Schweitzer Fachinformationen
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1Das Klopfen drang trotz der Kopfhörer in seinen Schädel wie die Blechtrommeln der Höllenpförtner, die ein neues Opfer ankündigten. Es war unmöglich, nicht aufzufallen. Es war unmöglich, unerkannt zu bleiben. Der Klang der Trommeln durchdrang alles. Machte alles sichtbar.
Leutnant Armin Trost, Leiter einer Sonderermittlungseinheit des Innenministeriums, Held unzähliger Einsätze und schrulliger Bär im Wolfsgehege des Bösen, konnte sich nicht rühren, presste stattdessen die Augen zusammen wie ein Kind, das die Wirklichkeit auszublenden versuchte, und lenkte seine Gedanken an einen fernen, beruhigenden Ort. Imaginiertes Meeresrauschen hätte ihn sekundenlang fast wegdösen lassen, wenn das penetrante Klopfen ihn nicht immer und immer wieder aufgeschreckt hätte.
Ein Ruckeln setzte ein, und er spürte, wie sich die Bahre, auf der er lag, bewegte und wieder stoppte. In seinen Beinen kribbelte es, und in seiner rechten Kniekehle setzte ein Jucken ein, das er jetzt gern weggekratzt hätte. Aber er konnte nicht. Er durfte nicht.
Neuerliches Klopfen hämmerte in seinen Schädel und brachte seine Gedanken durcheinander. Er versuchte, seine Atmung zu kontrollieren, und erinnerte sich an eine ähnliche Situation, als er in einem kalten Erdloch gelegen hatte, die Arme nicht bewegen und nur mit einer Muskelkontraktion seiner Pobacken weiterkriechen konnte. Damals war ihm etwas Schauerliches auf den Fersen gewesen. Diesmal zerrte nur eine aufkeimende Panik an seinen Nerven. Er konzentrierte sich. Einatmen. Ausatmen.
2Armin Trost war noch keine fünfzig, als ihn die Gewissheit, dass das Leben einen Gang zugelegt hatte, wie ein Schlag traf.
Gestern die MRT-Untersuchung in der Röhre, heute der fast erwachsene Sohn, der vor ihm hockte und auf die Nägel eindrosch und dabei schwitzte wie ein Stier in der Sommerhitze.
Er hatte sich darüber gefreut, dass sein Großer von sich aus auf ihn zugekommen war und ihm angeboten hatte, ihm beim Bau des neuen Baumhauses zu helfen. Am Fuße des Plabutsch, in der schmalen Schneise auf dem Weg nach Thal, in jener Gemeinde im Westen der Stadt, die ihn seiner sanften Hügel wegen stets ans Tolkien'sche Auenland erinnerte, hatte Trost sich entschlossen, auf einem verwilderten Grundstück, das er vor Jahren geerbt hatte, wieder ein Baumhaus zu errichten. Das alte im Garten vor seinem Haus war abgebrannt, und seine Frau Charlotte hatte die Gewissheit, die seltsame Behausung nicht mehr jeden Tag sehen zu müssen, erleichtert.
Trost hatte sich also dazu entschlossen, sein Rückzugsareal, seine »Trutzburg«, hier auf diesem verwilderten Grundstück am Fuße der Ruine Gösting neu zu errichten. Es sollte eine Behausung werden, die trotz der finsteren Feuchte des Talkessels durchaus geeignet war, sogar im Winter genutzt zu werden. Die Plattform in vier Metern Höhe hatte er zu diesem Zweck mit Dämmmaterial isoliert, ein Solarpanel sorgte zumindest im Sommer für Strom, sogar ein altes Fenster hatte er sich eingebaut und die undichten Stellen mit Styropor und Dämmmatten aufgefüllt.
Hier konnte er seinen Gedanken nachhängen, wenn sie trüb wurden. Oder wenn das Leben schneller wurde. So wie jetzt.
»Wie ist es in der Röhre gelaufen?«, fragte Jonas fast beiläufig.
Trost bemühte sich um einen ruhigen Ton und antwortete, dass die Ergebnisse erst nächste Woche zu erwarten seien.
Eine Weile lang lenkten sich beide damit ab, Brett für Brett anzubringen, um eine Außenwand des Baumhauses fertigzustellen. Das Hämmern erinnerte Trost dabei wieder an das ungute Klopfgeräusch der Magnetresonanztomografie. Als sie ihn nach zwanzig Minuten aus der Röhre gelassen hatten, hatte er Schweißperlen auf der Stirn gehabt und sich schwer wie Blei gefühlt.
Trost ließ seinen Hammer sinken. »Was hast du gerade gesagt?«
Jonas tat so, als würde er weiterhin konzentriert auf einen Nagel zielen, hielt dann aber in der Bewegung inne und schaute seinen Vater an.
»Ich werde ausziehen, Paps. Ich geh nach Wien.«
Trost fühlte einen Stromschlag, so real, dass er tatsächlich zusammenzuckte.
»Aha. Und was machst du dort?«
»Ich weiß noch nicht. Studieren vielleicht.«
»Aber das geht ja auch in Graz.«
Jonas seufzte, als hätte er diese Reaktion seines Vaters vorhergesehen. »Ich will aber weg, verstehst du? Einfach weg von zu Hause. Ich glaub einfach, es ist Zeit dafür.«
Nicht einmal fünfzig war er und fühlte sich mit einem Schlag um Jahrzehnte gealtert.
Trost blinzelte, senkte die Lippenenden und wippte mit dem Kopf auf und ab. Er hantierte allerdings auch gekonnt weiter mit den Holzlatten, den Nägeln und dem Hammer, sodass Jonas nicht bemerkte, wie die Augen seines Vaters plötzlich glasig wurden.
»Weiß es die Mama schon?«
»Ja, schon lange.«
Den Bruchteil einer Sekunde später baute sich eine Schmerzwelle in Trost auf, die für den Moment alles beiseiteschob. Jede Emotion. Einfach alles.
»Ahhh«, brüllte Trost, wedelte mit seiner Hand in der Luft und versuchte auf diese Weise wohl seinen Finger zu kühlen, den er gerade mit dem Hammer gequetscht hatte. »Scheiße, verdammte«, presste er hervor. Sein Gesicht schwoll an, es wurde rot.
Jetzt interpretierte der Bub seine Tränen wenigstens anders, und das war ihm auch lieber. Sein Sohn war neunzehn. Erwachsen. Er hatte das Recht zu gehen, wohin immer er wollte. Er musste sogar raus. Jedes Kind musste das irgendwann. Und es war schließlich die Aufgabe guter Eltern, es darauf vorzubereiten. Aber niemand bereitete Eltern darauf vor, dass das tatsächlich eines Tages passieren würde.
»Verdammt, tut das weh«, jammerte Trost und wusste selbst nicht, welches Wehtun er damit meinte.
Mitten in den Schmerz hinein läutete dann auch noch das Handy, und Trost reagierte viel zu schnell. Er hatte zu spät daran gedacht, nicht abzuheben. Das war schließlich ein Vater-Sohn-Nachmittag. Ein seltener, besonderer Moment. Vielleicht der letzte dieser Art.
Er lauschte eine Minute der Stimme am anderen Ende der Leitung, dann sagte er: »Super«, und meinte es nicht so. Er legte auf und seufzte. »Es tut mir leid.«
»Nicht dein Ernst, oder?« Jonas sah ihn entgeistert an. »Jetzt?«
In diesem Moment verfinsterte sich auch der Himmel, als untermalte ein Regisseur die dramatische Szene mit einem Wettereffekt.
Trost zuckte resigniert mit den Achseln. Da ließ sein Sohn den Hammer fallen und schüttelte den Kopf.
Der Vater-Sohn-Nachmittag war vorbei. Trost musste ins Präsidium.
3Der Pendlerlärm war längst verebbt, die kürzeste Nacht hatte sich fast überfallartig auf den längsten Tag im Jahr gestürzt. Es war nicht einmal halb acht, und schon breitete sich die Finsternis über den Parkplatz des Landespolizeikommandos am Stadtrand von Graz aus. Die seltsame Wetterkapriole der dunklen Wolkendecke, die den Sonnenuntergang fast vollständig abschirmte, wurde noch durch einen Stromausfall verstärkt. Über Graz herrschte Wetterleuchten, welches das Herannahen eines Gewitters anzeigte.
Armin Trost war gezwungen, die Taschenlampenfunktion seines Handys zu aktivieren, damit er nicht über die Bordsteinkanten stolperte.
Im Inneren des Glaskubus am Eingang zur Polizeikaserne reflektierte das blaue Licht eines Monitors auf das Gesicht zweier Polizeibeamter. Durch die Gegensprechanlage vernahm er die blecherne Stimme eines der beiden.
»Ist offen«, rief er, sprang zeitgleich auf und machte drei Schritte, um Trost energisch ins Innere zu winken. »Wo waren Sie denn so lang? Wir konnten die kaum noch beruhigen.«
Trost fiel nur ein Nicken ein, das die Hektik des Mannes irgendwie abwehren sollte. Dazu ein beiläufiger Blick in die Finsternis hinter ihm.
»Wir haben gerade noch genug Akku für die ganze Nacht, um den PC fit zu halten«, deutete der andere nervös auf den Bildschirm, als schuldete er Trost eine Erklärung dafür, dass trotz des großräumigen Stromausfalls der Laptop flimmerte.
»Und der Notstrom?«, sagte Trost und hob die Augenbrauen, als müsste er die beiden ans Einmaleins erinnern.
»Auch aus. Die Technik arbeitet schon dran. Seltsam.«
»Ja, seltsam«, bestätigte Trost und sah sich wieder demonstrativ um. »Alles ein Klumpert.«
Er stemmte ungeduldig die Arme in die Hüften. »Und wo soll sich die Person befinden, die sich angeblich nicht beruhigen kann? Ist ja alles völlig still hier.«
Die beiden wechselten einen Blick, was in dem blauen Schimmer noch eine Spur unheimlicher aussah. So als könnten sie sich nicht entscheiden, wer von beiden die Büchse der Pandora öffnen sollte.
Im Eingangsbereich der Polizeikaserne befanden sich eine Reihe an die Wand geschraubter Stühle, die obligatorischen Hygienespender, ein paar an die Wand geklebte Zettel über das richtige Verhalten im Brandfall und die vorgeschriebenen Covid-Maßnahmen. Außer den beiden Kollegen vom Nachtdienst und ihm selbst war niemand im Raum.
»Geh, bitte, Leute. Macht es nicht so spannend. Wieso bin ich hier?«
In diesem Moment ging weiter hinten im Flur eine Tür auf. Sofort ertönte heftiges Gekreische, das abrupt endete, als die Tür wieder ins Schloss fiel.
»Also, wenn der Spinner nicht bald auftaucht, dann rufen wir die Rettung. Liefern wir sie ein, die Alte ist ja nicht ganz bei Trost.«
Als sie um die Ecke bog, erstarrte die Frau zur Salzsäule.
»Herr Chefinspektor«, stammelte die Polizistin. Er hatte keine Lust, sie darauf aufmerksam zu machen, dass sein Dienstgrad seit Kurzem ein anderer war. Sie war etwas kleiner als er, trug zivile Kleidung, und die Pistole steckte in einem Brustholster. Ihr strohfarbenes...
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