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Kate schlief noch, als er bei ihr anklopfte. Es war früh, nicht einmal sechs Uhr, und das Klopfen hielt an, bis sie aufgestanden war. Im Vorbeigehen warf sie einen Blick in den Spiegel: Sie war blasser als sonst und etwas verquollen vom billigen Wein, den sie am Abend zuvor auf ihrem Zimmer getrunken hatte. Wieder begann es zu klopfen, und Kate öffnete die Tür. Draußen stand, nur mit einem Handtuch bekleidet, ein Typ, die Haut noch nass vom Duschen.
«Oh, Mist», sagte er. «Mist, tut mir echt leid. Hast du geschlafen?»
«Na ja, es ist mitten in der Nacht», sagte Kate. Sie kannte ihn nicht, aber wenn er in diesem Gebäude wohnte, musste er auch im ersten Jahr sein. «Wie spät ist es?»
«Moment, ich guck mal auf meine Taschenuhr.» Der Junge klopfte sein Handtuch ab. «Ach nee, Quatsch. Ich bin ja nackt.»
«Sehr witzig», sagte Kate trocken, ließ aber einen Fuß in der Tür.
«Darf ich reinkommen? Das ist quasi ein Notfall.»
Der Typ hieß Max und hatte sich aus seinem Zimmer ausgesperrt, als er duschen gegangen war. Er kam rein, ließ die Tür hinter sich zufallen und richtete sein Handtuch.
«Meinst du, du könntest losgehen und mir den Generalschlüssel holen?», fragte er. «Ich kann nicht nur im Handtuch über den Campus spazieren. Sonst schrecke ich die Touristen ab.»
«Warum bist du so früh schon wach?», fragte Kate und ignorierte seine Bitte. «Ich dachte, die Vorlesungen fangen erst morgen an.»
«Ich war bei einer Freundin», sagte Max. «Am anderen Ende der Stadt. Bin gerade erst zurückgekommen.»
Kate ärgerte sich über die Enttäuschung, die in ihr aufkam, und versuchte, sie zu überspielen. «Wie wär's, wenn ich dir ein paar Klamotten leihe?» Max zuckte mit den Schultern. «Klar, warum nicht», sagte er. «Ich hab kein Problem mit meiner Männlichkeit.»
Kate gab ihm eine schwarze Jeans und einen Kapuzenpulli und sah auf ihr Handy, während er sich umzog. «Was studierst du?», fragte sie.
«Sprachen.» Max stand jetzt vor ihrem Bücherregal und betrachtete die Bücher, die sie den Sommer über gelesen hatte. Sie nahmen kaum Platz ein. «Dasselbe wie du. Das hier kannst du dir sparen, das ist Bullshit.»
Kate sah kurz auf das Buch, das er ihr hinhielt.
«Ich hab's schon gelesen», sagte sie. «Und nein, ist es nicht. Es geht auch um Feminismus. Die Jeans will ich übrigens frisch gewaschen zurück.»
Max schob die Hände in die Taschen und grinste. Ihre Jeans war ihm viel zu kurz.
«Keine Sorge», sagte er. «Ich bin ganz sauber.»
Nachdem er gegangen war, legte sich Kate wieder hin, konnte aber nicht mehr schlafen. Jetzt würde er nicht direkt wiederkommen, um ihr die Jeans zurückzugeben. Sie hatte ihn nicht einmal gefragt, in welchem Zimmer er wohnte oder wann er am nächsten Morgen losgehen wollte zur ersten Französisch-Vorlesung. In der ganzen langen ersten Uniwoche war er der erste Mensch gewesen, der ihr Zimmer betreten hatte. Während sie so dalag, wurde sie sich - genau wie an dem Tag, als sie eingezogen war - der leeren Flure und der neu beginnenden Lebensphasen überall um sie herum bewusst. Ihr Zimmer mit den breiten Fenstern kam ihr im Vergleich zu dem zu Hause riesig und gewöhnungsbedürftig vor.
An jenem ersten Tag hatte Kate mitgehört, wie eine Mutter ihrer Tochter erzählt hatte, diese Räumlichkeiten seien in den Sechzigern gebaut worden, als man die elitäreren Unis gezwungen habe, auch weniger Betuchten den Zugang zu ermöglichen. Ihren Koffer im Schlepptau, war Kate hinter den beiden hergegangen, hatte das Mädchen kurz im Profil gesehen und sich gefragt, ob sie wohl auch auf ihrem Flur wohnte; vielleicht würde sie später bei ihr klopfen und sie würden zusammen noch etwas trinken gehen. Aber dann führte ihre Mutter sie durch einen Durchgang in den nächsten Innenhof und in Richtung Fluss, wo die meisten aus ihrem Jahrgang wohnten, wie Kate seitdem herausgefunden hatte, in den älteren Wohnheimen mit den steinernen Wendeltreppen und den efeubewachsenen Mauern.
Kate drehte sich um. Sie sollte aufstehen und duschen. Sie hatte die Mensa bisher gemieden, fragte sich aber, ob sie dort wohl Max treffen würde. Es klopfte wieder an der Tür, diesmal nur ganz leise. Es war Max; er trug einen schwarzen Strickpullover und seine eigene Jeans, und sein dunkles Haar war jetzt fast trocken.
«Kate Quaile», sagte er. «Schöner Name.»
Kate runzelte die Stirn. «Woher weißt du, wie ich heiße?»
«Steht über der Tür.» Max zeigte hoch auf den Türrahmen, und Kate sah, dass er rechts am kleinen Finger einen goldenen Ring trug. «Also», sagte er und lächelte sie an. «Was frühstücken wir jetzt? Ich zahle. Als Wiedergutmachung dafür, dass ich dich aus dem Bett geschmissen hab.»
Am nächsten Morgen kam er auf dem Weg zur ersten Vorlesung bei ihr vorbei und klopfte an die Tür, bis sie ihn hereinließ. Sie war gerade erst aufgestanden, musste noch duschen und setzte sich dann in einen Flecken Sonnenlicht auf den Boden, um sich zu schminken, aber es machte ihm offenbar nichts aus, dass er ihretwegen zu spät kam. Er wartete währenddessen an ihrem Schreibtisch, ließ auf dem Laptop scheppernde Musik laufen und kam am nächsten Tag wieder vorbei und am übernächsten auch. Unterwegs fiel Kate auf, dass er gern abschweifte und, wann immer sie ihn etwas fragte, das Gespräch auf etwas anderes brachte, ohne zu antworten. Dauernd blieb irgendjemand stehen, um ein Schwätzchen mit ihm zu halten, und ihr wurde schnell klar, dass sie ihn nicht lange für sich allein haben würde: Er war nie allein, immer beschäftigt, immer auf dem Weg zu einem Treffen mit irgendeinem alten Schulfreund oder einer Exfreundin. Er kannte so ziemlich jeden. Aber sie begann, auf seine Schritte zu lauschen, wenn er, immer zwei Stufen auf einmal, die Treppe hochrannte, um sich kurz darauf in den Sessel am Ende ihres Bettes plumpsen zu lassen, betrunken oder high oder angekotzt von den Leuten, mit denen er den Abend verbracht hatte. An solchen Abenden redeten sie, bis Kate einschlief und Max sich leise aus dem Zimmer schlich. Wenn er die Tür hinter sich zuzog, wurde sie manchmal kurz wach und fragte sich, ob sie nur geträumt hatte, dass er da gewesen war.
Ein paar Wochen nach Trimesterbeginn, als der Sommer allmählich dem Herbst wich, spürte Kate, dass die Einsamkeit allmählich von ihr wich. Es war jetzt nicht mehr so schwer, andere Kontakte zu knüpfen; sie fühlte sich selbstsicherer. Aber wenn sie ohne Max unterwegs war, musste sie ständig aufpassen, dass sie ihn in Gesprächen nicht zu oft erwähnte oder sich nicht ablenken ließ von seinen Nachrichten, von denen ab und zu ein ganzer Schwung kam - wo sie stecke, was sie so treibe. An einem dieser Abende hatte Max sie kurz vor Mitternacht in der Stadt vor einem Döner-Imbiss entdeckt, wo sie gerade einen Lammspieß sezierte. Sie war von den anderen auf ihrer Etage zu einer systematischen Sauftour mitgeschleppt worden und hatte es geschafft, beim Wechsel von einem Club in den nächsten zu entkommen. Max hockte sich neben sie.
«Das ist eigentlich ungenießbar», sagte Kate mit vollem Mund und bot ihm die Plastikgabel an.
Sie nahmen den Spieß mit in Kates Zimmer, wo sie ihn neben ihr Müsli ins Regal legte. In ihrem Kopf drehte sich alles; das Frühstück würde ein Krampf werden. Max setzte sich aufs Fensterbrett und drückte das Fenster halb auf, um die kühle Nachtluft hereinzulassen. Er hörte seit ein paar Tagen nichts anderes als diesen einen Frank-Ocean-Song, den er auch jetzt wieder laufen ließ; Kate nahm ihm das Telefon aus der Hand und verband es mit ihrer Box. Max drehte sich eine Zigarette.
«Weißt du, was dieser eine Türsteher vorhin zu mir gesagt hat? », hat er gesagt. «Ist echt lange her, dass jemand zu mir gesagt hat.» Er klang beinahe wehmütig.
Kate versuchte, sich zu konzentrieren. «Warum hat er das gesagt?»
«Keine Ahnung. Ich hab versucht, ihm beim Einlass zu helfen. Damit es zügiger vorangeht.»
«Oh, Max», sagte Kate. «Darauf hat er bestimmt gewartet.»
«Sah ganz danach aus. Sonst hätte ich die Leute nicht zum Seiteneingang reinlassen müssen.»
Kate setzte sich neben ihn auf die Fensterbank und nahm seine Zigarette. Sie hatte richtig einen im Tee, stellte sie fest, und nahm nur am Rande wahr, dass sich der Fenstergriff in ihren Rücken bohrte, als sie sich an den Rahmen lehnte.
Max seufzte. «Das hier ist sowieso immer der beste Teil des Abends», sagte er. «Ich weiß gar nicht, warum wir überhaupt ausgehen.»
«Du hättest es so machen sollen wie ich.» Kate blies Rauch zum Fenster hinaus und wandte sich zu Max. «Wenn du die ersten vierzehn Tage für dich geblieben wärst, hättest du jetzt nicht so viele Leute an der Backe.»
«Ich weiß», sagte er. «Daran kann niemand außer meinem überbordenden Charisma schuld sein.»
«Nichts.»
«Was?»
«Nichts außer, nicht niemand außer. Charisma ist keine Person», lallte Kate mit Nachdruck. Ihr war schwindelig von der Zigarette.
«Wenn es so riesig ist wie meins, dann schon», sagte Max, während sie vom Fensterbrett kletterte. «Was hast du vor?»
«Mich fertig machen für den Club», sagte Kate und kroch unter die Bettdecke.
«Ach komm - du kannst mich doch jetzt nicht allein lassen. Es ist nicht mal Mitternacht.»
Kate griff nach ihrem Handy, um das zu überprüfen.
«Okay», sagte Max. «Kurz nach.»
«Du kannst bleiben, aber du musst die Klappe halten», sagte Kate.
«Kannst du mir einen Schlafanzug leihen?», fragte er und schloss das...
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