Schweitzer Fachinformationen
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Auf dem Flughafen in San Jose wurden sie von einem Lincoln Navigator abgeholt, den ein kleinwüchsiger Mann mit grüner Kappe chauffierte. Von dort fuhren sie auf der Route 17 nach Süden, in eine von Redwood-Bäumen bewachsene Hügellandschaft. Es war eine wunderschöne Fahrt durch verwunschene Wälder voller Baumriesen. Glinn und Garza sprachen kein Wort. Gideon spürte, dass ihnen unbehaglich zumute war.
Tief im Redwood-Wald bog der Wagen von der Schnellstraße ab und fuhr auf kurvenreichen Straßen durch eine Reihe von Tälern, vorbei an kleinen Farmen und Ranches, abgelegenen Dörfern, schäbigen Wohnwagen und heruntergekommenen Hütten, an kleinen Wäldchen mit Redwood-Bäumen, an Wiesen und plätschernden Bächen. Schließlich wich die schmale, von Rissen durchzogene Asphaltstraße einer mit Kies bestreuten Auffahrt. Es dämmerte, dunkle Wolken zogen auf und tauchten die Landschaft in schattiges Dunkel.
»Ich glaube, wir sind da eben am Bates Motel vorbeigekommen«, sagte Gideon und lachte nervös. Außer ihm fand das keiner witzig. Die nervöse Unruhe, die im Wagen herrschte, hatte seinem Gefühl nach zugenommen.
Die mit Kies bestreute Straße führte in einen weiteren Redwood-Wald, fast unmittelbar dahinter gelangten sie vor ein großes gusseisernes Tor in einer hohen Steinmauer. Auf einer hölzernen Plakette, einst mit eleganten Lettern beschriftet und gerahmt, inzwischen jedoch ziemlich verwittert, stand:
DEARBORNE PARK
Darunter hatte man ein hässliches, zweckmäßiges Schild angeschraubt.
PRIVATEIGENTUM
WIDERRECHTLICHES BETRETEN
WIRD MIT ÄUSSERSTER HÄRTE DES GESETZES STRAFRECHTLICH VERFOLGT
Während sie näher kamen, öffnete sich das Tor automatisch. Sie fuhren hindurch, der Wagen blieb neben einem kleinen Torhaus stehen. Der Chauffeur mit der grünen Kappe ließ sein Fenster herunter und sprach mit einem Mann, der aus dem Torhaus getreten war. Prompt winkte der ihn durch. Die Straße, die kurvenreich zwischen düsteren Redwoods hindurchführte, stieg an. Es fing an zu regnen, dicke Tropfen pladderten auf die Windschutzscheibe.
Inzwischen herrschte im Auto eine bedrückende Atmosphäre. Der Fahrer schaltete die Scheibenwischer an, in monotonem Rhythmus schlugen sie hin und her, hin und her.
Als der Geländewagen bis zum Bergrücken hinaufgefahren war, wichen die Redwoods plötzlich einer mehrere Hektar großen, hoch gelegenen Wiese. Durch den strömenden Regen glaubte Gideon, in der Ferne den Pazifischen Ozean zu erkennen. Am gegenüberliegenden Ende der Wiese erhob sich eine hoch gelegene Rasenfläche, an deren Ende ein Herrenhaus aus grauem Kalkstein stand, erbaut im Stil der Neugotik, an der Fassade lief das Wasser hinunter. Vier hoch aufragende, an Zinnen erinnernde Türme rahmten eine große Halle, deren gotische Spitzbogenfenster im Dämmerlicht des Unwetters gelblich schimmerten.
Der Wagen näherte sich dem Herrenhaus auf einer gewundenen Zufahrt, die Räder knirschten auf dem Kies. Der Wind frischte auf und peitschte gegen die Windschutzscheibe. In der Ferne blitzte es, kurz darauf hörte Gideon den zeitversetzten Donner.
Er verkniff sich eine Witzelei über die Addams Family, als der Fahrer unter einem von Säulen gerahmten, überdachten Portal anhielt. Unten an der Treppe zum Haus stand wartend ein rothaariger Hausdiener in weißer Jacke, die kräftigen Arme verschränkt. Sie stiegen aus, doch der Diener kam ihnen nicht entgegen, um sie zu begrüßen, sondern machte lediglich eine brüske Handbewegung, dass sie ihm folgen sollten, dann drehte er sich um und ging die steinerne Treppe wieder hoch. Sie betraten hinter ihm die Eingangshalle. Sie war spärlich möbliert, fast leer, so dass ihre Schritte in dem großen Raum laut hallten. Dröhnend fiel die Tür hinter ihnen zu wie von unsichtbarer Hand geschlossen.
Der Diener wandte sich nach rechts, schritt durch eine Tür mit Spitzbogen, dann weiter über einen langen Flur und in einen Wohnraum. Am gegenüberliegenden Ende befand sich eine geschnitzte Eichentür, an die der Diener klopfte. Eine Stimme rief: »Herein.«
Es war ein kleines, behagliches Büro. Hinter dem Schreibtisch stand ein grauhaariger Mann auf, mit breitflächigem, freundlichem Gesicht und gekleidet in ein Tweedjackett mit Lederflicken an den Ellbogen. An allen Wänden standen Bücherregale. In die gegenüberliegende Wand war ein Kamin eingelassen, die Scheite loderten.
»Herzlich willkommen, Mr. Glinn«, sagte der Mann, trat um den Schreibtisch herum und streckte die Hand aus. »Mr. Garza.« Sie schüttelten einander die Hand.
»Und Sie müssen Dr. Crew sein. Herzlich willkommen. Ich bin Dr. Hassenpflug. Bitte setzen Sie sich doch.« Dies unterstrich er mit einer Geste zu den Stühlen, auf denen sie Platz nehmen sollten und die gemütlich um den Kamin gruppiert standen. Die angenehme Wärme des Kaminfeuers stand in deutlichem Kontrast zum Unbehagen, das Garza und Glinn ausstrahlten.
Ein kurzes Schweigen folgte. Schließlich brach Dr. Hassenpflug das Eis. »Ich kann mir denken, dass Sie gern erfahren möchten, wie es dem Patienten geht. Leider habe ich keine guten Nachrichten.«
Garza legte die Hände zusammen und beugte sich vor. »Vielen Dank für die Auskunft, aber wir sind nicht gekommen, um etwas über den Zustand des Patienten zu erfahren. Wie wir besprochen haben, geht es uns nur darum, ihn zu treffen. Seine gesundheitliche Zukunft interessiert uns nicht.«
Hassenpflug setzte sich zurück. »Verstehe, aber vielleicht wäre es angebracht gewesen, den Patienten vorab zu informieren -«
»Ich fürchte, jede Art von Vorabinformation wäre unangemessen«, sagte Glinn.
Der Arzt verstummte, ein finsterer Ausdruck huschte über seine Gesichtszüge. Sein freundliches Gebaren war unter dem Einfluss von Glinns knappem, unfreundlichem Tonfall verschwunden. »Nun gut.« Er wandte sich zu dem Krankenwärter um, der, die Hände vor der weißen Jacke gefaltet, hinter ihnen gestanden hatte. »Ronald, ist der Patient bereit, Besuch zu empfangen?«
»So bereit, wie er je sein wird, Dr. Hassenpflug.«
»Bitte begleiten Sie die Herren in sein Zimmer. Sie und Morris bleiben aber ganz in der Nähe.« Hassenpflug wandte sich wieder an Glinn. »Sollte sich der Patient erregen, müssen wir Ihren Besuch eventuell abbrechen. Ronald und Morris werden darüber befinden.«
»Verstehe.«
Sie durchquerten den Salon und die weitläufige Eingangshalle, gingen wieder durch eine Tür mit Spitzbogen und betraten etwas, das wie ein ehemaliger großer Empfangsaal aussah. Am gegenüberliegenden Ende befand sich eine Tür, nicht aus Holz, sondern aus genietetem Stahl. Auf diese Tür gingen sie zu. Der Krankenwärter namens Ronald blieb davor stehen und drückte auf einen kleinen Knopf in einer Gegensprechanlage.
»Ja?«, erklang eine blecherne Stimme.
»Mr. Lloyds Besucher sind hier.«
Der Summer ertönte, die Tür öffnete sich mit einem Klicken, und zum Vorschein kam eine lange, prächtige Galerie mit Marmorboden und Wänden, an denen Porträtgemälde irgendwelcher Vorfahren hingen. Das Ambiente ließ keineswegs an eine psychiatrische Klinik denken, obgleich Gideon inzwischen klar war, dass es sich um genau das hier handelte. Am Ende des Gangs betraten sie ein strahlend hell erleuchtetes Krankenzimmer. Eingerichtet war es mit dunklen viktorianischen Sofas und Sesseln, die Wände waren voll mit Gemälden von Bergen, Flüssen und anderen Naturszenen im Stil der Hudson River School. Doch was Gideon besonders faszinierte, das war der rüstige alte Herr. Ungefähr siebzig Jahre alt, dichter Schopf weißer Haare, so saß er auf einem der Sofas. Allerdings trug er eine Zwangsjacke. Neben ihm saß ein Krankenwärter - bei dem es sich wohl um Morris handelte - mit einem Tablett, auf dem mehrere kleine Teller standen, auf denen jeweils ein Klacks püriertes Essen lag. Der Pfleger fütterte den Herrn gerade mit irgendeinem dunkelbraunen Brei. Gideon fiel auf, dass auf dem Tablett auch eine Flasche Rotwein stand - ein Château Pétrus. Neben der Flasche stand eine Schnabeltasse aus Plastik, gefüllt mit dem Wein.
»Ihre Besucher sind hier, Mr. Lloyd«, sagte Ronald.
Der Mann namens Lloyd hob seinen massigen, strubbeligen Kopf, die stechend blauen Augen weiteten sich und starrten Glinn an. Trotz der Zwangsjacke und seines hohen Alters strahlte er immer noch große psychische Energie und körperliche Kraft aus. Langsam, ganz langsam stand er auf und schaute seine Besucher an, wobei er vor außerordentlicher Intensität geradezu anzuschwellen schien. Erst jetzt erkannte Gideon, dass der Mann Fußfesseln trug und nur in winzigen Schritten gehen konnte.
Er beugte sich vor und spuckte das braune Zeug aus, das ihm der Pfleger soeben in den Mund gelöffelt hatte.
»Glinn.« Er spuckte das Wort aus so wie das Püree. »Und Manuel Garza. Was für eine Freude.« Der Tonfall ließ allerdings darauf schließen, dass er sich ganz und gar nicht freute. Die Stimme klang seltsam, zitternd und tief, krächzend. Die Stimme eines Geisteskranken.
Jetzt richtete er den Blick aus seinen blauen Augen auf Gideon. »Und Sie haben einen Freund mitgebracht?«
»Das ist Dr. Gideon Crew, mein Geschäftspartner«, sagte Glinn.
Die Atmosphäre im Zimmer wurde noch angespannter.
Lloyd drehte sich zu dem Krankenwärter um. »Ein Freund? Das ist ja eine Überraschung.« Er wandte sich wieder an Glinn. »Ich möchte Sie anschauen. Ich möchte Ihnen in die Augen sehen - aus der Nähe.«
»Es tut mir leid, Mr. Lloyd«, sagte Glinn, »aber Sie müssen bleiben, wo Sie sind.«
»Dann kommen Sie zu mir - wenn Sie den Mumm dazu haben.«
»Ich glaube nicht, dass...
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