Schweitzer Fachinformationen
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MACH MIT
Wenn man unterwegs war, bedeutete »nach unten« immer in Richtung der Datum-Erde. Hinab zu den geschäftigen, trubeligen Erden. Hinab zu den Millionen von Menschen. »Nach oben« bezeichnete die Richtung zu den stillen Welten und der sauberen Luft der Hohen Megas.
Fünf Schritte westlich von Datum-Madison, Wisconsin, stand Joshua Valienté an einem bitterkalten Märztag auf einem kleinen Friedhof neben einem Kinderheim vor dem Grabstein seiner Frau. So weit »unten« war er schon lange nicht mehr gewesen, so niedergeschlagen und betrübt. Helen Green Valienté Doak. »Was ist passiert, Liebes?«, fragte er leise. »Wie konnte es nur so weit mit uns kommen?«
Er hatte keine Blumen dabei. Was auch nicht nötig war, die Kinder pflegten das kleine Grab ausgezeichnet, vermutlich unter der liebevollen Anleitung von Schwester John, einer alten Freundin Joshuas, die das Heim inzwischen leitete. Es war auch Schwester Johns Idee gewesen, diesen Stein aufzustellen als Trost für Joshua, wenn er hierher zu Besuch kam. Helen hatte darauf bestanden, auf der Datum begraben zu werden, an einem viel weniger gut erreichbaren Ort.
Auf dem Stein stand Helens Todesdatum im Jahre 2067. Jetzt, drei Jahre später, stellte Joshua fest, dass er mit dieser grausamen Tatsache immer noch zu kämpfen hatte.
Er war seit jeher gern allein gewesen, zumindest über große Abschnitte seines Lebens hinweg. Sogar seine Erfahrungen am Wechseltag hatte er diesem Verlangen nach Einsamkeit zu verdanken. Inzwischen war es über ein halbes Jahrhundert her, dass ein unverantwortliches Genie namens Willis Linsay die Bauanleitung für einen einfachen, von jedermann ohne große Mühe zu bastelnden Apparat namens »Wechsel-Box« online gestellt hatte. Sobald man sich eine solche Box gebaut und an den Gürtel geschnallt hatte, konnte man, indem man den Schalter auf ihrem Deckel betätigte, wechseln, das heißt, von der alten Welt, die von allen mittlerweile nur noch die Datum-Erde genannt wurde, mit einem Schritt in eine andere Welt hineingehen. In eine stille, von dichtem Wald bedeckte Welt, falls man wie der damals dreizehnjährige Joshua von einem Ort wie Madison, Wisconsin, aus wechselte. Drückte man den Schalter in die andere Richtung, kehrte man an den Ausgangspunkt zurück. Man konnte aber auch, wenn man wie der junge Joshua mutig genug war, noch weiter gehen und Schritt für Schritt von einer Welt in die nächste gelangen . Mit einem Mal stand allen Menschen die Lange Erde offen - eine schier endlose Kette paralleler Welten, einander ganz ähnlich, aber nicht identisch, und alle, bis auf die ursprüngliche Erde - die Datum-Erde - völlig menschenleer.
Für einen Einzelgänger wie den jungen Joshua Valienté war die Lange Erde ein perfekter Zufluchtsort. Aber wohin man auch floh, irgendwann musste man wieder zurückkommen. Und jetzt war er siebenundsechzig, seine Frau war tot und Sally Linsay schon lange verschollen - jene beiden so gegensätzlichen Frauen, die sein Leben bestimmt hatten -, und nachdem sich sein einziger Sohn mehr oder weniger von ihm entfremdet hatte, blieb Joshua überhaupt nichts anderes mehr übrig, als allein zu sein.
Mit einem Mal verspürte er einen stechenden Kopfschmerz, der ihm wie ein Stromschlag durch die Schläfen fuhr.
Und während er noch so dastand, glaubte er, etwas zu hören. Es ähnelte dem Unterschallgrummeln eines tiefen Bebens mit so gewaltigen und dichten Klangwellen, dass man sie eher spüren als hören konnte.
Joshua versuchte, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren - den Friedhof, den Namen seiner Frau auf dem Stein, die Plattenbauten auf dieser Nahen Erde, die sämtlich aus Holzwänden und Sonnenkollektoren bestanden. Doch dieses ferne Geräusch ließ ihn nicht los.
Etwas rief ihn. Etwas, das aus den Hohen Megas herüberhallte.
Und noch viel weiter von der Datum entfernt, in einem leeren, mit Sternen übersäten Himmel an einer Stelle, an der eigentlich eine Erde sein sollte:
»Das ist unmöglich«, sagte Stella Welsh und starrte auf ihr Tablet.
Dev Bilaniuk seufzte. »Ich weiß.« Stella war über sechzig und damit über dreißig Jahre älter als Dev. Zudem war Stella eine Next und damit so intelligent, dass Dev, der mit seinem Doktortitel von der Universität Walhalla auch nicht eben ein Dummkopf war, sofort ausstieg, sobald Stella intellektuell lossprintete und ernsthafte Berechnungen oder Analysen zu irgendeinem Thema anstellte. Allerdings sah sie aus Devs Perspektive gerade nicht besonders intelligent aus, wie sie in dieser riesigen, höhlenartigen Kammer tief im Inneren des Backsteinmondes kopfüber von der Decke hing. In der Schwerelosigkeit stand ihr üppiges graues Haar nach allen Seiten ab.
Außerdem schien sie angesichts der »Einladung«, also der Nachricht, die das Radioteleskop Cyclops soeben aufgefangen hatte, ebenso vor den Kopf geschlagen zu sein wie Dev.
»Zum einen«, stellte sie fest, »ist Cyclops überhaupt noch nicht ganz fertiggestellt.«
»Klar. Aber die Tests der Teilgeneratoren waren bis jetzt erfolgreich. Wir waren gerade dabei, die Zielmuster auszutauschen, als dieses . dieses SETI-Dings . einfach so im Datenstrom auftauchte und sich selbst runtergeladen hat, und .«
»Außerdem haben wir Berichte erhalten, dass andere Teleskope, in erster Linie auf den Nahen Erden und der Datum selbst, dieses Signal ebenfalls aufgefangen haben. Das heißt, auf anderen Wechselwelten. Es handelt sich also nicht einfach um irgendeinen Sender, der hier in unserem Himmel Funksprüche absondert. Es handelt sich um ein Phänomen, das die gesamte Lange Erde betrifft. Wie ist das möglich, verdammt noch mal?«
Zögerlich sagte Dev: »Auch im Outernet kursieren so merkwürdige Nachrichten. Da passiert ziemlich seltsames Zeug in der Langen Erde. Hat nichts mit Radioastronomie zu tun. Dazu komische Sachen im Trollruf .«
Sie schien ihn nicht einmal gehört zu haben. »Und dann diese Entschlüsselung.« Sie schaute wieder auf den Bildschirm des Tablets, auf die beiden einfachen Worte, die dort standen: MACH MIT.
»Unter diesem Grundmuster scheinen noch wesentlich mehr Informationen versteckt zu sein«, sagte Dev jetzt. »Vermutlich können wir erst dann alles herausfischen, wenn das gesamte Cyclops-Spektrum voll funktionstüchtig ist.«
»Die Sache ist doch die«, sagte sie bedeutsam, »dass das, was wir da empfangen haben, seinen eigenen codierten Entzifferungs-Algorithmus schon in sich trug, wie eine Art Computer-Virus. Einen Algorithmus, der dazu in der Lage ist, seinen eigenen Sinngehalt ins Englische zu übersetzen.«
»Und in jede andere Sprache«, sagte Dev. »Menschliche Sprache, meine ich. Wir haben es überprüft. Wir haben das Ding auf das Tablet eines chinesischen Muttersprachlers in unserem Team heruntergeladen .«
Dev hatte sich dafür einen ordentlichen Rüffel der Regierung eingehandelt. Aber das angespannte Verhältnis zwischen China und den westlichen Nationen auf der Datum hatte hier oben, zwei Millionen Welten entfernt, keinerlei Bedeutung.
»Wie soll das bitte gehen?«, blaffte Stella jetzt. »Wieso kann das verdammte Ding mit uns sprechen, ohne zuvor irgendetwas über die Existenz der Menschheit und unserer Sprachen zu wissen? Wir glauben, dass es von einer Zivilisation weit draußen in Richtung des Sternbilds Schütze kommt, viele Lichtjahre entfernt, vielleicht nahe dem Zentrum der Galaxis. Unsere ins All streuenden Radiosignale können unmöglich so weit gekommen sein, nicht mal die von der Datum.«
Der so bombardierte Dev verlor die Nerven. »Professor Welch, Sie sind mir auf diesem Feld jahrzehnteweit voraus. Sie haben die Texte verfasst, mit denen ich ausgebildet wurde. Außerdem sind Sie eine Next. Wieso also fragen Sie mich das alles?«
Sie sah ihn verwundert an, und er sah hinter ihrer gereizten Ungeduld einen Funken Humor aufblitzen. »Sagen Sie mir trotzdem, was Sie davon halten.«
Er zuckte die Achseln. »Im Gegensatz zu Ihnen bin ich daran gewöhnt, meine Welt mit Wesen zu teilen, die schlauer sind als ich. Diese . na ja, Sagittarianer sind noch mal ein Stück schlauer. Auch schlauer als Sie. Sie wollten mit uns in Kontakt treten, und sie wussten auch, wie. Wichtig ist jetzt, wie wir damit weiter verfahren.«
Sie grinste. »Ich glaube, das wissen Sie ebenso gut wie ich.«
Er grinste zurück. »Wir brauchen ein größeres Teleskop.«
Und noch weiter von der Datum-Erde entfernt:
Eines Tages würde Joshua Valienté diesen älteren Troll Sancho nennen. Dabei hatte er in seiner Trollgruppe bereits so etwas wie einen Namen - aber keinen, den ein Mensch je als solchen erkennen oder aussprechen konnte. Es war eher eine komplexe Zusammenfassung seiner Identität, ein Motiv im endlosen Lied der Trolle.
Jetzt, da er sich im schwindenden Licht eines Vorfrühlingtages gemeinsam mit den anderen an köstlichem Bisonfleisch gütlich tat, wurde Sancho von irgendetwas irritiert. Er ließ sein Rippenstück fallen, erhob sich und suchte den Horizont mit Blicken ab. Die anderen grunzten, ließen sich nur kurz ablenken und widmeten sich alsbald wieder ihrer Mahlzeit. Nur Sancho blieb lauschend und Ausschau haltend stehen, ohne sich zu rühren.
Es war ein guter Tag für diese Trolle gewesen, hier im Herzen eines anderen Nordamerikas. Schon seit mehreren Tagen waren sie einer bisonähnlichen Herde gefolgt, wobei sich das kooperative Gemeinschaftsauge der Trolle recht bald auf ein schon etwas älteres männliches...
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