Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Leise schob Proctor die Doppelflügeltür zur Bibliothek auf, damit Mrs. Trask mit einem Silbertablett, darauf ein Service für einen Morgentee, hindurchgehen konnte.
Im Zimmer war es schummerig, erhellt wurde es nur vom Feuer, das im Kamin flackerte. Davor, in einem Lehnstuhl, konnte Proctor im matten Lichtschein undeutlich eine reglose Gestalt erkennen.
Mrs. Trask ging zu ihr hinüber und stellte das Tablett auf einem Beistelltisch neben dem Stuhl ab.
»Ich dachte mir, Sie möchten vielleicht gern eine Tasse Tee, Miss Greene«, sagte sie eifrig.
»Nein, vielen Dank, Mrs. Trask«, erwiderte Constance matt.
»Es ist Ihr Lieblingstee. Jasmin, erste Ernte. Ich habe Ihnen auch ein paar Madeleines gebracht. Die habe ich gerade heute Morgen frisch gebacken. Ich weiß ja, wie gern Sie sie essen.«
»Ich habe keinen großen Hunger. Aber trotzdem vielen Dank für Ihre Mühe.«
»Na ja, ich lasse sie hier für den Fall, dass Sie es sich anders überlegen.« Mrs. Trask lächelte mütterlich, wandte sich um und ging zum Ausgang der Bibliothek. Als sie bei Proctor ankam, war das Lächeln verschwunden, und sie machte wieder ein besorgtes Gesicht.
»Ich werde ein paar Tage fort sein«, sagte sie leise. »Meine Schwester soll am kommenden Wochenende aus dem Krankenhaus entlassen werden. Sind Sie sicher, dass Sie allein zurechtkommen?«
Proctor nickte, schaute ihr hinterher, wie sie zurück in die Küche eilte, dann wandte er den Blick wieder der Gestalt im Lehnstuhl zu.
Es war über zwei Wochen her, dass Constance in die Villa am Riverside Drive 891 zurückgekommen war. Grimmig und schweigsam war sie ohne Agent Pendergast zurückgekehrt - und ohne zu erklären, was geschehen war. Proctor, Pendergasts Chauffeur, Ex-Untergebener beim Militär und allgemeines Faktotum in Sachen Sicherheit, hatte das Gefühl, in Abwesenheit von Pendergast verpflichtet zu sein, Constance bei allem, was ihr zu schaffen machte, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Es hatte ihn Zeit, Geduld und Mühe gekostet, ihr die Geschichte zu entlocken. Selbst jetzt noch ergab das Erzählte wenig Sinn, und er war sich unsicher, was tatsächlich geschehen war. Was er allerdings wusste, war, dass sich das große Haus ohne Pendergasts Anwesenheit verändert - völlig verändert hatte. Was auch für Constance galt.
Nachdem sie allein aus Exmouth in Massachusetts zurückgekehrt war, wo sie Special Agent A. X. L. Pendergast bei einem privaten Fall assistiert hatte, hatte sie sich tagelang in ihrem Zimmer eingeschlossen und die Mahlzeiten nur mit größtem Widerstreben zu sich genommen. Als sie das Zimmer endlich wieder verließ, schien sie ein anderer Mensch geworden zu sein: hager, geisterhaft.
Proctor hatte sie immer als besonnen, reserviert und beherrscht erlebt, doch in den folgenden Tagen war sie abwechselnd apathisch und dann wieder plötzlich voll rastloser, zielloser Energie, wobei sie auf den Fluren und Gängen umherwanderte, als suche sie nach irgendetwas. Sie verlor jegliches Interesse an den Beschäftigungen, die sie früher so interessiert hatten: die Recherchen zum Familienstammbaum der Pendergast-Familie, die antiquarischen Studien, Lesen, Cembalo spielen. Nach einigen besorgten Besuchen von Lieutenant D'Agosta, Captain Laura Hayward und Margo Green hatte sie sich geweigert, irgendjemanden zu empfangen. Auch schien sie - Proctor fiel kein besserer Ausdruck dafür ein - auf der Hut zu sein. Ein Funken ihres alten Selbst zeigte sich nur bei den seltenen Gelegenheiten, wenn das Telefon klingelte oder Proctor die Post aus dem Postfach zurückbrachte. Jedes, jedes Mal hoffte sie, das wusste er, auf eine Nachricht von Pendergast. Aber es war keine gekommen.
Eine gewisse hochrangige Einheit beim FBI hatte dafür gesorgt, dass die Suche nach Pendergast und die damit einhergehende offizielle Untersuchung aus den Medien herausgehalten wurden. Dennoch hatte Proctor es auf sich genommen, alle Informationen über das Verschwinden seines Arbeitgebers zu sammeln. Er hatte in Erfahrung gebracht, dass die Suche nach der Leiche fünf Tage gedauert hatte. Da es sich bei der vermissten Person um einen Bundesbeamten handelte, waren außergewöhnliche Anstrengungen unternommen worden. Boote der Küstenwache hatten die Gewässer vor Exmouth abgesucht, Beamte der örtlichen Polizei und Angehörige der Nationalgarde hatten die Küste von der Grenze zu New Hampshire bis hinunter nach Cape Ann durchkämmt auf der Suche nach irgendeinem Zeichen von Pendergast - und wenn es nur ein Fetzen Kleidung war. Taucher hatten sorgfältig alle Felsen untersucht, an denen die Strömungen eine Leiche angespült haben könnten, und der Meeresboden war mit Sonar erkundet worden. Aber es war nichts dabei herausgekommen. Die Ermittlungen wurden offiziell weitergeführt, doch die unausgesprochene Schlussfolgerung lautete, dass Pendergast - schwer verletzt in einem Kampf, gegen einen tückischen Tidenstrom ankämpfend, geschwächt durch das unaufhörliche Schmettern der Wellen und das zehn Grad kalte Wasser - aufs Meer hinausgetrieben und ertrunken war, sein Körper versunken in den Tiefen des Ozeans. Vor zwei Tagen hatte Pendergasts Anwalt - ein Partner in einer der ältesten und diskretesten Kanzleien New Yorks - sich schließlich an Pendergasts überlebenden Sohn Tristram gewandt, um ihm die traurige Nachricht vom Verschwinden seines Vaters zu überbringen.
Jetzt näherte sich Proctor leise Constance und nahm neben ihr Platz. Sie hob kurz den Kopf, als er sich setzte, und schenkte ihm ein ganz leises Lächeln. Dann richtete sie den Blick wieder auf den Kamin. Das flackernde Licht warf dunkle Schatten auf ihre violetten Augen und die dunklen, als Bob geschnittenen Haare.
Seit ihrer Rückkehr hatte Proctor es sich zur Aufgabe gemacht, sich um sie zu kümmern, im Wissen, dass sein Arbeitgeber ebendies gewünscht hätte. Ihr kritischer Zustand löste unerwarteterweise Beschützergefühle in ihm aus - was paradox war, da Constance unter normalen Umständen die Letzte war, die bei einem anderen Menschen Schutz suchte. Und doch schien sie, ohne dass sie es sagte, froh über seine Fürsorge zu sein.
Sie richtete sich auf ihrem Stuhl auf. »Proctor, ich habe mich entschlossen, wieder nach unten zu gehen.«
Die jähe Ankündigung schockierte ihn. »Sie meinen, nach da unten, wo Sie schon einmal gelebt haben?«
Sie schwieg.
»Warum?«
»Um . mich zu lehren, das Unvermeidliche zu akzeptieren.«
»Wieso können Sie das nicht hier bei uns? Sie dürfen nicht wieder dort hinuntergehen.«
Sie wandte sich um und sah ihn so durchdringend an, dass es ihm den Atem verschlug.
Ihm wurde klar, dass Widerspruch sinnlos war - er konnte sie einfach nicht umstimmen. Aber zumindest bedeutete es, dass sie sich endlich damit abgefunden hatte, dass Pendergast tot war, was immerhin ein kleiner Fortschritt war. Möglicherweise.
Jetzt erhob sie sich von ihrem Stuhl. »Ich werde Mrs. Trask einen kurzen Brief schreiben, in dem ich ihr mitteile, welche Dinge des täglichen Bedarfs sie im Serviceaufzug hinterlegen soll. Jeden Abend um acht werde ich eine warme Mahlzeit zu mir nehmen. Doch an den nächsten beiden Abenden möchte ich bitte nichts - im Moment fühle ich mich überversorgt. Außerdem ist Mrs. Trask nicht da, und ich möchte Ihnen keine Umstände machen.«
Auch Proctor stand auf. Er fasste sie am Arm. »Constance, Sie müssen mir zuhören .«
Sie blickte auf seine Hand herunter und dann hinauf in sein Gesicht, mit einem Ausdruck, der ihn dazu brachte, seinen Griff sofort zu lösen.
»Danke, Proctor, dass Sie meine Wünsche respektieren.«
Sie streckte sich - und überraschte ihn noch einmal, indem sie ihn leicht auf die Wange küsste. Dann drehte sie sich um und ging fast wie eine Schlafwandlerin zum anderen Ende der Bibliothek, wo der Serviceaufzug hinter einem falschen Bücherregal verborgen war. Sie drückte das Bücherregal auf, schlüpfte in den wartenden Aufzug, schloss ihn hinter sich - und war verschwunden.
Proctor blickte einen langen Augenblick auf die Stelle. Das war doch verrückt. Er schüttelte den Kopf und wandte sich ab. Einmal mehr glich Pendergasts Abwesenheit einem Schatten, der über die Villa und ihn gefallen war. Er brauchte Zeit, musste allein sein und die ganze Sache durchdenken.
Er verließ die Bibliothek, bog ab und ging über einen Flur, öffnete eine Tür, die in einen mit Teppich ausgelegten Gang führte, und stieg eine schiefe Treppe hoch, die in die alten Wohnungen des Dienstpersonals führte. Als er auf dem Treppenabsatz im zweiten Stock angekommen war, ging er einen weiteren Flur entlang, bis er vor seiner kleinen Wohnung stand. Er öffnete die Tür, trat ein und schloss sie hinter sich.
Er hätte sich entschiedener gegen Constances Vorhaben aussprechen sollen. Jetzt, wo Pendergast nicht da war, trug er Verantwortung für sie. Doch er hätte sagen können, was er wollte, es hätte nichts bewirkt.
Vor langer Zeit hatte er gelernt, dass er, obwohl er mit fast jedem Menschen auskam, gegen sie nichts ausrichten konnte. Mit der Zeit, dachte er, und mit seiner subtilen Unterstützung würde Constance sich damit abfinden, dass Pendergast tot war, und sich wieder den Lebenden anschließen .
Eine behandschuhte Hand zuckte von hinten vor, packte ihn am Brustkorb und drückte mit immenser Kraft zu.
Obwohl er überrascht war, reagierte Proctor intuitiv mit einer jähen Ausweichbewegung nach unten, womit er den Eindringling aus dem Gleichgewicht zu bringen versuchte. Aber der Mann antizipierte seine Reaktion und...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.