Schweitzer Fachinformationen
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Die Tür ließ sich kaum zehn Zentimeter weit öffnen, dann stieß sie gegen ein Hindernis. Fina lugte hinaus. Drei Kartons, direkt auf der Fußmatte.
Es reichte jetzt. Es reichte einfach. Fina lehnte sich gegen die Tür und schob die Matte mitsamt den Kisten so weit zur Seite, dass sie auf den Gang treten konnte. Sie griff nach dem Zettel, der auf dem obersten Paket lag.
Wurde wieder bei uns abgegeben. Es ist das letzte Mal, dass wir Ihre Sendungen entgegennehmen. Wir sind keine Zweigstelle der Post. MfG, Traude Klien.
Mit dem Zettel in der Hand kehrte Fina in die Wohnung zurück und riss die Tür zum Wohnzimmer auf. »Calli, verdammt! Es ist schon wieder Zeug für dich angekommen!«
Ihre Schwester, die sich vor mittlerweile drei Monaten bei ihr eingenistet hatte, rührte sich kein Stück. Stellte sich schlafend wie meistens, wenn Fina sie kurz vor ihrem Aufbruch zur Arbeit noch zu ein wenig Mithilfe motivieren wollte. Dazu, Milch kaufen zu gehen beispielsweise oder Klopapier.
Am Abend tat Calli dann jedes Mal höchst erstaunt. »Boah, sorry, hab ich nicht gehört. Du weißt ja, wenn ich mal schlafe .« Hilfloses Schulterzucken. Verlegenes Lächeln, alles Dinge, die bei manchen Männern funktionieren mochten, nicht aber bei Fina.
Diesmal würde sie Calli nicht auf diese billige Tour davonkommen lassen. Sie kniete sich neben die Couch und rüttelte an Callis Schulter. »Aufwachen!«
Ein paar Sekunden lang versuchte ihre Schwester, das Täuschungsmanöver aufrechtzuerhalten, dann begann sie, unwillige Geräusche von sich zu geben. »Wasisn?«
»Die Kliens haben uns die Pakete diesmal direkt vor die Tür gestellt, und sie haben die Nase genauso voll von deinen Bestellungen wie ich.«
Calli gähnte. Schlug die Augen auf. »Das sind keine Bestellungen. Das sind Gratis-Samples. Von meinen Kooperationspartnern.«
Zu Finas Erstaunen hatte Callis Influencer-Karriere tatsächlich erste Früchte getragen. Kein Geld, leider, und auch sonst nichts, womit sie etwas zu Miete oder Verpflegung hätte beitragen können. Aber Kosmetika. Schuhe. Und neuerdings offenbar auch Dinge, die schwer genug waren, um Türen zu blockieren.
»Dann mach wenigstens die Tür auf, wenn die Post kommt!«
»Tu ich doch. Wenn ich zu Hause bin. Und die Klingel höre. Aber meine Kopfhörer sind echt der Wahnsinn, da bekommt man rundum fast nichts mit.«
»Dann steck sie dir eben nicht in die Ohren!« Fina rappelte sich wieder hoch. Sie hasste es, sich anzuhören wie ihre eigene Mutter. Es waren nur eineinhalb Jahre, die sie von ihrer Schwester trennten, aber sie hätte ebenso gut mit einem Teenager zusammenleben können. Einem Messie-Teenager, denn auf der Seite des Zimmers, die Calli nicht für ihre Influencer-Videos brauchte, umlagerten leere Schachteln, zerrissenes Verpackungsmaterial, ungewaschene Wäsche und verknitterte Modezeitschriften eine sterbende Zimmerpflanze.
Zieh aus, dachte Fina. Zieh bitte, bitte aus. »Räum endlich auf!«, sagte sie stattdessen und trat einen zerknüllten Lieferschein in Richtung Papierkorb.
»Du bist so aggressiv.« Calli legte einen Unterarm über die Augen, als müsse sie sie vor dem spärlichen Licht schützen, das durch die Vorhänge drang.
Im gleichen Moment begann in Finas Jackentasche das Handy zu vibrieren und verhinderte, dass sie ihrer Schwester einen Einblick in das tatsächliche Ausmaß ihres Frusts verschaffte.
Sie zog das Gerät hervor. Ahmed, stand auf dem Display. Wenigstens ein Lichtblick am frühen Morgen.
»Hi!« Sie ging in Richtung Tür, gestikulierte gleichzeitig noch einmal bekräftigend in Richtung des Müllbergs.
»Morgen, Fina. Bist du schon auf dem Weg?«
»Gehe gerade aus dem Haus.«
»Okay, komm bitte zum Ring, ich fische dich bei den Museen auf. Leichenfund auf einem Betriebsgelände, Tatortgruppe ist auch schon unterwegs.«
»Okay, bis gleich.« Fina quetschte sich durch die Wohnungstür und an den Kisten vorbei. Hörte Calli noch etwas rufen, das die Worte »Stress« und »unfair« enthielt, dann lief sie schon die Treppen nach unten.
Ahmed schien an diesem Morgen nicht mehr dazu gekommen zu sein, sich zu rasieren, was bei ihm zu einer völligen Typveränderung führte. Sein Bart wuchs ungewöhnlich schnell, weswegen er immer Rasierzeug im Büro hatte. Für das, was er die Mittagsrasur nannte.
»Hey, Räuber«, begrüßte Fina ihn beim Einsteigen in den Wagen und erntete einen gequälten Blick.
»Ich weiß«, sagte er und drehte das Radio leiser. »Lange Nacht, hektischer Morgen, Kopfschmerzen.«
Sie kramte in ihrem Rucksack nach Aspirin, fand eine halb zerbröselte Tablette und hielt sie Ahmed an der nächsten roten Ampel hin. Ein kurzer, skeptischer Blick, dann pickte er die Krümel auf und schluckte sie trocken hinunter. »Besser als nichts, danke.«
Der Verkehrsfunk setzte ein, und sie schwiegen kurz. »Wohin müssen wir?«, erkundigte sich Fina.
»Industriegebiet Süd. Der Mann ist auf dem Parkplatz eines Pharmalabors gefunden worden. In seinem Auto.« Ahmed kratzte seine Bartstoppel. »Du kennst die Gegend. Ist gleich um die Ecke vom Straßenstrich.«
Fina nickte. Es gab in Wien nur noch zwei Straßenzüge, wo Sexarbeiterinnen offen stehen durften - in Wohngebieten war es schon seit Jahren verboten. »Wahrscheinlich wieder Revierstreitigkeiten unter Zuhältern«, mutmaßte sie.
»Kaum.« Die Ampel sprang auf Grün, und Ahmed trat aufs Gas. »Der Tote ist nämlich einundachtzig Jahre alt.«
Sie parkten vor dem Firmengelände; durch die Einfahrt erhaschte Fina bereits einen Blick auf die vermummten Kollegen der Tatortgruppe - und auf Weigels dünne Gestalt, die in eigenartiger Weise geschrumpft wirkte. Der Rechtsmediziner stand etwas abseits und diktierte in sein Handy, das er in die Jackentasche gleiten ließ, als er sie kommen sah.
»Scheißstart in einen Scheißtag«, grollte er.
Fina und Ahmed wechselten einen erstaunten Blick - Weigel war keiner von denen, die sich mithilfe von Kraftausdrücken Luft machten. »So schlimm?«, fragte Fina.
»Schlimmer.« Weigel atmete tief ein und aus.
Vor Finas innerem Auge lief sofort ein Film mit den Leichenfunden der vergangenen Monate ab - bei einigen davon war ihr der Anblick schwer an die Nieren gegangen, aber kein einziges Mal hatte Weigel auch nur mit der Wimper gezuckt.
Sie spähte hinüber, dorthin, wo einer der Spurensicherer eben etwas mit einer Pinzette vom Fahrersitz entfernte. Der Wagen war ein alter Mercedes mit schwarzen Sitzbezügen - aus dieser Entfernung war kein Blut zu erkennen. »Was war die Todesursache?«
»Drei Messerstiche, zwei in die Brust, einer in den Hals.« Weigel klang heiser. »Ich schätze, dass zwei davon tödlich waren. Genauer sage ich es euch, wenn ich ihn auf dem Tisch habe.«
Drei Messerstiche? So etwas entlockte Weigel normalerweise nicht einmal ein Schulterzucken. »Ist er verstümmelt worden?«, erkundigte Fina sich.
Heftiges Kopfschütteln. »Nein. Nein, das ist es nicht.« Er wandte sich ab, drehte sich dann aber doch noch einmal zu ihnen um. »Es ist nur so . ich habe ihn gut gekannt, und das hat mich eben kalt erwischt.«
»Oh.« Fina dämmerte, dass das aus vielerlei Gründen verstörend sein konnte. Die Art des Todes. Aber auch der Ort - und die Rückschlüsse, die sich daraus ziehen ließen. »Das tut mir sehr leid. Ist es ein Verwandter? Ein Freund?«
Der Gerichtsmediziner blinzelte. Ein nervöses Zucken des linken Auges, das Fina noch nie bei ihm gesehen hatte.
»Nein«, sagte er. »Ein Kollege. Ein Lehrer, wenn man so will. Damals einer der besten Gefäßchirurgen im Land, er war einer meiner Professoren an der Uni . und so etwas wie ein Mentor für mich.«
Es wirkte, als wollte er noch etwas sagen, doch da tauchte Georg neben ihm auf. Zog sich die Kapuze seines weißen Overalls vom Kopf und tätschelte Weigel die Schulter. »Schöner Schreck, hm? Tut mir wirklich leid für Sie.«
Sein Haar stand wieder einmal in allen Richtungen vom Kopf ab, und Fina hätte es gerne glatt gestrichen, aber die Geste wäre zu vertraulich gewesen. Sie waren sich in den letzten Wochen nähergekommen, sehr langsam und behutsam. Hatten begonnen, zwei- oder dreimal die Woche zusammen zu Abend zu essen - beim Griechen, beim Italiener, beim Chinesen -, und Georg hatte sie anschließend immer bis zur Haustüre begleitet, keinen Schritt weiter. Küsschen rechts, Küsschen links, einmal drücken, das war es gewesen. Zwischen ihnen war nichts passiert, das Fina auch nur entfernt Anlass gegeben hätte, sich zu verhalten wie eine langjährige Ehefrau, schon gar nicht in der Öffentlichkeit.
Weigel schien Georgs Mitgefühl nicht zu schätzen. »Ein Schreck, ja«, sagte er trocken. »Aber keine Sorge, ich habe mindestens so sorgfältig gearbeitet wie sonst. Wenn nicht sorgfältiger.«
»Natürlich.« Georg hatte sofort die Hand zurückgezogen. Nickte Fina und Ahmed zu. »Wenn ihr möchtet, könnt ihr rüberkommen. Wir wären so weit.«
Der Tote lag auf einer Plane hinter dem üblichen Sichtschutz. Nun war das Blut unübersehbar. Es hatte sein Hemd bis zum Nabel getränkt, klebte an der Lederjacke, war in den Kinnhaaren seines weißen Bartes eingetrocknet.
»Professor Werner Hemeyer«, sagte Georg, der hinter ihnen stand. »Das steht in seinem Führerschein, und das bestätigt auch Weigel. Seine Geldbörse war noch im Wagen, aber es ist kein einziger Schein drin, und falls er Kreditkarten hatte, sind die auch weg.«
Unwillkürlich wanderte Finas Blick in Richtung Hosenschlitz des Opfers. Es gab nur einen Grund, nachts diese...
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