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Opfer
Der süßliche Geruch von Blut durchsetzt vom herben Duft nach Weihrauch hing in dem fensterlosen Raum und drang in seine Nase, als er die Tür hinter sich schloss. Antonius Virgil Testaceus war die morbide Atmosphäre hier längst gewohnt; die Düsternis der unterirdischen Gemäuer konnte ihn kaum noch beeindrucken. Ebensowenig wie die Tatsache, dass er hierherkam, um seine Menschlichkeit seinen politischen Zielen zu opfern. Aber er war nun mal der Senatsvorsitzende und damit verpflichtet, im Valianischen Imperium für Ordnung zu sorgen.
In den vier Winkeln des Kellerraums standen je ein Marmorsockel mit einem Weihrauchkessel umringt von Kerzen. In der Mitte des Raums erhob sich ein Altar aus schwarzem Basalt. Neben dem Altar stand eine Gestalt, deren Augen so schwarz waren wie der Stein. Eben diese hatten ihn schon mehr als einmal dazu gebracht, sich unsicher und verloren zu fühlen. Die bedrohliche Kälte, die von dem Mann ausging, die Wirkung seines bohrenden Blicks, der Effekt seiner ausgemergelten Gestalt . Testaceus hatte eine ungefähre Vorstellung davon, was seinem kleinen Begleiter gerade durch den Kopf schoss. Flucht.
Er umschloss die Hand des Jungen fester, spürte das Zögern beim Anblick der dunklen Gestalt. Zitternd presste sich der zarte Körper an ihn, während ängstliche Augen fragend zu ihm aufblickten. "Du erinnerst dich doch, was ich dir über diesen Mann und sein Zuhause gesagt habe?"
Der Junge nickte zögernd, musterte die Gestalt mit bangem Blick. Als erwartete er, dass sie jeden Moment wie ein tollwütiges Raubtier über ihn herfallen würde. "Er sieht zwar böse aus, aber nur, weil er ein sehr einsamer Mensch ist", flüsterte er tapfer hinter vorgehaltener Hand. "Und sein Zuhause ."
". ist nur deshalb so dunkel und beängstigend, weil er nie ein eigenes Zuhause hatte und nicht weiß, wie ein richtiges Zuhause auszusehen hat", setzte Testaceus zustimmend fort. "Richtig, mein Junge."
Seine Aufmerksamkeit kehrte zur Gestalt am Altar zurück, die, immer noch reglos verharrend, ihre Augen zwischen ihm und dem Jungen hin und her wandern ließ.
Einmal durchgeatmet, dann schob Testaceus den Jungen, der sich immer noch ängstlich an ihn drückte, auf die Gestalt zu, die schweigend jede ihrer Bewegungen beobachtete. "Ich bin hier, um Hilfe durch Eure Gabe zu erbitten", durchbrach er die eisige Stille.
Es war jedes Mal die gleiche Prozedur. Jedes Mal begann er mit genau diesen Worten, und jedes Mal musterte ihn der Augur, nachdem er sein Anliegen vorgebracht hatte, mit berechnendem Blick. Es war Teil des Ritus, der die Weissagung eines Auguren gewandete wie die Amtstracht einen Senator. Und deshalb war es nicht nur ungebührlich, sondern auch gefährlich, die einleitende Bitte zu unterlassen und die darauffolgende Stille zu unterbrechen. Auguren waren anerkannte Leute. Freilich nicht so anerkannt wie ein Senator, doch sie besaßen etwas, das kein gewöhnlicher Mensch besaß - die Macht des sechsten Sinns in ihrer höchsten Ausprägung. Wenn man sich diese Macht zunutze machen wollte, musste man ihr mit Ehrfurcht und dem gebührenden Respekt begegnen. Auguren arbeiteten gewöhnlich nicht für den Staat oder irgendeinen Senator, abgesehen von jenen fünf, die Testaceus in dem Nebengebäude seines Anwesens beherbergte. Und doch, die meisten der Senatoren hielten die Befragung eines Auguren für notwendig, um ihr Schicksal zu kennen und zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Es gab nicht einen von ihnen, der in kritischen Zeiten nicht zu derartigen Mitteln gegriffen hätte. Allerdings gingen die Methoden seiner fünf Auguren über das übliche Maß hinaus. Eine Tatsache, über die Testaceus nicht gerne nachdachte.
Das bleiche Gesicht des Jungen hatte sich ihm erneut zugewandt. Trotz der offensichtlichen Scheu hielt er tapfer still und machte keine Anstalten davonzulaufen. Testaceus selbst hatte dafür gesorgt, dass er ihm blind vertraute und bis zum Ende durchhielt.
"Zwei Fragen, wenn Ihr gewillt seid, Lestrang", eröffnete er mit ehrfürchtig gedämpfter Stimme das Ritual und spähte zum Altar.
"Zwei Antworten, wenn die Dinge günstig stehen", antwortete der Augur gleichmütig und schritt an Testaceus vorbei zur Tür, woraufhin vier ausgemergelte Gestalten in den gleichen Roben aus hauchdünnem, schwarzem Stoff eintraten.
"Ich nehme an, es geht um die Schlacht gegen den Sklavenführer." Lestrangs Stimme klang, als ob man trockenes Laub zwischen den Fingern zerbröselte.
"Ganz recht."
Testaceus schob den Jungen, der bei den Worten des Auguren unwillkürlich zwei Schritte zurückgewichen war und nun förmlich mit seinen Beinen verschmolz, ein Stück von seinem Körper weg. Der Augur reagierte auf die Angst eines Menschen wie ein Wolf bei dem Geruch von Blut, und Testaceus hatte nicht das geringste Bedürfnis, Lestrang zusätzlich zu animieren.
Während sich die anderen Auguren mit raschelnden Roben um den Altar versammelten, trat Lestrang an den Jungen heran und strich ihm mit den Fingerspitzen sanft über das Gesicht. Der Junge begann zu zittern, und Testaceus stellte mit Abscheu fest, dass seine Angst dem Auguren ein kaum wahrnehmbares Lächeln entlockte. Dann kehrte Lestrang zum Altar zurück und legte seine Hand auf die kalte, schwarze Steinplatte.
"Ihr habt wie immer dafür gesorgt, dass wir unser Ritual ungestört durchführen können?"
"Natürlich", antwortete Testaceus ungerührt, obwohl sein Magen sich unangenehm zusammenkrampfte. Die kleine Hand in seiner war schweißnass.
Lestrangs Aufmerksamkeit wanderte zu den restlichen Auguren, eine Tatsache, die Testaceus kurz aufatmen ließ. Mittlerweile hatten Lestrangs Gehilfen einen Halbkreis um den Altar gebildet.
"Nun denn, es ist an der Zeit, dass ich mich um Euer Mündel kümmere", bemerkte Lestrang, und Testaceus lief es eiskalt über den Rücken.
"Bereit, die Wächter zu rufen!", rief einer der Auguren mit hohler Stimme.
Lestrang nickte, schloss die Augen und flüsterte etwas, das Testaceus nicht verstand. Dann warf er dem Senatsvorsitzenden einen Blick zu, den dieser als eindrücklichen Befehl auffasste.
Testaceus ließ die Hand des Jungen los und trat zurück. Das Kind erschrak angesichts des plötzlichen Entzugs des Körperkontakts. Verzweifelt machte der Junge einen Schritt auf Testaceus zu, doch da hatte ihn schon einer der Auguren gepackt, ihn auf den Altar gehoben und ihm zischend befohlen: "Zieh dich aus!"
Testaceus nickte ihm aufmunternd zu, aber der Junge versteifte sich und bettelte aus flehenden Augen um seinen Beistand.
"Tu, was man von dir verlangt!", forderte Testaceus ihn auf. "Du bist kein Kind mehr. Ich habe dich auf das hier vorbereitet. Ich habe dich gelehrt, dass es Größeres gibt als das eigene Leben und dass man, um diesem Größeren zu dienen, Opfer bringen muss. Ich dachte, du hättest verstanden. Du bist auserwählt, mein Sohn. Du bist dazu bestimmt, den Sinn deines kleinen Lebens in einen größeren Zusammenhang zu setzen. Du hast die Kraft, einen entscheidenden Beitrag zu leisten. Täusche ich mich, oder warst du nicht Feuer und Flamme, als ich dir von deiner Gelegenheit berichtete, dem Wohle der gesamten Menschheit einen Dienst zu erweisen?"
Testaceus wurde bei dieser Unzahl an Lügen schlecht. Die taktische Suggestion, mit der er versuchte, den Jungen zum Gehorsam zu bewegen, war widerlich. Trotzdem fuhr er entschlossen fort: "Offenbar habe ich mich in dir getäuscht, denn im Moment macht die Angst einen Feigling aus dir, und du schaffst es nicht, die einfachen Befehle dieses Mannes auszuführen."
Er ertrug es nicht länger, der puren Verzweiflung ins Gesicht zu sehen, und wandte sich vom Altar ab. Der Junge verstand seine Geste gewiss als ein Zeichen der Enttäuschung. Und richtig, als er sich endlich dazu durchgerungen hatte, zum Opfertisch zurückzublicken, hatte er sich seines Leinenhemdes entledigt und saß nun völlig entblößt, die dünnen Beine von der schwarzen Steinplatte baumelnd, zwischen den Auguren. Tränen rannen ihm über seine Wangen, und Testaceus wusste, dass er sich gefügt hatte und nicht mehr zur Wehr setzen würde.
***
Das Gebiet, das sich zwischen dem Emlin und der Straße nach Valianor hinzog, war weitestgehend Sumpflandschaft. Vor ihnen hatten sich inmitten grüner Wiesen und Sträucher braune, zähflüssige Moortümpel aufgetan und ihnen den Fluchtweg spürbar erschwert. Es erforderte ein hohes Maß an Erfahrung, ein solches Moor zu durchqueren, doch er hatte es nicht gewagt, die Straße, die parallel zum Sumpfgebiet Richtung Süden verlief, schon so früh zu betreten. Zu groß war die Gefahr, dass sich dort bereits die ersten Aufklärer von Cartius' Armee aufhielten.
Gedankenversunken waren er und Rosmerta unter einer bereits kraftvoll scheinenden Sonne einhergewandert. Immer wieder musste er, trotz der Last, die er mit Kitayscha zu tragen hatte, seiner Begleiterin dabei helfen, die tückischen Stellen der Sumpflandschaft sicher zu überqueren. Während das Sonnenlicht in den kleinen Tümpeln glitzerte wie Schmuckstücke auf den Tischen der Händler Valianors und ihnen in die Augen stach, kämpften sie sich Stück für Stück durch das unwirtliche Gebiet.
Zwei Tage waren sie nun schon so unterwegs, während sich das Moor um sie herum in alle Richtungen auszubreiten schien. Nachts ließen die unzähligen Mücken den Schlaf zur Tortur werden. Weil sie beide kaum schlafen konnten, hielten sie meist gemeinsam Wache und vertrieben sich die Zeit damit, die lästigen Blutsauger zu erschlagen.
Besorgt hatte Thorn...
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