Schweitzer Fachinformationen
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Das Unheil zog sie an wie die schwarze Magie eines Dämons. Denn was, wenn nicht Magie, hatte sie ausgerechnet in diesem Moment hierhergeführt? Und wer, wenn nicht ein Dämon, hätte einen derart perfiden Plan aushecken können?
Emmi Beinhart war eine Silhouette, die am Fenster des dreizehnten Stockwerks eines Büroturms stand und gebannt auf das nächtliche Wien starrte. Das Wochenende war zum Vergessen gewesen, vor allem nach Yvettes Ausbruch. Ihre Freundin hatte sich bei ihr ausgeweint, weil sie wieder einmal der Weltschmerz geplagt hatte. Ohne Alkohol ging das nicht, die Folgen spürte Emmi jetzt noch. Die abendlichen Lichter der Stadt schimmerten feierlich, und aus dem Flur waberte Udo Jürgens' »Ich weiß, was ich will« zu ihr ins Halbdunkel. Die Redaktion feierte den Geburtstag ihres Starjournalisten August Schwarz, doch Emmi war alles andere als zum Feiern zumute. In ihr war es so dunkel wie die schweigenden Strömungen des Donaukanals, der jetzt schwarz wie Öl zu ihren Füßen lag.
Sie wollte nach Hause, doch es war immer irgendetwas. Entweder sie arbeitete bis spät in die Nacht, oder einer der Kollegen organisierte einen Umtrunk. Dabei wusste doch jedes Kind, dass die Medien gar nichts zu feiern hatten. In dem Chaos an Nachrichten, das ständig über Displays flitzte, waren recherchierte Artikel von hysterisch hinausgeplärrten Gerüchten kaum noch zu unterscheiden. August Schwarz war im Grunde nur eine gut gemischte Variante von beidem. In seinen Leitartikeln drehte er sich nach dem Wind, seine Berichte glichen allzu oft Kommentaren und waren einseitig. Mal forderte er die Politiker auf, endlich härter für den Klimaschutz einzustehen, dann wieder brach er eine Lanze für die Häuslbauer, die trotz aller Förderungen nicht das Geld hatten, um von heute auf morgen ihre Ölheizungen ausbauen zu lassen. In Wahrheit ging es ihm nie um Lösungen, er wollte als Berichterstatter keinen Beitrag leisten, um alles wieder ins Lot zu bringen. Im Gegenteil, er profitierte von einer Welt, die aus den Fugen geriet. Sie alle würden davon profitieren, schwadronierte er manchmal. Emmi konnte sich die Tiraden nicht anhören, denn es endete immer damit, dass August ihnen die Welt erklärte.
Außerdem hatte er eine regelrechte Marketingmaschinerie an seiner Seite. Willfährige Eiferer, die in ihm den Heilsbringer gegen den Untergang des Medienhauses sahen. Seine Visage steigerte die Quoten, und noch schrecklicher, als ständig mit ihr konfrontiert zu werden, fand Emmi seinen Spitznamen »Zack-Zack«. Er hatte ihn verpasst bekommen, weil alles immer so schnell gehen musste, wenn er das Ruder in die Hand nahm. Und tatsächlich riefen ihn die Leute im Haus genau so: August »Zack-Zack« Schwarz. Kein Scherz.
Der Punkt war, dass natürlich kaum jemand das Recht hatte, schlecht über »Zack-Zack« zu denken, geschweige denn zu sprechen, außer Emmi. Immerhin war sie nun schon seit einigen Monaten mit diesem Mann liiert. Ein Umstand, der ihr Ansehen bei manchen Kollegen nicht gerade gehoben hatte, denn sie wusste natürlich, dass sie sich das Maul über die junge, hübsche Aspirantin zerrissen, die sich den Star geangelt hatte, um selbst die Karriereleiter hochzuklettern. Die Wahrheit jedoch war, dass Emmi seinem Charme genauso erlegen war wie die meisten anderen. Sein überwältigendes Lachen, seine Klugheit und seine überragende Eloquenz hatten sie schlichtweg überrollt. Es war nicht so, dass sie von Anfang an in ihn verliebt gewesen wäre, sie hatte nur einfach seine Nähe genossen. Nein, falsch, sie war stolz darauf gewesen, in seiner Nähe sein zu dürfen. Und jetzt? Sie hörte seine Stimme durch die Wände der Redaktionsräume hindurch. Jetzt fand sie ihn einfach nur noch langweilig. Einen überheblichen Egozentriker, der sie zu einer Art Marionette gemacht hatte. Zu einem subalternen Anhängsel, das jeden Augenblick damit rechnen musste, fallen gelassen zu werden.
Sie rieb sich die Schläfen. Was für dumme Gedanken sie doch hatte. Was war nur los mit ihr? Und was machte sie hier noch?
Sie sollte sich irgendwo dort draußen in der Stadt vergnügen oder wenigstens mit einem Buch in ihrer Maisonettewohnung verkriechen. Sie musste wieder an Yvette denken. Vielleicht sollte sie zu ihr nach Hause fahren und nach dem Rechten sehen. Man konnte in Zeiten wie diesen doch nie wissen, wozu die Leute fähig waren.
Sie nahm einen langen Atemzug und presste die Luft geräuschvoll wieder hinaus. Im nächsten Moment wurde es stockfinster. Vor ihren Augen gingen die Lichter der Stadt aus. Völlige Dunkelheit umgab sie. Wien war verschwunden. Einfach weg.
Emmi klappte der Mund auf. Sie machte einen Schritt auf das Fenster zu. Zog die Augenbrauen zusammen. Blinzelte. Doch es blieb finster. Sie glaubte, das Hupen der Autos zu hören, obwohl das unmöglich war, weil die Fenster alle Geräusche der Außenwelt abschirmten. Dann erkannte sie, dass das Hupen aus ihr selbst kam. Es war das Blut, das in ihr rauschte und die Ohren zum Dröhnen brachte.
Die plötzliche Dunkelheit der Stadt war verwirrend und beängstigend zugleich.
»Emmi? Was machst du hier?«
Erschrocken fuhr sie herum. Sie erkannte die Silhouette von Simon Sandberg, der draußen auf dem Gang stand und vom Licht seines Handys theatralisch beleuchtet wurde. Von den anderen Redaktionsräumen drangen Johlen und aufgeregte Rufe zu ihnen herüber, und wer weiß, ob nicht die einen oder anderen Bürokollegen den Moment der plötzlichen Dunkelheit nutzten, um einander näherzukommen. Emmi selbst befand sich in einem der Büros, in die zehn Arbeitsplätze in zwei Fünferreihen gequetscht worden waren. Die Monitore wirkten wie glotzende schwarze Augen, Headsets lagen auf den Tastaturen. Es schwebte zudem ein seltsam süßlicher Klimaanlagenduft in der Luft, der die mannigfachen Körpergerüche des Tages noch nicht ganz absorbiert hatte.
Mit einem Mal wurde Emmi bewusst, wie merkwürdig das aussehen musste: sie allein in einem dunklen Raum, aus dem Fenster starrend, während anderswo gefeiert wurde. Fast unheimlich. Wenn jetzt ein Fenster offen stünde - wenn das überhaupt möglich gewesen wäre -, dann hätte man denken können, sie sei im Begriff, sich hinabzustürzen auf den asphaltierten Boden der Stadt.
»Das könnte ich dich auch fragen«, versetzte sie und zauberte damit einen amüsierten Ausdruck in Simons Gesicht. Wobei das nicht sonderlich schwer war, wenn man dessen Lachfalten und die stets zum Ansatz eines Schmunzelns geformten Lippen betrachtete. Simon Sandberg hatte die sechzig längst hinter sich, und man sah ihm an, dass er die Welt um sich herum nicht mehr ganz ernst nahm. Er hatte die Gelassenheit eines Pensionisten, und im Grunde war er das auch fast schon. Erst vor ein paar Tagen hatte der Redaktionsmanager der Zeitung - er schrieb seit Jahren keine Artikel mehr selbst, sondern teilte die Mannschaft ein, kümmerte sich um Organisatorisches und dergleichen mehr - zu seiner »Ausstand«-Feier geladen, und Emmi und die anderen waren bedrückt gewesen, da kaum vorstellbar war, wie es ohne Sandberg, das Gedächtnis der Redaktion, weitergehen sollte. Aber wie immer hatte Sandberg die kurz aufkeimende Melancholie mit seiner guten Laune weggewischt. Jeder sei schließlich ersetzbar. Alles fließe weiter. Mit solchen Sätzen überspielte er stets trübe Gedanken. Glas heben, zuprosten, weiter geht's. Seinen stillen Nachsatz hatte nur Emmi hören können. »Je weniger Zukunft einem bleibt, desto weniger sollten wir die Zeit damit verplempern, zurückzuschauen.«
Sandberg neigte jetzt den Kopf, ließ seine Hände in den Hosentaschen verschwinden und kam näher. Die Gummisohlen seiner Schuhe raunzten auf dem Laminatboden.
»Sag schon, was hast du?«, blieb er beharrlich, und Emmi wunderte sich, dass er fragte.
»Sieh doch selbst«, erwiderte sie und machte eine ausladende Handbewegung. »Die Stadt. Sie ist völlig dunkel. Kein Licht, nichts. Auf einmal .«
Sandberg blickte sie besorgt an.
»Emmi .« Im Halbdunkel war die Freundlichkeit in seinem Gesicht nicht mehr zu erkennen, und in seiner Stimme schwang unüberhörbar Besorgnis mit. »Du solltest dich wirklich ausruhen.«
»Was? Aber sieh doch, das ist nicht .«, sie fuhr herum und schaute aus dem Fenster, ». normal.«
Das nächtliche Wien leuchtete wie eh und je. Ein pulsierendes Schimmern.
»Aber gerade eben war es doch noch stockdunkel gewesen«, hörte sie sich sagen. Sie merkte selbst, wie weinerlich das klang.
»Na und?«, sagte Sandberg. »Jetzt ist es ja wieder hell.«
Einen grotesken Atemzug lang fragte sich Emmi, wie es sich wohl anfühlte, den Verstand zu verlieren.
Wenig später saßen sie etwas abseits der Geburtstagsparty und nippten an viel zu starken Gin Tonics ohne Eis. Der Alkohol lähmte ihren Gaumen, und Emmi konnte nicht fassen, dass sie Sandberg soeben ihr Herz ausgeschüttet hatte. Sie hatte sich über ihre Rolle in der Redaktion beklagt, die eher darin bestand, Aussendungen zu kleinen Artikeln zu verarbeiten. Manchmal durfte sie auch Pressekonferenzen besuchen, die sonst niemanden in der Redaktion interessierten.
Sandberg hatte wieder sein typisches Lächeln aufgesetzt, das so wirkte, als könnte ihm niemand etwas vormachen. Aber es war nicht etwa so, als würden ihn die Beschwerden einer jungen Aspirantin amüsieren. Nein, im Gegenteil, er strahlte eine Freundlichkeit aus, eine Güte, die Emmi das Gefühl gab, gut aufgehoben zu sein. Ja, sie fühlte sich gut aufgehoben bei Sandberg. Er hatte etwas Väterliches an sich.
Sandberg hatte das mit dem angeblichen Stromausfall offenbar als eine leichte Verwirrung Emmis abgetan und war nicht weiter darauf...
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