Schweitzer Fachinformationen
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Erwin Pfandl, der umtriebige Mürzzuschlager Gastwirt, stand, wie so oft in den letzten Wochen, auch heute zeitig auf. Es würde wieder ein langer, anstrengender Tag werden. Der stolze Postwirt wirkte in letzter Zeit trotz seiner erst 51 Jahre ziemlich abgekämpft. Die Anstrengungen rund um die Feierlichkeiten zum 70. Geburtstag des von ihm hoch verehrten Peter Rosegger schienen den Wirt mitzunehmen. Denn der alt gewordene Dichter zeigte sich äußerst ungnädig allen Bemühungen des Wirtes gegenüber, diesen runden Geburtstag zu einem würdevollen Fest zu gestalten. Manchmal kanzelte er seinen eifrigen Verehrer regelrecht ab, wenn dieser eine Idee einbrachte. Niemand konnte es Pfandl verdenken, dass er sich über diesen Undank grämte. Aber schließlich hatte der Dichter doch gnädig seinen Segen gegeben, und so würde heute Nachmittag das einzige Theaterstück Roseggers, Am Tage des Gerichts, auf der Freilichtbühne in der Au zu seinen Ehren aufgeführt werden.
Pfandl strich sich vor dem Spiegel durch sein immer noch volles gewelltes Haar und bemerkte, dass ihm erste weiße Strähnen in die von der Sonne gebräunte faltige Stirn fielen. Auch die normalerweise großen hellen Augen wirkten heute klein und trüb. Keine Spur von dem sonstigen euphorischen Glanz. Er fühlte sich müde und erschöpft. Sogar deutlich abgenommen hatte er in letzter Zeit. Seine korpulente Gattin Maria hatte schon angemerkt, dass er wieder an Gewicht zulegen könnte: »Wenn du tatsächlich dein großes Vorhaben dort oben am Berg zu Ende bringen möchtest, brauchst du wieder mehr Fleisch auf den Rippen!« Sie machte sich Sorgen, weil ihn diese Geburtstagsfeier so viel Energie kostete: »Richtig erschöpft siehst du aus, Erwin. Wo ist deine Begeisterung geblieben? Geh doch heute früher zu Bett und erhole dich etwas, ich mach für dich den Schlussdienst und Sperrstunde!«, hatte sie ihm kürzlich angeboten. »Immer Rosegger! Alles dreht sich bei dir nur noch um dieses eine Thema!«, fügte sie murrend hinzu. Ernsthaft besorgt kritisierte sie ihn auch erneut wegen seines großen Lasters, dem vielen Rauchen, und meinte verärgert: »Man könnte geradewegs annehmen, du bist vom weißen Nebel berauscht, Erwin. Du findest ja keine klaren Gedanken mehr!«
Pfandl verschlang dennoch weiter die Zigaretten und zündete sich oft sogar eine an der anderen an. Er fand so einen tiefen Zug einfach beruhigend. Beim Rauchen konnte er am besten Pläne schmieden, wie er sich zugunsten der Region einsetzen könnte. Für viele Mürztaler galt er mit seinen unzähligen Ideen als zu übereifrig. Manche hielten auch sein Getue rund um Rosegger und die Waldheimat für leicht übertrieben. Dabei hatte er doch mit seiner Rosegger-Gesellschaft nur den Wunsch, den großen Heimatdichter und sein Weltbild zu ehren, außerdem dabei auch für seine Gegend, die Waldheimat, alles zu unternehmen, um möglichst viele Gäste anzulocken. Und statt ihn bei seinen Ambitionen zu unterstützen, die Waldheimat als begehrtes Ziel für Touristen weiterzuentwickeln, warf ihm der Bürgermeister immer wieder vor, seine ganzen diesbezüglichen Aktivitäten geschähen nur aus Eigennutz.
Einzig der Fotograf und ehemalige Schauspieler Böhm, sein besonnener Freund, hörte ihm stets aufmerksam zu, wenn er von seinem großen Idol Rosegger sprach oder über seine neuen Vorhaben berichtete. Der gibt sich zumindest interessiert, um mich nicht zu verärgern, aber auch das hilft mir, dachte Pfandl dankbar. Zu allem Übel hatte Rosegger selbst ihm vor Kurzem mitgeteilt, dass er keinen Wert auf seine Propaganda lege und nicht mehr erlaube, dass mit seinem Namen die Gegend beworben werde. Diese Worte waren wie ein Schlag in sein Gesicht gewesen. Pfandls Frau Maria ging ohnedies nicht erst seit Beginn der Planung der Geburtstagsfeierlichkeiten dem Heimatdichter großräumig aus dem Weg. Die tüchtige Wirtin hatte anderes zu tun, als sich im Gasthof blicken zu lassen, wenn der prominente Mann im Anmarsch war und wieder etwas zu kritisieren hatte.
Gedankenverloren schaute der Wirt auf seine Taschenuhr. Was, schon gleich 7 Uhr! Über Mürzzuschlag war die Sonne aufgegangen. Unter ihren wärmenden Strahlen begannen die Vögel, ihre Lebensfreude laut in den Tag hinauszuzwitschern. Pfandl, jetzt schon auf dem Weg zur Au, schritt rasch dahin. Er hatte es eilig. Die Zeit drängte. Die letzte Probe zur heutigen Aufführung musste fehlerfrei über die Bühne gehen. Auf keinen Fall durfte etwas schieflaufen: Es muss ein Erfolg werden. Niemand soll diesen Tag so schnell vergessen. Schon gar nicht der Heimatdichter!
Ja, Rosegger würde mit dieser Aufführung hoffentlich zufrieden sein, und auch der Bürgermeister, Anton Hopfer, würde wieder einmal so tun, als wäre alles seine Idee gewesen. Dabei hatte er sich wie immer nach Möglichkeit quergelegt. Das letzte unerfreuliche Gespräch mit dem Bürgermeister zerrte immer noch an seinen Nerven. Denn egal, welch neuen Vorschlag er dem immer dicker werdenden Gemeindeoberhaupt machte, er lehnte ihn ab. Pfandl konnte dem engstirnigen Mann nicht mehr in die Augen sehen, dieser industriegläubige Verhinderer vieler seiner Pläne brachte ihn zur Weißglut. Denn Mürzzuschlags Bürgermeister hatte nicht nur seit jeher einfach kein Gespür für respektvolles Auftreten, mit zunehmendem Alter schien Hopfer auch von immer trägerem Verstand zu werden.
Die beiden Männer waren infolge ihrer unterschiedlichen Interessen selten gut miteinander ausgekommen. Zum Leidwesen Pfandls mussten sie trotzdem immer noch regelmäßig Streitgespräche führen. Wie all die Jahre zuvor ging es um den Fremdenverkehr. Der Hotelwirt kämpfte weiterhin mit aller Kraft verbissen gegen die fortschreitende Industrialisierung, durch die die schöne Gegend immer mehr verschandelt wurde. Allein das Eisenwerk Bleckmann zählte inzwischen rund 1.400 Arbeiter. Die Hammerwerke der Mürz entlang waren ausgelastet, mit allem damit verbundenen Lärm und der immer schlechter werdenden Luft.
Mit der Zeit hatten die meisten Menschen im Mürztal aber trotzdem immer mehr Gefallen am industriellen Fortschritt gefunden. Am Anfang allem Neuen gegenüber kritisch eingestellt, ließen sich inzwischen auch die Skeptiker nicht mehr von Roseggers Waldheimatgeschichten leiten. Kaum einer wollte sich den ganzen Tag lang am Bauernhof abrackern, wenn in der Fabrik geregelte Arbeitszeiten und bares Geld für ein scheinbar besseres Leben sorgten.
Als Befürworter des Fremdenverkehrs nahm sich dagegen der Wirt bei seiner Kritik an der Industrie kein Blatt vor den Mund. Er blieb seiner Linie treu und bezog sich immer wieder auf die Texte Roseggers. Für ihn hatte der weise Dichter in allem recht, sogar mit seiner Meinung, dass das Automobil sich nicht durchsetzen werde. Im Sommer mit der Kutsche und im Winter mit dem Pferdeschlitten - so wollten seiner Meinung nach die Gäste nach einer langen Zugfahrt transportiert werden.
Der Bürgermeister hingegen zog seine unzähligen Ideen, mehr Gäste mit der Eisenbahn in die Region zu locken, ins Lächerliche. »Was interessiert mich der Fremdenverkehr oben am Berg, wenn die Industrie unten im Tal sowieso ausreichend Geld einbringt?«, hatte er vor einem Jahr wieder einmal verächtlich zu Pfandl gesagt, nachdem dieser ihm den Bau eines Alpenhotels am Ganzstein vorgeschlagen hatte. Hopfer verhinderte die Umsetzung. So wurde daraus nur ein Aussichtsplatz unter Fichten, ein Fleck im Freien mit Blick auf die Rax und die Schneealpe. Die Bezeichnung »Zur Rosegger-Ruh« - Pfandl erhoffte sich, dass der Platz auch nach Ableben des Dichters noch weiter an seine Spaziergänge in Mürzzuschlag erinnern würde und der Ort davon profitieren sollte - ließ Hopfer ihm gelten.
»Die kleine Lichtung dort oben am Ganzstein kann ich schon so benennen lassen!«, meinte der Bürgermeister. Er grinste hämisch und schüttelte den Kopf. »Wir wollen doch nicht, dass die Krieglacher meinen, der Heimatdichter gehöre ihnen ganz allein und wird nur bei ihnen gewürdigt«, fügte er hinzu. Hopfer lachte übertrieben laut auf, er freute sich über seine boshaften Worte. Pfandl dagegen verging das Lachen. Hopfer wusste schließlich, dass der Wirt in seinem Gasthof eigens für den prominenten Literaten ein Dichterstüberl hatte einrichten lassen, um ihn zu ehren und ihm in Mürzzuschlag ein Denkmal zu setzen. Der Wirt hatte die Errichtung des Rosegger-Stüberls mit riesigem Aufwand betrieben und auch keine Kosten für die Werbung gescheut. Mürzzuschlag war ein Ort, in dem Rosegger schon längst geehrt wurde, da konnte man auf Hopfer und seine plumpen Worte gerne verzichten. Pfandl war froh, wenn er das boshafte Gemeindeoberhaupt in seinem Gasthof zur Post nicht allzu oft sehen musste.
Das galt gleichfalls für den Gemeindegendarm Fladinger, der seinerseits nichts von der »übertriebenen Roseggerei« des Gastwirtes hielt. Diesen Ausdruck hatte der in Gedanken schon mehr mit seiner baldigen Altersrente als seiner Arbeit beschäftigte übergewichtige Gendarm in einem vor einigen Jahren erschienenen Buch über Mürzzuschlag gelesen. Nun warf Fladinger dem Wirt diese Kritik gerne immer wieder an den Kopf. Bei jeder Gelegenheit beschwerte er sich außerdem über den Mehraufwand für die Gendarmerie aufgrund von Pfandls Veranstaltungen. Der Mann für Ordnung und Sicherheit gab dem übertriebenen Bestreben des Wirtes, Gäste anzulocken, an der steigenden Kriminalität im Mürztal Schuld. Der freche Einbruch vor zwei Wochen in das Jagdschloss Mürzsteg, bei dem Silberbesteck und sogar einige persönliche Gegenstände des Kaisers gestohlen worden waren, sei sicher auch das Werk von...
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