Schweitzer Fachinformationen
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Veronica
Eileen fährt uns. Ich wäre durchaus in der Lage, mich selbst hinters Steuer zu setzen, habe das Fahren aber vor drei Jahren aufgegeben. Meine Reaktionen sind blitzschnell wie eh und je, wie ich dem Arzt unmissverständlich mitgeteilt habe, und ich sehe mehr als ausreichend gut in die Ferne. Nach meinem kleinen Missgeschick mit dem Jaguar und einem äußerst lästigen jungen Mann in seinem Vauxhall bin ich aber zu dem Entschluss gekommen, dass ich auf solchen Ärger verzichten kann.
Der Schnee von letzter Woche ist weggetaut und der Tag erfüllt von hellem zitronengelbem Sonnenschein. Während der gefleckte Himmel und die grünen Hügel Schottlands am Fenster vorbeifliegen, sitzt Daisy still auf dem Rücksitz (ich habe den Verdacht, sie treibt auf ihrem Telefon heimlich Unfug in irgendwelchen »sozialen Medien«). Eileen summt beim Fahren vor sich hin und macht gelegentlich Bemerkungen wie: »Was für ein herrlicher Tag«, und: »Hübsche Wolken, nicht wahr?«.
Schließlich überqueren wir eine Kreuzung, biegen links ab und fahren unter einem nicht zu übersehenden Schild durch, auf dem »Lochnamorghy Sea Life Centre« steht.
»Wir müssen unbedingt ein Selfie mit den Pinguinen machen, Veronica!«, ruft Daisy hinter mir, als wir den Wagen am hinteren Ende des Parkplatzes abstellen. »Du machst doch ein Selfie mit uns, oder?«
»Schon möglich«, versichere ich ihr, da ich nicht durchblicken lassen will, dass ich nicht genau weiß, was »ein Selfie machen« beinhaltet. Wenn es irgendetwas mit »einen Handstand machen« oder »einen Spagat machen« gemein hat, habe ich nicht die Absicht, ihrer Bitte nachzukommen. Tatsächlich würden meine Gliedmaßen so etwas ohnehin nicht zulassen.
Eileen, Daisy und ich gehen durch einen riesigen Eingang mit einer Glasdrehtür. Die Frau am Empfang erklärt forsch und effizient: »Zum Aquarium geradeaus. Gehen Sie bis zum Ende des Gangs und folgen Sie der Beschilderung für Robben, Otter, Seevögel und Pinguine.«
Wir folgen den Schildern durch ein Labyrinth von Gängen. Sie sind von informativen Postern über das Leben im Meer gesäumt, die wir völlig ignorieren. Die bedrohlichen Tintenfische, Kraken, Quallen und die anderen mit Tentakeln und Schuppen versehenen Kreaturen, die in den mit grauem Wasser gefüllten Aquarien zu beiden Seiten herumschwimmen, ignorieren wir ebenfalls. Wir sind alle drei gleichermaßen auf unser Ziel fixiert. Daisy läuft immer wieder voraus und kehrt dann wieder zu uns zurück wie ein aufgeregter Welpe.
Wir werden hier keine Adeliepinguine zu sehen bekommen. Da diese in der Antarktis zu Hause sind, wäre es Tierquälerei, sie in wärmeren Gefilden zu halten. Aber es warten andere Arten auf uns, die an ein milderes Klima gewöhnt sind.
Als wir bei dem Gehege ankommen, sehe ich zunächst nur Pärchen und Familien mit kleinen Kindern, die sich davor drängen. Wir schieben uns nach vorn. Wir befinden uns in einem breiten, mit einem Netz überspannten Bereich, vor einem unnatürlich blauen nierenförmigen Becken. Hinter einer Absperrung aus rotem Band entdecke ich eine Ansammlung von Vögeln, die zwischen Felsen, Sand und ein paar niedrigen gemauerten Höhlen herumstehen.
Eileen bahnt sich den Weg durch die Menge und ruft dabei: »Entschuldigung, Entschuldigung!«, bis wir eine Stelle mit guter Sicht finden. Daisy sprudelt vor Aufregung über. Auch ich verrenke mir den Hals, um etwas sehen zu können. Schließlich erblicke ich sie.
Brillenpinguine haben am Kopf eine schwarz-weiße Zeichnung, um ihre Brust verläuft ein schwarzer Streifen, und über ihren Augen sind rosafarbene Flecken Haut zu sehen. Die meisten von ihnen lungern nur herum, aber ein paar gleiten in das Becken, als wir uns nähern. Sie sind äußerst attraktiv. Noch mehr entzücken uns allerdings die Goldschopfpinguine mit ihrem mächtigen Kopfschmuck aus langen gelben Federn, die dort herausstehen, wo man ihre Ohren vermuten würde. Sie haben etwas Skurriles und Keckes an sich und sehen wirklich spektakulär aus.
Wir sehen zu, wie zwei Pinguine, die auf einem Felsen stehen, sich gegenseitig putzen, wobei ihre langen Schnäbel glänzendes Gefieder durchwühlen. Nach getaner Arbeit hüpft einer der beiden von dem Felsen herunter. Als er bemerkt, dass er Publikum hat, kommt er auf uns zugewatschelt und sieht uns mit einem Auge an, dann mit dem anderen. Sein Schopf wackelt leicht in der Brise. Er richtet den Schnabel in den Himmel und bewegt den Kopf hin und her, sodass es beinahe so aussieht, als würde er tanzen.
»Oh, seht ihn euch an!«, ruft Daisy. Ich habe selten ein so begeistertes Kind erlebt.
Der Pinguin plustert sich auf, macht den Schnabel auf und stößt einen lauten, schmachtenden Schrei aus.
Meine Augen beginnen zu kribbeln. Über siebzig Jahre lang habe ich es mir nicht gestattet, auch nur ein einziges Mal zu weinen, weil jemand einmal zu mir gesagt hat, Weinen sei ein Zeichen von Schwäche. Inzwischen glaube ich das nicht mehr, aber ich fühle mich noch immer unwohl dabei, Emotionen jeglicher Art öffentlich zur Schau zu stellen. Nichtsdestoweniger kommen mir heutzutage erschreckend oft die Tränen, und ich kann so gut wie nichts dagegen tun.
»Hier, bitte sehr, Mrs McCreedy, nehmen Sie das.« Ich habe ein frisch gewaschenes Taschentuch in meiner Handtasche, nehme das Papiertaschentuch, das Eileen mir hinhält, aber gnädigerweise an.
»Alles in Ordnung, Veronica?«, erkundigt sich Daisy und blickt zu mir hoch, um meinen Gesichtsausdruck zu studieren.
»Das kommt von meinen Nasennebenhöhlen. Die machen mir manchmal Probleme«, erkläre ich ihr kurz angebunden.
Diese Pinguine lassen sich nicht ganz mit meinen Adelie-Freunden vergleichen, aber sie sind genauso wichtigtuerisch und begeisterungsfähig. Unser freundlicher Goldschopf trompetet noch einmal.
»Wir nennen ihn Mac«, verrät uns eine der sogenannten Pinguinaufseherinnen und tritt vor. Die junge Frau besitzt ein gesundes Selbstbewusstsein und einen schaukelnden Pferdeschwanz. »Er wurde von Hand aufgezogen. Als er noch ein Küken war«, fügt sie hinzu.
Ich blicke von ihr zu dem Pinguin und wieder zurück. »Dann haben Sie ihn also mit einer Spritze mit einer genau ausgewogenen Mischung aus verflüssigtem Krill und Thunfisch gefüttert?«
Ihre Augen weiten sich ein wenig. Es sieht so aus, als würde sie versuchen zu berechnen, wie ihre Antwort lauten soll. »Ähm . also ich habe ihn nicht selber .«
»Das ist Veronica McCreedy«, fällt Daisy ihr ins Wort. »Sie war in der Antarktis und hat ein Pinguinbaby namens Pip gerettet, und dann ist sie krank geworden, und Pip hat sie gerettet! Und« - Daisy holt Luft - »sie ist mit Robert Saddlebow befreundet.«
»Mit dem Robert Saddlebow«, fügt Eileen hinzu.
»Sir Robert Saddlebow«, betone ich.
Ich muss zugeben, dass mir die Bewunderung meines Schützlings schmeichelt.
»Ja, deine Omi ist eine tolle Frau«, sagt die Aufseherin, die offensichtlich kein Wort von dem glaubt, was Daisy ihr erzählt hat. Ich überlege, ob ich sie korrigieren soll, was ihre »Omi«-Bemerkung anbelangt, habe aber keine Lust. Mein Hauptaugenmerk ist ohnehin auf den Pinguin gerichtet, der wirklich ganz entzückend ist.
»Darf ich ihn füttern?«, fragt Daisy voller Eifer.
»Jetzt nicht. In zwanzig Minuten ist Fütterungszeit.« Die Aufseherin wirkt erleichtert, wieder auf vertrautem Terrain zu sein. Sie geht neben Daisy in die Hocke und spricht wie eine große Schwester zu ihr. »Dann kannst du ihnen allen dabei zuschauen, wie sie ihr Mittagessen genießen. Vielleicht gebe ich dir sogar einen oder zwei Fische, damit du mir beim Füttern helfen kannst.«
Meine Beine sind inzwischen müde. Daisy und Eileen ziehen los, um die Gehege mit den Robben und den Ottern zu suchen, während ich mich auf den Weg zur Teestube mache. Ich hole mir ein Stück Bakewell-Torte und eine Tasse Darjeeling. Zumindest nennen sie den Tee Darjeeling (vermutlich, um den Aufpreis von einem Pfund zu rechtfertigen), geschmacklich ist er allerdings eine herbe Enttäuschung. Aber ich will mich nicht beschweren.
Ich lasse mich an einem kleinen Tisch am Fenster nieder und schaue hinaus auf den Streifen Meer, der hinter der Ecke des Gebäudes zu sehen ist. Nachdem ich den Goldschopfpinguinen und den Brillenpinguinen einen Besuch abgestattet habe, ist es wahrscheinlich unvermeidlich, dass meine Gedanken darauf bestehen, in die Antarktis zurückzukehren, zu der Kolonie von Adeliepinguinen, zu meiner Freundin Terry und zu meinem Enkel Patrick. Ich habe viel in das Locket-Island-Projekt investiert, sowohl im metaphorischen als auch im wörtlichen Sinn, da ich ihm einen monatlichen Betrag zukommen lasse, vor allem deshalb, weil Patrick jetzt dem Team angehört.
Terry und er sind seit einem Jahr ein Paar. Terry heißt eigentlich Teresa und ist zu hundert Prozent eine Frau - wenngleich sie durch ihren Verzicht auf Make-up und eine richtige Frisur wenig dafür tut, um das zur Schau zu stellen. Im Gegensatz zu Sir Robert wird sie wahrscheinlich nie eine Fernsehpersönlichkeit werden, aber wie er gehört sie zu den wenigen Menschen auf diesem Planeten, die meinen Respekt erlangt haben.
Manche würden sagen, dass Patrick Terry nicht verdient, und es gab eine Zeit, da hätte ich ihnen zugestimmt. Patrick ist wie Kaviar. Nicht etwa, weil er eine edle Delikatesse ist - ganz im Gegenteil! -, sondern weil er einen gewöhnungsbedürftigen Geschmack hat. Als ich ihm das erste Mal begegnete, was erst achtzehn Monate her ist, hatte ich zunächst eine Abneigung gegen ihn. Mit...
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