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Ratlos. Damit konnte man den Gesichtsausdruck von Kommissar Hellstein am besten beschreiben, als er auf den Leichnam starrte. Der irgendwie zurückzustarren schien aus weit aufgerissenen, sehr toten Augen. August Hellstein unterdrückte ein der zu frühen Stunde geschuldetes Gähnen, reckte die Schultern und trat einen halben Schritt vor, darum bemüht, keine Spuren auf dem Bürgersteig vor dem Lokal »Weißes Roß« zu zerstören. Ein lauer Maiwind wehte ihm entgegen, war aber nicht unangenehm.
Wieder starrte er sekundenlang auf das Bild, das sich so gar nicht einordnen ließ, und trat dann zwei Schritte zurück. Nun hatte er quasi die Totale im Blick. Hellstein blendete die Kollegen der Spurensicherung in ihren weißen Overalls aus, die Streifenwagenbesatzung und die beiden Angestellten des Bestattungsunternehmens, die bereits mit den Füßen zu scharren schienen, um die Leiche endlich in den Zinksarg zu packen.
»Wer hat den Mann gefunden?«, fragte er automatisch und vernahm wie durch einen Nebel die Antwort des Polizeiobermeisters: »Ein Gassigänger, hat wohl einen Schock. Hund und Herrchen sitzen da hinten auf der Bank.« Hellstein scannte den Tatort und versuchte, sich so viele Details wie möglich einzuprägen. Der Tote sah auf den ersten Blick aus wie einer, der im »Weißen Roß« zu lange und zu viel gezecht hatte und dann hier hinten umgefallen war. Und auf den ersten Blick könnte man meinen, er habe sich vielleicht beim Aufprall auf einen der mit roten Geranien bepflanzten Blumenkübel, die entlang der Wirtshausfassade aufgestellt waren, das Genick gebrochen. Und zwar auf eine so saubere Art und Weise, dass sie ganz genau zum äußeren Erscheinungsbild der Leiche passte: beiger Trenchcoat, darunter ein anthrazitfarbener Anzug, der sicher einen halben Polizistenmonatslohn gekostet hatte, eine dezent grüne Krawatte und Schuhe aus weichem Leder, deren Sohlen kaum abgelaufen waren. An der linken Hand trug der Tote eine klobige Uhr. »Raubmord scheint das nicht gewesen zu sein«, mischte sich Kollege Hansen ein. Hellsteins Assistent hatte sich bis jetzt im Hintergrund gehalten und begann nun damit, Fotos vom Tatort zu machen.
»Haben wir eine Tatwaffe?«, wandte Hellstein sich an die Kollegen der SpuSi.
»Negativ.«
»Was könnte das gewesen sein?« Der Kommissar nickte in Richtung Hals des Toten. Der war, wie der Rest des Gesichts, glatt rasiert. Einzig ein Schnitt entlang der linken Halsschlagader störte das adrette Bild. Und die Blutlache, die sich auf dem weißen Hemd ausgebreitet und auf dem Kopfsteinpflaster fortgesetzt hatte.
»Spitzer Gegenstand.«
Hellstein seufzte. Und dachte dran, dass er jetzt eigentlich gar nicht hier sein müsste, wenn Kommissar Hans Jürgen Rabenschmidt und seine Partnerin Heike Gerlach nicht gleichzeitig Urlaub machen würden. Er beim Wandern auf der Schwäbischen Alb, sie bei der Hochzeit einer Cousine in Nürnberg. »Geht mich eigentlich nichts an«, murrte er innerlich und nahm sich vor, die Zuständigkeiten innerhalb der Pirnaer Polizei bei der nächsten Betriebsversammlung anzusprechen. Dann stülpte er sich die Plastikhandschuhe über, die der wortkarge SpuSi-Kollege ihm reichte, ging in die Knie und betastete das Jackett des Toten. In der Innentasche wurde er fündig. »Brieftasche, na bitte.« Das lederne Etui enthielt neben knapp 300 Euro Bargeld zahlreiche Kredit-, Vielflieger- und sonstige mehr oder weniger sinnvolle Plastikkarten. Und den Ausweis des Mannes. »Gerd Ziegler, 17. August 1974 in Stuttgart geboren, wohnhaft in Pirna, Lautenbachstraße 3.«
»Das ist ja gleich um die Ecke«, bemerkte Hansen und knipste den Ausweis in der Hand seines Vorgesetzten. Hellstein zog die Hand zurück und ließ die Papiere allesamt in einen wiederverschließbaren Plastikbeutel gleiten. Kurz dachte er daran, wie viel lieber er jetzt an der Elbe sitzen würde, aufs gemächlich fließende Wasser starren, in der einen Hand einen Becher Milchkaffee, in der anderen eine selbstgedrehte Zigarette. Aber erstens hatte er vor Jahren mit dem Rauchen aufgehört und zweitens machte sein Lieblingscafé gerade Betriebsferien wegen Umbaus. Da konnte er genauso gut mit Hansen durch das morgendlich stille Pirna zur Adresse des Toten stapfen. Das Gasthaus würden sie sich später vornehmen, denn zu so früher Stunde waren hier noch alle Schotten dicht und niemand hatte auf Klopfen und Klingeln reagiert. Verständlich, wer hatte schon Lust, im Morgengrauen zu arbeiten? Und der unglückliche Dackelbesitzer könnte seine Aussage im Lauf des Tages auf dem Revier machen. Hellstein gab den Kollegen noch ein paar dienstliche Anweisungen, dann nickte er seinem Assistenten zu. Hansen ließ den Deckel aufs Objektiv der Kamera klacken, verstaute den Apparat in der Schutztasche und reichte ihn den SpuSi-Kollegen. Die würden schon dafür sorgen, dass die Bilder in Kürze im Intranet verfügbar waren. Dann drückte er den Knopf der Fußgängerampel, an deren Pfahl die Absperrbänder leicht flatterten, wartete automatisch auf Grün, obwohl kein einziger Wagen die Königsteiner Straße befuhr, und ging los, einen halben Schritt gefolgt von Hansen.
Die Polizisten folgten der Breiten Straße bis zum Dohnaschen Platz, dann bogen sie links in die Grohmannstraße ein. Wann war er zuletzt zu Fuß da gewesen? Es musste Lichtjahre her sein. Wahrscheinlich, als er im Kino in der benachbarten Gartenstraße war. Aber mit wem? Welcher Film? Er erinnerte sich nicht, kam aber auch nicht zum Nachdenken, denn Hansen rief mit der Begeisterung eines Kindes in der Stimme: »Da sind wir schon!«
Innerlich rollte Hellstein die Augen. Entlang der Straße waren so viele Parkplätze, da hätte der Dienstwagen bestens Platz gehabt. Andererseits - so ein kleiner Spaziergang hatte noch niemandem geschadet, sagte er zu sich selbst und betrachtete das Haus mit der Nummer 3. Ein Wohnblock wie viele, entstanden in der Zeit des Sozialismus, in den 1990ern aufgehübscht und mittlerweile wieder in die Jahre gekommen. Immerhin war es zur Elbe quasi nur ein Steinwurf, es galt lediglich, die Bahnschienen zu überqueren.
»Da!« Hansen zeigte auf den Klingelknopf, neben dem ein mit Tesa fixierter Papierstreifen pappte. »Ziegler!«
»Scheint noch nicht lange hier zu wohnen«, stellte Hellstein beim Blick auf die anderen Namensschilder fest, die allesamt akkurat ausgedruckt und unter die Plastikscheibe der Klingeln gestopft waren.
»Soll ich?« Hansens Zeigefinger schwebte über dem Knopf. Die Entscheidung wurde den Beamten abgenommen, denn just in diesem Moment wurde die Haustür von innen geöffnet.
»Tach«, schnodderte ein Mann in blauer, ungewaschener Trainingshose und mit Müllbeutel in der Hand. Sein ehemals wohl weißes Unterhemd spannte sich über dem fassartigen Bauch. Der Mann brachte ein Aroma von schalem Bier, frittierten Zwiebeln und Schweiß mit sich. Hellstein rümpfte die Nase, ließ den Mann passieren und trat dann in den Hausflur. Hier legte sich über das schmalzige Düftchen des Trinkers etwas Zitroniges, das vermutlich vom Putzmittel kam. Die Tür links stand einen Spalt breit offen, vermutlich hauste hier der Herr von eben. Hellstein und Hansen erklommen die Stufen und betrachteten jedes Namensschild an den drei Türen pro Stockwerk. Im zweiten Stock wurden sie fündig. »Ziegler«, stand auf einer gelben Haftnotiz, die unter dem Türspion klebte. Vor der Tür lag eine graue Matte im Design einer PC-Tastatur. Das Preisschild lugte unter der Gummiumrandung vor. 19,99 ?. Gekauft im Pirnaer Baumarkt. Als vom Erdgeschoss her das Schließen einer Wohnungstür zu hören war, klopfte Hansen an die Ziegler'sche Tür.
Der ist nicht da, dachte Hellstein. Laut sagte er: »Der ist hier allein gemeldet.« Hansen fuhr herum und starrte seinen Chef an. Dieser wedelte mit dem Smartphone vor dessen Gesicht: Die Kollegen hatten bereits mit den Hausaufgaben begonnen und ihm weitere Infos zum Toten geschickt. Er war vor anderthalb Wochen von der Rudolf-Renner-Straße hierhergezogen. Polizeilich nicht erfasst, allein gemeldet, Besitzer eines aus zweiter Hand gekauften BMW X5.
»Hausfrauenjeep«, knurrte Hellstein.
»Was?« Hansen sah wieder aus wie ein Kind.
»Nüscht. Lass mich mal.« Er drängte den Kollegen zur Seite und machte sich mittels Plastik-Rabattkarte vom Supermarkt am Schloss zu schaffen. Innerhalb weniger Sekunden war die Tür offen.
»Durchsuchungsbeschluss?«, flüsterte Hansen und sah aus wie ., ja wie ein Kind eben, das man beim Kekseklauen erwischt hatte.
»Später. Dauert zu lange jetzt und den kriegen wir nachher doch sowieso.« Hellstein rief ein halbherziges »Hallo?« ins Appartement, dann trat er ein. Hier roch es eindeutig besser als im Flur, nach neuem Holz und leicht nach Kaffee. Was in dem Kommissar wieder den Gedanken an die Elbe aufflackern ließ. Ein Blick ins Wohnzimmer bestätigte den Holzgeruch. Neben großen Stapeln von Umzugskartons warteten zwei halb fertige Kommoden aus einem schwedischen Möbelhaus darauf, fertig zusammengeschraubt zu werden. Die piktogrammartige Anleitung lag leicht zerknüllt auf dem Parkett.
»So was kenn ich«, grinste Hansen. »Passt nie.«
»Ist aber kein Grund für Mord. Es sei denn, man will Billys Erfinder mit dem Schraubenzieher ins Reich der ewigen Elche befördern«, scherzte Hellstein zurück. Wurde dann aber wieder ernst und machte sich gemeinsam mit Hansen daran, die Wohnung genauer zu inspizieren. Was nicht allzu viel Grips und Zeit in Anspruch nahm, denn der Tote war vor seinem Ableben offenbar noch nicht dazu gekommen, seine Habseligkeiten zu verstauen. Schweigend kramten die Polizisten in den Umzugskartons, förderten Hosen und Socken, Besteck, Badezimmerartikel...
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