Schweitzer Fachinformationen
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Zwei Stunden später stand Sheriff Dent Hazen wieder an derselben Stelle, aber inzwischen hatte sich das Maisfeld in das geschäftige Szenario eines Tatorts verwandelt. Rings um die Lichtung waren Natriumdampflampen aufgestellt worden, etwas abseits brummte ein Generator. Die Männer von der State Police hatten eine breite Straße ins Feld gewalzt, auf der inzwischen rund ein Dutzend Dienstfahrzeuge parkte - Streifenwagen, Ambulanzen und was nicht alles, und das nur, damit den Troopern lange Fußmärsche erspart blieben. Jemand von der Spurensuche kroch über den Boden und pickte hier und da mit der Pinzette Beweisstücke auf. Die Polizeifotografen waren zu zweit angerückt, sie schossen Fotos, was das Zeug hielt, und blendeten mit ihrem grellen Blitzlicht alle anderen.
Hazen starrte entsetzt und angewidert auf das Opfer. Sein erster Mordfall. In den dreißiger Jahren, während der Prohibition, hatte es in Medicine Creek schon mal einen gegeben; da war Rocker Manning, als er schwarz gebrannten Whisky kaufen wollte, an einen Gauner geraten, und der hatte ihn kurzerhand umgelegt. Damals hatte Hazens Großvater den Fall bearbeitet. Und den Mörder geschnappt, versteht sich. Aber das war natürlich nicht mit diesem Fall zu vergleichen. Hier hatten sie es eindeutig mit einem Irren zu tun.
Hazen wandte sich ab und blickte stirnrunzelnd auf die frisch geschlagene breite Fahrspur. Da hatten etliche Maiskolben dran glauben müssen. Ganz davon zu schweigen, wie viele Beweise die Trooper möglicherweise dabei vernichtet hatten. Die Jungs gingen offenbar immer so rigoros vor. Unkoordiniert und überhastet, als hätte der Anblick des Opfers sie so schockiert, dass sie's kaum abwarten konnten, endlich fertig zu sein und abhauen zu können.
Hazen hielt nicht allzu viel von den Troopern. Genau genommen reduzierte sich bei denen alles auf grimmige Mienen und blank geputzte Stiefel. Andererseits, er konnte es ihnen nachfühlen, dass sie's so eilig hatten. Bei einem solchen Mord bekamen selbst abgebrühte alte Hasen weiche Knie.
Hazen zündete sich am Stummel seiner Camel die nächste Zigarette an und versuchte sich an den Gedanken zu klammern, dass das überhaupt nicht sein erster Mordfall war. Er hatte gar nichts damit zu tun. Gut, er hatte die Leiche gefunden, aber eindeutig außerhalb der Stadtgrenzen. Also fiel das Ganze, dem Himmel sei Dank, in die Zuständigkeit der Staatspolizei.
»Sheriff Hazen?« Der baumlange Captain der Kansas State Trooper kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu, wobei er mit schwerem Schritt noch ein paar ohnehin schon abgeknickte Stängel zermalmte. Die leicht verzerrte Mundpartie sollte wohl ein Lächeln andeuten.
Hazen schüttelte ihm die Hand, obwohl sie das schon zweimal getan hatten. Vielleicht war der Mann vergesslich, oder er wollte durch das Händeschütteln seine Nervosität abbauen. Oder Hazens Aversion lag schlicht und einfach daran, dass der Captain größer war als er.
»Der Gerichtsmediziner aus Garden City wird in zehn Minuten da sein«, informierte ihn der Captain.
Hazen hätte sich nachträglich sonst wohin beißen können, dass er nicht seinen Stellvertreter Tad hierher geschickt hatte. Dafür hätte er mit Freuden auf das lange freie Wochenende verzichtet und wäre notfalls sogar trocken geblieben, wenn ihm dafür der Schlamassel hier draußen erspart geblieben wäre. Andererseits, die Sache hätte Tad vermutlich überfordert, schließlich war der Junge, um es positiv zu formulieren, gerade mal trocken hinter den Ohren.
»Sieht aus, als hätten wir's mit einem richtigen Aktionskünstler zu tun«, sagte der Captain kopfschüttelnd. »Meinen Sie, der Kansas City Star bringt die Story?«
Hazen verkniff sich eine Antwort. Die Aussicht, sein Foto in der Zeitung wiederzufinden, behagte ihm gar nicht. Jemand mit einem Fluoroskop rempelte ihn von hinten an. Gott im Himmel, an diesem Tatort herrschte allmählich ein schlimmeres Gedränge als bei einer Baptistenhochzeit!
Hazen pumpte sich die Lunge mit Nikotin voll, dann zwang er sich, doch noch mal einen Blick auf die Mordszene zu werfen, ehe alles in Plastikbeutel gestopft und weggebracht wurde. Ein kurzer Rundblick genügte, er konnte sich auf sein Gedächtnis verlassen. Was er einmal gesehen hatte, war automatisch in ihm abgespeichert.
Das Ganze erinnerte an eine Szene aus einem Horrorfilm. Jemand hatte eine kreisrunde Lichtung in das Feld geschnitten und dann auf einer Seite die gekappten Stängel im Halbkreis von ungefähr fünfunddreißig Metern Durchmesser in den Boden gerammt. Obwohl der Täter mit unvorstellbarer Grausamkeit vorgegangen war, konnte Hazen nicht leugnen, dass ihn die präzise geometrische Ausgestaltung beeindruckte. Auf der anderen Seite der Kahlstelle ragte ein kleiner Wald aus etwa ein bis anderthalb Meter hohen, oben zugespitzten Stöcken auf. Genau in der Mitte der Lichtung stand eine ähnliche halbkreisförmige Palisade, nur dass dort auf den Stöcken Krähen aufgespießt waren: mindestens zwei Dutzend, mit leeren Augenhöhlen und nach innen gekrümmten Schnäbeln. Und was auf den ersten Blick nach Stöcken aussah, entpuppte sich bei genauerem Hinsehen als Arrangement aus zugespitzten Indianerpfeilen.
Und mitten in dieser halbkreisförmigen, mit toten Krähen drapierten Palisade lag der Leichnam einer Frau. Zumindest vermutete Sheriff Hazen, dass es sich um eine Frau handelte; absolut sicher konnte er nicht sein, die Lippen, die Nase und die Ohren fehlten.
Das Mordopfer lag auf dem Rücken, den Mund so weit aufgerissen, dass man meinen konnte, auf den Eingang einer rosaroten Höhle zu starren. Das Haar der Toten war blond gefärbt, ein Büschel war ihr ausgerissen worden. Die Kleidung hatte der Mörder zerfetzt, aber nicht willkürlich, sondern durch zahlreiche, immer im gleichen Abstand beigebrachte Schnitte. Sie hatten es offenbar mit einem Pedanten zu tun, dem jegliche Unordnung zuwider war. Bei dem Abstand zwischen Kopf und Schultern stimmte etwas nicht, die Proportionen waren verrutscht. Vermutlich hatte der Mörder der Frau das Genick gebrochen, und zwar mit einem einzigen harten Schlag. Denn wenn er sein Opfer erwürgt hätte, wäre das an den unvermeidlichen blutunterlaufenen Stellen zu erkennen gewesen.
Vom Rand der Lichtung führten Schleifspuren zum Fundort, und wenn man die Linie tiefer ins Maisfeld verlängerte, konnte man deutlich die Stellen ausmachen, an denen Stängel abgeknickt waren. Hazen schloss daraus, dass der Mord nicht hier, sondern anderswo verübt worden war. Den Troopern schien das nicht aufgefallen zu sein. Außerdem hatten sie mit ihrem ständigen hektischen Hin und Her neue Spuren im Maisfeld gelegt und die alten verwischt. Er wollte sich schon zu dem Captain umwenden, um ihn darauf aufmerksam zu machen, besann sich aber rechtzeitig eines Besseren. Es war nicht sein Fall, er hatte hier keine Ermittlungen anzustellen. Und wenn er dem Captain von den verwischten Spuren erzählt und ein cleverer Strafverteidiger davon Wind bekommen hätte, würde er - jede Wette - in spätestens zwei Monaten als Zeuge zu der Verhandlung gegen den Mörder vorgeladen werden, um dort seine Behauptung zu wiederholen. Solche spektakulären Mordfälle wurden immer rasch aufgeklärt, und Hazen hatte nicht die geringste Lust, einen irren Mörder durch seine Aussage zu entlasten.
Er zog sich den nächsten Nikotinstoß in die Lunge. Immer schön den Mund halten. Sollten die Troopies ruhig ihre Fehler machen. Sein Fall war's ja nicht.
Als er gerade dabei war, seine Zigarettenkippe mit der Stiefelspitze in den Boden zu drücken, kam wieder ein Wagen die holperige Fahrspur herauf, wild schaukelnd und mit auf und ab tanzenden Scheinwerfern. Auf dem behelfsmäßigen Parkplatz stieg ein Mann im weißen Kittel und mit einem schwarzen Handköfferchen aus: McHyde, der Gerichtsmediziner.
Er sprach kurz mit dem Captain, dann gingen die beiden Männer zu der Leiche hinüber. McHyde sah sich den Tatort aus verschiedenen Blickwinkeln an, ging auf die Knie, zog der Toten Plastikbeutel über die Hände und die Füße, kramte etwas aus dem schwarzen Köfferchen, offenbar ein Thermometer, und schob es der Toten in den Anus. Hazen wusste, dass die Körpertemperatur bei Leichen üblicherweise anal gemessen wird, dennoch kam ihm die Prozedur wie eine Verletzung der Intimsphäre vor. Oh Mann, es gab schon komische Jobs!
Der Gerichtsmediziner begann, unterstützt von zwei, drei Sanitätern, den Leichnam für den Abtransport vorzubereiten. Ein Trooper sammelte die Pfeile mit den aufgespießten Krähen ein, versah jeden Pfeil mit einem Schildchen und verstaute das Ganze in Kühlkisten. Genau in dem Moment spürte der Sheriff einen Druck auf seine Blase - und welchen! So ging's ihm immer nach zu viel Kaffee. Und das war leider noch nicht alles, auch die überschüssige Magensäure machte ihm zu schaffen. Geb's der Himmel, dass das nicht wieder das Vorzeichen für ein Magengeschwür war!
Er sah sich um, niemand schien Notiz von ihm zu nehmen. Also ab ins Maisfeld! Vorsichtshalber verschwand er etwas tiefer darin, als es unbedingt nötig gewesen wäre, aber er wollte nicht riskieren, dass ein Trooper die Urinpfütze entdeckte und eine Probe nahm, die dann womöglich auch noch als Beweismaterial analysiert wurde.
Der Lichtkegel der Natriumdampflampen reichte nicht bis zu ihm, das Stimmengewirr war zu Gemurmel geschrumpft, das Brummen des Generators hörte sich fast beruhigend an, die bizarre Brutalität der Mordszene war in weite Ferne entrückt. Eine leichte Brise kam auf, fast nur ein Hauch, der Sekunden später schon wieder verebbt war, aber der Sheriff nutzte dankbar die Gelegenheit, endlich mal wieder tief durchzuatmen. So, Reißverschluss auf! Er grunzte und urinierte laut auf...
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