Schweitzer Fachinformationen
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Der Hof lag in einer der vierzehn feuchten, grünvioletten Einöden, einer knapp zehn Kilometer breiten Senke, von Geröllhöhen begrenzt, Regenzeit zwölf Monate im Jahr, stets Säure im Wasser, Essig in der Erde. Ein steiles Land, bekannt für seine Seen, wir aber leben in den Hügeln. Wolkenzerfressene Berge, Fells genannt. Keiner groß, alle steil, das Land von Zwerggras überzogen, die Krume dünn wie Teeflecken.
Wir züchten unsere Herden auf den Felshängen und bringen den Schafen bei, sie ratzekahl zu fressen - hat fünftausend Jahre gedauert, aber sie haben es geschafft. Hinterließen nichts als nackten Stein, nass und schwarz, und lernten das Moos lieben. Ein jeder fällt ab bis zum Grund des Curdale Valley, dorthin, wo früher noch Wildblumen auf den Weiden wuchsen und wo es flach genug war, Schafe zu verkaufen. Einige Leute entschieden sich zu bleiben und gründeten ein Dorf namens Bewrith. Anfangs bloß ein Marktplatz, dann fand man Kohle unter den Fells, danach Schiefer, und als der abgebaut war, kamen die Wandervögel, um auf ihren Wegen zum Postkartenland Fritten und Schinken zu futtern.
All das liegt in Cumbria, das Tal, das Dorf, die Farm. Eine am Reißbrett erfundene Grafschaft, die im Norden an England und Schottland grenzt, aber zu keinem so richtig passt. Im Osten liegen Yorkshire und Northumberland, wo uns der Höhenrücken der Pennines vor inzüchtigen Blicken schützt, im Westen die Irische See und die Isle of Man, falls einem nach Schwimmen ist. Im Süden dann der Süden, und der kann nie weit genug weg sein.
Die Menschen in den Fells sind so freundlich, wie man es sich nur wünschen kann. Falls sie dein Haus oben am steilen Felshang sehen, bauen sie ihres so weit weg, dass du sie ganz bestimmt nicht mehr sehen kannst.
Kilometerweites Nichts schafft dicke Mauern.
Ich gehe heute nicht mehr oft ins Dorf; damals, vor gut dreißig Jahren, ging ich sogar noch seltener. Es ändert sich nie. Es gibt zwei Waschbetonpubs, einer weiß gestrichen, der andere gelb, also einen Pub auf zwanzig Häuser; Häuser aus Schiefer, schroff anzusehen, an trocknen Tagen sind die Steine grün, an allen anderen grau. Die Leute in Bewrith, um die zweihundert, sagen einem gern, was sie hätten, sei die Aussicht, und das wäre genug. Alles, was fürs Leben nötig sei, sorge für sich selbst, denn hier passe man aufeinander auf. Hole die Wäsche rein, wenn es anfängt zu nieseln, hole die Sandsäcke raus, wenn eine Überschwemmung droht, behalte Oma im Blick oder die Kids oder die verdammte Alte. Bleibe selbst in ihrem Blick. Gibt mehr als eine Möglichkeit, aufeinander aufzupassen. Und will man trockene Füße behalten, muss man wissen, wann wer überkocht.
Das ist meine Art, dir William Herne vorzustellen. Der Einzige von uns, über den irgendwer was hören will. Ein Schafbauer. Wird heute über ihn geredet, heißt es oft, was für ein alter verrückter Hund er war, denn wir haben ihn rumlaufen sehen mit Raubgier in den Augen und mit Mordlust, haben uns bloß nie getraut, ihn zu bitten, es gut sein zu lassen. Nur war das nicht der William, den ich kannte, und ich habe ihn länger gekannt als alle, die noch leben; jetzt, da er tot ist, wohl auch länger, als ihn irgendwer je kennen wird. Wenn ich dir sage, dass er im Grunde ein anständiger Kerl war, dann, weil ich glaube, dass das die Wahrheit ist.
Er war ein Bauer, ein Schäfer, besser als manch anderer, aber so besonders nun auch wieder nicht. Sohn eines Bauern, Vater eines Bauern, Mann einer Bäuerin. Er redete nicht viel, weshalb wir ihn für einen Mann mit Prinzipien hielten, und wenn er den Mund aufmachte, kam er immer gleich zum Punkt, als hätte er zu viel Zeitung gelesen. Wenn möglich, blieb er für sich oder bei seiner Familie. Obwohl er stolz war auf sein Haus, machte er nie sauber. Dass er in meinem Alter sein musste, sah man ihm nicht an. Am Kinn erste graue Haare, aber er wurde nie älter, war immer schon verdammt alt. Den Wachsmantel trug er die letzten sieben Jahre seines Lebens, lang wie eine Robe und immer zugeknöpft, weshalb er wie ein Mann Gottes aussah. Helen, seine Frau, ließ ihn nicht ins Haus, diesen Mantel, weil er so dermaßen nach Mist stank und nach wildem Senf.
Wie die meisten Hügelbewohner bekam ihn das Dorf nicht oft zu Gesicht. Man wusste, er war da draußen, machte seine Arbeit, und dass man ihm über den Weg laufen konnte, wenn man sich in den Fells verirrte oder seinen Hocker im The Crown im Auge behielt. Er war durchaus beliebt, wurde sogar respektiert - stets jemand, den man nicht mit Kleinigkeiten behelligte - auch wenn man wusste, man konnte, falls Not am Mann war. Nahm seine Rolle als Touristenattraktion einen Tick zu ernst. Gab mehr als nur ein paar Wandervögel, die von einem Bauern erzählten, der sie, das würden sie schwören, quer über einen Acker hinweg angestiert hatte; oder sie hatten erlebt, wie er auf ein Schild deutete, auf dem stand: Nicht angeleinte Hunde werden erschossen. Wenn sie lachten, begann er selbst wie ein Hund zu kläffen.
Soll heißen, er ist schon immer ein verrückter Bastard gewesen. Ehrlich gesagt, das waren wir alle. Nur im Kopf, was um uns ist. Die Schafe, die Hunde, die Weiden. Und wenn um uns nur Leere ist, glaub ich, man könnte uns leer im Kopf nennen.
Lasst mich damit anfangen, dir von Maul und Klauen zu erzählen. Die meisten wollen nicht darüber reden, weil sie Angst haben, sie kommt zurück. Ohne aber bliebe nur, was William getan hat, nicht jedoch, warum er es getan hat. Sie begann 2001 in den ersten Frühlingstagen, die Seuche. Zumindest für uns hier in Cumbria. Ich glaube, sie hatte schon Monate vorher mit irgend so einem Schwachkopf in Northumberland angefangen, der an seine Schweine Reste von anderen Schweinen aus jenen Gegenden der Welt verfütterte, wo man sich nicht gut um Tiere kümmert. Schweine fressen alles, heißt es, sogar Krankes.
Damals habe ich bei meinem Dad gelebt, auf Montgarth, einem kleinen Hof; gleich von der Straße aus stieg die Weide an, ein Daumenabdruck im Curale Valley, kaum mehr. Das Haus, in dem wir wohnten, und die Scheune nebenan, sackten seit einer Ewigkeit ab, Zentimeter um Zentimeter, Jahr um Jahr, drückten den durchlässigen Boden hoch, bis der zurückdrückte und eine Art Wall drum herum aufwarf. So wie mein Vater die Farm führte, wäre es verzeihlich gewesen, hätte man geglaubt, sie stünde leer, bis man näher kam und den Hund bellen hörte. Ließ die Feldmauern verfallen, stopfte Holzpaletten und Drahtrollen in die Lücken.
Ich war damals seit ungefähr sechs Monaten bei ihm, half so gut es eben ging. Er war in allem dermaßen kraftlos, dass ich vergessen hatte, wieso ich ihn verlassen hatte. Typisch für ihn, dass er auf ganz eigene Weise schwach wurde. Ging auf Ende sechzig zu, Jahre, die er die Achtziger eines arbeitenden Mannes nannte. Konnte ein Mutterschaf stemmen, aber wenn er pinkeln musste, brauchte er zehn Minuten die Treppe rauf. Drei Finger an der Rechten für immer nach innen gekrümmt, trotzdem hielt er die Schere mit nichts als Knöcheln und Daumen. Hat nie um Hilfe gebeten, schrie einen trotzdem an, wenn man sie nicht gab. Ich erzähl dir nur, wie es mit ihm war. Jahrelang war ich weg, war Lastwagenfahrer. Hab während der Saatsaison auf Getreidefeldern gearbeitet, die gesamte Ostküste lang Wolken von Kalk hinter mir hergezogen. Der Boden so flach, dass man zehn Meilen weit laufen und immer noch sehen konnte, wie sich der Staub vom Morgen legte. Hatte viel zu tun, aber er rief an, keine Ahnung, woher er die Nummer hatte, und sagte: »Wann kommst du nach Hause?«
»Hab ich nicht vor«, habe ich gesagt. »Ich verdiene Geld, besorge mir meinen eigenen Hof. Schon mal davon gehört? Verdiene mir mein Leben so, wie du es immer gewollt hast.«
»Klingt aber anders.«
»Wirst du taub?«
»Ich höre besser, als du glaubst.«
Eine Woche später war ich wieder in meinem alten Zimmer.
Als wir zum ersten Mal davon hörten, im neuen Jahr, warteten wir darauf, dass das Gras grün wurde. Hörten es nicht in den Lokalnachrichten. Schon gar nicht am Radio. Hörten nur ein Flüstern: Maul und Klauen sind zurück. Für Leute, die den ganzen Tag bloß mit Schafen zusammen waren, konnten wir verdammt gut tratschen.
Maul und Klauen. Nur Leute so alt wie mein Dad erinnerten sich daran.
Ein Brief kam. Lag den ganzen Morgen rum, ehe wir klein beigaben und einen Blick riskierten. Er war voll mit Bildern, ein Katalog mit wundmäuligem Vieh, um uns zu zeigen, worauf wir achten sollten. Die Schafe wurden träge, wurden mager. Lagen da, als wären ihre Knochen Nester. Beine rührten sich nicht, Kopf und Augen rührten sich nicht. Blasen an den Füßen, die Füße weiß, die Füße verfault. Blasen am Maul, am Gaumen oder auf der Zunge. Heiß. Wie gekocht. Lämmer werden totgeboren, als wären sie klüger als der Rest der Herde. All das stand in dem Brief, und dass man die Herde im Stall lassen oder zumindest so eng zusammenhalten sollte wie nur möglich. Würde verhindern, dass es sich über die Fells ausbreitete. Mein Dad blickte auf den Brief und sagte, ihr könnt mich mal. »Tu ich nicht.«
»Klingt, als wollten sie genau das von uns. Das wir nichts tun.«
»Dann tun wir das. Nichts. Ich lass die Herde grasen, wo sie will. Meine Schafe haben ihren eigenen Kopf.«
»Die behaupten, sie krepieren, wenn sie's kriegen.«
»Klar doch, und um ein paar...
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