Schweitzer Fachinformationen
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Welche Farbe hat die Angst? Ist sie staubfarben oder blaugrau, ist sie gelb oder schwärzlich oder ähnelt ihre Farbe der Asche? Einer Asche, in deren Innerem die Glut noch nicht vollends verglimmt ist! . Oder ist sie von einer Farbe, hinter der sich eine Mauer der Stille auftut und durch deren Spalt man in einiger Entfernung ein Schluchzen wahrnimmt?
Haben Sie jemals die aufgerissenen Augen eines Fisches gesehen, der jäh von einer Woge erfasst und weit hinaus an den Sandstrand geschleudert wurde? Brechende, weit aufgerissene starre Augen .? Eine solche Farbe hat in etwa die Angst!
Selbst dem talentiertesten Filmschauspieler wird es trotz unzähliger Versuche nicht gelingen, eine solche Farbe darzustellen, wie sie im wirklichen Leben in den Augen und auf dem Gesicht eines zu Tode geängstigten Mannes erscheint. Eines Mannes, der nach den Mühen eines langen Arbeitstags erschöpft nach Hause geht, in seiner Hand eine Tüte mit billigen Toffees und Spielzeug für seine Kinder und Hustenpillen für seine Frau, und der nach einer Straßenbiegung in einer einsamen Gasse plötzlich von Aufrührern umringt wird und zu seinem Unglück nicht zur selben Religionsgemeinschaft oder Gruppe derer gehört, die ihn umzingelt haben.
Genau in diesem Moment, nur wenige Augenblicke vor seiner Ermordung, können Sie in den Augen des Todgeweihten, in seinem Gesicht, überall an seinem Körper genau jene Farbe sehen, von der ich gerade sprach und die ich an jenem Tag bei Mohandas erblickt hatte.
In »Schindlers Liste« oder in ähnlichen Filmen zu dieser Thematik werden Sie sicherlich eine Szene gesehen haben, in der ein deutscher Zug irgendwohin in die Ferne geschickt wird. Die Gesichter der aus den Waggonfenstern herauslugenden jüdischen Kinder, Frauen und Greise müssten Ihnen bestimmt im Gedächtnis geblieben sein! Oder die Gesichter der Menschen, die erst unlängst in mehreren Städten und Siedlungen Gujarats von den Dächern und aus den Fenstern ihrer Häuser starrten.
So etwa ist die Farbe der Angst.
Mohandas steht vor mir und sagt mit schwacher, zitternder Stimme: »Retten Sie mich doch irgendwie! Ich flehe Sie an! Ich habe eine Familie zu ernähren. Und mein Vater siecht an Tuberkulose dahin! . Wenn Sie wollen, bin ich bereit, mit Ihnen zum Gericht zu gehen und eine eidesstattliche Erklärung abzugeben, dass ich nicht Mohandas bin. Dass ich keine Person mit diesem Namen kenne! Dass es sich bei diesem Mohandas um jemand anderen handeln muss. Nur retten Sie mich irgendwie!«
Wenn Sie Mohandas sehen würden, wären Sie zunächst von Mitleid erfüllt, doch alsbald würden auch Sie Angst verspüren. Denn es herrschen schreckliche Zeiten und sie werden immer furchterregender.
Ich kenne Mohandas und seine Familie seit mehreren Generationen. Wie es eben im Dorf so üblich ist. Wenn Sie ihn sähen, würden Sie nicht auf den Gedanken kommen, dass er einen ordentlichen Studienabschluss des Government Mahatma Gandhi Degree Colleges des hiesigen Distriktes besitzt. Einen Abschluss mit Auszeichnung. Und vor genau zehn Jahren stand sein Name an zweiter Stelle auf der Rangliste der besten Universitätsabsolventen. Doch sein heutiges Erscheinungsbild lässt eine solche Vergangenheit nicht einmal erahnen. Er trägt eine zerschlissene und mehrfach geflickte Jeanshose, deren ehemals blaue Farbe völlig ausgeblichen ist, dazu ein kurzärmliges Buschhemd aus billigem Kunststoff, an der rechten Schulter ist die Naht aufgerissen und die Streifen auf dem ehemals bunt karierten Muster sind nahezu verblasst. Seinen billigen Regengummischuhen haben Lehm, Staub, Elend, Wasser, Zeit und Sonne derart zugesetzt, dass sie mittlerweile so aussehen, als wären sie aus Ton oder Leder hergestellt worden.
Mohandas müsste derzeit um die fünfunddreißig oder siebenunddreißig sein, sieht aber ebenso alt aus wie ich, wenn nicht sogar etwas älter.
Wann immer ich ihn traf, wirkte er zerfahren und gehetzt. Niemals sah ich ihn im Dorf entspannt herumsitzen und plaudern, Karten spielen, lachen und scherzen oder fernsehen. Er war getrieben von einer furchteinflößenden Hektik, die ihn nie zur Ruhe kommen ließ. Über Mohandas sagen die Leute, dass er jede Arbeit annehme, weil er täglich für jeden Schluck Wasser einen neuen Brunnen graben und für jede Mahlzeit eine neue Ernte einfahren müsse. Und auf das von ihm erworbene Brot und Wasser ist in seiner Familie nicht nur eine Person angewiesen, nein, es sind fünf. Fünf Bäuche und fünf Mäuler. Da ist Mohandas' Vater Kabadas, der seit acht Jahren an Tuberkulose leidet, und seine Mutter Putlibai, die nach einer Operation des Grauen Stars in einem kostenlosen Augen-OP-Camp ihr Augenlicht für immer verloren hat. Da ist seine Frau Kasturibai, die nichts weiter ist als der Schatten ihres Mannes. Kasturibai hilft Mohandas bei der Arbeit und führt den Haushalt. Die Dorfleute sagen, dass man die beiden bis zum heutigen Tage niemals streiten sah. Es scheint, als seien es die Erfahrungen von Not und Schwierigkeiten, die das Fundament der Partnerschaft zwischen Mann und Frau entweder stärken oder schwächen.
Die übrigen beiden Familienmitglieder sind Devdas und Sharda, die Kinder von Mohandas und Kasturi, acht- und sechsjährig. Devdas besucht die Grundschule des Dorfes und arbeitet nach dem Unterricht in der Durga-Autowerkstatt, die an einer Straße in der Nähe des Dorfes eröffnet wurde. Er hilft beim Luftaufpumpen, beim Flicken löchriger Reifen und bei kleineren Reparaturarbeiten an Rollern und Motorrädern und verdient damit im Monat einhundert Rupien. Man kann also feststellen, dass Mohandas' Sohn Devdas - während er noch zur Schule geht - bereits selbst für seinen Lebensunterhalt sorgt und somit unabhängig ist. Die Lehrer der Schule sind der Meinung, dass Devdas der intelligenteste Schüler innerhalb der vierten Klassen ist. Aber wenn sein Vater Mohandas auf diesen Umstand angesprochen wird, starren seine Augen irgendwohin ins Leere. Vielleicht wähnt er irgendetwas in der Ferne zu sehen. Die Falten in seinem Gesicht zucken und in seinen Augen erlischt der Glanz. Dann ist es, als ob aus seinem Innersten seine tränenerstickte Stimme hinausdränge: »Auch ich machte doch meinen BA mit Auszeichnung, Tag und Nacht büffelte ich .! Was hat es gebracht?«
Danach leuchten Mohandas' Augen wieder auf und ein Lächeln schleicht sich auf seine verkrusteten Lippen: »Dieser Tage lerne ich, wie man mit dem Computer umgeht. Ich gehe zum >Star Computer Center< bei der Bushaltestelle. Shakil, der Sohn vom Baustoff- und Eisenwarenhändler Mohammad Imran, betreibt diesen Computerladen. Er sagt: >Wenn du das Eintippen, Bearbeiten und Ausdrucken von Texten erlernt hast, werde ich dir im Monat etwas mehr als sechshundert Rupien geben.<« Und Mohandas erzählt weiter: »Beim Tippen kam ich diesen Monat schon auf dreißig Wörter pro Minute. Hie und da bekomme ich kleine Aufträge, aber es ist so, dass ich noch immer viele Tippfehler mache, da geht viel Zeit drauf, diese auszubessern.«
Aber all das ist schon lange her. Zurzeit befindet sich Mohandas in einer großen Notlage und er sagt immer wieder: »Ich heiße nicht Mohandas. . Ich bin bereit, das vor Gericht eidesstattlich zu bezeugen. Wer immer Mohandas werden will, mag es werden. Bitte retten Sie mich irgendwie! . Ich flehe Sie alle an!«
Welches Problem hat Mohandas? Bevor ich darauf eingehe, sollte ich Ihnen noch das fünfte Mitglied der Familie, Mohandas' sechs Jahre alte Tochter Sharda, vorstellen. Sharda ist Schülerin der zweiten Klasse in der öffentlichen Grundschule des Dorfes und nach dem Unterricht begibt sich die Sechsjährige in das zweieinhalb Kilometer entfernte und jenseits von zwei Teichen gelegene Dorf Bichiya Tola, aus dem sie erst spätabends zwischen neun und zehn Uhr heimkehrt. In Bichiya Tola kümmert sie sich um den einjährigen Sohn von Bisnath Prasad und hilft in dessen Haushalt, wofür sie am Abend etwas zu essen und dreißig Rupien im Monat erhält.
Im Dorf Bichiya Tola gibt es einen gewissen Nagendranath, Großbauer und Hauptvertreter des lokalen Lebensversicherungsfonds. Er ist bekannt dafür, dass er über enge Kontakte zu einflussreichen Personen verfügt, angefangen vom Collector, dem Distriktsvorsteher, bis zum Landesminister. Zweimal hatte er das Amt des Dorfratsvorsitzenden inne und einmal sogar das des Vizevorsitzenden der Distriktsverwaltung. Bisnath Prasad, auf dessen einjährigen Sohn Sharda aufpasst, ist einer von seinen fünf Söhnen. Obwohl sein tatsächlicher Name Vishwanath Prasad ist, nennen ihn die Dorfbewohner nur Bisnath, Herr des Gifts, und erzählen sich hinter seinem Rücken: »Eine richtige Giftschlange ist er, der Bisnath. Schrecklich giftig. Wenn er jemanden nur anhaucht, dann ist es mit ihm aus .! Ist der Vater der Schlangengott Nagnath, so ist sein Sohn kein Geringerer als der Herr der Schlangen. Wenn er dich anlächelt und Süßholz raspelt, dann nimm dich in Acht! Jeden Moment kann er zubeißen.« Was Bisnath nicht besitzt, ist Ehrlichkeit. Manchmal, wenn er betrunken ist, sagt er selbst von sich: »Es bereitet mir viel mehr Spaß, jemanden übers Ohr zu hauen, als die Frau eines anderen unter meine Lenden zu drücken . Ha, ha, ha.!« Überhaupt pflegt er Umgang mit solchen Leuten aus dem Dorf und aus der Umgebung, über die ich noch nie ein gutes Wort gehört habe.
Bisnath gehört einer höheren Kaste an, wohingegen Mohandas ein niedrigkastiger Kabirpanthi ist. Viele Angehörige seiner Gemeinschaft verdienen noch immer ihren Lebensunterhalt...
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