Schweitzer Fachinformationen
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Alexander Prinz wurde 1994 in Sachsen-Anhalt geboren und wuchs im beschaulichen Nemsdorf-Göhrendorf auf, einem der letzten Funklöcher der Republik. Von dort aus entwickelte sich Der Dunkle Parabelritter erst zum erfolgreichsten Content Creator der deutschen Metalszene und bald zu einem der bekanntesten Politikkommunikatoren des Landes. In seinen Videos hilft er seiner Community, politische und gesellschaftliche Entwicklungen einzuordnen, und arbeitet Hintergründe und Zusammenhänge heraus. Mittlerweile produziert er auch für das öffentlich-rechtliche Content-Netzwerk Funk. Alexander Prinz lebt in Halle an der Saale.
Ich komme aus Ostdeutschland. Das ist ein Satz, der 35 Jahre nach dem Ende der DDR mit mehr Bedeutung aufgeladen ist denn je. Das zeigen auch die unzähligen Studien, die erstellt werden, um doch immer zum selben Schluss zu kommen: Der Osten ist in Gänze anders als der Westen. Und mit anders meinen diese Studien meistens: schlechter. Der Osten des Landes steht in den Augen der meisten Menschen - auch vieler Ostdeutscher - mittlerweile für etwas Negatives.
Laut Studien sehnen sich die Menschen im Osten immer mehr nach autoritären Führungspersönlichkeiten, lehnen mehrheitlich unsere aktuelle Demokratie ab, die Quote der Schulabbrecher ist weitaus höher als in den westlichen Bundesländern.1 Und wer keinen Abschluss hat, ist zu mehr als neunzehn Prozent auch nicht erwerbstätig.2 Menschen in den ostdeutschen Bundesländern sind stärker armutsgefährdet (Berlin und seinen Speckgürtel ausgenommen).3 Wer hier lebt, nimmt mehr Drogen4, ist alt5, unglücklicher6 (und spricht offensichtlich trotzdem seltener mit einem Psychologen über seine Probleme)7, verfügt über das geringste Einkommen8 und hat im Grunde kein Vermögen. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Das Fazit ist: Der Osten ist arm, dumm und rechts.
Und ganz besonders arm, dumm und rechts, sagen die Studien, sei meine Heimat: Sachsen-Anhalt. Das Bundesland im Osten, das wahlweise mit Thüringen oder Sachsen verwechselt wird und so viel wie kein anderes seit der Wende an Einwohnern verloren hat: ein Viertel, um genau zu sein. Und laut Prognosen wird es genau so weitergehen.9
Wer etwas werden will, der haut ab - denn was soll hier schon aus einem werden - außer ein arbeitsloser Wutbürger? Nach allen Statistiken, die man zu sehen bekommt, ist meine Heimat eher ein Schandfleck als ein Bundesland. Und wer von hier fortgeht, der versucht zu verheimlichen, woher er kommt. Ich bin geblieben - nicht ohne zu zweifeln. Und erst in den letzten Jahren ist mir bewusst geworden, wie unversöhnlich diese Ost-West-Spaltung wirklich ist. Und wie relevant für Gesamtdeutschland.
Wir sind ein Land - aber wir sind zwei Gesellschaften. Es gab eine Phase, da wurde über den Osten gescherzt. Dann gab es eine Phase, da machte man sich um den Osten Sorgen. Jetzt ist der Osten für viele ein Feindbild. Eine Phase des Miteinander-Redens auf Augenhöhe gab es nie - denn es gab niemals diese Augenhöhe. Und für die Zukunft sehe ich schwarz, dabei wird die Zukunft Deutschlands gerade in Ostdeutschland entschieden.
Doch der Graben ist weniger tief, als man denken mag. Er besteht vor allem aus gegenseitigem Misstrauen und Schuldzuweisungen. Und aus Problemen, die man zu lange ignoriert hat.
Ich glaube aber, dass Erlebbarkeit Augenhöhe schafft. Um eine Erfahrung erlebbar zu machen, muss es jemanden geben, der von ihr erzählt - und jemanden, der bereit ist zuzuhören. Danke dafür. Aber warum sollte gerade ich der Erzähler sein?
Ich bin jetzt dreißig Jahre alt und habe beim besten Willen noch nichts Außergewöhnliches erlebt oder geleistet, was mich berechtigen würde, ein Buch zu schreiben, in dem ich jetzt schon auf mein bisheriges Leben zurückblicke.
Mein Leben war im Großen und Ganzen genauso, wie ein völlig gewöhnliches Leben für ein Kind aus dem ländlichen Sachsen-Anhalt eben aussieht. Aber es geht auch gar nicht um mein Leben, sondern um ein Leben hier im Osten. Je gewöhnlicher, desto besser. Und vor allem geht es darum, nicht die typischen Klischees zu bedienen. Vielen ging es schlechter als mir - die wenigsten davon haben die Möglichkeit bekommen, über das zu sprechen, was sie erlebt haben. Ich bin in meiner Kindheit und Jugend oft der Beobachter gewesen, habe alles aufgesaugt und möchte diese Perspektive jetzt wiedergeben und Menschen eine Stimme geben, die im medialen Diskurs ansonsten stumm bleiben.
Ich möchte erzählen von einer Jugend an einem Ort, wo man, außer seinen 3er-Golf zu tunen und damit Donuts auf dem Parkplatz eines verlassenen Kaufhauses zu drehen, wenige Perspektiven für die Zukunft hat (Sachsen-Anhalt ist das Bundesland mit der höchsten Rate an Unfalltoten10 und der geringsten Rate an Unternehmensgründungen je Einwohner11). In meiner Jugend in dem Dorf, das mehr Kühe als Menschen beherbergte, tranken wir Nordhäuser Doppelkorn an einer Bushaltestelle, an der niemals ein Bus abfuhr. Mittlerweile wurde sogar die Bushaltestelle abgerissen. Aber vielleicht sollte es genau deshalb mal einen Einblick in diese Welt geben. Denn hier spielen keine Romane, schon gar keine mit Happy End.
Niedergang auf Raten, Orte, die zu Geisterstädten werden. Deutschlands Flyover State. Unendlicher Horizont, aber nichts zu sehen. Obwohl Sachsen-Anhalt in der Mitte Deutschlands liegt, kommen nur wenige zu Besuch. Noch seltener als dieses Bundesland wird nur Mecklenburg-Vorpommern gegoogelt.12
Dennoch, sich als Ossi zu bezeichnen wird der jungen Generation immer wichtiger. »In der Gruppe der jungen Ostdeutschen sagen 65 Prozent, es gäbe Unterschiede, in der entsprechenden West-Kohorte nur 32 Prozent. Ost-West-Konflikte nehmen 61 Prozent wahr, im Westen sind es nur noch 16 Prozent.«13
Dabei hat Ostdeutschland doch eigentlich keine vergleichbar eigene, über Jahrhunderte gewachsene Identität wie etwa Schottland. Oder wurde sie nur nie konkret definiert? Leiden wir hier unter Hirngespinsten, oder muss man den Unterschied erst mit eigenen Augen sehen, um zu verstehen, was in diesem Land vor sich geht?
Meine Generation sucht nach einer eigenen Identität, weil sie immer wieder damit konfrontiert wurde, dass irgendwas anders ist - mit ihnen, mit dem Osten. »The kids aren't alright.« Und niemand hat ihnen bisher gesagt, was eigentlich nicht mit ihnen stimmt. Deshalb haben wir uns eine Erzählung ausgedacht, eine, auf die wir stolz sein können. Eine eigene, besondere Identität.
Was mich betrifft, gab es nur eine Abweichung zum normalen Sachsen-Anhalter Standardprotokoll: Der Zufall wollte es, dass ich eine Chance bekam, die niemand vor mir hatte - und die selbst Menschen am Rande des Nirgendwo plötzlich offenstand. Das Einzige, was meinen Weg am Ende fundamental von dem abweichen ließ, was zu erwarten war, war YouTube. Trotzdem bin ich kein Millionär, fahre kein Luxusauto und habe auch keine teuren Uhren. Eine ziemliche Enttäuschung also, wenn man mich nach dem landläufigen Klischeebild eines Influencers bewerten möchte. Global gesehen, ist auch mein Social-Media-Erfolg nicht weiter erwähnenswert. Für Sachsen-Anhalt jedoch hat diese Geschichte Seltenheitswert. Denn nur durch das gerade rechtzeitig eintreffende Internet und den Einfluss eines Weltkonzerns, der mit meiner ländlichen Heimat kaum weniger gemeinsam haben könnte, bekam ich eine Chance, mich mit dem Rest der Welt zu verbinden.
Wie die Ironie so will, ist dieser Konzern meiner Heimat in Wirklichkeit doch nicht so fern. Jawed Karim, einer der drei Gründer der Plattform, die mir eine ganz neue Perspektive geben sollte, ist nur wenige Kilometer von mir entfernt geboren - doch seine Familie hatte hier keine Perspektive. Er musste seine Heimat verlassen, denn in der DDR waren er und sein aus Bangladesch stammender Vater (seine Mutter, die in Wernigerode geboren wurde, und sein Vater hatten sich beim Chemiestudium in Merseburg kennengelernt) nicht willkommen.14 Das zeigt nicht nur eindrücklich, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in meiner Heimat kein importiertes Nachwendeproblem sind, sondern auch, wie sich meine Heimat immer wieder mit Händen und Füßen dagegen wehrt, Menschen mit Potenzial zu halten, beziehungsweise dass man von hier verschwinden muss, wenn man eine Chance haben will.
Ja, es stimmt: Die Menschen hier nennen heute seltener als noch vor fünfzehn Jahren den Namen eines südpazifischen Inselstaats, wenn sie einen Menschen mit asiatischer Migrationsgeschichte meinen. Aber sie sind nach wie vor empört, wenn man über Rassismus in Ostdeutschland spricht. Auch wenn ich selbst nicht davon betroffen war, bin ich Zeuge von rassistischer Diskriminierung geworden. Von einem dieser Vorfälle, der mir für immer im Gedächtnis bleiben wird, werde ich noch berichten.
Dieses Buch hat keinen Anspruch, etwas zu beschönigen - für keine Seite. Es gibt hier viel Selbstbetrug, aber eben auch unzutreffende Fremdzuschreibungen, und im letzten Jahrzehnt scheint sich bei vielen aus diesen Bausteinen eine neue Mauer im Kopf aufgebaut zu haben. Mir scheint, dass es neben soziologischen Studien und wütenden Pamphleten keine Handreichung gibt, die es ermöglicht, inmitten der aktuellen politischen Lage und der unüberbrückbaren gesamtdeutschen Gräben ein Verstehen und Fühlen zu ermöglichen. Mittlerweile wird der Diskurs so scharf geführt, dass sich die prominentesten Vertreter in ihren Büchern gegenseitig beleidigen - und trotzdem bleibt er ergebnislos.
Die einen wollen über den Osten schreiben und ihm seine Merkmale von außen (aus dem Westen) aufzwingen - und die anderen befinden sich in der »Endlich sagt's mal jemand«-Blase. Und alle anderen? An denen schrammen beide Herangehensweisen vorbei. Die Nachgeborenen beispielsweise, zu denen auch ich gehöre, die kennen die meisten Kämpfe unserer Familien nur vom...
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