp 1,5 mm. Das sah schon schlimm aus. Na gut, der Schnauzbart soll weg - kann weg. Weg damit! Aber die Augenbrauen blieben dran und auch auf Brust, Arme und Finger.
Weiter im Text: der Protagonist, gerade eben erwacht irrt verloren und völlig allein durch ein Labyrinth von Gängen gesäumt mit rot-grauen Klinkerwänden. Immer mal wieder kommt er an eine Tür, bleibt stehen, überlegt, macht sie auf und es erwarten ihn einige Überraschungen. Ein Skelett mit Krone auf einem Thron und eine Babyrassel, ein Strudel, den ich nur spielend darstellen sollte. Der Strudel würde dann in der digitalen Nachbearbeitung per Trick eingefügt werden. Eine Wüste, eine offene eingerissene Mauer hinter der ein Nebel aufsteigt, bis er an eine Tür kommt, hinter der nur grelles, weißes Licht ist, in das der Protagonist hineingeht. ENDE. Soweit der Inhalt.
An den Wochenenden in den nicht nur an den Stellwänden weitergearbeitet, sondern auch gedreht wurde, war die Bude, also der Keller voller wuseliger Helfer. Und tatsächlich kamen Filminteressierte und halfen wo sie nur konnten und wurden auch noch mitverpflegt.
Abb.: 45 Dreharbeiten zu QUO von Marcus C. Hambsch Mauerbau,
Von links nach rechts: Inka, Marcus C. Hambsch, Dietmar Wittke
Abb.: 46 Dreharbeiten zu QUO von Marcus C. Hambsch Schminken,
Von links nach rechts: dwp Inka
Ich wurde von Inka aus Essen geschminkt. Wir lernten uns kennen und mochten uns auf Anhieb. Sie kam aus Essen, aus der Stadt in die ich gerade gezogen war. Später gingen wir zusammen oft ins Kino oder ins Theater. Sie selbst tanzt in einer kleinen Tanzgruppe.
Meine Garderobiere war ein Dietmar aus Düsseldorf. Eigentlich ein "Mädel" für alles und "fürs Grobe". Der Bruder von Inka, der Arnd, sollte die Filmmusik komponieren und einspielen und noch so einige dolle Typen. Wir verstanden uns eigentlich sehr gut, bis auf die Momente, in denen der "große" Regisseur unzufrieden war oder wurde und Vorhaltungen machte. Nach meiner Meinung natürlich völlig unberechtigt. In diesen Momenten wollte ich nur in meinen Wohnwagen. Es hieß dann immer: "Wo ist denn die Dietrich? Schon wieder im Wohnwagen?" Ja, ich brauchte dann mal auch eine Pause von dem ganzen Trubel. Allerdings gab es keinen Wohnwagen nur den Flur vor den Kellerräumen, aber auch das tat schon mal gut dorthin geflohen zu sein.
An einem schönen Samstagmorgen sollte die Wüstenszene gedreht werden. Alle halfen mit, Holzgestelle zu bauen, über die dann große Planen gelegt wurden, um so eine Wüstenlandschaft zu kreieren und zu formen. Auf die Planen wurde Sand gestreut. Eine Menge Eimer Sand brauchten wir. Wir mussten die Schrägen etwas abschrägen sonnst hielt der Sand nicht. Dann die Idee: erst Mal Stoffe auf die Planen legen und dann den Sand auf die Stoffe verteilen. Also wieder den ganzen Sand in die Eimer geschaufelt und Stoffe ausgelegt und den Sand wieder drübergestreut. Ja, so wurde es langsam aber sicher etwas. Sehr langsam würde ich sagen. Wir brauchten 9 Stunden. Es war also schon nach 22.00 Uhr in der Nacht als alle Helfer um die Wüste herumstanden und das gelungene Werk bestaunten. Jetzt konnten wir drehen. Marcus drehte sich zu mir um und maulte: "Bist Du noch nicht umgezogen und geschminkt? Ich will drehen?"
Ja, das waren diese Momente in denen ich Marcus am...