Schweitzer Fachinformationen
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Danny musste nicht erst nach dem Weg fragen - man konnte den Ort drei Meilen gegen den Wind riechen.
Und zwar buchstäblich.
Was für ein beschissener Ort zum Sterben, dachte er und steckte seine Kamera und den Laptop in die Umhängetasche. In den letzten Jahren hatte er über Dutzende von Leichenfunden berichtet, aber das hier war sein erster auf einer Mülldeponie. Naserümpfend öffnete er die Tür seines verbeulten Escort. Wenn es hier im Oktober schon so stank, wie war das erst mitten im spanischen Hochsommer?
Die Straße zur Mülldeponie war zu beiden Seiten fast zwanzig Meter hoch flankiert von steilen, schräg abfallenden Hängen aus rotbrauner Erde. Blechbüchsen und flatternde Plastikstreifen lagen am Rand der asphaltierten Straße verstreut, die vor einem schweren Rollgitter aus Metall endete. Hinter ihm lagen ein zweistöckiges Verwaltungsgebäude sowie etliche Entladebuchten für Müllwagen. Ein rüstiger Beamter der Guardia Civil im grünen Overall bewachte das Tor. Seinem Gesichtsausdruck nach war er verärgert oder beunruhigt. Möglicherweise auch beides.
Nichts davon verhieß Gutes für Teresa del Hoyo.
Die Dreiundzwanzigjährige war vor einer Woche als vermisst gemeldet worden, seither strahlten die Medien unentwegt ihre Personenbeschreibung aus: eins fünfundsechzig groß, siebenundfünfzig Kilogramm schwer und schlank, schulterlanges braunes Haar mit lila Strähnchen und einem Zopf auf der linken Seite; Ohren, Nase und linke Augenbraue waren gepierct, sie trug eine Adidas-Trainingsjacke, Slim-fit-Jeans von Levi's und schwarze Converse. Am vierten Oktober war sie gegen drei Uhr nachmittags zu einer Bar im Stadtzentrum gegangen, in der sie als Kellnerin jobbte, hatte die Arbeitsstelle aber gegen acht Uhr verlassen, nachdem sie einen Anruf von einem Münzfernsprecher erhielt. Seither fehlte jede Spur von ihr.
Die GPS-Ortung ihres Handys hatte die Polizei zu einem rosafarbenen VW Beetle geführt. Er wurde in einer Vorortstraße im Küstenstädtchen Roquetas de Mar gefunden, der Autoschlüssel steckte noch. Auf dem Beifahrersitz lag das Handy. Wie das Fahrzeug dorthin gekommen war, war ein Rätsel. Keiner von Teresas Freunden und Familienangehörigen hatte eine Idee, warum sie in diese Stadt gefahren sein könnte.
Die Guardia Civil hatte Spürhunde und Helikopter eingesetzt, um die öden Weiten und die ausgetrockneten Flussbetten bei Roquetas abzusuchen, doch von der jungen Frau keine Spur gefunden. Unterdessen hatte Teresas Familie im Fernsehen die Öffentlichkeit unter Tränen dazu aufgerufen, sie bei der Suche zu unterstützen, und im Stadtzentrum hatte man eine Kerzenmahnwache abgehalten.
Danny sprach mit den spanischen Journalisten, die vor dem Tor zusammenstanden, aber niemand wusste mehr als das, was alle wussten: Irgendwo auf der Mülldeponie hatte man die Überreste einer jungen Frau entdeckt. Als Danny auf den Beamten der Guardia Civil beim Eingang zuging, schüttelte der Mann den Kopf und sagte kurz und knapp: »Kein Kommentar.«
Ein Übertragungswagen rückte an, und die Crew stellte ein Kamerastativ auf, während die Moderatorin in einem Spiegel ihre Frisur und den aufgetragenen Lippenstift prüfte. Danny suchte nach einer Möglichkeit, einen Blick auf den Leichenfundort zu werfen, als Paco Pino auftauchte. Er rutschte rechts vom Tor einen steilen Abhang hinunter, eine Lawine aus Steinen und Erde hinter sich herziehend. Der hünenhafte Fotograf zählte nicht gerade zu den Wendigsten, die letzten zehn Meter legte er halb stolpernd, halb schlitternd zurück und drückte dabei zärtlich die beiden Kameras der Marke Canon, Modell 5D MK III, an sich, die um seinen Hals hingen.
»Hast du von da oben was sehen können?«, fragte Danny zur Begrüßung.
Paco schraubte das Teleobjektiv von einer Kamera und schüttelte den Kopf. »Aber ich konnte mit einem der Arbeiter sprechen. Er sagt, die Leiche liege weit draußen auf der Müllhalde.«
»Wie wurde sie entdeckt?«
»Wenn die Laster den Müll abgeladen haben, wird er anschließend mit einem hydraulischen Greifer durchsucht. Sie waren heute am frühen Morgen gerade mit einer Fuhre beschäftigt, als sie aus den Zähnen des Greifers einen menschlichen Arm baumeln sahen. Es war eindeutig, dass es der Arm einer Frau war, also riefen sie die Guardia Civil.«
»Das klingt nicht gut für Teresa del Hoyo, was meinst du?«
Paco zuckte die Achseln und zündete sich eine Zigarette an. »Sie wird seit über einer Woche vermisst. War doch klar, dass das nur so ausgehen konnte, oder?«
Danny dachte über die Worte nach, während er sich selbst eine anzündete und zusammenzuzählen versuchte, wie viele seiner Vermisstenstorys der letzten zwanzig Jahre gut ausgegangen waren. Nicht viele.
»Nehmen wir mal an, es ist die Del Hoyo, wie willst du die Geschichte verkaufen?«, fragte Paco mit einem Blick auf die Journalistengruppe vor dem Tor. »Die britische überregionale Presse interessiert das nicht, und die spanische hat ihre eigenen freien Mitarbeiter. Wir könnten es bei ein paar Zeitschriften versuchen.«
»Du denkst an Gente de Hoy?«
»Ich weiß, du hältst es für unter deiner Würde, für die zu schreiben, Danny, aber besser als die zahlt keiner.«
Danny drückte seine Zigarette aus. Beides stimmte.
»Wir sollten erst herausfinden, ob es Teresa ist, ehe wir uns Gedanken machen, wie wir die Story an den Mann bringen«, sagte er. »Ich sehe mir mal an, was die Spusi mit der Leiche anstellt.«
Die beiden Männer liefen hundert Meter die Straße zurück und kletterten auf einen mit Kakteen und Büscheln von Espartogras bewachsenen Hügel. Der Maschendrahtzaun auf dem Hang war nur hüfthoch. Von seiner anderen Seite konnten Danny und Paco das Tal überblicken, es zog sich eine halbe Meile lang und bestand zur Gänze aus der Müllhalde - zu ihrer Rechten lagen das Pumpwerk, die Brückenwaage, die Waschanlage für die LKW und das Verwaltungsgebäude; auf der anderen Seite, etwas weiter unter ihnen, befand sich die eigentliche Müllhalde. Auf einer riesigen Fläche wurden verschmierte, stinkende Plastiksäcke von Bulldozern zu Haufen zusammengeschoben, bis ein riesiger, welliger Abfallwulst entstand, der jeden Tag mit Erde überdeckt wurde.
Möwen kreisten hoch oben am Himmel und schossen herab. Sie waren das Einzige, was sich in dem Tal regte. Alles andere war jener Erstarrung anheimgefallen, die allen Tatorten innewohnt. Ein Bulldozer stand reglos mitten im Müll, die Schaufel auf halber Höhe. Arbeiter und Verwaltungspersonal standen rauchend in Grüppchen beisammen, den Blick auf die Stelle der Halde gerichtet, die mit Absperrband markiert war. Die vier Männer von der Spurensicherung trugen weiße Plastikanzüge und Gesichtsmasken, standen knietief im Abfall und untersuchten einen hydraulischen Greifer, der von einem Mobilkran herunterhing.
Paco machte Aufnahmen, während Danny das Spurensicherungsteam durch ein Fernglas in der Hoffnung beobachtete, etwas über den Fortgang der Ermittlungen zu erfahren. Zwischen den Zähnen des Greifers war der Leichentorso zu sehen. Die Haut war blass, die untere Körperhälfte offenbar in schwarzes Plastik gewickelt.
»Das ist Teresa del Hoyo«, sagte Paco, als er die Szene durch ein Zoomobjektiv fotografierte. »Sieh dir nur das Haar an.«
Paco hatte recht. Die Leiche lag mit dem Gesicht nach unten im Greifer, ihr Kopf umgeben von langem, zottigem, braunrotem Haar mit einer deutlich sichtbaren lila Strähne.
»Was meinst du, wie zum Teufel ist diese Frau auf einer Müllhalde gelandet?«, fragte Paco.
»Ich könnte mir vorstellen, dass man sie in einen dieser großen Müllcontainer geschmissen hat, wie sie auf dem Land stehen.«
»Was für ein idiotischer Ort, um eine Leiche abzuladen. Da findet man sie doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit.«
»Die haben sich wohl gedacht, dass niemandem etwas auffällt. Hier werden täglich Hunderte von Tonnen Abfall angeliefert. Ihre Leiche hätte unter Umständen tagelang im Container liegen können. Die werden nur zweimal die Woche abgeholt.«
Paco schnalzte mit der Zunge, er wirkte nachdenklich. »Das erinnert mich an eine Geschichte, über die ich mal berichtet habe«, sagte er. »Da ging es um einen Kerl, der an einer Überdosis gestorben war und den seine Drogenkumpels in einen Müllcontainer geworfen hatten. Damit wollten sie vermeiden, dass die Polizei ihre Drogenhöhle entdeckt. Könnte ein ähnlicher Fall sein, was meinst du? Das Mädchen hatte schließlich auch mit Drogen zu tun.«
»Stimmt. Aber die Mutter behauptet, Teresa sei seit mindestens anderthalb Jahren clean gewesen.«
Die beiden Männer blieben auf ihrem Beobachtungsposten, bis die nackte Leiche aus den Zähnen des Greifers befreit und anschließend mit dem Gesicht nach oben auf eine Trage gelegt wurde. Teresas Haut war fahl und von zahlreichen Prellungen übersät. Am Hals über dem Schlüsselbein verlief ein breiter gezackter Schnitt.
»Damit ist meine Theorie von der Überdosis hinfällig«, sagte Paco beim Fotografieren der Toten.
Ein Krankenwagen kam, Teresa del Hoyo wurde in einen Leichensack gelegt und weggefahren. Die beiden Männer gingen zurück zu Pacos Auto.
Das Durcheinander im Kofferraum war ein deutliches Zeichen dafür, dass Paco Journalist war. Es war ein Chaos aus alten Zeitungen und Zeitschriften, leeren Cola-Flaschen, Chipstüten und Kamerataschen. In den Stauraum hinter dem Radlauf waren ein Schlafsack und ein Kissen gequetscht.
»Was...
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